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EuGH 08.09.2022 - C-98/21
EuGH 08.09.2022 - C-98/21 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer) - 8. September 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 167 und Art. 168 Buchst. a – Vorsteuerabzug – Begriff ‚Steuerpflichtiger‘ – Holdinggesellschaft – Ausgaben im Zusammenhang mit einem in Form einer Sacheinlage an Tochtergesellschaften erbrachten Gesellschafterbeitrag – Keine Teilhabe der Ausgaben an den allgemeinen Aufwendungen – Überwiegend steuerfreie Tätigkeiten der Tochtergesellschaften“
Leitsatz
In der Rechtssache C-98/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2021, in dem Verfahren
Finanzamt R
gegen
W GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Passer, der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters N. Wahl,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der W GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Dietrich und N. Penner,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Pethke und V. Uher als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2022
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 167 und Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt R (Deutschland) und der W GmbH über den dieser Gesellschaft versagten Vorsteuerabzug für Leistungen, die es ihr ermöglicht haben, als Gesellschafterbeiträge Leistungen an ihre Tochtergesellschaften zu erbringen, die ihrerseits überwiegend mehrwertsteuerfrei Leistungen erbringen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…“
Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
In Art. 167 der Richtlinie heißt es:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
Art. 168 der Richtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Deutsches Recht
§ 2 des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UStG) lautet:
„(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.
(2) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt,
soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind,
wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. …“
§ 15 („Vorsteuerabzug“) UStG bestimmt in Abs. 1:
„Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
1. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. …“
§ 42 der Abgabenordnung bestimmt:
„(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
(2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
W betreibt als Geschäftstätigkeiten den Ankauf, die Verwaltung und die Verwertung von Grundbesitz sowie die Projektierung, Sanierung und Erstellung von Bauvorhaben.
Im Jahr 2013 war W an der X GmbH & Co. KG und der Y GmbH & Co. KG beteiligt, deren Tätigkeiten darin bestehen, Bauobjekte zu errichten und Wohneinheiten zu veräußern, und zwar überwiegend umsatzsteuerfrei.
Konkret hielt W im fraglichen Jahr 94 % der Anteile an X, während die übrigen 6 % von der Z KG gehalten wurden.
Mit Ergänzungsvereinbarung vom 31. Januar 2013 zum Gesellschaftsvertrag von X vereinbarten Z und W, einen Gesellschafterbeitrag an X zu leisten. Dieser Beitrag bestand für Z in einer Zahlung in Höhe von 600000 Euro und für W in der unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen in einem ihrer Beteiligung entsprechenden Verhältnis, d. h. mit einem Wert von mindestens 9,4 Mio. Euro. Diese Dienstleistungen bestanden in Architektenleistungen, statischen Berechnungen, Planungen des Wärme- und Schallschutzes, der Energieversorgung und der Netzanschlüsse, Generalunternehmer-Dienstleistungen, Erschließungsdienstleistungen und Vertriebsdienstleistungen für zwei von X zu errichtende Objekte. W erbrachte diese Dienstleistungen teilweise mit eigenem Personal bzw. eigenen Geräten, teilweise durch Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen von anderen Unternehmen.
Mit weiterem Vertrag vom selben Tag zwischen W und X wurde vereinbart, dass W für X Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen im Zusammenhang mit der Errichtung der beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Objekte gegen Entgelt erbringt. Diese Leistungen umfassten die Einstellung und Entlassung von Personal, den Materialeinkauf, die Aufstellung des Jahresabschlusses sowie die Wahrnehmung der steuerlichen Deklaration und Kommunikation gegenüber dem Finanzamt. Ausgenommen waren die Leistungen, die W als Gesellschafterbeitrag zu erbringen hatte.
Außerdem hielt W im Jahr 2013 89,64 % der Anteile an Y, während die übrigen Anteile von der P I GmbH gehalten wurden.
