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EuGH 20.12.2017 - C-504/16, C-613/16
EuGH 20.12.2017 - C-504/16, C-613/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 20. Dezember 2017 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Direkte Besteuerung – Niederlassungsfreiheit – Richtlinie 90/435/EWG – Art. 1 Abs. 2 – Art. 5 – Muttergesellschaft – Holding – Quellensteuer auf an eine gebietsfremde Holding-Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne – Befreiung – Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch – Vermutung“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-504/16 und C-613/16
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidungen vom 8. Juli und 31. August 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September und 28. November 2016, in den Verfahren
Deister Holding AG, vormals Traxx Investments NV (C-504/16),
Juhler Holding A/S (C-613/16)
gegen
Bundeszentralamt für Steuern
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund (Berichterstatter) sowie der Richter J.-C. Bonichot und E. Regan,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Deister Holding AG, vertreten durch Rechtsanwälte J. Schönfeld und C. Süß,
der Juhler Holding A/S, vertreten durch Rechtsanwalt A. Stange,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, H. Shev, F. Bergius und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 49 AEUV sowie von Art. 1 Abs. 2 und Art. 5 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. 2006, L 363, S. 129) geänderten Fassung (im Folgenden: Mutter-Tochter-Richtlinie).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Deister Holding AG, vormals Traxx Investments NV (im Folgenden: Traxx), und dem Bundeszentralamt für Steuern (Deutschland) sowie zwischen der Juhler Holding A/S und dem Bundeszentralamt für Steuern wegen dessen Weigerung, die von ihren deutschen Tochtergesellschaften bezogenen Gewinnausschüttungen vom Quellensteuerabzug zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 3 und 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie heißt es:
„Die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtert werden.
…
Im Übrigen sollten zur Sicherung der steuerlichen Neutralität von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne vom Quellensteuerabzug befreit werden. …“
Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie an
auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Staates von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats zufließen;
auf Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften dieses Staates an Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten;
…
(2) Die vorliegende Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen.“
Art. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats‘ jede Gesellschaft,
die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;
die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässig und aufgrund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz nicht als außerhalb der Gemeinschaft ansässig betrachtet wird;
die ferner ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern
…
selskabsskat in Dänemark,
Körperschaftsteuer in Deutschland,
…
vennootschapsbelasting in den Niederlanden,
… unterliegt, ohne davon befreit zu sein.“
Art. 3 der Richtlinie lautet:
„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als:
‚Muttergesellschaft‘ wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 20 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt.
Unter denselben Bedingungen gilt als Muttergesellschaft ebenfalls eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die einen Anteil von wenigstens 20 % am Kapital einer Gesellschaft desselben Mitgliedstaats hält, der ganz oder teilweise von einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebstätte der erstgenannten Gesellschaft gehalten wird.
Ab 1. Januar 2007 beträgt der Mindestanteil 15 %.
Ab 1. Januar 2009 beträgt der Mindestanteil 10 %.
‚Tochtergesellschaft‘ die Gesellschaft, an deren Kapital eine andere Gesellschaft den unter Buchstabe a) genannten Anteil hält.
