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EuGH 02.09.2021 - C-854/19
EuGH 02.09.2021 - C-854/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer) - 2. September 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektronische Kommunikation – Verordnung (EU) 2015/2120 – Art. 3 – Zugang zum offenen Internet – Art. 3 Abs. 1 – Rechte der Endnutzer – Art. 3 Abs. 2 – Verbot von Vereinbarungen oder einer Geschäftspraxis, die die Ausübung der Rechte der Endnutzer einschränken – Art. 3 Abs. 3 – Pflicht, den Verkehr gleich und ohne Diskriminierung zu behandeln – Möglichkeit, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden – Zusätzliche Tarifoption zum sogenannten ‚Nulltarif‘ – Ausschluss des ‚Nulltarifs‘ bei Roaming“
Leitsatz
In der Rechtssache C-854/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. November 2019, in dem Verfahren
Vodafone GmbH
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl (Berichterstatter) sowie der Richter F. Biltgen und J. Passer,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Vodafone GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin D. Herrmann,
der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, vertreten durch C. Mögelin und F. Still als Bevollmächtigte,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Scharf, G. Braun und L. Nicolae als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6a und 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. 2012, L 172, S. 10) in der durch die Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 (ABl. 2015, L 310, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Roamingverordnung) sowie von Art. 2 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/2286 der Kommission vom 15. Dezember 2016 zur Festlegung detaillierter Vorschriften über die Anwendung der Regelung der angemessenen Nutzung und über die Methode zur Prüfung der Tragfähigkeit der Abschaffung der Endkundenroamingaufschläge sowie über den von Roaminganbietern für diese Prüfung zu stellenden Antrag (ABl. 2016, L 344, S. 46, im Folgenden: Durchführungsverordnung).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vodafone GmbH und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Deutschland) (im Folgenden: Bundesnetzagentur) wegen eines Bescheids, mit dem die Bundesnetzagentur Vodafone aufgab, einige ihrer Internetzugangsdienste einzustellen.
Rechtlicher Rahmen
In den Erwägungsgründen 6, 8 und 9 der Verordnung 2015/2120 heißt es:
Endnutzer sollten das Recht haben, über ihren Internetzugangsdienst ohne Diskriminierung Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten und Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen. …
…
Bei der Bereitstellung der Internetzugangsdienste sollten Anbieter dieser Dienste den gesamten Datenverkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, ungeachtet des Senders, des Empfängers, des Inhalts, der Anwendung, des Dienstes oder des Endgeräts, gleich behandeln. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und der ständigen Rechtsprechung sollten vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt.
Ziel eines angemessenen Verkehrsmanagements ist es, zu einer effizienten Nutzung der Netzressourcen und zur Optimierung der Gesamtübermittlungsqualität entsprechend den objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien und somit den übermittelten Inhalten, Anwendungen und Diensten beizutragen. Von den Internetzugangsanbietern angewandte angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen sollten transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein, und sie sollten nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen. Die Anforderung, dass Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht diskriminierend sein dürfen, schließt nicht aus, dass die Internetzugangsanbieter zur Optimierung der Gesamtübermittlungsqualität Verkehrsmanagementmaßnahmen anwenden, bei denen zwischen objektiv verschiedenen Verkehrskategorien unterschieden wird. Um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren, sollte jede derartige Differenzierung nur auf der Grundlage objektiv verschiedener Anforderungen an die technische Qualität der Dienste (beispielsweise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungsschwankung, Paketverlust und Bandbreite) bei bestimmten Verkehrskategorien, nicht aber auf Grundlage kommerzieller Erwägungen zulässig sein. Derartige differenzierende Maßnahmen sollten in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Optimierung der Gesamtqualität stehen und gleichartigen Verkehr gleich behandeln. Derartige Maßnahmen sollten nicht länger als erforderlich beibehalten werden.“
Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) der Verordnung 2015/2120 sieht in Abs. 1 vor:
„In dieser Verordnung werden gemeinsame Regeln zur Wahrung der gleichberechtigten und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und der damit verbundenen Rechte der Endnutzer festgelegt.“
Art. 3 („Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet“) der Verordnung 2015/2120 bestimmt in den Abs. 1 bis 3:
„(1) Endnutzer haben das Recht, über ihren Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.
