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BFH 03.09.2015 - III B 39/15
BFH 03.09.2015 - III B 39/15 - Verhältnis Anfechtungsklage - Nichtigkeitsfeststellungsklage Nichtzulassungsbeschwerde - Rechtschutzbedürfnis - Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile
Normen
§ 110 Abs 1 FGO, § 110 Abs 2 FGO, § 115 FGO, § 100 Abs 2 S 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 4. Februar 2015, Az: 4 K 2807/14 AO, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Steuerbescheids ist unzulässig, wenn über die Rechtmäßigkeit bereits durch Sachurteil im Rahmen einer Anfechtungsklage rechtskräftig entschieden ist.
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2. NV: Wird eine Anfechtungsklage durch Sachurteil abgewiesen, erfasst die Rechtskraft des Urteils auch die Feststellung, dass der Bescheid nicht nichtig ist.
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3. NV: Einer Nichtzulassungsbeschwerde fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine nochmalige gerichtliche Entscheidung wegen entgegenstehender Rechtskraft nicht ergehen kann.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 4. Februar 2015 4 K 2807/14 AO wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 machten sie einen Verlust aus § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von X € geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erkannte den Verlust im Einspruchsverfahren lediglich in Höhe von Y € an. Die dagegen gerichtete Klage war teilweise erfolgreich. Mit Urteil vom 15. August 2013 12 K 4144/09 entschied das Finanzgericht Düsseldorf (FG) wie folgt: "Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.10.2009 wird dahin geändert, dass ein Verlust gemäß § 17 EStG in Höhe von Z € anzusetzen ist. Die Steuerberechnung im Einzelnen wird dem Beklagten auferlegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen." Das FA änderte entsprechend der finanzgerichtlichen Entscheidung den Einkommensteuerbescheid 2004 unter dem 1. Oktober 2013 und setzte den Verlust aus § 17 EStG mit Z € an. Die gegen das Urteil des FG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 3. April 2014 IX B 131/13 als unzulässig.
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Am 13. Mai 2014 begehrten die Kläger, die Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 1. Oktober 2013 festzustellen. Das FA lehnte den Antrag ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
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Die anschließend erhobene Klage wies das FG durch (Sach-)Urteil vom 4. Februar 2015 4 K 2807/14 AO --als unbegründet-- ab. Zur Begründung führte es aus, dass Nichtigkeitsgründe nicht ersichtlich seien.
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Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde. Die Zulassung der Revision sei wegen Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (fehlende Entscheidungsgründe und Verletzung des rechtlichen Gehörs) sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (qualifizierter Rechtsanwendungsfehler und objektive Willkür) geboten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil den Klägern das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 116 FGO Rz 62). Ziel der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Eröffnung eines nachfolgenden Revisionsverfahrens, um in diesem die Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids 2004 feststellen zu lassen. Einer nochmaligen gerichtlichen Entscheidung hierüber steht jedoch die Rechtskraft des finanzgerichtlichen Urteils vom 15. August 2013 12 K 4144/09 (Ersturteil) entgegen (§ 110 Abs. 1 FGO).
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1. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde. Demgemäß sind auch die Gerichte in einem späteren Klageverfahren an das rechtskräftige Urteil gebunden, soweit die Entscheidungsgegenstände des alten und des neuen Klageverfahrens identisch sind (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2012 III B 239/11, BFH/NV 2012, 1470, Rz 29).
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Der Streitgegenstand wird durch den Klageanspruch und den Klagegrund bestimmt, also durch den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und durch den ihm zugrunde liegenden Sachverhalt (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 2012 XI B 48/12, BFH/NV 2013, 230, Rz 11; Lange in HHSp, § 110 FGO Rz 48 und 35 f.). Für die Bindungswirkung kommt es auf den vom Gericht seiner Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und auf die hierzu angestellten rechtlichen Erwägungen an (Entscheidungsgegenstand). Zwar wächst nur der Tenor der gerichtlichen Entscheidung in Rechtskraft und erzeugt eine Bindungswirkung, die Entscheidungsgründe geben aber Aufschluss darüber, wie weit die materielle Rechtskraft reicht.
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Weist das FG die Klage gegen einen Steuerbescheid ab, so umfasst die Rechtskraft der Entscheidung die Feststellung, dass der Bescheid weder nichtig noch rechtswidrig ist (BFH-Beschluss vom 27. August 2014 XI B 32/14, Rz 17 bis Rz 19, m.w.N.; vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 7. Januar 2013 8 B 57/12, juris, Rz 5). Dies gilt nur dann nicht, wenn eine Anfechtungsklage wegen Unzulässigkeit oder fehlender Rechtsverletzung des Klägers abgewiesen wird (BVerwG-Urteil vom 7. August 2008 7 C 7/08, BVerwGE 131, 346, unter 1.). Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist daher wegen Identität des Streitgegenstands unzulässig, wenn der Kläger bereits eine Anfechtungsklage erhoben hat (Steinhauff in HHSp, § 41 FGO Rz 219).
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2. Im Streitfall bindet das rechtskräftige Ersturteil die Beteiligten mit der Folge, dass sich jede neue Entscheidung über die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge verbietet. Zwischen dem dem Ersturteil zugrunde liegenden Entscheidungsgegenstand und dem hiesigen Streitgegenstand ist Identität gegeben.