Mit einer am 10. April 2013 geschlossenen Ergänzungsvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag von Y wurde vereinbart, dass P I und W einen Gesellschafterbeitrag an Y leisten. Der Beitrag von P I bestand in der Zahlung eines Betrags von 3,5 Mio. Euro und der von W darin, im Zusammenhang mit der Errichtung eines dritten Objekts Dienstleistungen der gleichen Art wie die in Rn. 13 des vorliegenden Urteils beschriebenen, an X erbrachten Leistungen unentgeltlich zu erbringen, und zwar in einem ihrer Beteiligung entsprechenden Verhältnis, d. h. mit einem Wert von mindestens 30,29 Mio. Euro. W erbrachte diese Dienstleistungen zum Teil mit eigenem Personal bzw. eigenen Geräten, teilweise durch Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen von anderen Unternehmen.
Mit weiterem Vertrag vom selben Tag vereinbarten W und Y, dass W im Rahmen des Projekts der Errichtung des oben genannten dritten Objekts Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen der gleichen Art wie die in Rn. 14 des vorliegenden Urteils beschriebenen, an X erbrachten Leistungen gegen Entgelt an Y erbringt.
In ihren Umsatzsteuererklärungen für 2013 nahm W den vollen Vorsteuerabzug aus den in Rede stehenden Dienstleistungen vor. Die deutsche Steuerverwaltung vertrat die Auffassung, dass die Gesellschafterbeiträge von W zugunsten von X und Y als nicht steuerbare Tätigkeiten einzustufen seien, weil sie nicht der Erzielung von Einnahmen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gedient hätten und daher nicht der unternehmerischen Tätigkeit von W zuzuordnen seien. Die mit diesen Tätigkeiten im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge seien daher nicht abziehbar.
Nachdem ihr Einspruch gegen diese Versagung des Vorsteuerabzugs zurückgewiesen worden war, erhob W Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland), das der Klage mit Entscheidung vom 19. April 2018 stattgab. Das Finanzgericht führte aus, die Erbringung von Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen von W an X und Y gehe mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung dieser Gesellschaften gegen Entgelt einher. Unter Berücksichtigung dieser Eingriffe mittels Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen sei die Erbringung gesonderter Sachleistungen als Gesellschafterbeitrag zugunsten der Tochtergesellschaften Teil der unternehmerischen Tätigkeit der aktiven Beteiligungsverwaltung. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der Sachleistungen, die der Einwerbung von Geldmitteln dienten, welche als Gesellschafterbeitrag in die Beteiligungsgesellschaften eingelegt worden seien, Teil der unternehmerischen Tätigkeit der Holdinggesellschaften seien. Folglich könne W die Umsatzsteuer aus dem Bezug der Dienstleistungen, die sie als Gesellschafterbeitrag an X und Y erbracht habe, in voller Höhe als Vorsteuer abziehen. Ein Rechtsmissbrauch liege nicht vor; es gebe außersteuerrechtliche Gründe, die die für den fraglichen Vorgang gewählte Gestaltung rechtfertigten.
Das Finanzamt R legte gegen diese Entscheidung Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland) ein. Zur Begründung der Revision macht es insbesondere geltend, dass es für die streitigen Leistungen – d. h. diejenigen, die mit den an die Tochtergesellschaften geleisteten Gesellschafterbeiträgen verbunden seien –, die von den entgeltlich zu erbringenden Geschäftsführungs- und Buchführungsleistungen zu unterscheiden seien, mangels Entgelt an einem Leistungsaustausch fehle. Im Übrigen beruhten die von W getätigten Umsätze auf einem Missbrauch der gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten für den Vorsteuerabzug.
Der Bundesfinanzhof stellt im Vorlagebeschluss fest, dass zwischen W auf der einen sowie X und Y auf der anderen Seite keine Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 UStG bestehe.
Da W entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften erbracht und damit in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingegriffen habe, stehe ihr trotz ihrer Eigenschaft als Holdinggesellschaft grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug aus den von ihr bezogenen Eingangsleistungen zu. Insoweit ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass ein Recht auf Vorsteuerabzug zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen werde, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehörten und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen seien. Daraus folge, dass die Kosten einer in die Verwaltung einer Tochtergesellschaft eingreifenden Holdinggesellschaft für die verschiedenen im Rahmen einer Beteiligung an dieser Tochtergesellschaft erworbenen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehörten und als solche Kostenelemente seiner Leistungen seien. Sie hingen somit grundsätzlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holdinggesellschaft zusammen.