(2) Abweichend von Absatz 1 haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit,
durch bilaterale Vereinbarung als Kriterium die Stimmrechte statt des Kapitalanteils vorzusehen;
von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, die nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaften gelten, oder an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält.“
Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie bestimmt:
„Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind vom Steuerabzug an der Quelle befreit.“
Im Anhang („Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a) fallenden Gesellschaften“) dieser Richtlinie heißt es:
Die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) [(ABl. 2001, L 294, S. 1)] und der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer [(ABl. 2001, L 294, S. 22)] gegründeten Gesellschaften sowie die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) [(ABl. 2003, L 207, S. 1)] und gemäß der Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer [(ABl. 2003, L 207, S. 25)] gegründeten Genossenschaften;
…
Gesellschaften dänischen Rechts mit der Bezeichnung ‚aktieselskab‘ oder ‚anpartsselskab‘. Weitere nach dem Körperschaftsteuergesetz steuerpflichtige Gesellschaften, soweit ihr steuerbarer Gewinn nach den allgemeinen steuerrechtlichen Bestimmungen für die ‚aktieselskaber‘ ermittelt und besteuert wird;
Gesellschaften deutschen Rechts mit der Bezeichnung ‚Aktiengesellschaft‘, ‚Kommanditgesellschaft auf Aktien‘, ‚Gesellschaft mit beschränkter Haftung‘, ‚Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit‘, ‚Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft‘, ‚Betrieb gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts‘, und andere nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften, die der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen;
…
Gesellschaften niederländischen Rechts mit der Bezeichnung ‚naamloze vennnootschap‘, ‚besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid‘, ‚Open commanditaire vennootschap‘, ‚Coöperatie‘, ‚onderlinge waarborgmaatschappij‘, ‚Fonds voor gemene rekening‘, ‚vereniging op coöperatieve grondslag‘, ‚vereniging welke op onderlinge grondslag als verzekeraar of kredietinstelling optreedt‘ und andere nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaften, die der niederländischen Körperschaftsteuer unterliegen;
…“
Deutsches Recht
Das Einkommensteuergesetz in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: EStG) bestimmt in § 36:
„(1) Die Einkommensteuer entsteht, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.
(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:
die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37);
die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder auf die nach § 3 Nr. 40 dieses Gesetzes oder nach § 8b Abs. 1 und 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die in § 45a Abs. 2 oder 3 bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist. In den Fällen des § 8b Abs. 6 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes ist es für die Anrechnung ausreichend, wenn die Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 und 3 vorgelegt wird, die dem Gläubiger der Kapitalerträge ausgestellt worden ist.
(3) Die Steuerbeträge nach Absatz 2 Nr. 2 sind auf volle Euro aufzurunden. Bei den durch Steuerabzug erhobenen Steuern ist jeweils die Summe der Beträge einer einzelnen Abzugsteuer aufzurunden.
(4) Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht, sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (Abschlusszahlung). Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt. …“
§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht vor:
„Bei den folgenden inländischen und in den Fällen der Nummern 6, 7 Buchstabe a und Nummern 8 bis 12 sowie Satz 2 auch ausländischen Kapitalerträgen wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben:
Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2. Entsprechendes gilt für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a und Nr. 2 Satz 2;
…“
Nach § 43b Abs. 1 EStG wird auf Antrag des Steuerpflichtigen die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen, nicht erhoben.
Nach § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG ist „Muttergesellschaft“ im Sinne des Abs. 1 jede Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in der durch die Richtlinie 2006/98 geänderten Fassung im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG nachweislich mindestens zu 15 % unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft beteiligt ist.
Weitere Voraussetzung ist nach § 43b Abs. 2 Satz 4 EStG, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht.
In § 50d Abs. 3 EStG heißt es:
„Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und
für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder
die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.
Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes), bleiben außer Betracht. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. …“
§ 42 der Abgabenordnung bestimmt:
„(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
(2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C-504/16 geht hervor, dass Deister Holding Gesamtrechtsnachfolgerin von Traxx ist, die ihren Sitz in den Niederlanden hatte. Die Tätigkeit von Traxx bestand hauptsächlich darin, Beteiligungen an mehreren in verschiedenen Staaten niedergelassenen Gesellschaften zu halten und deren Finanzierung u. a. durch die Gewährung von Darlehen an die Konzerngesellschaften sicherzustellen.
Seit 2005 war Traxx mit einer Quote von mindestens 26,5 % an der Deister electronik GmbH beteiligt, einer Gesellschaft deutschen Rechts. Ab März 2007 verfügte Traxx über ein in den Niederlanden angemietetes Büro und beschäftigte dort in den Jahren 2007 und 2008 zwei Mitarbeiter. Der alleinige Anteilseigner von Traxx, Herr Stobbe, hatte seinen Wohnsitz in Deutschland.
