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EuGH 20.12.2017 - C-462/16
EuGH 20.12.2017 - C-462/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 20. Dezember 2017 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 90 Abs. 1 – Preisnachlass unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen – Minderung der Steuerbemessungsgrundlage – Im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400), aufgestellte Grundsätze – Den Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährte Abschläge“
Leitsatz
In der Rechtssache C-462/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 17. August 2016, in dem Verfahren
Finanzamt Bingen-Alzey
gegen
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, vertreten durch A. Funke, Steuerberater, und Rechtsanwalt H.-H. von Cölln,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Robertson als Bevollmächtigten im Beistand von P. Mantle, Barrister,
der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2017
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Bingen-Alzey (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) und dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG über die Festsetzung des von diesem Unternehmen für das Steuerjahr 2011 geschuldeten Umsatzsteuerbetrags.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
In Art. 78 dieser Richtlinie heißt es:
„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:
Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;
…“
Art. 79 der Richtlinie bestimmt:
„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente nicht einzubeziehen:
Preisnachlässe durch Skonto für Vorauszahlungen;
Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird;
Beträge, die ein Steuerpflichtiger vom Erwerber oder vom Dienstleistungsempfänger als Erstattung der in ihrem Namen und für ihre Rechnung verauslagten Beträge erhält und die in seiner Buchführung als durchlaufende Posten behandelt sind.
Der Steuerpflichtige muss den tatsächlichen Betrag der in Absatz 1 Buchstabe c genannten Auslagen nachweisen und darf die Mehrwertsteuer, die auf diese Auslagen gegebenenfalls erhoben worden ist, nicht als Vorsteuer abziehen.“
Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
Deutsches Recht
§ 10 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) bestimmt:
„Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) und bei dem innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. …“
In § 17 („Änderung der Bemessungsgrundlage“) Abs. 1 UStG heißt es:
„Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. …“
Zum Krankenversicherungsschutz über die gesetzlichen Krankenkassen sieht § 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in seiner am 22. Dezember 2010 geänderten Fassung (BGBl. 2010 I S. 2309) vor:
„(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.
(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen können auf Antrag auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erbracht werden; § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches in Verbindung mit der Budgetverordnung und § 159 des Neunten Buches finden Anwendung. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.“
§ 130a Abs. 1 SGB V bestimmt:
„Die Krankenkassen erhalten von Apotheken für ab dem 1. Januar 2003 zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von 6 vom Hundert des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. Soweit pharmazeutische Großhändler nach Absatz 5 bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten. Der Abschlag ist den Apotheken und pharmazeutischen Großhändlern innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruches zu erstatten. …“
In Bezug auf privat Krankenversicherte sieht § 192 („Vertragstypische Leistungen des Versicherers“) des Versicherungsvertragsgesetzes in seiner am 23. November 2007 geänderten Fassung (BGBl. 2007 I S. 2631) vor:
„(1) Bei der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherer verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen und für sonstige vereinbarte Leistungen einschließlich solcher bei Schwangerschaft und Entbindung sowie für ambulante Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen zu erstatten.
…“
Für Personen mit beamtenrechtlichem Krankheitskostenerstattungsanspruch bestimmt § 80 („Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen“) des Bundesbeamtengesetzes in seiner am 14. November 2011 geänderten Fassung (BGBl. 2011 I S. 2219):
„(1) Beihilfe erhalten:
1. Beamtinnen und Beamte, die Anspruch auf Besoldung haben oder Elternzeit in Anspruch nehmen,
…
(2) Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen
1. in Krankheits- und Pflegefällen,
…
Beihilfe wird als mindestens 50-prozentige Erstattung der beihilfefähigen Aufwendungen gewährt. …
…“
§ 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel in seiner am 22. Dezember 2010 geänderten Fassung (BGBl. 2010 I S. 2262) lautet:
„Die pharmazeutischen Unternehmer haben den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trägern der [entsprechenden Kosten] nach beamtenrechtlichen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Absatz 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren. …“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Boehringer Ingelheim Pharma stellt Arzneimittel her und liefert sie steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken.
Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geben die Apotheken die Arzneimittel an die Versicherten aufgrund eines Rahmenvertrags mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Boehringer Ingelheim Pharma als pharmazeutisches Unternehmen muss den Apotheken – oder bei Einschaltung von Großhändlern diesen – den Abschlag erstatten. Die Finanzverwaltung behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung.
Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken dagegen aufgrund von Einzelverträgen an diese Personen ab. Das Unternehmen der privaten Krankenversicherung ist nicht Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattet seinen Versicherten lediglich auf Antrag die ihnen entstandenen Kosten. In diesem Fall muss Boehringer Ingelheim Pharma dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an.
Im Jahr 2012 gab Boehringer Ingelheim Pharma eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Steuerjahr 2011 ab, in der u. a. die steuerpflichtigen Umsätze mit ihren Bemessungsgrundlagen ausgewiesen waren.
In dieser Erklärung berichtigte Boehringer Ingelheim Pharma hinsichtlich der Umsätze mit Arzneimitteln, die von privat Krankenversicherten erstanden worden waren, die Steuerbemessungsgrundlage durch Abzug der von ihr zu gewährenden Erstattungen.
Das Finanzamt sah in Bezug auf die Erstattungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung keinen Grund für eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage von Boehringer Ingelheim Pharma. Es setzte daher die Umsatzsteuer nach Maßgabe der nicht verminderten Bemessungsgrundlage fest.
Gegen den Bescheid des Finanzamts erhob Boehringer Ingelheim Pharma Klage beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz (Deutschland), soweit die Erstattungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung betroffen waren.
Sie brachte vor, dass die gesetzliche Krankenkasse oder das Unternehmen der privaten Krankenversicherung am Ende der Umsatzkette stünden, so dass in beiden Fällen die Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern sei. Es komme nicht darauf an, ob Erstattungen oder Preisnachlässe gewährt worden seien, da umsatzsteuerrechtlich die gleiche Behandlung geboten sei.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz gab der Klage von Boehringer Ingelheim Pharma statt. Seiner Ansicht nach hatte das Finanzamt zu Unrecht zwischen den Preisnachlässen für die erstandenen Arzneimittel gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen und den Erstattungen beim Arzneimittelerwerb im Rahmen der privaten Krankenversicherung unterschieden.
Das Finanzamt legte beim Bundesfinanzhof (Deutschland) Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz ein.
Das vorlegende Gericht führt aus, dass, wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden sei, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bilde, dem Endverbraucher einen Preisnachlass gewähre, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs um diesen Nachlass vermindert werden müsse (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31, und vom 16. Januar 2014, Ibero Tours, C-300/12, EU:C:2014:8, Rn. 29).
Der Gerichtshof habe jedoch eine Minderung der Besteuerungsgrundlage abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewähre, die von dem Reiseveranstalter erbracht werde (Urteil vom 16. Januar 2014, Ibero Tours, C-300/12, EU:C:2014:8, Rn. 33). Der Gerichtshof habe dies in jenem Urteil damit begründet, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher stehe.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs versteht das vorlegende Gericht dahin, dass Preisnachlässe, die ein Unternehmen einem Dritten gewähre, der nicht vertraglich mit ihm verbunden sei, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die von dem Unternehmen ausgeführte Leistung nur dann minderten, wenn eine Kette von Umsätzen von dem Unternehmen zu dem abschlagsberechtigten Dritten führe. Danach würden im vorliegenden Fall die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für die von Boehringer Ingelheim Pharma erbrachten Lieferungen nicht mindern, da die abschlagsberechtigten Unternehmen der privaten Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette stünden, die von diesem Unternehmen zum Endverbraucher führe.