Fraglich sei jedoch, ob W die Vorsteuer deshalb nicht abziehen könne, weil sie die Eingangsleistungen bezogen habe, um sie in die Tochtergesellschaften einzulegen, die steuerfreie Umsätze tätigten, so dass diese Eingangsleistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen stünden.
So sei erstens fraglich, ob die von W als Gesellschafterbeiträge an X und Y weitergegebenen Eingangsleistungen als von W für ihr Unternehmen bezogen angesehen werden könnten und ob die Aufwendungen dafür zu ihren Allgemeinkosten gehörten, d. h. zu den Kostenelementen ihrer besteuerten Ausgangsumsätze der Buchhaltung und der Geschäftsführung für ihre Tochtergesellschaften. Diese Fragestellung folge aus dem Urteil vom 8. November 2018, C&D Foods Acquisition (C-502/17, EU:C:2018:888, Rn. 37 ff.), aus dem abzuleiten sei, dass es für den Abzug der von einer Holdinggesellschaft gezahlten Vorsteuer erforderlich sei, dass der betreffende Umsatz seinen ausschließlichen unmittelbaren Entstehungsgrund in der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Gesellschaft habe oder eine unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung dieser Tätigkeit darstelle. Somit könnten die Kosten für die Eingangsleistungen bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen ihnen und der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft nicht zu den allgemeinen Aufwendungen von W gehören und keine Kostenelemente der von W gelieferten Gegenstände bzw. der von ihr erbrachten Dienstleistungen sein. Ferner sei auf die Urteile vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments (C-132/16, EU:C:2017:683), vom 3. Juli 2019, The Chancellor, Masters and Scholars of the University of Cambridge (C-316/18, EU:C:2019:559), und vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen (C-405/19, EU:C:2020:785), hinzuweisen. Auch wenn die diesen Urteilen zugrunde liegenden Rechtssachen keine Holdinggesellschaften beträfen, bestätigten sie, dass ein Vorsteuerabzug nur dann möglich sei, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Eingangsleistungen und den besteuerten Umsätzen der betroffenen Gesellschaft bestehe. Im vorliegenden Fall sei aber denkbar, dass die Eingangsleistungen nicht für das Unternehmen von W und ihre besteuerten Umsätze, sondern für die Unternehmen ihrer Tochtergesellschaften bezogen worden seien. Diese Leistungen stünden dann in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten dieser Tochtergesellschaften.
Falls davon auszugehen sei, dass die auf die Eingangsleistungen gezahlte Steuer gleichwohl abziehbar sei, sei zweitens fraglich, ob die Zwischenschaltung einer Muttergesellschaft in den Leistungsbezug der Tochtergesellschaft zur Erlangung eines an sich nicht zustehenden Vorsteuerabzugs rechtsmissbräuchlich sei. Auf nationaler Ebene sei es ausgeschlossen, dass eine Muttergesellschaft durch ihre Vorschaltung ein Recht auf Vorsteuerabzug erhalte, das ihr bei unmittelbarem Leistungsbezug nicht zustünde. Im vorliegenden Fall geschehe aber wirtschaftlich gesehen dasselbe wie bei einer Vorschaltung, so dass ein Missbrauch in Betracht komme. Sollte eine solche Gestaltung nicht als missbräuchlich anzusehen sein, bestehe zudem die Gefahr einer Welle von Zwischenschaltungen von Holdinggesellschaften beim gesamten Leistungsbezug durch Steuerpflichtige.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?
Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften „zwischengeschaltet“ wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
Nach der Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts hat W mit am 12. April 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz die Eröffnung des mündlichen Verfahrens gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt. Da das mündliche Verfahren nach der Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts abgeschlossen worden war, ist dieser Antrag so zu verstehen, dass er auf die Wiedereröffnung dieses Verfahrens gemäß jenem Artikel gerichtet ist.