Am 19. November 2007 schüttete Deister electronik einen Gewinn an Traxx aus. Sie behielt hierauf Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag ein und führte diese an die Steuerbehörde ab. Am 16. Mai 2008 beantragte Traxx die Freistellung dieser Gewinnausschüttung von der Kapitalertragsteuer und dem Solidaritätszuschlag.
Da die Steuerbehörde diesen Antrag ablehnte und den gegen die ablehnende Entscheidung eingelegten Einspruch zurückwies, erhob Deister Holding als Rechtsnachfolgerin von Traxx gegen diese Entscheidungen Klage beim Finanzgericht Köln (Deutschland) und machte die Unvereinbarkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift mit der Niederlassungsfreiheit und der Mutter-Tochter-Richtlinie geltend.
Aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C-613/16 geht hervor, dass Juhler Holding eine in Dänemark ansässige Holdinggesellschaft ist. An ihr ist zu 100 % die Juhler Services Limited, eine Gesellschaft zyprischen Rechts, beteiligt. Alleiniger Anteilseigner dieser Gesellschaft ist eine in Singapur ansässige natürliche Person.
Juhler Holding hält Beteiligungen an mehr als 25 Tochtergesellschaften, von denen einige ihren Sitz ebenfalls in Dänemark haben, dem Mitgliedstaat, in dem sie niedergelassen ist. Der Konzern erbringt Dienstleistungen im Rahmen der Beschaffung von Personal, die ein Drittel des Volumens solcher Dienstleistungen in Dänemark darstellt. Seit 2003 ist Juhler Holding zu 100 % an der in Deutschland ansässigen temp-team Personal GmbH beteiligt.
Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich weiter, dass Juhler Holding auch Immobilienvermögen hält, die finanzielle Kontrolle im Konzern übernimmt, um die Zinskosten im Konzern zu optimieren, die Aufsicht und Kontrolle über die Ergebnisse ihrer einzelnen Tochtergesellschaften hat und über einen Telefonanschluss und eine E-Mail-Adresse verfügt. Auf der Website des Konzerns ist sie als einer der Kontaktpartner ausgewiesen. Sie verfügt aber über keine eigenen Büroräume. Im Bedarfsfall greift sie auf die Räumlichkeiten, sonstigen Einrichtungen und das Personal anderer Konzerngesellschaften zurück. Der Geschäftsführer von Juhler Holding ist auch Vorstand in verschiedenen Gesellschaften des Konzerns.
Im Jahr 2011 bezog Juhler Holding eine Gewinnausschüttung von temp-team Personal. Die Gewinnausschüttung unterlag dem Quellensteuerabzug und dem Solidaritätszuschlag. Juhler Holding beantragte demnach die Erstattung dieser Abgaben. Da die Steuerbehörde diesen Antrag ablehnte und den gegen die ablehnende Entscheidung eingelegten Einspruch zurückwies, erhob Juhler Holding gegen diese Entscheidungen Klage beim Finanzgericht Köln. Sie machte die Unvereinbarkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift mit der Niederlassungsfreiheit und der Mutter-Tochter-Richtlinie geltend.
Zur Frage der in den beiden Ausgangsverfahren anwendbaren Rechtsvorschriften führt das vorlegende Gericht erstens aus, dass entgegen der Ansicht der Steuerbehörde § 50d Abs. 3 EStG in der durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl. 2006 I S. 2878) geänderten Fassung anwendbar sei. Zudem sei im Fall der Unvereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Unionsrecht die Erstattung des Quellensteuerabzugs ungeachtet § 42 der Abgabenordnung, in dem es um die Missbrauchsbekämpfung in nationalen Situationen gehe, zu gewähren.
Das vorlegende Gericht weist zweitens darauf hin, dass nach dem nationalen Recht die Ausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft entweder auf Antrag des Steuerpflichtigen von der Einkommensteuer befreit würden oder einem Abzug der Quellensteuer unterlägen, die auf Antrag des Steuerpflichtigen erstattet werden könne.
