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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BSG 17.08.2017 - B 5 R 11/17 B
BSG 17.08.2017 - B 5 R 11/17 B - Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - faires Verfahren - rechtliches Gehör
Normen
§ 160a Abs 5 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 103 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Frankfurt (Oder), 28. Mai 2013, Az: S 19 R 109/10, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 23. November 2016, Az: L 2 R 532/13, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2016 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rücknahme und Rückforderung seiner Altersrente wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze in der Zeit vom 1.4.2005 bis 31.12.2007 in Höhe von 6696,78 Euro.
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Mit Bescheid vom 8.3.2005 gewährte die Beklagte dem im Jahre 1944 geborenen Kläger ab 1.1.2005 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. In einer Anlage zum Rentenantrag hatte der Kläger angegeben, er habe ab 1.1.2005 ein Beschäftigungsverhältnis als Lagerhilfe mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 345 Euro. Am 21.5.2008 teilte der Arbeitgeber die Brutto-Hinzuverdienste des Klägers wie folgt mit: 345 Euro (Januar 2005), 385,04 Euro (ab Februar 2005), 386,56 Euro (ab Juli 2005), 381,62 Euro (ab Januar 2007), 379,76 Euro (ab Januar 2008) und 379,56 Euro (in April 2008). Weiterhin ergab sich aus den Gehaltsabrechnungen, dass ab Mai 2005 vom Bruttoeinkommen des Klägers ein Betrag in Höhe von 145,20 Euro für eine Direktversicherung abgezogen wurde, der ihm anschließend wieder gutgeschrieben wurde. Das auf diesen Gehaltsabrechnungen ausgewiesene Bruttogehalt lag in allen Folgemonaten um diese 145,20 Euro höher als das vom Arbeitgeber bescheinigte Gehalt. Auf der Gehaltsabrechnung für Monat April 2005 war als "Direktversicherung" ein Betrag in Höhe von 580,80 Euro, der dem vierfachen Monatsbetrag entspricht, aufgeführt; das Bruttogehalt für diesen Monat wurde mit 965,84 Euro bescheinigt.
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Mit Schreiben vom 22.7.2008 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Rücknahme des Bescheids vom 8.3.2005 für die Zeit ab 1.4.2005 sowie einer beabsichtigten Rückforderung überzahlter Rente für die Zeit vom 1.4.2005 bis 31.7.2008 in Höhe von 6787,38 Euro an. Mit Bescheid vom 13.11.2008 berechnete die Beklagte die Rente ab 1.4.2005 unter Berücksichtigung des tatsächlichen Hinzuverdiensts neu und teilte dem Kläger mit, dass ihm ab 1.4.2005 lediglich eine Teilrente in Höhe von zwei Dritteln der Vollrente zustehe. Ab dem 1.1.2008 werde die Rente wieder als Vollrente gezahlt. Die Überzahlung für die Zeit vom 1.4.2005 bis 31.12.2007 in Höhe von 6696,78 Euro sei zu erstatten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.1.2010).