…
(2) Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern über die gewerblichen und technischen Bedingungen und die Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit sowie die Geschäftspraxis der Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Absatz 1 nicht einschränken.
(3) Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten.
Unterabsatz 1 hindert die Anbieter von Internetzugangsdiensten nicht daran, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden. Damit derartige Maßnahmen als angemessen gelten, müssen sie transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein und dürfen nicht auf kommerziellen Erwägungen, sondern auf objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien beruhen. Mit diesen Maßnahmen darf nicht der konkrete Inhalt überwacht werden, und sie dürfen nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden.
Anbieter von Internetzugangsdiensten wenden keine Verkehrsmanagementmaßnahmen an, die über die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 2 hinausgehen; insbesondere dürfen sie nicht bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste – oder bestimmte Kategorien von diesen – blockieren, verlangsamen, verändern, einschränken, stören, verschlechtern oder diskriminieren, außer soweit und solange es erforderlich ist, um
Gesetzgebungsakten der Union oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften, denen der Internetzugangsanbieter unterliegt, oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden Maßnahmen zur Umsetzung dieser Gesetzgebungsakte der Union oder dieser nationalen Rechtsvorschriften zu entsprechen, einschließlich Verfügungen von Gerichten oder Behörden, die über die entsprechenden Befugnisse verfügen;
die Integrität und Sicherheit des Netzes, der über dieses Netz erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren;
eine drohende Netzüberlastung zu verhindern oder die Auswirkungen einer außergewöhnlichen oder vorübergehenden Netzüberlastung abzumildern, sofern gleichwertige Verkehrsarten gleich behandelt werden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Vodafone ist ein im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien tätiges Unternehmen.
Die Kunden dieses Unternehmens können zum Basistarif kostenlose, „Vodafone Pass“ genannte Tarifoptionen („Video Pass“, „Music Pass“, „Chat Pass“ und „Social Pass“) zum sogenannten „Nulltarif“ hinzubuchen. Diese Tarifoptionen ermöglichen es, Dienste von Partnerunternehmen von Vodafone zu nutzen, ohne dass das durch die Inanspruchnahme dieser Dienste verbrauchte Datenvolumen auf das Datenvolumen des Basistarifs angerechnet wird. Die nach Verbrauch des Inklusivdatenvolumens vorgesehene Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit erstreckt sich allerdings auch auf die Nutzung der Dienste der Partnerunternehmen. Der erste gewählte Vodafone Pass ist im Basistarif bereits enthalten. Weitere Tarifoptionen können von den Kunden gegen ein zusätzliches Entgelt hinzugebucht werden.
Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten diese Tarifoptionen nur im Inland. Im Ausland wird das für die Nutzung der Dienste von Partnerunternehmen verbrauchte Datenvolumen auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs angerechnet. Vodafone behält sich das Recht vor, die Tarifoptionen künftig auch in den anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Für diesen Fall soll eine „Fair Use Policy“ mit einer maximal möglichen Nutzung der Tarifoptionen in diesen Staaten von 5 GB Datenvolumen pro Tarifoption und Monat gelten.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2018 stellte die Bundesnetzagentur zum einen fest, dass die Anrechnung des Mobildatenvolumens für die Nutzung eines „Vodafone Pass“ im Ausland auf den Basistarif gegen Art. 6a in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. r der Roamingverordnung verstoße. Zum anderen verstoße die Nutzungsgrenze von 5 GB im Ausland gegen Art. 6b Abs. 1 der Roamingverordnung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 der Durchführungsverordnung. Daher wurde Vodafone von der Bundesnetzagentur untersagt, die betreffenden Tarifoptionen zu verwenden, soweit sie gegen diese Bestimmungen verstießen.
Am 9. Juli 2018 legte Vodafone gegen den Bescheid vom 15. Juni 2018 Widerspruch ein, der von der Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 23. November 2018 zurückgewiesen wurde.