Nach § 50d Abs. 3 EStG sei der Anspruch auf Freistellung oder Erstattung jedoch ausgeschlossen, soweit den Anteilseignern der gebietsfremden Muttergesellschaft die Freistellung oder Erstattung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und eine der drei folgenden Voraussetzungen erfüllt sei, nämlich dass für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten, die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erziele (woran es u. a. fehle, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erziele) oder die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehme.
Nach dieser Vorschrift seien für die Beurteilung, ob die gebietsfremde Muttergesellschaft eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübe, nur die Verhältnisse der gebietsfremden Muttergesellschaft maßgeblich. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Gesellschaft nahe stünden, blieben außer Betracht. Somit finde das Struktur- und Strategiekonzept des Konzerns, dem sie angehöre, keine Berücksichtigung. § 50d Abs. 3 EStG umfasse daher auch Konstellationen, in denen die Beteiligungen konzernintern auf Dauer auf eine gebietsfremde Holding-Muttergesellschaft ausgegliedert worden seien und dies einer nachhaltigen Konzernstrategie entspreche.
Hingegen genüge bei einer gebietsansässigen funktionsschwachen Holding-Muttergesellschaft eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung, damit ihr die Anrechnung oder Vergütung der Steuer gewährt werde.
Zudem werde bei einer gebietsfremden Muttergesellschaft neben der rein passiven Verwaltung von Wirtschaftsgütern auch die aktive Verwaltung von Leasing-, Vermietungs-, Holding-, Kapitalanlage- oder Finanzierungsgesellschaften nicht als eigene Wirtschaftstätigkeit im Sinne von § 50d Abs. 3 EStG angesehen.
Ferner genüge es für die Ablehnung der Freistellung oder Erstattung, dass die gebietsfremde Muttergesellschaft eine der in § 50d Abs. 3 EStG aufgestellten Voraussetzungen erfülle. In diesem Fall unterstelle der Gesetzgeber – ohne Möglichkeit des Gegenbeweises – eine missbräuchliche Rechtsgestaltung.
Das vorlegende Gericht wirft die Frage nach der Vereinbarkeit der innerstaatlichen Vorschrift mit den Verkehrsfreiheiten und der Mutter-Tochter-Richtlinie auf. Insoweit führt es aus, dass die beiden Ausgangsverfahren die Niederlassungsfreiheit beträfen, da die beiden Muttergesellschaften über eine Beteiligung verfügten, die ihnen einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen ihrer jeweiligen deutschen Tochtergesellschaft ermögliche.
§ 50d Abs. 3 EStG beschränke die Niederlassungsfreiheit und es sei zweifelhaft, ob der Grund des Allgemeininteresses im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Steuerumgehung diese Beschränkung rechtfertigen könne, da die Bestimmung eine gebietsfremde Gesellschaft, die sich nicht aus einer rein künstlichen Gestaltung ohne jede wirtschaftliche Realität ergebe, erfasse und eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung begründe.
Zur Mutter-Tochter-Richtlinie weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die verschiedenen Sprachfassungen ihres Art. 1 Abs. 2 voneinander abwichen. Die deutsche Fassung enthalte – anders als andere Sprachfassungen wie die spanische, die englische, die französische oder die italienische Fassung – nicht das Wort „erforderliche“. Trotz dieser Abweichung sei der Begriff des Missbrauchs im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie jedenfalls im Hinblick auf das Primärrecht der Union auszulegen.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in beiden Rechtssachen im Wesentlichen gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner seinen Wohnsitz im Inland hat (Rechtssache C-504/16) bzw. einer gebietsfremden Muttergesellschaft, die innerhalb eines in ihrem Ansässigkeitsstaat ansässigen aktiv tätigen Konzerns auf Dauer als Holdinggesellschaft ausgegliedert wird (Rechtssache C-613/16), die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und
für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt (woran es u. a. fehlt, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt) oder
die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt,
während gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von der Kapitalertragsteuer gewährt wird, ohne dass es auf die vorgenannten Voraussetzungen ankommt?
