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BFH 17.12.2015 - V R 18/15
BFH 17.12.2015 - V R 18/15 - Wirkung der Auszahlung von Kindergeld an den Sozialhilfeträger
Normen
§ 74 Abs 1 S 3 EStG 2009, § 76 EStG 2009, § 100 Abs 1 S 4 FGO, EStG VZ 2011
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 24. Februar 2015, Az: 4 K 180/13, Urteil
Leitsatz
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Die Auszahlung von Kindergeld an einen Abzweigungsberechtigten führt --anders als die Zahlung an den originär Kindergeldberechtigten-- nur dann zum Erlöschen des Kindergeldanspruchs, wenn der Abzweigungsbescheid bestandskräftig geworden ist .
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. Februar 2015 4 K 180/13 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) Kindergeld für ihren schwerbehinderten Sohn. Nachdem die Beigeladene (Sozialhilfeträger) Sozialhilfe an die Klägerin gezahlt und deshalb die Abzweigung des Kindergeldes bei der Familienkasse beantragt hatte, zweigte diese mit Bescheid vom 5. Juli 2011 gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 76 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Hälfte des Kindergeldes (92 €) an den Sozialhilfeträger ab. Nachdem die Klägerin hiergegen Einspruch erhoben hatte, um weiterhin volles Kindergeld zu erhalten, stellte die Familienkasse im November 2011 die Zahlung des Kindergeldes bis zur Klärung des Streites zwischen der Klägerin und dem Sozialhilfeträger ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2013 entschied die Familienkasse, die Abzweigung im Zeitraum Mai bis Juli 2011 auf 78 € zu reduzieren und ab August 2012 aufzuheben.
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Hiergegen erhob die Klägerin Klage und beantragte zunächst, den Abzweigungsbescheid vom 5. Juli 2011 dahingehend zu ändern, dass ab Mai 2011 volles Kindergeld an sie zu zahlen sei. Nach einem rechtlichen Hinweis des Finanzgerichts (FG) auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. April 2013 V R 48/11 (BFHE 241, 270, BStBl II 2013, 697), wonach davon auszugehen sei, dass ein in den Haushalt aufgenommenes behindertes Kind Unterhaltsleistungen von mehr als dem Wert des Kindergeldes erhalte, gab der Sozialhilfeträger seine Forderung nach Abzweigung des Kindergeldes ab November 2011 auf und beide Beteiligten erklärten den Rechtsstreit insoweit für erledigt.
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Hinsichtlich des Zeitraums Juli bis Oktober 2011 ging der Sozialhilfeträger jedoch davon aus, dass der Abzweigungsbescheid wegen der Auszahlung an ihn nicht mehr geändert werden könne. Zur Begründung verwies er auf das BFH-Urteil vom 26. August 2010 III R 21/08 (BFHE 231, 520, BStBl II 2013, 583), wonach eine Auszahlung des Kindergeldes an den originär Kindergeldberechtigten zum Erlöschen des Anspruchs führe. Nach einem rechtlichen Hinweis des FG und der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung gab daraufhin die Klägerin ihren Verpflichtungsantrag auf und beantragte, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abzweigung, um eine Amtshaftungsklage gegen die Familienkasse vor dem Zivilgericht vorzubereiten.
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Das FG gab der Feststellungsklage statt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig. Das Klagebegehren der Klägerin auf Auszahlung des gesamten Kindergeldbetrages habe sich durch die teilweise Zahlung an den Sozialhilfeträger erledigt, auch wenn die Abzweigung materiell rechtswidrig gewesen sei.
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Hiergegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision. Das FG habe die Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig verwerfen müssen, weil eine Abzweigungsentscheidung auch nach Auszahlung des Kindergeldes noch änderbar sei, denn eine Zahlung an den falschen Empfangsberechtigten könne von diesem zurückgefordert und die Zahlung an den materiell Berechtigten nachgeholt werden. Die Klage sei als unzulässig zu verwerfen.
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Die Familienkasse beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat rechtsfehlerhaft die Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässig beurteilt, da sich der angefochtene Verwaltungsakt mit der Auszahlung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger nicht i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO "erledigt" hat. Der Klägerin ist Gelegenheit zu geben, zu ihrem ursprünglich gestellten Antrag zurück zu kehren.