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Mit Urteil vom 28.5.2013 hat das SG Frankfurt (Oder) die Klage abgewiesen. Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.11.2016). Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das Urteil des SG ausgeführt, die Bescheide seien rechtmäßig. Dem Kläger sei eine grob fahrlässige Verletzung seiner Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Aus den Gehaltsabrechnungen ab Mai 2005 ergebe sich, dass dem Kläger zuzüglich zu dem monatlichen Gehalt von 385,04 Euro noch ein Betrag von 145,20 Euro gewährt worden sei. Dieses Gesamtbrutto (530,24 Euro im Mai 2005) habe zwar zu einem Auszahlungsbetrag, nicht jedoch zu einem Nettogehalt in Höhe von 345 Euro geführt. Denn es sei nicht nur um die Abzüge für die gesetzliche Sozialversicherung, sondern auch um den persönlichen Abzug zur Bezahlung der Direktversicherung vermindert worden.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel. Das LSG habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens verstoßen und letztlich eine ihn benachteiligende Überraschungsentscheidung getroffen. Das LSG habe in der mündlichen Verhandlung am 15.10.2015 darauf hingewiesen, dass der Kläger die ihm ausgezahlten 345 Euro tatsächlich brutto für netto in einem sog sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis nach § 8 SGB IV rentenunschädlich hätte erzielen können. Folglich überschreite der Kläger die Hinzuverdienstgrenze für die Vollrente lediglich um die Beträge, die zur Sozialversicherung gezahlt worden seien. Dies hätte die Beklagte bei den Ermessenserwägungen berücksichtigen müssen. Soweit der Kläger behaupte, aus den 145,20 Euro für die sog Direktversicherung keinerlei Leistungen beziehen zu können, wäre - den Vortrag als zutreffend unterstellt - die bisherige Ermessensentscheidung der Beklagten wohl vollkommen aufzuheben, die Rückforderung entfiele. Im anderen Fall, dh bei Ableitung von Ansprüchen und Zurechnung der Beträge als Verdienst, wäre die Ermessensentscheidung der Beklagten immer noch nicht zutreffend.
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Er - der Kläger - habe gegenüber dem LSG dargelegt, dass der Arbeitgeber die Lohnabrechnung nicht ordnungsgemäß erstellt habe, exakte Auskünfte habe er nicht erhalten. Er sei die Beschäftigung ab 1.1.2005 nur unter der Bedingung eingegangen, dass diese nicht zu einer Kürzung der Altersrente führen dürfe. Insbesondere sei der damalige Arbeitgeber nicht berechtigt gewesen, die Beiträge für eine von ihm begründete Direktversicherung ihm - dem Kläger - aufzuerlegen. Diese Beiträge, die keiner Entgeltumwandlung unterlägen, seien kein Einkommensbestandteil, vielmehr steuerlich Betriebsausgaben. Dass das LSG im schriftlichen Verfahren ohne Ankündigung von seinen eigenen Hinweisen im Termin vom 15.10.2015 abrücke, stelle für den Kläger eine Überraschungsentscheidung und eine Missachtung des rechtlichen Gehörs dar. Hätte er - der Kläger - davon Kenntnis erlangt, dass das LSG seinen bisherigen Vortrag und die vorgelegten Beweismittel nicht umfassend berücksichtigen würde, hätte er (nochmals) unter Beweisantritt dargelegt, dass er im relevanten Zeitraum Arbeitslohn nur in Höhe von 345 Euro habe beanspruchen können und auch nur in dieser Höhe tatsächlich entlohnt worden sei. Zudem werde ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gerügt. Zwar habe das LSG den vormaligen Arbeitgeber um Auskunft ersucht. Mangels Antwort hätte das LSG den Arbeitgeber zur mündlichen Verhandlung laden müssen, was nicht erfolgt sei.
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II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und den Anspruch auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) verletzt.
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Der umfassende Anspruch auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Übermaßverbot (Gebot der Rücksichtnahme) gegenüber Freiheitsrechten und das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B - Juris; BSG Beschluss vom 2.4.2009 - B 2 U 281/08 B - Juris). Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in dessen Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; BVerfGE 96, 205, 216 f). Weder aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren noch aus dem auf rechtliches Gehör ergibt sich eine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage oder eine Pflicht des Gerichts zu einem Rechtsgespräch oder zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung (BVerfGE 66, 116, 147; BVerfGE 74, 1, 5; BVerfGE 86, 133, 145). Hat das Gericht sich jedoch hinsichtlich bestimmter Sach- oder Rechtsfragen geäußert, so kann es nicht ohne vorherige Information der Beteiligten über eine mögliche andere Auffassung seinerseits in dieser Frage auf eine abweichende Beurteilung seine Entscheidung gründen, weil dies gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt und eine Überraschungsentscheidung darstellt.
