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BFH 22.12.2011 - V R 47/10
BFH 22.12.2011 - V R 47/10 - Ermäßigter Steuersatz bei Verpflegungsleistungen für Kindergärten
Normen
§ 3 Abs 1 UStG 1999, § 3 Abs 9 UStG 1999, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 1999, § 3 Abs 1 UStG 2005, § 3 Abs 9 UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 28. Juli 2010, Az: 2 K 762/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Abgabe von Speisen zu festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern ist nur dann eine Lieferung und keine sonstige Leistung, wenn es sich um "Standardspeisen" als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes handelt.
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2. NV: Nur beim Vorliegen einer Standardspeise kommt es für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung auf zusätzliche Dienstleistungselemente wie z.B. Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und Besteck an. Handelt es sich um eine qualitativ höherwertige Speise als eine Standardzubereitung, liegt demgegenüber auch ohne derartige zusätzliche Dienstleistungselemente eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vor. Dies gilt aufgrund richtlinienkonformer Auslegung auch für die Beurteilung nach nationalem Recht.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 2004 bis 2006 einen Menüservice. Er versorgte aufgrund eines mit einer Gemeinde abgeschlossenen Dienstleistungs- und Verpflegungsvertrages in H mehrere Schulen und Kindergärten mit warmen Mahlzeiten. Nach dem vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Vertrag war die Verpflegung "auf die ernährungsphysiologischen Bedürfnisse der Essensteilnehmer auszurichten". Dabei hatte der Kläger auf das "Angebot eines altersgerechten und abwechslungsreichen Essens" und in den Kindertageseinrichtungen auf "abwechslungsreiche Kost" zu achten. Zur Sicherung und Kontrolle der Qualität der angebotenen Speisen waren nach Bedarf "Auswertungsgespräche" zu führen. Es waren wöchentliche Speisepläne zu erstellen. Die "festgelegten Zeiten" waren zu beachten.
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Ab August 2006 versorgte der Kläger auch eine Kindertagesstätte in T mit warmen Mahlzeiten. Hierzu überließ die Gemeinde dem Kläger für die Dauer des geschlossenen Dienstleistungsvertrages eine Küche nebst Inventar. Der Kläger bereitete sämtliche Speisen in der in der Kita "Z" in H befindlichen Küche zu und fuhr sie wärmeisoliert zu den einzelnen Einrichtungen. Mit Ausnahme des Gymnasiums wurde das Essen von den in den einzelnen Einrichtungen beschäftigten Erziehern portioniert und an die Kinder ausgeteilt, obwohl der Kläger hierzu nach dem Vertrag selbst verpflichtet war. Der Kläger hatte für die Reinigung des Geschirrs und die Entsorgung der Essensreste zu sorgen. Die Reinigung der einzelnen Speiseräume in den Kitas und der dort befindlichen Tische übernahmen die dort beschäftigten Erzieherinnen.
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Mit Ausnahme der in dem Gymnasium erbrachten Leistungen besteuerte der Kläger seine Umsätze nach dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999/ 2005 (UStG). Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) demgegenüber davon aus, dass auch insoweit der Regelsteuersatz anzuwenden sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
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Der Kläger begründet die Revision damit, dass die Reinigung von Geschirr nicht ausreiche, um von einer Bewirtungssituation auszugehen. Es komme auch auf den jeweiligen Adressaten der Speisenlieferung an. Es liege eine willkürliche Differenzierung vor. Er sei durch fehlerhafte Rechtsanwendung auch in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit und in der Ausübung seines Gewerbebetriebs verletzt. Im Hinblick auf seine Kalkulationsspanne sei der Regelsteuersatz nicht anwendbar.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2006 vom 2. September 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Einen vom Kläger während des Revisionsverfahrens gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe lehnte der Senat mit Beschluss vom 14. Juli 2011 V S 8/11 (PKH) --BFH/NV 2011, 1741-- ab.
Entscheidungsgründe
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II. Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher darüber unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. Oktober 2011. Der Schriftsatz des Klägers vom 10. November 2011 führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie das FG zu Recht entschieden hat, unterliegen die Leistungen des Klägers dem Regelsteuersatz des § 12 Abs. 1 UStG, da es sich bei ihnen um sonstige Leistungen, nicht aber um Lieferungen handelt.
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1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für "die Lieferungen" der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände.
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Nach § 3 Abs. 1 UStG sind "Lieferungen eines Unternehmens ... Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)". § 3 Abs. 9 UStG hatte in den Streitjahren folgenden Wortlaut: "Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. ... Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden."
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Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, und auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Dienstleistung jede Leistung gilt, die keine Lieferung eines Gegenstands i.S. des Art. 5 dieser Richtlinie ist.
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2. Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10. März 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Bog u.a. (Deutsches Steuerrecht 2011, 515, Umsatzsteuer-Rundschau 2011, 272 Leitsatz 1) ist die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus- und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen, während die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen darstellen.
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Danach ist die Abgabe von Speisen zu festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern nur dann eine Lieferung und keine sonstige Leistung, wenn es sich um "Standardspeisen" als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes handelt, wie der erkennende Senat mit Urteil vom 12. Oktober 2011 V R 66/09 (juris) entschieden hat. Nur beim Vorliegen einer Standardspeise kommt es für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung auf zusätzliche Dienstleistungselemente wie z.B. Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und Besteck an. Handelt es sich um eine qualitativ höherwertige Speise als eine Standardzubereitung, liegt demgegenüber auch ohne derartige zusätzliche Dienstleistungselemente eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vor. Dies gilt aufgrund richtlinienkonformer Auslegung auch für die Beurteilung nach nationalem Recht (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, juris).
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3. Danach erbrachte der Kläger im Streitfall sonstige Leistungen, nicht aber Lieferungen.
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Es handelt sich nicht um die Abgabe von Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines z.B. Imbissstandes, da der Kläger mit derartigen Speisen seine vertraglichen Verpflichtungen zur Berücksichtigung der "ernährungsphysiologischen Bedürfnisse der Essensteilnehmer", und zur Darreichung "eines altersgerechten und abwechslungsreichen Essens" sowie zur Darreichung "abwechslungsreicher Kost" in den Kindertageseinrichtungen nicht erfüllen konnte, zumal nach Bedarf "Auswertungsgespräche" zu führen und wöchentliche Speisepläne zu erstellen waren.
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Die Speisenabgabe erfolgte zudem in Warmhaltebehältern und zu genau festgelegten Zeitpunkten. Besondere Umstände, die belegen, dass die Lieferung von Speisen dominierender Leistungsbestandteil war, sind demgegenüber nicht ersichtlich.
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4. Soweit der Kläger einwendet, die sich nach dem UStG ergebende Besteuerung verletze ihn in seinen Grundrechten, folgt der Senat dem nicht. Es obliegt dem leistenden Unternehmer seiner Preiskalkulation den zutreffenden Umsatzsteuersatz zugrunde zu legen und sich gegen eine abweichende Beurteilung durch die Finanzverwaltung vertraglich gegenüber seinem Leistungsempfänger abzusichern.
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