Zur Stützung dieses Antrags macht W im Wesentlichen geltend, dass in den Schlussanträgen des Generalanwalts, insbesondere in deren Nrn. 39 bis 43 und 55 bis 62, zu bestimmten Gesichtspunkten, die eine Erörterung mit den Parteien verdienten, nicht Stellung genommen worden sei bzw. zu bestimmten Gesichtspunkten Stellung genommen worden sei, ohne dass sie von den Parteien erörtert worden seien. Diese Auslassungen und Stellungnahmen rechtfertigten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Hierauf ist zu erwidern, dass der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen stellt, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil vom 22. November 2018, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, EU:C:2018:942, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo, C-106/16, EU:C:2017:804, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteile vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo, C-106/16, EU:C:2017:804, Rn. 24, sowie vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mit ihrem Vorbringen möchte W auf die Schlussanträge des Generalanwalts antworten, indem sie dessen Ausführungen zur ersten Vorlagefrage in Frage stellt.
Zwar kann der Gerichtshof gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.
Die von W beanstandeten Auslassungen und Stellungnahmen beziehen sich jedoch allesamt auf Gesichtspunkte, auf die W und die anderen Parteien im schriftlichen Verfahren eingehen konnten. In den Schlussanträgen des Generalanwalts ist kein wirklich neuer Gesichtspunkt angeführt worden.
Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle erforderlichen Angaben verfügt, um die Fragen des vorlegenden Gerichts beantworten zu können.
Folglich besteht kein Grund zur Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit deren Art. 167 dahin auszulegen ist, dass einer Holdinggesellschaft, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, wenn erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, zweitens diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.
Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein fundamentaler Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Urteil vom 5. Juli 2018, Marle Participations, C-320/17, EU:C:2018:537, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 5. Juli 2018, Marle Participations, C-320/17, EU:C:2018:537, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie geht jedoch hervor, dass für die Inanspruchnahme des Rechts auf Vorsteuerabzug zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Erstens muss der Betroffene ein „Steuerpflichtiger“ im Sinne dieser Richtlinie sein. Zweitens müssen die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2019, The Chancellor, Masters and Scholars of the University of Cambridge, C-316/18, EU:C:2019:559, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was die erste Voraussetzung anbelangt, ergibt sich aus Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass als Steuerpflichtiger gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Ferner geht aus diesem Art. 9 hervor, dass der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden erfasst, darunter insbesondere Umsätze, die mit der Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen verbunden sind.
Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen stellen nach ständiger Rechtsprechung für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie dar, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würde, da der bloße Erwerb finanzieller Beteiligungen an anderen Unternehmen keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen darstellt. Eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung oder ein durch Verkauf der Beteiligung erzielter Gewinn sind nämlich Ausfluss des bloßen Eigentums an diesem Gegenstand. Folglich ist eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, kein Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie und somit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 16, und vom 8. November 2018, C&D Foods Acquisition, C-502/17, EU:C:2018:888, Rn. 30).
Anders verhält es sich bei gemischten Holdinggesellschaften, bei denen die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaften einhergeht, an denen die Beteiligung erworben wurde. Nach ständiger Rechtsprechung stellen solche Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung von Gesellschaften, an denen sie Beteiligungen erworben hat, nämlich eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dar, wenn sie die Durchführung von Tätigkeiten einschließen, die nach Art. 2 dieser Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen. Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass der Begriff „Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft“ so zu verstehen ist, dass er alle Umsätze umfasst, die eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen und die von der Holding für ihre Tochtergesellschaft erbracht werden; hierzu zählt, ohne dass die Aufzählung abschließend wäre, das Erbringen von administrativen, finanziellen, kaufmännischen und technischen Dienstleistungen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 5. Juli 2018, Marle Participations, C-320/17, EU:C:2018:537, Rn. 31 und 32). Folglich ist die gemischte Holdinggesellschaft in Bezug auf die entgeltlich erbrachten, der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen, die Teil des fraglichen Eingriffs sind, ein Steuerpflichtiger, dem ein Vorsteuerabzug zusteht, wenn auch nur anteilig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2020, Sonaecom, C-42/19, EU:C:2020:913, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass sich die Tätigkeit von W nicht auf den Erwerb und das Halten von Gesellschaftsanteilen an X und Y beschränkte, sondern dass sie ihren beiden Tochtergesellschaften gegen Entgelt Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen erbrachte, die eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen. Folglich ist W als Steuerpflichtige im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie einzustufen und erfüllt die erste der beiden in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Rechts auf Vorsteuerabzug.
