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EuGH 18.01.2022 - C-261/20
EuGH 18.01.2022 - C-261/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 18. Januar 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 49 AEUV – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 15 – Honorare für Architekten und Ingenieure – Festgesetzte Mindestpreise – Unmittelbare Wirkung – Im Laufe eines Verfahrens vor einem nationalen Gericht ergangenes Vertragsverletzungsurteil“
Leitsatz
In der Rechtssache C-261/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2020, in dem Verfahren
Thelen Technopark Berlin GmbH
gegen
MN
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan und S. Rodin (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin I. Ziemele und des Kammerpräsidenten J. Passer, der Richter M. Ilešič, F. Biltgen, P. G. Xuereb und N. Piçarra sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Thelen Technopark Berlin GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Schultz,
von MN, vertreten durch Rechtsanwälte V. Vorwerk und H. Piorreck, sodann durch Rechtsanwalt V. Vorwerk,
der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. L. Noort, M. H. S. Gijzen und J. Langer als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, L. Malferrari, W. Mölls und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV sowie von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Thelen Technopark Berlin GmbH (im Folgenden: Thelen) und MN über die Zahlung eines Honorars an MN.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 heißt es:
„[Die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten] können nicht allein durch die direkte Anwendung der Artikel [49 und 56 AEUV] beseitigt werden, weil – insbesondere nach der Erweiterung – die Handhabung von Fall zu Fall im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren sowohl für die nationalen als auch für die … Organe [der Union] äußerst kompliziert wäre; außerdem können zahlreiche Beschränkungen nur im Wege der vorherigen Koordinierung der nationalen Regelungen beseitigt werden, einschließlich der Einführung einer Verwaltungszusammenarbeit. Wie vom Europäischen Parlament und vom Rat [der Europäischen Union] anerkannt wurde, ermöglicht ein … Rechtsinstrument [der Union] die Schaffung eines wirklichen Binnenmarktes für Dienstleistungen.“
Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.“
Art. 15 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.
(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:
…
der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;
…
(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:
Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;
Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;
Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.
…“
Deutsches Recht
Die Honorare für Architekten und Ingenieure werden durch die Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) vom 10. Juli 2013 (BGBl. 2013 I S. 2276) (im Folgenden: HOAI) geregelt.
§ 1 HOAI lautet:
„Diese Verordnung regelt die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen (Auftragnehmer oder Auftragnehmerinnen) mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden.“
§ 7 Abs. 1, 3 und 5 dieser Vorschrift sieht vor:
„(1) Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.
…
(3) Die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden.
…
(5) Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Absatz 1 vereinbart sind.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Am 2. Juni 2016 schlossen Thelen, eine Immobiliengesellschaft, und MN, ein Ingenieur, einen Ingenieurvertrag, in dessen Rahmen MN sich gegen die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von 55025 Euro verpflichtete, zwecks der Verwirklichung eines Bauvorhabens in Berlin (Deutschland), bestimmte Leistungen nach der HOAI zu erbringen.
Nachdem MN diesen Vertrag mit Schreiben vom 2. Juni 2017 gekündigt hatte, rechnete er im Juli 2017 seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der in § 7 HOAI genannten Mindestsätze ab. Zu diesem Zweck erhob er, unter Berücksichtigung der Höhe der bereits durch Thelen geleisteten Zahlungen, Klage beim Landgericht Essen (Deutschland), um die Zahlung des geschuldeten Restbetrags von 102934,59 Euro nebst Zinsen und Verfahrenskosten geltend zu machen.
Mit Urteil vom 28. Dezember 2017 verurteilte dieses Gericht Thelen zur Zahlung von 100108,34 Euro nebst Zinsen.
Thelen legte gegen dieses Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Hamm (Deutschland) ein, das dieses Urteil mit Urteil vom 23. Juli 2019 teilweise abänderte und Thelen zur Zahlung von 96768,03 Euro nebst Zinsen verurteilte.
Thelen legte beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, Revision gegen dieses Urteil ein und beantragte, die Klage von MN vollständig abzuweisen.
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 4. Juli 2019, Kommission/Deutschland (C-377/17, EU:C:2019:562), festgestellt und im Beschluss vom 6. Februar 2020, hapeg dresden (C-137/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:84), bestätigt habe, dass die HOAI mit Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 unvereinbar sei, ohne sich jedoch zur Vereinbarkeit der HOAI mit Art. 49 AEUV zu äußern.
