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BFH 12.01.2011 - I R 37/10
BFH 12.01.2011 - I R 37/10 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Öffentliche Zustellung - Höhere Gewalt
Normen
§ 110 Abs 3 AO, § 15 Abs 1 Buchst c VwZG vom 03.07.1952, § 15 Abs 5 S 2 VwZG vom 03.07.1952, § 15 Abs 5 S 3 VwZG vom 03.07.1952
Vorinstanz
vorgehend FG München, 27. April 2010, Az: 6 K 3192/09, Urteil
Leitsatz
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NV: Eine Amtspflichtverletzung der Finanzbehörde (hier: bei der Bekanntgabe durch öffentliche Zustellung) kann als "höhere Gewalt" i.S. des § 110 Abs. 3 AO anzusehen sein .
Tatbestand
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I. Streitig ist die Rechtswirksamkeit eines Haftungsbescheids bzw. die Frage, ob ein Einspruch als unzulässig verworfen werden konnte.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein in der Schweiz ansässiger Rechtsanwalt ohne inländischen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt, war Vorstand und gesetzlicher Vertreter der X S.A. (S.A.). Die Geschäftsanschrift der S.A. und die Kanzleianschrift des Klägers sind identisch. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ in 2003 Steuerbescheide gegen die S.A. unter Hinweis auf eine beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes. Die Einsprüche dagegen wurden --nach der Feststellung des Finanzgerichts (FG)-- mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2010 als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen.
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Das FA nahm den Kläger (gemäß § 191 i.V.m. § 69, § 34 der Abgabenordnung --AO--) mit Haftungsbescheid vom 2. April 2004 --der öffentlich zugestellt wurde-- für die Abgabenschulden der S.A. in Haftung (Gesamtbetrag: 591.998 €). Zuvor hatte das FA mit Schreiben (einfacher Brief) vom 29. Januar 2004 (dessen Zugang der Kläger bestreitet) einen Haftungsbescheid angekündigt und den Kläger aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen. Nach einer Zahlungsaufforderung durch das FA vom 19. März 2009 (unter Hinweis auf eine Haftungsschuld) legte der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2009 (Eingang beim FA am 1. April 2009) Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 als unzulässig verworfen wurde. Die Klage blieb erfolglos (FG München, Urteil vom 27. April 2010 6 K 3192/09, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 1674).
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Mit der dagegen erhobenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG und das FA haben den Einspruch des Klägers zu Unrecht als verspätet angesehen.
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1. Der Haftungsbescheid ist durch Bekanntgabe an den Kläger wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 Satz 1, § 122 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 AO i.V.m. § 15 Abs. 1 Buchst. c des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 3. Juli 1952 [mit späteren Änderungen, i.d.F. vor Inkrafttreten des Art. 1 des Gesetzes zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts vom 12. August 2005, BGBl I 2005, 2354, BStBl I 2005, 855] --VwZG a.F.--).
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a) Nach § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. kann durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes erfolgen müsste, aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen ist unter den Beteiligten nur streitig, ob ein Haftungsbescheid einer deutschen Finanzbehörde über Steuerschulden in der Schweiz von dem dortigen Ausschluss einer Amtshilfe bei der Zustellung in Fiskalsachen (z.B. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 13. März 1973 VII R 53/70, BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Schweiz Art. 27 Rz 59; Wingert/Strohner in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 27 Rz 24; Werth, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2006, 647, 652; Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 9 VwZG Rz 11; Linßen in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 10 VwZG Rz 15) erfasst ist, so dass eine Zustellung gemäß § 14 Abs. 1 VwZG a.F. in der Schweiz keinen Erfolg versprach (s. allgemein BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Urteil vom 18. April 1997 8 C 43/95, BVerwGE 104, 301; Anwendungserlass zur AO --AEAO-- zu § 122 AO Nr. 3.1.5.3, dort Satz 2; Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/ Verwaltungszustellungsgesetz, 6. Aufl., § 15 VwZG Rz 2, 5; Sadler, Verwaltungszustellungsgesetz, 1. Aufl., § 15 Rz 10; Bock, DStZ 1986, 329, 332 f.; Werth, DStZ 2006, 647, 652). Das FG hat dies bejaht. Dem ist beizupflichten. Der Haftungsanspruch ist --wie der Steueranspruch selbst-- ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO); ein Haftungsbescheid ist --wie ein Steuerbescheid-- Grundlage für die Verwirklichung eines Anspruchs des deutschen Fiskus aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 218 Abs. 1 AO). Damit wird der Inhaltsadressat eines (deutschen) Haftungsbescheids direkt dem Hoheitszwang des (deutschen) Fiskus unterstellt, was eine schweizerische Zustellungshilfe ausschließt.
