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EuGH 06.11.2018 - C-619/16
EuGH 06.11.2018 - C-619/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 6. November 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Arbeitszeitgestaltung – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 7 – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – Nationale Regelung, die den Verlust des nicht genommenen Jahresurlaubs und der finanziellen Vergütung für diesen Urlaub vorsieht, wenn der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaubsantrag gestellt hat“
Leitsatz
In der Rechtssache C-619/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. September 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 29. November 2016, in dem Verfahren
Sebastian W. Kreuziger
gegen
Land Berlin
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, T. von Danwitz und F. Biltgen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, E. Levits, L. Bay Larsen und S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Kreuziger,
des Landes Berlin, vertreten durch B. Pickel und S. Schwerdtfeger als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwältin L. von Laffert,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Di Matteo, avvocato dello Stato,
der ungarischen Regierung, vertreten durch E. Sebestyén und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und T. S. Bohr als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Mai 2018
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Sebastian W. Kreuziger und seinem früheren Arbeitgeber, dem Land Berlin (Deutschland), über dessen Weigerung, Herrn Kreuziger eine finanzielle Vergütung für den vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 4 und 5 der Richtlinie 2003/88 heißt es:
Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.
Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. Der Begriff ‚Ruhezeit‘ muss in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, d. h. in Tagen, Stunden und/oder Teilen davon. Arbeitnehmern in der [Union] müssen Mindestruhezeiten – je Tag, Woche und Jahr – sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden. …“
Art. 7 („Jahresurlaub“) dieser Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“
Nach Art. 17 der Richtlinie 2003/88 können die Mitgliedstaaten von bestimmten Vorschriften dieser Richtlinie abweichen. Eine Abweichung von Art. 7 der Richtlinie ist jedoch nicht zulässig.
Deutsches Recht
§ 9 der Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter vom 26. April 1988 (GVBl. 1988, S. 846, im Folgenden: EUrlVO) bestimmt:
„(1) Der Beamte soll den ihm zustehenden Erholungsurlaub möglichst zusammenhängend nehmen. Der Urlaub ist auf Wunsch geteilt zu gewähren; jedoch ist im Allgemeinen die Teilung in mehr als zwei Abschnitte zu vermeiden. Wird der Urlaub geteilt, so soll der Beamte mindestens für zwei Wochen zusammenhängend beurlaubt sein.
(2) Der Urlaub soll grundsätzlich im Urlaubsjahr abgewickelt werden. Urlaub, der nicht innerhalb von zwölf Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres genommen worden ist, verfällt. …“
Die EUrlVO enthält keine Vorschrift über die Gewährung einer finanziellen Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
§ 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) in der Fassung vom 7. Mai 2002 (BGBl. 2002 I S. 1529) (im Folgenden: BUrlG) sieht vor:
„Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr Kreuziger absolvierte vom 13. Mai 2008 bis 28. Mai 2010 als Rechtsreferendar beim Land Berlin seinen juristischen Vorbereitungsdienst in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis, jedoch außerhalb des Beamtenverhältnisses. Mit der erfolgreichen Ablegung seiner mündlichen Prüfung für das Zweite Staatsexamen am 28. Mai 2010 endeten der Vorbereitungsdienst und das Ausbildungsverhältnis beim Land Berlin.
Herr Kreuziger entschied sich dafür, in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zur Beendigung seiner Ausbildung keinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch zu nehmen. Am 18. Dezember 2010 beantragte er, ihm für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub eine finanzielle Abgeltung zu gewähren. Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts (Deutschland) vom 7. Januar 2011 und sodann nach Einlegung eines Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts der Länder Berlin und Brandenburg (Deutschland) vom 4. Mai 2011 abgelehnt, da die EUrlVO einen solchen Abgeltungsanspruch nicht vorsehe, die Richtlinie 2003/88 nur für Arbeitnehmer gelte und deren Art. 7 Abs. 2 für die finanzielle Vergütung jedenfalls voraussetze, dass der Urlaub aus vom Arbeitnehmer nicht zu vertretenden Gründen nicht habe in Anspruch genommen werden können.
Die von Herrn Kreuziger beim Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) erhobene Klage auf Aufhebung dieser Bescheide wurde mit Urteil vom 3. Mai 2013 abgewiesen. In diesem Urteil wies auch das Verwaltungsgericht darauf hin, dass die EUrlVO keinen Anspruch auf finanzielle Abgeltung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs vorsehe. Obwohl Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 unmittelbare Wirkung habe, verleihe auch er Herrn Kreuziger keinen solchen Anspruch, da dieser voraussetze, dass der Arbeitnehmer aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Anspruch auf Jahresurlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.