Die Entscheidung über die Revision hänge jedoch von der Frage ab, ob Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden, unmittelbare Wirkung entfalte, so dass für die Entscheidung dieses Rechtsstreits § 7 HOAI nicht angewendet werden dürfte.
Das vorlegende Gericht betont zum einen, aus Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 288 Abs. 3 AEUV ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, das in einer Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und zum anderen, dass diese Verpflichtung alle Träger der öffentlichen Gewalt in den Mitgliedstaaten einschließlich der Gerichte treffe, wobei die Verpflichtung u. a. bedeute, dass die Gerichte ihr innerstaatliches Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen hätten. Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung dürfe jedoch nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.
Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass eine mit der Richtlinie 2006/123 konforme Auslegung der HOAI im vorliegenden Fall nicht möglich sei. § 7 HOAI könne nicht dahin ausgelegt werden, dass die Regelung nicht auf eine Honorarvereinbarung anwendbar sei, die ein Honorar unterhalb der Mindestsätze der HOAI vorsehe. Aus der HOAI gehe hervor, dass eine solche Vereinbarung – von bestimmten Ausnahmen abgesehen, die nicht dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens entsprächen – unwirksam sei. Daher ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass eine Auslegung der HOAI, wonach von den in dieser Vorschrift vorgesehenen Mindestsätzen abgewichen werden dürfte, eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts darstellen würde.
Die Urheber der letzten Fassung der HOAI seien sich der möglichen Unvereinbarkeit der darin festgesetzten Honorarsätze mit der Richtlinie 2006/123 bewusst gewesen, seien aber der unzutreffenden Auffassung gewesen, dieser möglichen Unvereinbarkeit durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Regelung in § 1 HOAI auf rein innerstaatliche Sachverhalte begegnen zu können.
Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, die Entscheidung über die Revision hänge maßgeblich von der Frage ab, ob Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden, unmittelbare Wirkung entfalte, da, falls der Gerichtshof diese Frage bejahen sollte, § 7 HOAI nicht angewendet werden dürfte und der Revision stattgegeben werden müsste. Diese Frage sei im Beschluss vom 6. Februar 2020, hapeg dresden (C-137/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:84), jedoch ausdrücklich offengelassen worden, so dass das Vorabentscheidungsersuchen erforderlich sei.
Der Gerichtshof habe zwar bereits festgestellt, dass Art. 15 der Richtlinie 2006/123 unmittelbare Wirkung entfalte und selbst auf rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar sei. Gleichwohl verblieben aber Zweifel hinsichtlich der Frage, ob Art. 15 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden, unmittelbare Wirkung habe. Insoweit verweist das vorlegende Gericht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach es in Beziehungen zwischen Privaten auch dann nicht möglich sei, sich auf Bestimmungen einer Richtlinie zu berufen, wenn die Mitgliedstaaten, wie im vorliegenden Fall die Bundesrepublik Deutschland, diese Richtlinie nicht oder nicht richtig umgesetzt hätten. Im Ausgangsverfahren seien beide Parteien des Rechtsstreits aber gerade Privatpersonen.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Richtlinie keine Verpflichtungen für Einzelne begründen könne, so dass sie grundsätzlich nicht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden, angeführt werden könne, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstoße, auszuschließen. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob den Einzelnen durch eine Richtlinie unmittelbare Verpflichtungen auferlegt oder ihnen durch eine Richtlinie nach nationalem Recht bestehende subjektive Rechte unmittelbar genommen werden könnten, wie im vorliegenden Fall die Tatsache, dass einem Ingenieur oder Architekten die im nationalen Recht vorgesehenen Mindestsätze vorenthalten würden. Außerdem falle das Ausgangsverfahren nicht unter die Ausnahmefälle, in denen der Gerichtshof Richtlinien im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, in denen sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden, unmittelbare Wirkung zuerkannt habe.
Im Übrigen ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass, auch wenn sich die HOAI nur auf rein innerstaatliche Sachverhalte beziehe, die vom Gerichtshof nicht entschiedene Frage, ob diese Vorschrift gegen Art. 49 AEUV verstoße, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits relevant sein könne. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die Bestimmungen der Verträge und die unmittelbar geltenden Rechtsakte der Organe der Union bewirkten, dass jede entgegenstehende nationale Bestimmung ohne Weiteres unanwendbar werde – auch im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstünden.