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b) Das FA hat darüber hinaus auch beachtet, dass die öffentliche Zustellung als "letztes Mittel" der Bekanntgabe anzusehen ist und deshalb erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten, dem Empfänger das Schriftstück zuzustellen, erschöpft sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1988, 2361; BFH-Urteile in BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732; BFH-Beschluss vom 9. August 2007 V B 149/06, BFH/NV 2007, 2310; BVerwG-Urteil in BVerwGE 104, 301; Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum VwZG a.F. --AVV-- vom 13. Dezember 1966 [mit späteren Änderungen] Nr. 19 Abs. 1; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 10 VwZG Rz 6; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 10 VwZG Rz 1; Linßen in Beermann/Gosch, a.a.O., § 10 VwZG Rz 3; Ohler/Kruis, Die Öffentliche Verwaltung 2009, 93, 98). Denn das FA hat den Kläger nach der Maßgabe des § 123 Satz 1 AO durch Schreiben vom 29. Januar 2004 dazu aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen (s. insoweit BFH-Urteile in BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; in BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 123 AO Rz 12). Dabei konnte, worin dem FG zuzustimmen ist, die Aufforderung mit einfachem Brief übermittelt werden, da eine (Auslands-)Zustellung auch insoweit ausgeschlossen war.
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Der Einwand des Klägers, diese Aufforderung nicht erhalten zu haben (zum Erfordernis, den Zugang beim Empfänger nachzuweisen, um nach § 123 Satz 2 AO verfahren zu können, s. z.B. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 123 AO Rz 6; Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 123 AO Rz 59; Güroff in Beermann/Gosch, a.a.O., § 123 AO Rz 4), ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Denn die Bekanntgabe des Haftungsbescheids erfolgte nicht auf der Grundlage des § 123 (Satz 2) AO. Insoweit kann auch, wenn der Zugangsnachweis der Aufforderung vom FA mangels Zustellungsmöglichkeit nicht erbracht werden und das FA damit nicht nach § 123 Satz 2 AO durch einfache Bekanntgabe verfahren kann, nicht davon ausgegangen werden, dass dem Nachrangerfordernis der öffentlichen Zustellung nicht entsprochen wurde (Bock, DStZ 1986, 329, 333).
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c) Das FG hat ohne Rechtsfehler die formellen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nach § 15 VwZG a.F. als erfüllt angesehen. Der Haftungsbescheid wurde aufgrund der Anordnung vom 25. März 2004 an der Stelle, die von dem FA hierfür allgemein bestimmt war, am 6. April 2004 ausgehängt (s. insoweit § 15 Abs. 2 Satz 1 VwZG a.F.) und am 23. April 2004 abgenommen. Über die weiteren Zustellungsförmlichkeiten (zur Unterzeichnung des Vermerks und der Anbringung "auf dem Schriftstück" z.B. BVerwG-Urteil in BVerwGE 104, 301) und die Fristberechnung für die Einspruchsfrist besteht kein Streit, was weitere Ausführungen erübrigt.
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2. Dem Einwand des Klägers, § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. sei nur dann verhältnismäßig, wenn die Behörde die öffentliche Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks einem Empfänger formlos (hier: als Fax oder per E-Mail) mitteilt, soweit entsprechende Kontaktdaten bekannt seien, ist nicht zu folgen.