Das vorlegende Gericht hält es jedoch für unvereinbar mit dem in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung anders als Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Besteuerungsgrundlage nicht minderten, obwohl der pharmazeutische Unternehmer durch beide Abschläge in gleicher Weise belastet werde. Es handle sich um vergleichbare Sachverhalte, und das vorlegende Gericht fragt sich deshalb nach der objektiven Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung.
Es weist auch darauf hin, dass, während ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden könne, ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein könne, die Wirtschaftsteilnehmer beträfen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrierten, sich aber trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befänden (Urteile vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C-309/06, EU:C:2008:211, Rn. 49, und vom 25. April 2013, Kommission/Schweden, C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 17). Daraus folge, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Steuern nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität deckungsgleich sei (Urteil vom 25. April 2013, Kommission/Schweden, C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 18).
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie berechtigt, wenn
er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,
die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,
der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und
der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines „Abschlags“ an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob im Licht der vom Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.
Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst an Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu erinnern, nach dem die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen alles umfasst, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.
Sodann ist auch daran zu erinnern, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes betrifft, die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (Urteil vom 15. Mai 2014, Almos Agrárkülkereskedelmi, C-337/13, EU:C:2014:328, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass eines der Grundprinzipien, auf denen das Mehrwertsteuersystem beruht, die Neutralität in dem Sinne ist, dass gleichartige Waren innerhalb der einzelnen Länder ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 20).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass das pharmazeutische Unternehmen den Unternehmen der privaten Krankenversicherung nach dem nationalen Recht für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten sie ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend denjenigen gewähren muss, die für die gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen sind. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag nicht als Minderung der Steuerbemessungsgrundlage an.
Aufgrund dieser Regelung konnte Boehringer Ingelheim Pharma somit über einen Betrag verfügen, der dem Preis für den Verkauf dieser Arzneimittel an die Apotheken abzüglich des besagten Abschlags entspricht. Es stünde deshalb nicht in Einklang mit der Mehrwertsteuerrichtlinie, wenn der Betrag, der als Bemessungsgrundlage für die von dem pharmazeutischen Unternehmen als Steuerpflichtigem geschuldete Mehrwertsteuer dient, höher wäre als der Betrag, den es letztlich erhalten hat. Andernfalls wäre der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gegenüber den Steuerpflichtigen, zu denen das pharmazeutische Unternehmen gehört, nicht gewahrt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28).
Folglich muss die Steuerbemessungsgrundlage, die für Boehringer Ingelheim Pharma als Steuerpflichtige zur Anwendung kommt, von dem Betrag gebildet werden, der dem Preis entspricht, zu dem sie die Arzneimittel an die Apotheken verkauft hat, abzüglich des Abschlags, der gegenüber den Unternehmen der privaten Krankenversicherung anfällt, wenn diese ihren Versicherten deren Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet haben.
Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 31 des Urteils vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400), entschieden, dass Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie), der Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie entspricht, den üblichen Fall vertraglicher Beziehungen betrifft, die unmittelbar zwischen zwei Vertragsparteien zustande kommen und nachträglich eine Änderung erfahren.
Insoweit ist jedoch erstens festzustellen, dass der Gerichtshof an genau gleicher Stelle klargestellt hat, dass diese Bestimmung den Grundsatz der Neutralität zum Ausdruck bringt und demzufolge ihre Anwendung nicht die Verwirklichung dieses Grundsatzes beeinträchtigen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 31).
Zweitens setzt die Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine nachträgliche Änderung der Vertragsbeziehungen voraus. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich grundsätzlich dazu, die Steuerbemessungsgrundlage jedes Mal dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Außerdem ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400), den Anwendungsbereich von Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, der Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie entspricht, einschränken wollte. Vielmehr ergibt sich aus dem jener Rechtssache zugrunde liegenden Sachverhalt, dass keine Änderung der vertraglichen Beziehungen erfolgt war. Gleichwohl befand der Gerichtshof, dass Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie anwendbar war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Mai 2001, Freemans, C-86/99, EU:C:2001:291, Rn. 33).