Hinsichtlich der zweiten dieser Voraussetzungen ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass das Recht auf Vorsteuerabzug voraussetzt, dass die Gegenstände und Dienstleistungen, die der Steuerpflichtige bezogen hat, für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.
Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer setzt voraus, dass die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2020, Sonaecom, C-42/19, EU:C:2020:913, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2020, Sonaecom, C-42/19, EU:C:2020:913, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In beiden Fällen ist es erforderlich, dass die Kosten der Eingangsgegenstände oder -leistungen jeweils Eingang in den Preis bestimmter Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2019, The Chancellor, Masters and Scholars of the University of Cambridge, C-316/18, EU:C:2019:559, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wenn hingegen von einem Steuerpflichtigen bezogene Gegenstände oder Dienstleistungen mit steuerbefreiten Umsätzen zusammenhängen oder nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, kann es weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen (Urteil vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass das Bestehen von Zusammenhängen zwischen Umsätzen anhand des objektiven Inhalts dieser Umsätze zu beurteilen ist. Dies bedeutet insbesondere, dass alle Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen die betreffenden Umsätze ausgeführt wurden, und nur die Umsätze heranzuziehen sind, die objektiv im Zusammenhang mit der der Steuer unterliegenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Maßgebend sind nach der Rechtsprechung dementsprechend die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2020, Sonaecom, C-42/19, EU:C:2020:913, Rn. 66) und der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes, da dieser als ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts anzusehen ist (Urteil vom 8. November 2018, C&D Foods Acquisition, C-502/17, EU:C:2018:888, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass W Dienstleistungen in Form von statischen Berechnungen, Planungen des Wärme- und Schallschutzes, der Energieversorgung und des Netzanschlusses, Generalunternehmer-Dienstleistungen, Erschließungsdienstleistungen und Vertriebsdienstleistungen bezogen hat, um ihren Verpflichtungen in Bezug auf Gesellschafterbeiträge gegenüber ihren Tochtergesellschaften nachzukommen.
Im Hinblick auf das Recht von W, die auf diese Eingangsleistungen entrichtete Vorsteuer abzuziehen, hat das vorlegende Gericht gemäß der in den Rn. 45 und 46 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung zu prüfen, ob diese Dienstleistungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dieser Gesellschaft stehen oder zu den allgemeinen Aufwendungen dieser Gesellschaft gehören, so dass sie Kostenelemente der von ihr gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen darstellen.
Zu der Frage, ob ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit Ausgangsumsätzen von W besteht, ist darauf hinzuweisen, dass die in Rn. 50 des vorliegenden Urteils genannten Eingangsleistungen von W nicht verwendet werden, um ihre Ausgangsleistungen der Buchführung und der Geschäftsführung anbieten zu können, die die Einstellung und Entlassung von Personal, den Materialeinkauf, die Aufstellung des Jahresabschlusses sowie die Wahrnehmung der steuerlichen Deklaration und Kommunikation gegenüber dem Finanzamt umfassen. Daraus folgt, dass die von W für den Bezug der Eingangsleistungen getätigten Ausgaben nicht als zu den Kostenelementen ihrer besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsleistungen gehörend angesehen werden können.