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a) Das Ersturteil befasste sich mit der Frage, ob die im Einkommensteuerbescheid 2004 festgesetzte Steuer rechtmäßig war. Insbesondere ging es um die Höhe eines Verlustes nach § 17 EStG. Das FG hat einen Verlust nur in Höhe von Z € als richtig angesehen und dieses im Tenor eindeutig festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Ersturteil ist durch den ablehnenden Beschluss des BFH vom 3. April 2014 IX B 131/13 (nicht veröffentlicht) über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rechtskräftig geworden (§ 116 Abs. 5 Satz 3 FGO). Das FG hat in seinem Ersturteil mit der Entscheidung zur Sache konkludent auch über die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung im Übrigen entschieden, denn die Begrenzung des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, wonach das Gericht nicht mehr zusprechen darf, als der Kläger mit der Klage begehrt, gilt dann nicht, wenn der Bescheid insgesamt unwirksam ist (BFH-Beschluss vom 19. Juni 2001 X B 18/01, BFH/NV 2001, 1582, unter II.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das FG in seinem Ersturteil den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2004 nicht selbst geändert hat, sondern lediglich nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten tatsächlichen Umstände bestimmt hat, wie die richtig zu ermittelnde Steuer zu berechnen ist. Bestimmt ein Gericht in Anwendung dieser Vorschrift die Änderung eines Geldleistungsverwaltungsaktes durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, so erwachsen auch die in den Entscheidungsgründen und im Tenor enthaltenen Vorgaben ("Determinanten") für die Neuberechnung des Geldbetrages, soweit sie nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden, in Rechtskraft (vgl. BVerwG-Urteil vom 3. Juni 2010 9 C 4/09, BVerwGE 137, 105, Rz 16, zu § 113 Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung).
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Die Neuberechnung hat das FA entsprechend der im Ersturteil bestimmten Faktoren vorgenommen und den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2004 vom 1. Oktober 2013 erlassen. Dieser wurde zwar nicht entsprechend § 110 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 FGO nach Rechtskraft des Ersturteils (Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde am 3. April 2014), sondern schon am 1. Oktober 2013 erlassen. Dabei kann dahinstehen, ob dieser unter Verletzung des § 100 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 FGO verfrüht erlassene Einkommensteueränderungsbescheid entsprechend § 68 FGO i.V.m. § 127 FGO Gegenstand des unzulässigen Beschwerdeverfahrens IX B 131/13 geworden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566, unter II.2.a). Jedenfalls bedeutet die Rechtskraft des Ersturteils, dass dieser Bescheid nur insoweit überprüft werden kann, als die Rechtskraft des vorangegangen Urteils einer solchen Prüfung nicht entgegensteht (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 2011 I R 67/10, BFH/NV 2012, 6, Rz 12). Die Überprüfung eines mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Bescheids i.S. des § 100 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 FGO ist daher angesichts des vorangegangenen Urteils darauf beschränkt, ob das Finanzamt die in jenem Urteil enthaltenen Vorgaben rechnerisch zutreffend umgesetzt hat oder ob seit Ergehen des Urteils Umstände eingetreten sind, die nach den insoweit einschlägigen Änderungsvorschriften der Abgabenordnung eine Änderung des Verwaltungsakts gebieten (Lange in HHSp, § 100 FGO Rz 97).
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b) Solche Umstände haben die Kläger aber weder im finanzgerichtlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren geltend gemacht. Gegenüber dem Ersturteil hat sich nur die rechtliche Begründung des klägerischen Begehrens geändert, die nunmehr die Aufhebung des Einkommensteuerbescheids aufgrund Nichtigkeit begehren. Daraus resultiert aber kein --im Vergleich zum Ersturteil-- anderer Streitgegenstand. Im Rahmen der nach Erlass des Ersturteils später erhobenen Nichtigkeitsfeststellungsklage 4 K 2807/14 AO müsste das Gericht vielmehr nochmals über die gleiche Frage, nämlich die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2004 und damit auch über die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung, entscheiden.
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Einer nochmaligen gerichtlichen Überprüfung des geänderten Einkommensteuerbescheids 2004 steht daher die Rechtskraft des insoweit einen identischen Entscheidungsgegenstand betreffenden Ersturteils nach § 110 Abs. 1 FGO entgegen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1470, unter Rz 30, m.w.N.).
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c) Aus § 110 Abs. 2 FGO, wonach die Vorschriften der Abgabenordnung und anderer Steuergesetze u.a. über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt bleiben, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt, folgt nichts Abweichendes. Denn § 110 Abs. 2 FGO ist im Sinne eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften auszulegen (BFH-Urteil vom 12. Januar 2012 IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779, Rz 14). Der beantragten Änderung des Einkommensteuerbescheids 2004 steht die Rechtskraftwirkung eines früheren Urteils (Ersturteil) entgegen, wenn dieses --wie hier-- denselben Streitgegenstand betrifft.
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3. Dass die Vorentscheidung letztlich auf einem Verfahrensmangel beruht, weil das FG zu Unrecht durch Sachurteil statt durch Prozessurteil entschieden hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. November 2014 V B 54/14, BFH/NV 2015, 223, Rz 9; vom 27. Juni 2014 IV B 12/14, BFH/NV 2014, 1507, Rz 2), ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung. Denn das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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5. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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