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Folgt aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 260 Abs. 1 AEUV, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI, wonach die in [der] Honorarordnung [dieses Paragrafen] statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure – abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen – verbindlich sind und eine [mit Architekten oder Ingenieuren geschlossene,] die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung … unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind?
Sofern Frage 1 verneint wird:
Liegt in der Regelung verbindlicher Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen von Architekten und Ingenieuren in § 7 HOAI durch die Bundesrepublik Deutschland ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts?
Sofern Frage 2 a) bejaht wird: Folgt aus einem solchen Verstoß, dass in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über verbindliche Mindestsätze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr anzuwenden sind?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
Zur Beantwortung der ersten Frage ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht und alle mitgliedstaatlichen Stellen verpflichtet, den verschiedenen Vorschriften der Europäischen Union volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Um die Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts zu gewährleisten, erlegt dieser Grundsatz u. a. den nationalen Gerichten auf, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen und dem Einzelnen die Möglichkeit zuzuerkennen, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, dass seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht verletzt worden sind, der einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 57).
Insbesondere hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (Urteile vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Juni 2015, Faber, C-497/13, EU:C:2015:357, Rn. 33).
Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts unterliegt jedoch bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 13. Dezember 2018, Hein, C-385/17, EU:C:2018:1018, Rn. 51).
Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht, wie in Rn. 17 dieses Urteils ausgeführt, der Ansicht, dass eine den Anforderungen von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 entsprechende Auslegung der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung – wie sie sich aus § 7 HOAI ergebe – contra legem wäre.
Zweitens verlangt der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, dass das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, dann, wenn es eine nationale Regelung nicht den Anforderungen dieses Rechts entsprechend auslegen kann, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts Sorge zu tragen hat, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allerdings sind auch die anderen wesentlichen Merkmale des Unionsrechts, insbesondere die Natur und die Rechtswirkungen der Richtlinien, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 59).
So kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche vor dem nationalen Gericht nicht möglich ist. Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV besteht nämlich die Verbindlichkeit einer Richtlinie, aufgrund deren eine Berufung auf sie möglich ist, nur in Bezug auf „jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird“. Die Union ist nur dort befugt, mit unmittelbarer Wirkung allgemein und abstrakt Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist. Daher gestattet eine Bestimmung einer Richtlinie, selbst wenn sie klar, genau und unbedingt ist, es dem nationalen Gericht nicht, eine dieser Bestimmung entgegenstehende Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts auszuschließen, wenn aufgrund dessen einer Privatperson eine zusätzliche Verpflichtung auferlegt würde (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 65 bis 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine Bestimmung seines nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn die letztgenannte Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 68). Davon unbeschadet kann dieses Gericht sowie jede zuständige nationale Verwaltungsbehörde die Anwendung jeder Bestimmung des nationalen Rechts, die gegen eine Bestimmung des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstößt, aufgrund des innerstaatlichen Rechts ausschließen.
Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof zwar bereits entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 insoweit eine unmittelbare Wirkung entfalten kann, als er in Satz 2 den Mitgliedstaaten die unbedingte, hinreichend präzise Verpflichtung auferlegt, ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu ändern, um sie den in Abs. 3 genannten Bedingungen anzupassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser, C-360/15 und C-31/16, EU:C:2018:44, Rn. 130).
Diese Bestimmung als solche wird jedoch im vorliegenden Fall in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt, um die Anwendung einer gegen sie verstoßenden nationalen Regelung auszuschließen.
Würde Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits angewendet, würde MN nach dieser Bestimmung sein auf § 7 HOAI gestütztes Recht genommen, die dort vorgesehenen Sätze einzufordern, und er wäre daher verpflichtet, den Satz zu akzeptieren, der in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag festgelegt worden ist. Die in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung schließt allerdings aus, dass dieser Bestimmung eine solche Wirkung allein auf der Grundlage des Unionsrechts zuerkannt werden kann.
Das vorlegende Gericht ist daher nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, § 7 HOAI unangewendet zu lassen, auch wenn diese Regelung gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstößt.
Diese Erwägungen können auch nicht durch das Urteil vom 4. Juli 2019, Kommission/Deutschland (C-377/17, EU:C:2019:562), in Frage gestellt werden, mit dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen hat, dass sie die in § 7 HOAI vorgesehenen verbindlichen Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.