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Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VwZG a.F. ist bei einer öffentlichen Zustellung nach Abs. 1 Buchst. c die öffentliche Zustellung und der Inhalt des Schriftstücks dem Empfänger formlos mitzuteilen, soweit seine Anschrift bekannt ist und Postverbindung besteht. Dabei ist nach § 15 Abs. 5 Satz 3 VwZG a.F. die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung aber allein von der Beachtung der Abs. 2 und 3 abhängig. Die formlose Mitteilung ist daher nicht als Voraussetzung der wirksamen Bekanntgabe anzusehen (s.a. Engelhardt/App, a.a.O., § 15 VwZG Rz 11; Sadler, a.a.O., § 15 Rz 28). Dass das FA es entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 5 Satz 2 VwZG a.F. ("ist ... mitzuteilen") und der innerbehördlichen Anweisungslage (AVV Nr. 19 Abs. 5; s.a. AEAO zu § 122 AO Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 1 zu § 10 VwZG n.F.; abweichend wohl Sadler, a.a.O., § 15 Rz 28) unterlassen hat, dem Kläger die öffentliche Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks formlos (per Post) mitzuteilen, berührt die Zulässigkeit des Einsatzes dieser Zustellungsform --und damit auch die Rechtsfolge der Bekanntgabefiktion-- nicht (anders zu §§ 185 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO-- bzw. § 203 Abs. 2 ZPO a.F. Oberlandesgericht --OLG-- Köln, Beschluss vom 27. November 1997 14 WF 160/97, NJW-Rechtsprechungsreport 1998, 1683; dem für § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 185 ZPO folgend Werth, DStZ 2006, 647, 651). Angesichts des klaren Wortlauts der Norm und des daraus abzuleitenden erkennbaren Willens des Gesetzgebers kommt es insbesondere nicht in Betracht, kraft verfassungskonformer Auslegung die (formlose) Mitteilung an einen mit Postverbindung erreichbaren Adressaten als Wirksamkeitserfordernis einer öffentlichen Zustellung aufzufassen.
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3. Dem Kläger war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) zu gewähren, so dass sein Einspruch vom 31. März 2009 eine Sachentscheidung des FA im Einspruchsverfahren erforderlich macht.
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a) Nach § 110 Abs. 1 AO ist einem Steuerpflichtigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist (wie im Streitfall die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO) einzuhalten. Dabei kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird. Dabei ist allerdings nach dem Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen, außer wenn die Antragstellung oder das Nachholen der versäumten Handlung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).
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b) Nach den insoweit unstreitigen Feststellungen des FG hat der Kläger nach dem Ablauf der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO --aber innerhalb einer Frist von einem Monat nach dem Bekanntwerden der auf die Existenz einer Haftungsschuld gestützten Zahlungsaufforderung-- Einspruch gegen den Haftungsbescheid unter Hinweis auf ein unverschuldetes Versäumen der Einspruchsfrist (keine Kenntnis des Haftungsbescheids, keine Kenntnis des Ankündigungsschreibens und der Aufforderung i.S. des § 123 Satz 1 AO) eingelegt. Ein Nachweis, dass der Kläger das Schreiben des FA vom 29. Januar 2004 erhalten hat, kann nicht geführt werden. Es kann dem Kläger damit nicht vorgehalten werden, sich nicht schon früher beim FA nach dem --bereits angekündigten-- Erlass des Haftungsbescheids erkundigt zu haben. Im Übrigen konnte er nach der objektiven Gesetzeslage damit rechnen, gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VwZG a.F. vom FA formlos über die öffentliche Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks informiert zu werden (s. oben II.2.).
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c) Im Streitfall war die Wiedereinsetzung nicht durch Zeitablauf (§ 110 Abs. 3 AO) ausgeschlossen; denn dem Kläger war es infolge höherer Gewalt unmöglich, die (Jahres-)Frist einzuhalten.
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Höhere Gewalt ist nach der BFH-Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506; BFH-Beschluss vom 18. April 2005 IV B 90/03, BFH/NV 2005, 1817) ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Dies umfasst von außen kommende Ereignisse, die vom Betroffenen nicht zu beherrschen sind und damit auch sog. unabwendbare Zufälle. Hierzu gehört nach Auffassung des BVerfG ein Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 18. Dezember 1985 2 BvR 1167, 1185, 1636/84, 308/85 und 2 BvQ 18/84, BVerfGE 71, 305, 347).