Der Arbeitnehmer sei nach § 9 EUrlVO verpflichtet, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen und zu beantragen. Eine solche nationale Regelung sehe Modalitäten für die Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub vor und sei daher mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 vereinbar. Da Herr Kreuziger freiwillig davon abgesehen habe, einen Urlaubsantrag zu stellen, obwohl für ihn absehbar gewesen sei, dass sein Arbeitsverhältnis am 28. Mai 2010 enden werde, sei sein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit diesem Tag verfallen.
Herr Kreuziger legte gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht, dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland), ein. Das Oberverwaltungsgericht hebt seinerseits hervor, dass sich der EUrlVO keine Regelung entnehmen lasse, die einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zugunsten von Herrn Kreuziger begründen könne, so dass ein solcher Anspruch allenfalls aus der unmittelbaren Wirkung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 wegen unterbliebener Umsetzung dieser Bestimmung in das nationale Recht herrühren könne.
Zur unmittelbaren Wirkung führt das vorlegende Gericht aus, Herr Kreuziger falle als Rechtsreferendar in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88.
Er erfülle auch die in Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie ausdrücklich bezeichneten Voraussetzungen. Im Zeitpunkt der Geltendmachung der finanziellen Abgeltung sei sein Arbeitsverhältnis nämlich beendet gewesen und er habe bis zur Beendigung nicht den gesamten Jahresurlaub genommen, auf den er Anspruch gehabt habe.
Es sei jedoch nicht hinreichend klar, ob der Anspruch auf finanzielle Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub über diese beiden ausdrücklichen Voraussetzungen hinaus, wie dies das Verwaltungsgericht Berlin entschieden habe, ausgeschlossen sei, wenn der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaubsantrag gestellt habe, obwohl ihm dies möglich gewesen sei, und ob ein solcher Anspruch allgemein voraussetze, dass der Arbeitnehmer aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.
Unter diesen Umständen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf finanzielle Abgeltung bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer keinen Antrag auf Gewährung des bezahlten Jahresurlaubs gestellt hat, obwohl ihm dies möglich war?
Ist Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf finanzielle Abgeltung bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses voraussetzt, dass der Arbeitnehmer aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
In der Vorlageentscheidung ist ausgeführt, dass die auf das Ausgangsverfahren anwendbare nationale Regelung keine Vorschrift enthalte, die vorsehe, dass Rechtsreferendaren eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gewährt werde. Die Vorschrift des BUrlG, die eine solche Vergütung vorsehe, sei auf sie nicht anwendbar.
Daher könne dem Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens auf Gewährung einer solchen Vergütung nur stattgegeben werden, wenn sich ein entsprechender Anspruch für ihn unmittelbar aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ergebe.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich der Einzelne nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem kann der Einzelne, wenn er sich dem Staat gegenüber auf eine Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun, ob der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aufgrund dieser Erwägungen hat der Gerichtshof anerkannt, dass sich der Einzelne auf nicht von Bedingungen abhängige und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber einem Mitgliedstaat sowie u. a. allen Trägern seiner Verwaltung einschließlich der dezentralisierten Behörden berufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Smith, C-122/17, EU:C:2018:631, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 für die Entstehung des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung auf als diejenige, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus der Richtlinie und kann nicht von anderen Voraussetzungen als den in ihr ausdrücklich vorgesehenen abhängen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 23 und 28, sowie vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 27). Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 erfüllt daher die Kriterien der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit und damit die für eine unmittelbare Wirkung erforderlichen Voraussetzungen.
Im vorliegenden Fall kann daher der Umstand, dass das anwendbare nationale Recht keine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Rechtsreferendaren nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub vorsieht, für sich allein kein Hindernis dafür darstellen, dass Herr Kreuziger unmittelbar auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 eine solche Vergütung von seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Land Berlin, bei dem es sich um einen Hoheitsträger handelt, erhält. Sofern Herr Kreuziger nachweislich die Anforderungen aus dieser Bestimmung erfüllt, sind die nationalen Gerichte demnach verpflichtet, die nationalen Regelungen oder Gepflogenheiten unangewendet zu lassen, die der Gewährung einer solchen Vergütung entgegenstehen.
Zur ersten Frage
Zur ersten Frage ist zunächst festzustellen, dass das vorlegende Gericht darin zwar nicht die nationalen Rechtsvorschriften nennt, um die es hier gehen soll, den Angaben in der Vorlageentscheidung jedoch entnommen werden kann, dass es sich um § 9 EUrlVO handelt.
