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BFH 23.11.2011 - I B 58/11
BFH 23.11.2011 - I B 58/11 - (Anwendung des § 127 AO bei Verfahrensrüge wegen sachlicher Zuständigkeit - Verbandsmäßige Zugehörigkeit des Finanzamts - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache bei verdeckter Gewinnausschüttung wegen Darlehen zwischen Schwesterpersonengesellschaften)
Normen
§ 127 AO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 8 Abs 3 S 2 KStG 2002, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, Art 106 Abs 3 GG, Art 108 Abs 2 GG, Art 108 Abs 3 GG, § 20 AO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. März 2011, Az: 6 K 96/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das FG kann nach Maßgabe der weiteren Voraussetzungen des § 127 AO die Festsetzung einer Steuer, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet wird, auch dann bestätigen, wenn die Rüge erhoben wird, das Finanzamt sei nach seiner Verbandszugehörigkeit sachlich nicht zuständig .
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2. NV: Zu den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache, wenn geltend gemacht wird, die Revision sei im Hinblick auf die bisherige und zu korrigierende Rechtsprechung zum Vorliegen verdeckter Gewinnausschüttungen bei Konzernsachverhalten (hier: Darlehensveräußerung und Darlehensverzicht) zu eröffnen .
Tatbestand
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I. An der im Jahre 1993 gegründeten Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, war bis 8. Mai 2000 A als alleiniger Gesellschafter beteiligt; A war zugleich alleiniger Geschäftsführer. Die Klägerin vergab in der Zeit von 1996 bis 2000 verschiedene Darlehen an drei GmbH --die X-GmbH, die Y-GmbH sowie die Z-GmbH--, deren alleinige Gesellschafter A bzw. dessen Mutter waren.
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Im Streitjahr (2002) veräußerte die Klägerin ihre Darlehensansprüche gegenüber der X-GmbH sowie der Z-GmbH; für die Forderungen gegenüber der Y-GmbH erklärte sie einen Teilverzicht. Insgesamt ergaben sich hieraus Verluste, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Rahmen des Körperschaftsteuerbescheids 2002 als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) behandelte.
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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zum einen aus, dass dem Einwand der Klägerin, für den Erlass des Steuerbescheids sei aufgrund ihres Sitzes in B-Stadt nicht das beklagte FA, sondern das dortige Finanzamt örtlich zuständig gewesen, nicht nachgegangen werden müsse; ein gebundener Verwaltungsakt (hier: Körperschaftsteuerbescheid 2002) könne nach § 127 der Abgabenordnung (AO) nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil er von der örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden sei. In der Sache legte die Vorinstanz u.a. dar, dass die Darlehenshingabe an die von A beherrschte X-GmbH durch dessen Beteiligung an der Klägerin veranlasst gewesen sei, weil es sowohl im Hinblick auf die Rückzahlung als auch bezüglich der Verzinsung des Darlehens an einer im Voraus getroffenen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung gefehlt habe. Beides spreche --ebenso wie der Umstand, dass der Kredit nicht besichert worden sei-- zudem auch gegen die Fremdüblichkeit der Darlehensausreichungen und habe des Weiteren zur Folge, dass die Verluste aus der Forderungsveräußerung im Streitjahr vom FA zu Recht als vGA qualifiziert worden seien (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Oktober 2008 I R 61/07, BFHE 223, 131, BStBl II 2011, 62). Gleiches gelte für den Teilverzicht auf die der Y-GmbH eingeräumten Kredite sowie für den Verlust aus dem Verkauf der gegenüber der Z-GmbH bestehenden Forderungen; auch letztere Gesellschaft habe dem beherrschenden Gesellschafter der Klägerin (A) nahe gestanden. Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
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II. Die hiergegen erhobene Beschwerde genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Sie ist deshalb zu verwerfen.
