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BFH 23.05.2011 - III B 177/10
BFH 23.05.2011 - III B 177/10 - (Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Rückforderung von Kindergeld vom Kindergeldberechtigten nach Treu und Glauben bei weisungsbedingter Auszahlung an das Kind - Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO - Anforderungen des § 96 FGO)
Normen
§ 116 Abs 3 S 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 37 Abs 2 S 1 AO, § 242 BGB, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 96 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 14. September 2010, Az: 6 K 8056/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Rechtssache ist nicht grundsätzlich bedeutsam, wenn der Beschwerdeführer ausschließlich rein sachverhaltsbezogene Rechtsfragen aufwirft .
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2. NV: Allein der Umstand einer längeren Bearbeitungsdauer bei der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs führt regelmäßig noch nicht zur Schaffung eines, der Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes entgegenstehenden, Vertrauenstatbestandes .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihren in ihrem Haushalt lebenden Bruder T laufend Kindergeld. Auf die schriftliche Bitte der Klägerin vom 10. September 2004 überwies die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) das Kindergeld ab Oktober 2004 auf das Konto des T. Im Juni 2007 stellte die Familienkasse die Zahlung des Kindergeldes vorerst ein, da T eine Änderung seiner Kontodaten mitgeteilt und die Klägerin diese Änderung nicht unterschrieben hatte. Mit Bescheid vom 4. August 2008 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung --unter Verweis auf den Auszug des T aus dem Haushalt der Klägerin-- ab Juni 2004 auf (§ 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) und forderte von der Klägerin das in der Zeit von Juni 2004 bis Juni 2007 gezahlte Kindergeld in Höhe von 5.698 € zurück. Während des Einspruchsverfahrens überprüfte die für den Kindergeldanspruch des T zuständige Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse Nürnberg, dessen Anspruch nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) und bejahte ihn teilweise. Die Familienkasse erkannte daraufhin das für die Monate Juni bis Dezember 2004 sowie Januar bis Mai 2007 gezahlte Kindergeld nach dem EStG als Weiterleitung an und minderte die Restforderung im Änderungsbescheid vom 2. Februar 2009 auf 3.850 €. Den Einspruch wies es im Anschluss als nunmehr unbegründet zurück.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Familienkasse stehe nach § 37 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 3.850 € gegen die Klägerin zu, da diese auf Grund der Anweisung, das Kindergeld auf ein Konto des T zu zahlen, die Leistungsempfängerin geblieben sei; eine Abzweigung liege nicht vor. Den Rückforderungsanspruch habe die Familienkasse auch nicht verwirkt.
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Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird deshalb durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde genügt nicht den Darlegungserfordernissen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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1. Die Klägerin hat die behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, genügt dafür nicht. Der Beschwerdeführer muss vielmehr konkret auf die Rechtsfrage und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift der Klägerin nicht. Sie will sinngemäß eine Klärung der Frage erreichen, ob sie als Leistungsempfängerin des auf das Konto des T geflossenen Kindergeldes anzusehen sei, obwohl sie den Kindergeldantrag zurückgezogen, die Familienkasse Kenntnis vom Auszug des T gehabt und gleichwohl die Kindergeldzahlungen weitergeleistet habe. Des Weiteren möchte die Klägerin sinngemäß geklärt wissen, ob die Familienkasse sie nach nahezu vier Jahren Bearbeitungsdauer in Anspruch nehmen dürfe, obwohl die Familienkasse Kenntnis von dem Umstand der Volljährigkeit und des Auszuges des Zahlungsempfängers T aus ihrem Haushalt gehabt und dennoch die Kindergeldzahlungen weitergeleistet habe.
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Damit werden jedoch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung herausgestellt, sondern nicht ausreichende rein sachverhaltsbezogene Fragestellungen aufgeworfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Juni 1994 II B 30/94, BFH/NV 1995, 132, und vom 2. Mai 2002 VI B 158/99, BFH/NV 2002, 1051). Aus den Ausführungen der Klägerin ist allein ihr Interesse an einer anderen Entscheidung ihres Falles erkennbar.
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2. Mit der Rüge, das FG sei von der Entscheidung des BFH vom 26. Juli 2001 VI R 163/00 (BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174) abgewichen, wird kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO dargelegt.
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a) Wird als Zulassungsgrund eine Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO geltend gemacht, so muss in der Beschwerdeschrift nicht nur die Entscheidung des BFH, von der das Urteil des FG abweichen soll, bezeichnet werden; es muss darüber hinaus aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz der Entscheidung des BFH im Widerspruch stehen kann. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers voneinander abweichenden Rechtssätze sind dabei gegenüberzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. März 1995 II B 127/94, BFH/NV 1995, 909).
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Eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt hätte vorausgesetzt, dass in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze im Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung des BFH so genau bezeichnet worden wären, dass die Abweichung erkennbar geworden wäre. Im Streitfall fehlt insbesondere die Darstellung von der BFH-Rechtsprechung abweichender abstrakter Rechtssätze des FG.