Am 11. Dezember 2018 erhob Vodafone gegen den letztgenannten Bescheid Klage beim vorlegenden Gericht. Sie stützt ihre Klage im Wesentlichen darauf, dass die Tarifoptionen ein eigenständiger Datenkommunikationsdienst seien und kein Bestandteil eines einheitlichen regulierten Datenroamingdienstes im Sinne von Art. 6a der Roamingverordnung. Zudem handele es sich bei den Tarifoptionen um „Add-Ons“; sie stellten offene Datenpakete im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung dar.
Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob das betreffende Unternehmen in diesem Fall gegen die Art. 6a und 6b der Roamingverordnung in Verbindung mit ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. m sowie gegen Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Durchführungsverordnung verstößt.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Köln (Deutschland), das eine Auslegung des Unionsrechts für erforderlich hält, um über den Ausgangsrechtsstreit entscheiden zu können, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
-
Ist der Begriff des regulierten Datenroamingdienstes im Sinne von Art. 6a in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. m der Roamingverordnung in einem Fall, in dem ein Mobilfunktarif, der von den Kunden im Ausland genutzt werden kann und der für den mobilen Datenverkehr ein monatliches Inklusivdatenvolumen vorsieht, nach dessen Verbrauch eine Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit erfolgt, um eine kostenlose Tarifoption erweitert werden kann, aufgrund deren im Inland bestimmte Dienste von Partnerunternehmen des Telekommunikationsunternehmens genutzt werden können, ohne dass das durch die Nutzung dieser Dienste verbrauchte Datenvolumen auf das monatliche Inklusivdatenvolumen des Mobilfunktarifs angerechnet wird, während im Ausland eine Anrechnung des betreffenden Datenvolumens auf das monatliche Inklusivdatenvolumen des Mobilfunktarifs erfolgt, dahin gehend zu verstehen, dass Mobilfunktarif und Tarifoption gemeinsam als einheitlicher regulierter Datenroamingdienst mit der Folge zu qualifizieren sind, dass eine Nichtanrechnung des durch die Nutzung der Dienste von Partnerunternehmen verbrauchten Datenvolumens auf das monatliche Inklusivdatenvolumen lediglich im Inland unzulässig ist?
Falls Frage 1. a) zu bejahen ist: Ist Art. 6a der Roamingverordnung in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dahin gehend auszulegen, dass die Anrechnung des durch die Nutzung der Dienste von Partnerunternehmen verbrauchten Datenvolumens auf das monatliche Inklusivdatenvolumen des Mobilfunktarifs im Ausland als Berechnung eines zusätzlichen Entgelts zu qualifizieren ist?
Falls Frage 1. a) und Frage 1. b) zu bejahen sind: Gilt dies auch, wenn in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden für die Tarifoption ein Entgelt verlangt wird?
-
Falls Frage 1. a) zu bejahen ist: Ist Art. 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Roamingverordnung in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dahin gehend auszulegen, dass eine Regelung der angemessenen Nutzung („Fair Use Policy“) für die Inanspruchnahme regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene auch für die Tarifoption als solche vorgesehen werden kann?
Falls Frage 1. a) zu bejahen und Frage 2. a) zu verneinen ist: Ist Art. 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Roamingverordnung in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dahin gehend zu verstehen, dass eine gemeinsame Regelung der angemessenen Nutzung („Fair Use Policy“) für die Inanspruchnahme regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene sowohl für den Mobilfunktarif als auch die Tarifoption mit der Folge vorgesehen werden kann, dass der inländische Endkundengesamtpreis des Mobilfunktarifs beziehungsweise die Summe der inländischen Endkundengesamtpreise des Mobilfunktarifs und der Tarifoption der Bemessung des im Rahmen einer gemeinsamen „Fair Use Policy“ bereitzustellenden Datenvolumens zugrunde zu legen ist?
Falls Frage 1. a) zu bejahen ist und Frage 2. a) und Frage 2. b) zu verneinen sind: Ist Art. 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Roamingverordnung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dergestalt analog anwendbar, dass eine Regelung der angemessenen Nutzung („Fair Use Policy“) für die Tarifoption als solche vorgesehen werden kann?
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Falls Frage 2. a) oder c) zu bejahen ist: Ist der Begriff des offenen Datenpakets im Sinne von Art. 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Roamingverordnung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Durchführungsverordnung dahin gehend auszulegen, dass eine Tarifoption, für die ein Entgelt verlangt wird, für sich genommen als offenes Datenpaket zu qualifizieren ist?