Im Übrigen kann der Umstand, dass im Ausgangsverfahren nicht das Unternehmen der privaten Krankenversicherung, das eine Erstattung an die Versicherten erbringt, sondern die Versicherten selbst unmittelbare Empfänger der fraglichen Arzneimittellieferungen sind, den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der getätigten Lieferung von Gegenständen und der empfangenen Gegenleistung nicht beseitigen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2014, Le Rayon d’Or, C-151/13, EU:C:2014:185, Rn. 35).
Wie nämlich der Generalanwalt in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind die beim Kauf der Arzneimittel geleisteten Zahlungen als Gegenleistung eines Dritten im Sinne des Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen, wenn die betreffenden Dritten, also die Versicherten, Erstattung von den Unternehmen der privaten Krankenversicherung begehren und Letztere gemäß der nationalen Regelung den Abschlag erhalten, den ihnen das pharmazeutische Unternehmen gewähren muss. Somit sind die Unternehmen der privaten Krankenversicherung in Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens als Endverbraucher einer Lieferung durch ein mehrwertsteuerpflichtiges pharmazeutisches Unternehmen anzusehen, so dass der von der Finanzverwaltung erhobene Betrag den vom Endverbraucher gezahlten Betrag nicht übersteigen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 24).
Demzufolge ist festzustellen, dass im Ausgangsverfahren tatsächlich ein Preisnachlass nach der Bewirkung des Umsatzes im Sinne des Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gegeben ist, da der Steuerpflichtige wegen des Abschlags, den er den Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt hat, einen Teil der Gegenleistung nicht erhalten hat.
Außerdem ist zu dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abschlag festzustellen, dass er gesetzlich festgelegt ist und den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, die ihren Versicherten deren Kosten für den Bezug von Arzneimitteln erstattet haben, von dem pharmazeutischen Unternehmen zwingend gewährt wird. Wie oben in Rn. 35 festgestellt, konnte das pharmazeutische Unternehmen unter diesen Umständen über den beim Verkauf seiner Erzeugnisse an die Apotheken oder Großhändler eingenommenen Gesamtpreis nicht frei verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology, C-377/11, EU:C:2012:503, Rn. 31).
Der Gerichtshof entschied insoweit in Rn. 28 des Urteils vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology (C-377/11, EU:C:2012:503), in Bezug auf eine gesetzliche Verpflichtung hinsichtlich der bei einem Bingospiel auszuschüttenden Gewinne, dass der Teil des Verkaufspreises der Coupons, der als Gewinne an die Spieler ausgeschüttet wird, soweit er im Vorhinein feststeht und zwingend ist, nicht als Bestandteil der Gegenleistung angesehen werden kann, die der Spielveranstalter für die von ihm erbrachte Leistung erhält.
Auch wenn sich die Analyse des Gerichtshofs in jenem Urteil auf die Auslegung von Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bezog, kann die dort gegebene Auslegung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Begriffs „Gegenleistung“, wie vom Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge ausgeführt, auf die in Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie gebrauchte Wendung „[i]m Falle … des Preisnachlasses“ übertragen werden, da es in beiden Bestimmungen darum geht, was zur Steuerbemessungsgrundlage gehört.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass im Licht der vom Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Im Licht der vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, EU:C:1996:400, Rn. 28 und 31), aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass der Abschlag, den ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund einer nationalen Gesetzesregelung einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewährt, im Sinne dieses Artikels zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für dieses pharmazeutische Unternehmen führt, wenn es Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die die Arzneimittel an privat Krankenversicherte liefern, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet werden.
Da Cruz Vilaça
Levits
Borg Barthet
Berger
Biltgen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Dezember 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Fünften Kammer
J. L. da Cruz Vilaça
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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