Steht Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner seinen Wohnsitz im Inland hat (Rechtssache C-504/16) bzw. einer gebietsfremden Muttergesellschaft, die innerhalb eines in ihrem Ansässigkeitsstaat ansässigen aktiv tätigen Konzerns auf Dauer als Holdinggesellschaft ausgegliedert wird (Rechtssache C-613/13), die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und
für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt (woran es unter anderem fehlt, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt) oder
die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt,
während gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von der Kapitalertragsteuer gewährt wird, ohne dass es auf die vorgenannten Voraussetzungen ankommt?
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. April 2017 sind die Rechtssachen C-504/16 und C-613/16 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Zur Sache
Die deutsche Regierung trägt vor, dass die in den beiden Rechtssachen gestellten Fragen über das hinausgingen, was erforderlich sei, um die vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Streitigkeiten zu entscheiden, da sie auf den vollständigen Text von § 50d Abs. 3 EStG Bezug nähmen.
In der Rechtssache C-504/16 sei nur die Frage zu beantworten, ob die Niederlassungsfreiheit und Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie „einer nationalen Steuervorschrift [entgegenstehen], die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner seinen Wohnsitz im Inland hat, im Gegensatz zu gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, weil die gebietsfremde Muttergesellschaft keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt, die über das bloße Halten von Beteiligungen hinausgeht, und zudem wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für ihre Einschaltung in die Beteiligungsbeziehung zwischen dem inländischen Anteilseigner und der inländischen Tochtergesellschaft fehlen“.
In der Rechtssache C-613/16 sei nur die Frage zu beantworten, ob die Niederlassungsfreiheit und Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie „einer nationalen Steuervorschrift [entgegenstehen], die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, die innerhalb eines in ihrem Ansässigkeitsstaat ansässigen aktiv tätigen Konzerns auf Dauer als Holdinggesellschaft ausgegliedert wird, im Gegensatz zu gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, weil die gebietsfremde Muttergesellschaft keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt, die über das bloße Halten von Beteiligungen hinausgeht, und zudem weder über eigene Büroräume noch über eigenes Personal verfügt“.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C-532/15 und C-538/15, EU:C:2016:932, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C-532/15 und C-538/15, EU:C:2016:932, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C-532/15 und C-538/15, EU:C:2016:932, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In den beiden Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht ausführlich dargelegt, warum es die Beantwortung der Frage, ob alle Bestimmungen von § 50d Abs. 3 EStG unionsrechtskonform sind, für die Entscheidung über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten für erforderlich hält. Demnach ist nicht ersichtlich, dass die Vorlagefragen für die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten nicht von Belang wären.
Die Fragen des Finanzgerichts Köln sind daher zu beantworten.
Zur Begründetheit
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie und Art. 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuervorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle nicht zustände, wenn sie die Gewinnausschüttungen einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezögen, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, sobald eine der in dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist.
Zur Anwendbarkeit des AEU-Vertrags
Da die Vorlagefragen Vorschriften sowohl der Mutter-Tochter-Richtlinie als auch des AEU-Vertrags betreffen und nach ständiger Rechtsprechung jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf der Ebene der Europäischen Union abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen ist, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass durch Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie keine abschließende Harmonisierung erfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 15 bis 17).
Eine Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren streitige kann daher nicht nur im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie, sondern auch im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Primärrechts beurteilt werden.
Zu Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie
Zunächst ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die in den beiden Ausgangsverfahren betroffenen Gesellschaften unstreitig unter die Mutter-Tochter-Richtlinie und die von Deister electronik an Traxx sowie die von temp-team Personal an Juhler Holding ausgeschütteten Gewinne in den Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie fallen.
