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BVerfG 20.06.2012 - 2 BvR 1565/11
BVerfG 20.06.2012 - 2 BvR 1565/11 - Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde wegen Subsidiarität sowie mangels Rechtswegerschöpfung - hier: materielle Subsidiarität bei unterlassener Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs wegen überlanger Verfahrensdauer (§ 198 Abs 1 S 1 GVG, Art 23 S 1, S 5, S 6 des "Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" <juris: ÜberlVfRSchG>) - unterlassene Erhebung der Anhörungsrüge bei Geltendmachung einer Gehörsverletzung
Normen
Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 3 S 1 GVG, Art 35 Abs 1 MRK, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 5 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 6 ÜberlVfRSchG, § 152a VwGO
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Juni 2011, Az: OVG 4 N 174.09, Beschluss
vorgehend VG Berlin, 8. Oktober 2009, Az: 5 A 364.05, Urteil
Gründe
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A.
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Gegenstand der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ist eine Zahlungsklage einer Hochschule gegen den Beschwerdeführer - einen mittlerweile pensionierten Professor dieser Hochschule -, mit der diese in erster Linie die Herausgabe von Geldern verlangte, die der Beschwerdeführer während einer früheren Tätigkeit als Rektor einer neu gegründeten privaten Fachhochschule vereinnahmt hatte.
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Die Verwaltungsgerichte entsprachen der Zahlungsklage, weil dem Beschwerdeführer seine frühere Tätigkeit für die private Hochschule von der Klägerin des Ausgangsverfahrens als dienstliche Aufgabe übertragen worden sei. Dabei begründete das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss über die Ablehnung der Berufungszulassung den dienstlichen Charakter der Übertragung der Tätigkeit bei der privaten Hochschule anders als das Verwaltungsgericht nicht mit einer Vereinbarung zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und der privaten Hochschule, sondern mit mehreren, erst im Berufungszulassungsverfahren auf Betreiben des Oberverwaltungsgerichts beigezogenen, gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Bescheiden der Klägerin.
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B.
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Der Beschwerdeführer rügt mit seiner gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie die Verletzung weiterer Grundrechte. Indem das Oberverwaltungsgericht in den erst im Zulassungsverfahren beigezogenen Bescheiden die inzidente Übertragung einer Dienstaufgabe gesehen habe, stelle es letztlich tragend auf einen Gesichtspunkt ab, der vom Verwaltungsgericht nicht erörtert worden sei und mit dem er (der Beschwerdeführer) auch nicht habe rechnen müssen.
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Sein Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG sei durch eine überlange Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verletzt worden. Das erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Verfahren habe nahezu vier Jahre gedauert. Durch die Verfahrensverzögerung sei ihm eine erhebliche Zinslast entstanden. Noch schwerer wiege, dass im Laufe des Verfahrens ein wesentlicher, für ihn sprechender Zeuge verstorben sei, weswegen in beiden Instanzen die überlange Verfahrensdauer bei der Frage der Beweislast hätte berücksichtigt werden müssen.
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C.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben sind. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie bereits unzulässig ist.
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I.
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Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG sowie weiterer Grundrechte (mit Ausnahme der überlangen Verfahrensdauer) rügt, ist die Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Rechtswegerschöpfung sowie aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig.
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1. Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so zählt die Anhörungsrüge an das Fachgericht zum Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 198>). Das Unterlassen einer Anhörungsrüge, wenn diese nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat zudem zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern insgesamt unzulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059).
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2. Hieran gemessen ist die Verfassungsbeschwerde (abgesehen von der gerügten überlangen Verfahrensdauer) insgesamt unzulässig.
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Wie der Beschwerdeführer zu Recht anmerkt, spricht einiges dafür, dass das Oberverwaltungsgericht ihm vor Ablehnung des Berufungszulassungsantrags Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen, weil es die Begründetheit der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Klage mit anderen tragenden Erwägungen begründen wollte, als dies die Vorinstanz getan hatte (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 -, NVwZ-RR 2011, S. 460 f.). Da dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben keine solche Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde, wäre eine gemäß § 152a VwGO gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts statthafte Anhörungsrüge jedenfalls nicht offensichtlich aussichtslos gewesen.
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Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass das Oberverwaltungsgericht auf die Anhörungsrüge das Berufungszulassungsverfahren fortgeführt und sodann (möglicherweise mit Ausnahme der gerügten überlangen Verfahrensdauer) auch die weiteren geltend gemachten Grundrechtsverstöße geheilt hätte.
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II.
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Ob auch der gerügte Verstoß gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte beseitigt werden können, etwa durch eine Feststellung des Rechtsverstoßes (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 10. Februar 2005 - 64387/01 -, juris, Rn. 39 sowie § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG in der seit dem 3. Dezember 2011 geltenden Fassung) oder durch eine Berücksichtigung der Verfahrensdauer im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. BFH, Beschluss vom 22. Juli 2008 - II B 18/08 -, juris, Rn. 33), kann offen bleiben, weil die Verfassungsbeschwerde insoweit bereits deswegen aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig ist, weil es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass der Beschwerdeführer nach den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) eine Kompensation des gerügten Verstoßes gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte erreichen können.
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1. Nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 414>; 112, 50 60>; stRspr).
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2. Gemessen hieran wäre es dem Beschwerdeführer nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde zumutbar gewesen, zu versuchen, den gerügten Grundrechtsverstoß durch die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ganz oder zumindest teilweise zu beseitigen.
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a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) wird entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter infolge unangemessen langer Dauer eines Verfahrens einen Nachteil erleidet. Gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gilt das Gesetz auch für abgeschlossene Verfahren, "deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann". Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort und muss spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden (vgl. Art. 23 Satz 6 des Gesetzes).
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b) Danach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach Erhebung seiner Verfassungsbeschwerde noch Gelegenheit gehabt hätte, einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG geltend zu machen.
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Das verwaltungsgerichtliche Verfahren war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 23. Juni 2011 zugestellt. Gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK beträgt die Frist zur Erhebung einer Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Danach dürfte der Beschwerdeführer bis zum Ablauf des 23. Dezember 2011 Gelegenheit gehabt haben, einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen. Der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG bedurfte es gemäß Art. 23 Satz 5 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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