Was die Frage anbelangt, ob die in Rn. 50 des vorliegenden Urteils genannten von W bezogenen Eingangsleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen von W gehören, so dass sie Kostenelemente der von ihr gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen darstellen und daher direkt und unmittelbar mit ihrer wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammenhängen, so ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Dienstleistungen um den Gegenstand der Beiträge handelt, die W als Gesellschafterin an ihre Tochtergesellschaften X und Y geleistet hat. Wie auch der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, handelt es sich somit nicht um Ausgaben, die W für den Erwerb von Beteiligungen tätigen muss, sondern um Ausgaben, die gerade den Gegenstand des Gesellschafterbeitrags von W an ihre Tochtergesellschaften darstellen. Ein solcher Beitrag einer Holdinggesellschaft zugunsten ihrer Tochtergesellschaften, sei es in Form von Bar- oder Sacheinlagen, gehört zum Halten von Gesellschaftsanteilen, das, wie in Rn. 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt, keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt und daher kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet. Der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes ist ein Gesellschafterbeitrag seitens von W.
Außerdem ist, wenn die tatsächliche Verwendung der von W bezogenen Dienstleistungen berücksichtigt wird, darauf hinzuweisen, dass W geltend gemacht hat, dass diese Dienstleistungen einen Gesellschafterbeitrag in Form einer Sacheinlage darstellten und dass sie diese zu diesem Zweck unentgeltlich an ihre Tochtergesellschaften weiterleiten müsse, damit diese sie für ihre Umsätze nutzten. Die Tatsache, dass diese Dienstleistungen zur Nutzung durch die Tochtergesellschaften von W bestimmt sind, begründet einen direkten Zusammenhang mit den Umsätzen dieser Tochtergesellschaften und bestätigt das Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs mit der wirtschaftlichen Tätigkeit von W. Dass diese Dienstleistungen in direktem Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, wird durch die Tatsache, dass sie von W an ihre Tochtergesellschaften weitergeleitet wurden, nicht in Frage gestellt, da es auf die tatsächliche Verwendung dieser Dienstleistungen ankommt.
Wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zielt die Regelung über den Vorsteuerabzug nur darauf ab, den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten. Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass Ausgaben, die nicht mit den besteuerten Umsätzen des Steuerpflichtigen, sondern mit Umsätzen eines Dritten zusammenhängen, für diesen Steuerpflichtigen kein Recht auf Vorsteuerabzug begründen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785, Rn. 38). Der Umstand, dass diese Beurteilung im Kontext einer Rechtssache erfolgt ist, die keine Holdinggesellschaft betraf, ist entgegen dem Vorbringen von W unerheblich, da sie einer allgemein für das Recht auf Vorsteuerabzug geltenden Regel entspricht. Da die tatsächliche Verwendung der von W bezogenen Dienstleistungen zeigt, dass diese direkt mit den Umsätzen der Tochtergesellschaften von W zusammenhängen, steht dieser Zusammenhang der Gewährung eines Rechts auf Vorsteuerabzug durch W für diese Dienstleistungen entgegen.
Folglich offenbart der objektive Inhalt der Transaktion, dass kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Kosten der von W bezogenen Dienstleistungen und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit besteht. Diese Kosten zählen nicht als allgemeine Aufwendungen zu den Bestandteilen der Geschäftsführungs- und Buchführungsdienste von W.
Diese Schlussfolgerung wird nicht durch den von W geltend gemachten Umstand in Frage gestellt, dass ihre Tochtergesellschaften nur dank ihrer Gesellschafterbeiträge ihre eigenen Tätigkeiten aufrechterhalten und infolgedessen Bedarf für ihre Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen haben könnten. Sofern sich diese Umstände als wahr erweisen, belegen sie nämlich keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Dienstleistungen, die Gegenstand dieser Beiträge sind, und der wirtschaftlichen Tätigkeit von W. Das Ziel des Bezugs der Eingangsleistungen bestand darin, einen Gesellschafterbeitrag zu ermöglichen, der nicht als ein Umsatz angesehen werden kann, der seinen ausschließlichen und unmittelbaren Entstehungsgrund in der wirtschaftlichen Tätigkeit von W hat, d. h. in der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit deren Art. 167 dahin auszulegen ist, dass einer Holdinggesellschaft, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, nicht zusteht, wenn erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, zweitens diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.
Zur zweiten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit deren Art. 167
ist dahin auszulegen, dass
einer Holdinggesellschaft, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, nicht zusteht, wenn erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, zweitens diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.
Passer
Prechal
Wahl
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. September 2022.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Siebten Kammer
J. Passer
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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