Wie sich aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, bezweckt die Mutter-Tochter-Richtlinie, durch die Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats zu beseitigen und so den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Unionsebene zu erleichtern. Die Richtlinie soll damit sicherstellen, dass Gewinnausschüttungen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft steuerlich neutral sind (Urteil vom 8. März 2017, Wereldhave Belgium u. a., C-448/15, EU:C:2017:180, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es deshalb, dass zur Sicherung der steuerlichen Neutralität von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne vom Quellensteuerabzug befreit werden sollten.
Auf dieser Grundlage stellt Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie zur Vermeidung der Doppelbesteuerung das grundsätzliche Verbot auf, von einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne einem Steuerabzug an der Quelle zu unterwerfen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mit dem Verbot für die Mitgliedstaaten, eine Quellensteuer auf von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne zu erheben, schränkt Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Besteuerung von Gewinnen ein, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässige Gesellschaften an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausschütten (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da mit der Mutter-Tochter-Richtlinie das Steuersystem für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der Union gelockert werden soll, können die Mitgliedstaaten nicht einseitig restriktive Maßnahmen einführen und den in Art. 5 Abs. 1 vorgesehenen Anspruch auf Quellensteuerbefreiung von diversen Bedingungen abhängig machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 1996, Denkavit u. a., C-283/94, C-291/94 und C-292/94, EU:C:1996:387, Rn. 26, und vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allerdings sieht Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie eine Ausnahme von den Steuerregeln dieser Richtlinie vor, indem er den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, einzelstaatliche oder vertragliche Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen anzuwenden.
Das vorlegende Gericht hat auf eine Abweichung zwischen den verschiedenen Sprachfassungen dieses Art. 1 Abs. 2 hingewiesen. In der deutschen Fassung werde – anders als u. a. in der spanischen, der englischen, der französischen oder der italienischen Fassung – nicht das Wort „erforderliche“ verwendet.
Insoweit ist festzustellen, dass es für die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie unerheblich ist, dass das Wort „erforderliche“ in der deutschen Fassung nicht ausdrücklich enthalten ist. Die Mitgliedstaaten können die ihnen in diesem Artikel eingeräumte Möglichkeit nämlich jedenfalls nur unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wahrnehmen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C-28/95, EU:C:1997:369, Rn. 38 und 43).
Zur Wahrung dieses Grundsatzes müssen die von den Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen vorgesehenen Maßnahmen geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen, und dürfen nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. November 1987, Maizena u. a., 137/85, EU:C:1987:493, Rn. 15, und vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a., C-262/09, EU:C:2011:438, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass die den Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie eingeräumte Möglichkeit ungeachtet der angesprochenen sprachlichen Abweichungen nur innerstaatliche oder vertragliche Bestimmungen umfasst, die zu diesem Zweck erforderlich sind.
Diese Auslegung wird auch durch das Ziel dieser Richtlinie bestätigt, mit der, wie sich aus den Rn. 48 und 52 des vorliegenden Urteils ergibt, über die Lockerung des Steuersystems für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der Union der Zusammenschluss von Gesellschaften auf Unionsebene erleichtert werden soll.
Zu den Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung eng auszulegen ist, da sie eine Ausnahme von der allgemeinen Regel dieser Richtlinie vorsieht, nämlich die Inanspruchnahme der gemeinsamen Steuerregelung für Mutter- und Tochtergesellschaften im Anwendungsbereich der Richtlinie (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Juni 2010, P. Ferrero e C. und General Beverage Europe, C-338/08 und C-339/08, EU:C:2010:364, Rn. 45, sowie vom 8. März 2017, Euro Park Service, C-14/16, EU:C:2017:177, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine nationale Regelung nur dann die Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen bezweckt, wenn ihr spezifisches Ziel in der Verhinderung von Verhaltensweisen liegt, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Infolgedessen kann eine allgemeine Vermutung für das Vorliegen von Steuerhinterziehung und Missbrauch keine Steuermaßnahme rechtfertigen, die die Ziele einer Richtlinie oder die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigt (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Bei der Prüfung, ob ein Vorgang Steuerhinterziehung und Missbrauch als Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; vielmehr müssen sie den Vorgang als Ganzes individuell prüfen. Eine generelle Steuervorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen automatisch vom Steuervorteil ausgenommen werden, ohne dass die Steuerbehörde auch nur einen Anfangsbeweis oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, ginge über das zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen Erforderliche hinaus (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass nach der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift die Gewährung des Steuervorteils in Form der Befreiung vom Quellensteuerabzug nach Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie, wenn Personen an einer gebietsfremden Muttergesellschaft beteiligt sind, denen die Befreiung vom Quellensteuerabzug nicht zustände, wenn sie die Gewinnausschüttungen einer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezögen, davon abhängt, dass keine der in dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist; dies ist der Fall, wenn wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft fehlen, die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der gebietsfremden Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit der gebietsfremden Muttergesellschaft fehlt es, wenn sie ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt.