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Absolute Unmöglichkeit setzt höhere Gewalt jedenfalls nicht voraus. Sie verlangt lediglich, dass der Betroffene die größte nach den Umständen von ihm unter Berücksichtigung objektiver Maßstäbe vernünftigerweise zu erwartende und ihm zumutbare Sorgfalt walten lässt (BVerwG-Urteil vom 30. Oktober 1997 3 C 35/96, BVerwGE 105, 288). Demgemäß kann nach der Rechtsprechung des BFH höhere Gewalt auch dann vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer fristgerechten Prozesshandlung abgehalten wird. Gleichermaßen darf eine Fristversäumnis dem Betroffenen dann nicht angelastet werden, wenn er durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert worden ist (vgl. Urteil des BVerwG vom 25. November 1977 V C 12.77, BVerwGE 55, 61) oder wenn die Fristversäumnis auf das rechts- oder treuwidrige Verhalten der Behörde zurückgeführt werden kann (vgl. BVerwG-Urteil vom 11. Mai 1979 6 C 70/78, BVerwGE 58, 100) und der Beteiligte das unsachgemäße Verhalten der Behörde trotz aller ihm zumutbaren Anstrengungen nicht erkennen konnte.
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Die Besonderheiten des Streitfalls rechtfertigen es, zugunsten des Klägers hier von einer durch höhere Gewalt (einer Amtspflichtverletzung des FA) ausgelösten Fristversäumnis auszugehen. Unbeschadet dessen, dass es die Rechtswirksamkeit der Zustellung nicht berührt, wenn die Mitteilung über die Zustellung und den Inhalt des Schriftstücks unterlassen wird, versetzt (erst) die formlose Mitteilung den Empfänger in die Lage, möglichst effektiv im eigenen Rechtsschutzinteresse tätig werden zu können. Dieser gerade auch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahrung rechtlichen Gehörs beachtliche Gesichtspunkt kommt im Wortlaut des § 15 Abs. 5 Satz 2 VwZG a.F. zum Ausdruck. Dementsprechend ist auch die innerbehördliche Anweisungslage (AVV Nr. 19 Abs. 5; s.a. AEAO zu § 122 AO Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 1 zu § 10 VwZG n.F.) gestaltet (s.a. Beschluss des OLG Köln in NJW-Rechtsprechungsreport 1998, 1683; Werth, DStZ 2006, 647, 651). Auch wenn die (nachträgliche) Übersendung "zur Information" (s.a. AEAO zu § 122 AO Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 2), die auch in der Schweiz als zulässig angesehen wird (Werth, DStZ 2006, 647, 652), weder bei einem Versand auf dem Postweg noch auf dem von der Revision benannten Weg (Fax, E-Mail) eine Empfangsgewähr oder gar eine Empfangsbestätigung für die absendende Behörde vermittelt, hat die Behörde erst damit alles in ihrer Möglichkeit Stehende und ihrer Amtspflicht Entsprechende getan, angesichts der besonderen Bekanntgabesituation der öffentlichen Zustellung dem mit Wohnsitzadresse bekannten ausländischen Empfänger die Wahrung seiner Rechte zu ermöglichen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger für die Behörde erkennbar bereit und in der Lage ist, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Letzteres hat der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes um die Steuerfestsetzung gegenüber der S.A. ausreichend deutlich zu erkennen gegeben, indem er --wie er unbestritten vorgetragen hat-- in einem anderen Verfahrensbereich dieses Gesamtkomplexes eine Empfangsvollmacht erteilt hat (auch in der Einspruchsentscheidung ist von einer "gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgesprochene(n) Empfangsvollmacht" die Rede); es konnte angesichts dessen naheliegen, dass ihm das Schreiben des FA vom 29. Januar 2004 eventuell nicht zur Kenntnis gekommen war.
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