Zwar hat gemäß Art. 260 Abs. 1 AEUV, wenn der Gerichtshof feststellt, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, dieser Mitgliedstaat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben. Ferner sind die zuständigen nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, alle Bestimmungen zu erlassen, um die volle Geltung des Unionsrechts zu erleichtern, und so gegebenenfalls eine gegen das Unionsrecht verstoßende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1972, Kommission/Italien, 48/71, EU:C:1972:65, Rn. 7, und vom 16. Dezember 2010, Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C-239/09, EU:C:2010:778, Rn. 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass die gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV erlassenen Urteile vor allem die Festlegung der Aufgaben der Mitgliedstaaten im Fall der Verletzung ihrer Pflichten zum Gegenstand haben, und nicht die Verleihung von Rechten an Einzelne. Diese Rechte ergeben sich nicht aus den genannten Urteilen, sondern aus den Bestimmungen des Unionsrechts selbst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 1982, Waterkeyn u. a., 314/81 bis 316/81 und 83/82, EU:C:1982:430, Rn. 15 und 16). Folglich sind die zuständigen nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden nicht allein aufgrund solcher Urteile verpflichtet, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen.
Nach dieser Feststellung ist drittens darauf hinzuweisen, dass die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei sich auf die mit dem Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428), begründete Rechtsprechung berufen kann, um gegebenenfalls Ersatz des entstandenen Schadens zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, dem System der Verträge innewohnt, auf denen die Union beruht (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C-571/16, EU:C:2018:807, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Jeder Mitgliedstaat muss somit sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch die Nichtbeachtung des Unionsrechts entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C-571/16, EU:C:2018:807, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat zudem, was die Voraussetzungen für den Eintritt der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden betrifft, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, wiederholt entschieden, dass die Geschädigten einen Ersatzanspruch haben, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, ihnen Rechte zu verleihen, der Verstoß gegen diese Norm ist hinreichend qualifiziert, und zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C-571/16, EU:C:2018:807, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist ebenfalls ständige Rechtsprechung, dass es grundsätzlich den nationalen Gerichten obliegt, die Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien konkret anzuwenden (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C-571/16, EU:C:2018:807, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen hat, dass sie die in § 7 HOAI vorgesehenen verbindlichen Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2019, Kommission/Deutschland, C-377/17, EU:C:2019:562), und dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 einer solchen nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie es verbietet, in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren Tarife zu vereinbaren, die die danach festgelegten Mindestsätze unterschreiten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 6. Februar 2020, hapeg dresden, C-137/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:84, Rn. 21).
Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aber, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht offenkundig qualifiziert ist, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren oder einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat (Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C-46/93 und C-48/93, EU:C:1996:79, Rn. 57, sowie vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Rat, C-45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 31).
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die Mindestsätze für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden (Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie jedoch aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ist der Ausgangsrechtsstreit durch Merkmale charakterisiert, die sämtlich nicht über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinausweisen. In den dem Gerichtshof vorliegenden Akten deutet nämlich nichts darauf hin, dass eine Partei des Ausgangsverfahrens außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist oder dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen außerhalb dieses Gebiets erbracht wurden.
Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof, dann, wenn er von einem nationalen Gericht im Zusammenhang mit einem Sachverhalt angerufen wird, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, ohne eine entsprechende Angabe dieses Gerichts nicht davon ausgehen kann, dass das Ersuchen um Auslegung im Wege der Vorabentscheidung bezüglich der die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des AEU-Vertrags für die Entscheidung des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits erforderlich ist. Die konkreten Merkmale, die es ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand oder den Umständen eines Rechtsstreits, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen des betreffenden Mitgliedstaats hinausweisen, und den Art. 49, 56 oder 63 AEUV herzustellen, müssen sich nämlich aus der Vorlageentscheidung ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54).
Folglich ist es bei einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sache des vorlegenden Gerichts, dem Gerichtshof den Anforderungen von Art. 94 seiner Verfahrensordnung entsprechend anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten aufweist, der die Auslegung im Wege der Vorabentscheidung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich macht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 55).
Da aber in der Vorlageentscheidung keine dahin gehende Angabe enthalten ist, kann die vorliegende Frage nicht als zulässig angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. September 2018, Fremoluc, C-343/17, EU:C:2018:754, Rn. 33, vom 14. November 2018, Memoria und Dall’Antonia, C-342/17, EU:C:2018:906, Rn. 21, sowie vom 24. Oktober 2019, Belgische Staat, C-469/18 und C-470/18, EU:C:2019:895, Rn. 26).
Nach alledem ist festzustellen, dass die zweite Frage unzulässig ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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