Hierzu ist als Erstes festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren streitige Vorschrift nicht speziell bezweckt, von der Inanspruchnahme eines Steuervorteils rein künstliche Konstruktionen auszuschließen, die auf die ungerechtfertigte Nutzung dieses Vorteils ausgerichtet sind, sondern generell jede Situation erfasst, in der Personen an einer gebietsfremden Muttergesellschaft beteiligt sind, denen eine solche Befreiung nicht zustände, wenn sie die Gewinnausschüttungen unmittelbar bezögen.
Der Umstand, dass solche Personen eine solche Beteiligung halten, bedeutet jedoch für sich allein nicht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde.
Insoweit geht aus keiner Vorschrift der Mutter-Tochter-Richtlinie hervor, dass die steuerliche Behandlung oder die Herkunft von Personen, die an in der Union ansässigen Muttergesellschaften beteiligt sind, für das Recht dieser Gesellschaften, sich auf die in der Richtlinie vorgesehenen Steuerbegünstigungen zu berufen, eine Rolle spielt.
Außerdem unterliegt die gebietsfremde Muttergesellschaft auf jeden Fall dem Steuerrecht des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen ist (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Als Zweites ist anzumerken, dass nach der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift die Befreiung vom Quellensteuerabzug gemäß Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie nur gewährt wird, wenn keine der in dieser Vorschrift vorgesehenen drei Voraussetzungen, wie sie in Rn. 63 des vorliegenden Urteils angeführt worden sind, erfüllt ist.
Hierzu ist erstens festzustellen, dass diese Vorschrift, wie sich aus Rn. 62 des vorliegenden Urteils ergibt, indem sie die Gewährung der Befreiung an ein solches Erfordernis knüpft, ohne dass die Steuerbehörde einen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, eine allgemeine Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung begründet und dadurch das mit der Mutter-Tochter-Richtlinie, insbesondere mit Art. 5 Abs. 1, verfolgte Ziel beeinträchtigt, die Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne durch den Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Tochtergesellschaft befindet, zu vermeiden, um die Zusammenarbeit und Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Unionsebene zu erleichtern.
Zweitens begründet diese Vorschrift zudem eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung, da sie in dem Fall, in dem eine der in ihr vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist, der gebietsfremden Muttergesellschaft nicht die Möglichkeit lässt, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen.
Drittens begründen diese Voraussetzungen, einzeln oder zusammen betrachtet, keinen Missbrauch oder keine Hinterziehung.
Die Mutter-Tochter-Richtlinie schreibt nämlich nicht vor, welche wirtschaftliche Tätigkeit die von ihr erfassten Gesellschaften ausüben müssen oder wie hoch die Einkünfte aus ihrer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein haben.
Der Umstand, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der gebietsfremden Muttergesellschaft in der Verwaltung von Wirtschaftsgütern ihrer Tochtergesellschaften besteht oder ihre Einkünfte nur aus dieser Verwaltung stammen, bedeutet jedoch für sich allein noch nicht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt. Hierbei ist es ohne Belang, dass die Verwaltung von Wirtschaftsgütern in Bezug auf die Mehrwertsteuer nicht als eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen wird, da für die im Ausgangsverfahren streitige Steuer und die Mehrwertsteuer unterschiedliche Rechtsrahmen gelten, mit denen jeweils unterschiedliche Ziele verfolgt werden.