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b) Eine Abweichung der angefochtenen FG-Entscheidung von dem BFH-Urteil in BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174 liegt im Übrigen auch nicht vor. In diesem Urteil hat der BFH zwar ausgeführt, dass der Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen kann, wenn die Familienkasse mit der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs zu lange zuwartet. Anders als die Klägerin meint, hat der BFH damit aber keineswegs entschieden, dass "der Umstand der langen Bearbeitungsdauer ... [genügte], um ein schutzwürdiges Vertrauen zu bejahen, das einer Rückforderung entgegensteht". Die Entscheidung ist vielmehr im Zusammenhang mit den weiteren von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zur Rückforderung von Kindergeld im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben i.S. des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu sehen. Danach reicht die Weiterzahlung des Kindergeldes selbst bei einer --wie von der Klägerin behaupteten-- Mitteilung der Umstände, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes allein nicht aus (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Mai 2005 III B 197/04, BFH/NV 2005, 1486). Auch der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) genügt für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grundsätzlich nicht (z.B. BFH-Urteil vom 15. Juni 2004 VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153). Hinzu kommen müssen vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2010 III B 37/09, BFH/NV 2010, 837, m.w.N.). Hiervon ist das FG ausgegangen und dabei zu der Würdigung gelangt, im Streitfall seien keine solchen besonderen Umstände festzustellen.
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3. Schließlich hat die Klägerin auch keinen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.
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a) Mit dem Vortrag, das FG habe gegen Denkgesetze verstoßen, wird kein Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dargelegt. Ein derartiger Verstoß ist nach der Rechtsprechung des BFH vielmehr ein materiell-rechtlicher Fehler (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2008 I B 115/07, BFH/NV 2008, 1362, m.w.N.), der grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Juni 2002 IX B 74/01, BFH/NV 2002, 1331).
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b) Auch die Rüge der Klägerin, das FG habe gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen, weil es keinen Beweis über den Zugang ihres Schreibens vom 19. Oktober 2004 erhoben habe, vermag eine Zulassung nicht zu begründen. Für eine schlüssige Rüge hätte die Klägerin ausführen müssen, inwiefern eine weitere Aufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einem anderen Ergebnis hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. März 2004 VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978; vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, jeweils m.w.N.). Dies hat die Klägerin nicht getan. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Urteil des FG auf der unterlassenen Sachverhaltsaufklärung beruhen kann. Da das FG den Zugang des Schreibens vom 19. Oktober 2004 durchaus als möglich angesehen hat, es nach seinem materiell-rechtlichen Standpunkt jedoch nicht darauf ankam, wann und auf welche Weise die Familienkasse Kenntnis von dem Auszug des T erlangt hatte, erübrigte sich eine diesbezügliche Sachaufklärung.
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c) Schließlich lässt die Rüge der Klägerin keinen Verfahrensfehler des FG erkennen, das FG habe ihren Vortrag unberücksichtigt gelassen, dass die Familienkasse durch das Schreiben vom 28. Juni 2007 einen weiteren Umstand geschaffen habe, der sie habe darauf vertrauen lassen, dass keine Kindergeldzahlungen erfolgt seien. Insbesondere kann insoweit bereits deshalb kein Verstoß gegen die Überzeugungsbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) vorliegen, weil die Familienkasse der Klägerin in diesem Schreiben lediglich mitgeteilt hat, die Zahlung des Kindergeldes werde bis zur Rückgabe der korrekt unterschriebenen Kontoänderungsmitteilung zur Vermeidung von falschen Zahlungen vorerst ausgesetzt. Vorliegend geht es indes um die Erstattung des für die Monate Januar 2005 bis Dezember 2006 sowie Juni 2007 ohne Rechtsgrund gezahlten Kindergeldes. Aus dem Inhalt des Schreibens vom 28. Juni 2007 konnte die Klägerin aber für die in der Vergangenheit liegenden Monate keinen Vertrauenstatbestand ableiten. Entgegen dem Vortrag der Klägerin hat die Familienkasse auch keineswegs "trotz des eigenen Schreibens vom 28. Juni 2007" Kindergeld weiter ausgezahlt und damit einen --wie die Klägerin meint-- ebenfalls vom FG "gänzlich unbeachteten Umstand" geschaffen. Vielmehr ist die letzte Auszahlung auf das Konto des T --entsprechend dem Schreiben vom 28. Juni 2007-- im Juni 2007 erfolgt. § 96 FGO gebietet auch nicht, sämtliche vorgebrachten, aber nicht für maßgeblich gehaltenen Argumente abzuhandeln (BFH-Beschluss vom 18. September 2006 VI B 76/05, BFH/NV 2006, 2301). Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2301, m.w.N.). Dass dies vorliegend auch tatsächlich der Fall war, ergibt sich schon daraus, dass das FG in der Darstellung des Tatbestandes auf den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin eingegangen ist.
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