Obwohl sich nämlich das vorlegende Gericht nicht zur Tragweite von § 9 EUrlVO im Kontext des Ausgangsverfahrens äußert, verweist es, wie aus Rn. 12 des vorliegenden Urteils hervorgeht, auf die Aussage des Verwaltungsgerichts Berlin in dem Urteil, gegen das beim vorlegenden Gericht Berufung eingelegt worden ist, wonach § 9 EUrlVO den Arbeitnehmer verpflichte, einen Urlaubsantrag zu stellen. Das Verwaltungsgericht Berlin ist der Auffassung, dass Herr Kreuziger dieser Verpflichtung, die mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 vereinbar sei, nicht nachgekommen sei, so dass sein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen sei.
Wie sich aus Rn. 16 des vorliegenden Urteils ergibt, führt das vorlegende Gericht weiter aus, dass es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuche, weil es Zweifel habe, ob diese Auslegung des Verwaltungsgerichts Berlin mit der Richtlinie 2003/88 vereinbar sei.
Unter diesen Umständen ist die erste Frage dahin zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie § 9 EUrlVO entgegensteht, sofern sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer, der vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, die ihm nach dem Unionsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub automatisch verliert.
Insoweit ist zunächst zu beachten, dass das Recht jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich gezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union hat zudem nicht nur besondere Bedeutung, sondern ist auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt (Urteil vom 30. Juni 2016, Sobczyszyn, C-178/15, EU:C:2016:502, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da es im Ausgangsverfahren um die Verweigerung einer finanziellen Vergütung für bezahlten Jahresurlaub geht, der bei Beendigung des zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens früher bestehenden Arbeitsverhältnisses noch nicht genommen worden war, ist darauf hinzuweisen, dass die tatsächliche Inanspruchnahme des dem Arbeitnehmer zustehenden bezahlten Jahresurlaubs, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist, nicht mehr möglich ist. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird, sieht Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie in Rn. 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung aufstellt als diejenige, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte.
Insoweit geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er sich z. B. während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befand (Urteile vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 62, vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 31, sowie vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914, Rn. 65).
Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und damit auch der Anspruch auf die in Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene finanzielle Vergütung durch den Tod des Arbeitnehmers untergehen können. Dabei hat der Gerichtshof insbesondere betont, dass, wenn die Pflicht zur Auszahlung einer solchen Vergütung wegen der durch den Tod des Arbeitnehmers bedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlöschen würde, dieser Umstand zur Folge hätte, dass ein unwägbares Vorkommnis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub selbst, wie er in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankert ist, führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 25, 26 und 30).
In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass nach den Angaben in der Vorlageentscheidung und wie in den Rn. 25 bis 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt die Weigerung des früheren Arbeitgebers von Herrn Kreuziger, ihm eine finanzielle Vergütung für den vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen, u. a. auf eine nationale Regelung, im vorliegenden Fall § 9 EUrlVO, gestützt ist, auf deren Grundlage dieser Urlaubsanspruch grundsätzlich nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als solcher untergegangen ist, sondern aufgrund der Tatsache, dass Herr Kreuziger während des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Inanspruchnahme des Urlaubs gestellt hat.
Im vorliegenden Fall stellt sich somit im Wesentlichen die Frage, ob Herr Kreuziger vor dem Hintergrund der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung bei Beendigung des im Ausgangsverfahren fraglichen Arbeitsverhältnisses noch Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hatte, der sich wegen der Beendigung in eine finanzielle Vergütung umwandeln konnte.
Diese Frage betrifft demnach in erster Linie die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und geht dahin, ob er es ausschließt, dass der Anspruch, den er verbürgt, im Fall nicht genommenen Urlaubs automatisch erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung dieses Anspruchs gestellt hat.
Hierzu ist erstens festzustellen, dass aus der in den Rn. 30 bis 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht abgeleitet werden kann, Art. 7 der Richtlinie 2003/88 wäre dahin auszulegen, dass der Anspruch nach Abs. 1 und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der Anspruch auf die Vergütung, die gemäß Abs. 2 an seine Stelle treten kann, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat.