Falls Frage 3. a) zu bejahen ist: Gilt dies auch in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wenn für die Tarifoption kein Entgelt verlangt wird?
Falls Frage 2. a) oder c) zu bejahen ist und Frage 3. a) oder b) zu verneinen ist: Ist in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art. 6b Abs. 1 Unterabs. 1 der Roamingverordnung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung dahin gehend auszulegen, dass der inländische Endkundengesamtpreis des Mobilfunktarifs zur Bemessung auch desjenigen Volumens heranzuziehen ist, das dem Roamingkunden im Rahmen einer isoliert auf die Tarifoption als solche bezogenen „Fair Use Policy“ bereitgestellt werden muss?
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Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 6a und 6b der Roamingverordnung in Verbindung mit deren Art. 2 Abs. 2 Buchst. m sowie Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Durchführungsverordnung dahin auszulegen sind, dass sie einer Nutzungsbeschränkung beim Roaming aufgrund der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ entgegenstehen.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ um eine Geschäftspraxis handelt, mit der ein Anbieter von Internetzugangsdiensten einen „Nulltarif“ oder günstigeren Tarif für den gesamten Datenverkehr oder einen Teil davon in Verbindung mit einer bestimmten Anwendung oder einer bestimmten Kategorie von Anwendungen anwendet, die von den Partnern dieses Zugangsanbieters angeboten werden. Diese Daten werden daher nicht auf die im Rahmen des Basistarifs erworbene Datenmenge angerechnet. Eine solche Option, die im Rahmen beschränkter Tarife angeboten wird, ermöglicht es Internetzugangsanbietern damit, die Attraktivität ihres Angebots zu erhöhen.
Die dem Gerichtshof gestellten Fragen, die es dem vorlegenden Gericht ermöglichen sollen, sich zur Rechtmäßigkeit der Nutzungsbedingungen einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ zu äußern, beruhen mithin auf der Prämisse, dass eine solche Tarifoption ihrerseits mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 3 der Verordnung 2015/2120, mit dem der Gesetzgeber die Grundsätze der Offenheit und der Neutralität des Internets festschreiben wollte, vereinbar wäre.
Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2015/2120 in Verbindung mit ihrem sechsten Erwägungsgrund haben die Endnutzer nicht nur das Recht, Informationen und Inhalte abzurufen, Anwendungen und Dienste zu nutzen sowie Informationen und Inhalte zu verbreiten, sondern dürfen auch Anwendungen und Dienste bereitstellen.
Nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 dürfen Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern sowie die Geschäftspraxis dieser Anbieter die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Art. 3 Abs. 1 nicht einschränken.
Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 schreibt zunächst in Unterabs. 1 vor, dass Anbieter von Internetzugangsdiensten den gesamten Verkehr unabhängig von den genutzten Anwendungen oder Diensten gleich behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung.
Sodann bestimmt Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120, dass Unterabs. 1 die Anbieter von Internetzugangsdiensten nicht daran hindert, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden, und stellt klar, dass derartige Maßnahmen, um als angemessen zu gelten, erstens transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein müssen, dass sie zweitens nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen dürfen, sondern nur auf objektiven technischen Unterschieden zwischen bestimmten Datenverkehrskategorien, und dass mit ihnen drittens nicht der Inhalt überwacht werden darf und sie nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden dürfen.
Schließlich dürfen nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2015/2120 die Anbieter von Internetzugangsdiensten keine Verkehrsmanagementmaßnahmen anwenden, die über die Maßnahmen gemäß Unterabs. 2 hinausgehen; insbesondere dürfen sie nicht bestimmte Anwendungen, Kategorien von Anwendungen, Dienste oder Kategorien von Diensten blockieren, verlangsamen, verändern, einschränken, stören, verschlechtern oder diskriminieren, es sei denn, dies ist für gewisse Zeit erforderlich, um Gesetzgebungsakten der Union oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen zur Umsetzung dieser Gesetzgebungsakte der Union oder dieser nationalen Rechtsvorschriften zu entsprechen, um die Integrität und Sicherheit des Netzes, der darüber erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren oder um eine Netzüberlastung zu verhindern oder deren Auswirkungen abzumildern.