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1. Das FG hat die Voraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO unzutreffend bejaht. Es ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Auszahlung von Kindergeld an den Sozialhilfeträger zur "Erledigung" einer Klage des originär kindergeldberechtigten Elternteils auf Auszahlung des Kindergeldes führt, wenn der Abzweigungsbescheid aufgrund der Anfechtung noch geändert werden kann und infolgedessen das an den Sozialhilfeträger ausgezahlte Kindergeld an die Familienkasse zurück zu erstatten ist.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH scheidet eine Abzweigung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger oder an das Kind aus, wenn das Kindergeld zuvor bereits an den originär kindergeldberechtigten Elternteil tatsächlich ausgezahlt wurde. Der Kindergeldanspruch wird durch die Auszahlung erfüllt und erlischt damit (BFH-Urteile in BFHE 231, 520, BStBl II 2013, 583; vom 27. Oktober 2011 III R 16/09, BFH/NV 2012, 720; BFH-Beschluss vom 2. Dezember 2013 III S 33/13 (PKH), BFH/NV 2014, 574).
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b) Entgegen der Rechtsauffassung des FG kommt der Auszahlung von Kindergeld an einen Dritten (Sozialhilfeträger) nicht dieselbe Wirkung zu wie einer Auszahlung an den originär Kindergeldberechtigten. Denn die Erfüllungszuständigkeit für erhaltenes Kindergeld ändert sich von der Person des Kindergeldberechtigten auf einen Dritten erst dann und soweit, wie ein bestandskräftiger Abzweigungsbescheid der Familienkasse ergangen ist, bei dem es sich für den Empfänger um einen begünstigenden und für den bisher Kindergeldberechtigten um einen belastenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung handelt (BFH-Urteil vom 24. August 2001 VI R 83/99, BFHE 196, 278, BStBl II 2002, 47; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 74 Rz 14). Wird dieser Verwaltungsakt der Familienkasse fristgerecht durch Einspruch des Kindergeldberechtigten angefochten, kann er im Einspruchsverfahren wieder aufgehoben oder eingeschränkt werden. Dadurch wird die vormalige Erfüllungszuständigkeit des Kindergeldberechtigten wieder hergestellt. Demgemäß hat der BFH bereits entschieden, dass im Hinblick auf die Sonderregelung des § 112 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), wonach zu Unrecht erstattete Beträge zurückzuerstatten sind, eine entsprechende Anwendung der unter II.1.a dargestellten Grundsätze bei Zahlung von Kindergeld an den originär Kindergeldberechtigten bei einer angefochtenen Abzweigungsentscheidung nicht in Betracht kommt (BFH-Urteil vom 19. September 2013 V R 25/12, BFH/NV 2014, 322). Der Sozialhilfeträger hat nach erfolgreicher Anfechtung des Abzweigungsbescheides das zu Unrecht erhaltene Kindergeld an die Familienkasse gemäß § 112 SGB X zu erstatten, sodass diese das Kindergeld dem Berechtigten nachzahlen kann. Die Rechtsauffassung des FG, wonach der Kindergeldberechtigte zunächst eine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Abzweigungsentscheidung vor dem FG erheben muss, um anschließend einen Schadensersatzanspruch im Wege der Amtshaftungsklage vor dem Zivilgericht nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches durchzusetzen und damit die Zivilgerichtsbarkeit mit Fragen der Kindergeldberechtigung zu befassen, wäre zudem schwerlich mit den Grundsätzen der Prozessökonomie zu vereinbaren.
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2. Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung wegen der unzutreffenden Annahme eines Feststellungsinteresses nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO aufzuheben. Die Sache ist mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen. Die Klage ist trotz des Feststellungsantrags der Klägerin nicht als unzulässig zu verwerfen, da der Wechsel vom ursprünglich gestellten Aufhebungsantrag auf den Feststellungsantrag auf Initiative des FG zustande gekommen ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546; Gräber, Kommentar zur FGO, § 56 Rz 20).
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3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
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