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1. Die Rüge, das FG habe verkannt, dass § 127 AO dann keine Anwendung finde, wenn die Besteuerungszuständigkeit auf ein anderes Bundesland übergegangen sei, und es habe deshalb versäumt, den Sachverhalt im Hinblick darauf aufzuklären, in welchem Finanzamtsbezirk sich die Geschäftsleitung der Klägerin befunden habe (§ 76 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), ist unschlüssig.
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a) Die Klägerin verkennt hierbei zum einen, dass es den Landesfinanzbehörden bei der Erhebung der im Auftrag des Bundes verwalteten Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 3 i.V.m. Art. 108 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes) an einer "Abgeschlossenheit nach außen" fehlt und deshalb die sachliche Zuständigkeit des jeweils tätig gewordenen Finanzamts für die Festsetzung dieser Steuern nicht durch die Frage nach seiner verbandsmäßigen Zugehörigkeit beschränkt wird (BFH-Urteil vom 23. November 1972 VIII R 42/67, BFHE 108, 10, BStBl II 1973, 198). Dies gilt nicht nur für die Einkommensteuer, deren Gegenstand ("Einkommen") keiner Gebietsgebundenheit unterliegt (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1970 IV R 247/69, BFHE 101, 91, BStBl II 1971, 151; Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 17 Rz 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 16 AO Rz 6), sondern --aus den nämlichen Gründen-- auch für die Körperschaftsteuer (Urteil des Hessischen FG vom 12. Mai 2005 4 K 1409/04, juris). Demgemäß war --entgegen der Ansicht der Klägerin-- auch das FG befugt, die Frage nach dem Ort der Geschäftsleitung (d.h. die örtliche Zuständigkeit) offenzulassen und den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid nach Maßgabe der weiteren Voraussetzungen des § 127 AO zu bestätigen.
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b) Zum anderen wäre die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) auch dann unschlüssig, wenn man der Klägerin in ihrer Auslegung des § 127 AO folgen wollte. Da sie selbst im finanzgerichtlichen Verfahren keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte es der substantiierten Darlegung bedurft, aufgrund welcher konkreten Umstände sich dem FG eine Beweiserhebung von Amts wegen über den Ort der Geschäftsleitung der Klägerin hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 70). Die bloße Behauptung, dass eine solche Aufklärungsverpflichtung bestanden habe, genügt dem nicht. Hinzu kommt, dass --wie den finanzgerichtlichen Akten zu entnehmen ist-- der Geschäftsführer der Klägerin im Juni 2001 auf ausdrückliche Anfrage erklärt hat, der Ort der Geschäftsleitung sei nach C-Stadt und damit in den Zuständigkeitsbereich des beklagten FA verlegt worden.
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2. Unschlüssig sind ferner die Rügen, die Revision sei im Zusammenhang mit dem Ansatz der vGA nicht nur wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, sondern auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, erster Halbsatz FGO). Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, dass sie das vorinstanzliche Urteil aus einzelfallbezogenen Gründen für unzutreffend erachtet, genügt dies nicht den Anforderungen an die Darlegung der genannten Revisionszulassungsgründe (vgl. dazu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 31 ff., 38). Gleiches gilt für die weiterreichenden Erwägungen, denen zufolge die Rechtsprechung Konzernsachverhalte --sowohl zum Zweck der "Rückbesinnung auf das eigentlich ursprünglich Gewollte" als auch zur Vermeidung praktischer Schwierigkeiten-- weitgehend aus dem Anwendungsbereich von vGA ausnehmen sollte. Ausführungen dieser Art können nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn sie --woran es vorliegend fehlt-- auf einer fundierten Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung beruhen und unter Aufarbeitung des einschlägigen Schrifttums konkret dargelegt wird, welche bislang nicht berücksichtigten Gesichtspunkte den BFH veranlassen sollten, seine Entscheidungspraxis zu ändern oder zu modifizieren (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2007 II B 107/06, BFH/NV 2008, 573; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 33).
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