Diese verschiedenen Bestimmungen dienen, wie sich aus Art. 1 der Verordnung 2015/2120 ergibt, zur Wahrung der gleichberechtigten und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und der damit verbundenen Rechte der Endnutzer (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 23 bis 27).
Zum einen hat der Gerichtshof klargestellt, dass im Fall der Unvereinbarkeit des Verhaltens eines Anbieters von Internetzugangsdiensten mit Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 von der Prüfung abgesehen werden kann, ob dieses Verhalten mit den Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung im Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 28).
Folglich kann ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs nicht mit dem in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden.
Zum anderen hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 jeder der Pflicht zur Gleichbehandlung des Verkehrs zuwiderlaufenden Maßnahme entgegensteht, die auf kommerziellen Erwägungen beruht.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 im Licht ihres achten Erwägungsgrundes den Anbietern von Internetzugangsdiensten eine allgemeine Pflicht auferlegt, den gesamten Verkehr gleich zu behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung (siehe oben, Rn. 19); davon darf in keinem Fall durch die Geschäftspraxis der Anbieter oder in ihren mit Endnutzern geschlossenen Vereinbarungen abgewichen werden (Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 47).
Sodann ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120 im Licht ihres neunten Erwägungsgrundes, dass es den Anbietern von Internetzugangsdiensten, auch wenn sie diese allgemeine Pflicht beachten müssen, freisteht, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen zu erlassen. Diese Möglichkeit hängt jedoch u. a. davon ab, dass solche Maßnahmen auf „objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien“ beruhen und nicht auf „kommerziellen Erwägungen“. Auf solchen „kommerziellen Erwägungen“ beruht insbesondere jede Maßnahme eines Anbieters von Internetzugangsdiensten gegenüber einem Endnutzer, die, ohne auf derartige objektiv unterschiedliche Anforderungen gestützt zu sein, darauf hinausläuft, dass die von den verschiedenen Anbietern von Inhalten, Anwendungen oder Diensten angebotenen Inhalte, Anwendungen oder Dienste nicht gleich und ohne Diskriminierung behandelt werden (Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 48).
Eine Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nimmt jedoch auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vor, indem der Verkehr zu bestimmten Partneranwendungen nicht auf den Basistarif angerechnet wird. Eine solche Geschäftspraxis erfüllt daher nicht die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 genannte allgemeine Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln.
Dieser Verstoß, der sich aus dem Wesen einer solchen Tarifoption wegen des daraus resultierenden Anreizes ergibt, besteht unabhängig davon fort, ob die Möglichkeit besteht, nach der Ausschöpfung des Basistarifs die von den Partnern des Internetzugangsanbieters bereitgestellten Inhalte frei abzurufen.
Im Übrigen ist es unerheblich, ob eine solche Option auf eine Vereinbarung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 zurückgeht (siehe oben, Rn. 24) oder ob sie eine tatsächliche Nachfrage des Kunden oder des Anbieters von Inhalten befriedigen soll.
Schließlich können die für Managementmaßnahmen vorgesehenen Ausnahmen nicht berücksichtigt werden, da solche Maßnahmen nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120 nicht auf kommerziellen Strategien des Anbieters von Internetzugangsdiensten beruhen dürfen.
Aus den vom vorlegenden Gericht übermittelten Informationen geht hervor, dass die Nutzungsbeschränkung der Tarifoption bei Roaming, auf die sich alle Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen, allein wegen der Aktivierung der Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ Anwendung findet.
Da eine solche Tarifoption gegen die Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 verstößt, ist sie aber unabhängig von der Form oder der Art der mit den angebotenen Tarifoptionen verbundenen Nutzungsbedingungen – wie der im Ausgangsrechtsstreit bestehenden Nutzungsbeschränkung der Tarifoption im Ausland – unzulässig.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 der Verordnung 2015/2120 dahin auszulegen ist, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ beruhende Nutzungsbeschränkung beim Roaming mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union ist dahin auszulegen, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif “ beruhende Nutzungsbeschränkung beim Roaming mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Wahl
Biltgen
Passer
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. September 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Achten Kammer
N. Wahl
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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