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Vorliegend hatte das LSG in der mündlichen Verhandlung am 15.10.2015 darauf hingewiesen, dass der Kläger die 345 Euro, die ihm ausgezahlt worden seien, tatsächlich brutto für netto in einem sog sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis nach § 8 SGB IV rentenunschädlich hätte erzielen können. Folglich überschreite der Kläger die Hinzuverdienstgrenze für die Vollrente lediglich um die Beträge, die zur Sozialversicherung gezahlt worden seien. Dies hätte die Beklagte bei den Ermessenserwägungen berücksichtigen müssen. Was die 145,20 Euro für die sog Direktversicherung angehe, behaupte der Kläger insoweit, keinerlei Leistungen beziehen zu können. Insoweit wäre - den Vortrag als zutreffend unterstellt - die bisherige Ermessensentscheidung der Beklagten wohl vollkommen aufzuheben, sodass die Rückforderung insgesamt zu Fall käme. Sollte der Kläger dennoch aus den 145,20 Euro Ansprüche ableiten können und seien deshalb die Beiträge als Verdienst zuzurechnen, wäre die Ermessensentscheidung der Beklagten immer noch nicht zutreffend. Darüber hinaus hatte das LSG beim vormaligen Arbeitgeber des Klägers um Aufklärung ersucht, weshalb das Arbeitsverhältnis nicht als sozialversicherungsfreies mit einem Arbeitsentgelt von maximal 345 Euro brutto für netto, sondern als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis ausgestaltet gewesen sei. Außerdem sollte dem Gericht mitgeteilt werden, weshalb dem Lohn ein Betrag von 145,20 Euro für eine Direktversicherung gutgeschrieben, dieser Betrag dann mit dem Vermerk "Direktversicherung" wieder abgezogen worden sei. Dieses Ersuchen ist, ebenso wie die Bitte um eine ladungsfähige Anschrift des Geschäftsführers des Arbeitgebers, unbeantwortet geblieben. Vom Empfängerhorizont des Klägers her betrachtet musste sich damit aufgrund des Hinweises des LSG vom 15.10.2015 und dessen Anfrage an den vormaligen Arbeitgeber der Eindruck aufdrängen, dass das LSG beabsichtige, dem Vortrag des Klägers zu folgen, wonach er die Beschäftigung ab 1.1.2005 nur unter der Bedingung eingegangen sei, dass ihm infolge der Beschäftigung die von ihm bezogene Altersrente nicht gekürzt werde und der monatliche Verdienst in Höhe von 345 Euro diesen Anforderungen genüge. Eine Überraschungsentscheidung wäre dann zu verneinen, wenn nur ein Mitglied des Spruchkörpers den Hinweis erteilt hätte (vgl BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 308/13 B - Juris). Vorliegend war aber der Senat in der mündlichen Verhandlung am 15.10.2015 in seiner Gesamtheit anwesend.
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Auf diesem durch das Verhalten des Gerichts erzeugten Eindruck kann das Urteil des LSG auch beruhen. Denn es ist denkbar und wird vom Kläger auch schlüssig dargelegt, dass dieser bei Hinweis auf eine mögliche andere Rechtsauffassung des LSG weitere Beweisanträge gestellt hätte, denen zu folgen das LSG sich hätte gedrängt sehen müssen und diese weiteren Beweiserhebungen zu einer für den Kläger positiven Entscheidung hätten führen können. Dies gilt umso mehr, als das LSG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat und die erforderliche Zustimmung gemäß § 124 Abs 2 SGG seitens des Klägers in Kenntnis einer möglichen abweichenden Beurteilung durch das LSG wohl nicht erteilt worden wäre.
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Da die Beschwerde bereits aus den oben dargelegten Gründen erfolgreich ist, bedarf es keiner Entscheidung des Senats zu der weiter erhobenen Verfahrensrüge.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.
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Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren die Aufklärungsbemühungen um den geltend gemachten Bruttobetrag fortsetzen müssen und auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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