Zweitens darf zwar nach ständiger Rechtsprechung Art. 7 der Richtlinie 2003/88, um sicherzustellen, dass das im Unionsrecht verankerte Grundrecht des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub beachtet wird, nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es ist jedoch ebenfalls zu beachten, dass das in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie vorgeschriebene Urlaubsentgelt es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, den Urlaub, auf den er Anspruch hat, tatsächlich zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 49).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub nämlich der Zweck verfolgt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Wahrnehmung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (Urteil vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Indem Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vorsieht, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf, soll im Übrigen insbesondere gewährleistet werden, dass der Arbeitnehmer über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen kann, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Drittens ist es, wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, Sache der Mitgliedstaaten, in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Wahrnehmung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen und dabei die konkreten Umstände zu bezeichnen, unter denen die Arbeitnehmer diesen Anspruch geltend machen können (Urteil vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dies hat der Gerichtshof u. a. dahin präzisiert, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 grundsätzlich einer nationalen Regelung, die für die Wahrnehmung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen, nicht entgegensteht, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen (Urteil vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 43).
Eine nationale Regelung wie § 9 EUrlVO fällt in den Bereich der Modalitäten für die Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs.
Eine Regelung solcher Art gehört zu den auf die Festlegung des Urlaubs der Arbeitnehmer anwendbaren Bestimmungen und Verfahren des nationalen Rechts, die zum Ziel haben, den verschiedenen widerstreitenden Interessen Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Vicente Pereda, C-277/08, EU:C:2009:542, Rn. 22).
Wie aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist jedoch dafür Sorge zu tragen, dass die Anwendung solcher nationalen Bestimmungen nicht zum Erlöschen der vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub führen kann, wenn es ihm tatsächlich nicht möglich war, diese Ansprüche wahrzunehmen.
Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass § 9 EUrlVO vom Verwaltungsgericht Berlin offenbar dahin ausgelegt wird, dass, wenn ein Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines bezahlten Jahresurlaubs gestellt hat, dies automatisch dazu führt, dass der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaubsanspruch und entsprechend seinen Anspruch auf eine Vergütung für diesen nicht genommenen Urlaub verliert.
Wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, werden mit einem solchen automatischen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der keine vorherige Prüfung voraussetzt, ob der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen, die in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten Grenzen verkannt, die von den Mitgliedstaaten zwingend einzuhalten sind, wenn sie die Modalitäten für die Wahrnehmung dieses Anspruchs im Einzelnen festlegen.
Der Arbeitnehmer ist nämlich als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann. Aufgrund dieser schwächeren Position kann der Arbeitnehmer davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2010, Fuß, C-429/09, EU:C:2010:717, Rn. 80 und 81 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Zudem ist die Schaffung eines Anreizes, auf den Erholungsurlaub zu verzichten oder die Arbeitnehmer dazu anzuhalten, darauf zu verzichten, mit den in den Rn. 39 und 40 des vorliegenden Urteils genannten Zielen unvereinbar, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgt werden und u. a. darin bestehen, zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. April 2006, Federatie Nederlandse Vakbeweging, C-124/05, EU:C:2006:244, Rn. 32). Demnach verstößt auch jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel (Urteil vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Unter diesen Umständen ist eine Situation zu vermeiden, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber damit die Möglichkeit erhielte, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seiner eigenen Pflichten zu entziehen.
Zwar kann die Beachtung der Verpflichtung des Arbeitgebers aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht so weit gehen, von diesem zu verlangen, dass er seine Arbeitnehmer zwingt, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, EU:C:2006:526, Rn. 43). Er muss den Arbeitnehmer jedoch in die Lage versetzen, einen solchen Anspruch wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914, Rn. 63).
Wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 43 bis 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Arbeitgeber in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub und angesichts des Erfordernisses, die praktische Wirksamkeit von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zu gewährleisten, u. a. verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird.
Die Beweislast trägt insoweit der Arbeitgeber (vgl. entsprechend Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 68). Kann er nicht nachweisen, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, verstieße das Erlöschen des Urlaubsanspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Art. 7 Abs. 1 und gegen Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88.
Ist der Arbeitgeber hingegen in der Lage, den ihm insoweit obliegenden Beweis zu erbringen, und zeigt sich daher, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, steht Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88 dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 52 und 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und aus Rn. 49 des vorliegenden Urteils hervorgeht, wäre jede Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88, die den Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken in den betreffenden Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeiträumen keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, sofern sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer, der vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, die ihm nach dem Unionsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.
Zur zweiten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu prüfen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, sofern sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer, der vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, die ihm nach dem Unionsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.
Lenaerts
Bonichot
Prechal
Vilaras
von Danwitz
Biltgen
Jürimäe
Lycourgos
Ilešič
Malenovský
Levits
Bay Larsen
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. November 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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