Überdies verlangt die Feststellung einer solchen Konstruktion entgegen der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift, dass in jedem Einzelfall eine umfassende Prüfung der betreffenden Situation vorgenommen wird, die sich auf Gesichtspunkte wie die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale des Konzerns, zu dem die betreffende Muttergesellschaft gehört, und die Strukturen und Strategien dieses Konzerns erstreckt.
Nach alledem ist festzustellen, dass Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht.
Zur einschlägigen Freiheit
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die steuerliche Behandlung von Dividenden sowohl unter die Niederlassungsfreiheit als auch unter den freien Kapitalverkehr fallen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Bei der Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere Verkehrsfreiheit fällt, ist auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, unter die Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit fällt. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren streitige Steuervorschrift auf Gesellschaften anwendbar war, die mit mindestens 15 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaften beteiligt waren. Sie enthält jedoch keine Ausführungen zum Zweck dieser Regelung.
Eine Beteiligung in dieser Höhe lässt nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass die Gesellschaft, die sie hält, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In solchen Fällen sind die tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles zu berücksichtigen, um zu bestimmen, von welcher Verkehrsfreiheit die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Situation erfasst wird (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was als Erstes die Rechtssache C-504/16 anbelangt, ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte, dass Traxx zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt eine Beteiligung von mindestens 26,5 % an Deister elektronik hielt. Dabei ist unstreitig, dass es diese Beteiligung Traxx ermöglicht hat, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen von Deister electronik auszuüben und dadurch deren Tätigkeiten zu bestimmen. Daher ist die im Ausgangsverfahren streitige nationale Vorschrift im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu prüfen.
Was als Zweites die Rechtssache C-613/16 betrifft, ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte, dass Juhler Holding zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt alleinige Anteilseignerin von temp-team Personal war. Diese Beteiligung ermöglichte es Juhler Holding somit, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen von temp-team Personal auszuüben und dadurch deren Tätigkeiten zu bestimmen. Folglich ist die auf diese Beteiligungen anwendbare nationale Vorschrift auch in dieser Rechtssache im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu prüfen.
Insoweit ist noch anzumerken, dass die Herkunft der Anteilseigner der im Ausgangsverfahren betroffenen Gesellschaften keinen Einfluss auf das Recht dieser Gesellschaften hat, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen. Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass aus keiner Bestimmung des Unionsrechts hervorgeht, dass die Herkunft der Anteilseigner – seien es natürliche oder juristische Personen – von in der Union ansässigen Gesellschaften für das Recht dieser Gesellschaften, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, eine Rolle spielt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). In den Ausgangsverfahren handelt es sich bei den betreffenden Muttergesellschaften unstreitig um in der Union niedergelassene Gesellschaften. Folglich können sie sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen.
Die gestellten Fragen sind daher im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu beantworten.
Zur Niederlassungsfreiheit
Die Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsangehörigen zuerkennt, umfasst für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörige festgelegten. Mit ihr ist nach Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was die Behandlung im Aufnahmemitgliedstaat betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind ferner alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die in Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgesehene Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle nur dann von den Voraussetzungen in der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschrift abhängt, wenn eine gebietsansässige Tochtergesellschaft Gewinne an eine gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet.
Diese Ungleichbehandlung ist, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, geeignet, eine gebietsfremde Muttergesellschaft davon abzuhalten, in Deutschland durch eine dort niedergelassene Tochtergesellschaft wirtschaftlich tätig zu werden, und beschränkt somit die Niederlassungsfreiheit.
Diese Beschränkung ist nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen unionsrechtlich anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem letzten Fall muss die Beschränkung zudem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Vergleichbarkeit der Situation einer gebietsansässigen und einer gebietsfremden Gesellschaft, die Gewinnausschüttungen von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft beziehen, ist anzumerken, dass mit der Befreiung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne vom Quellensteuerabzug, wie in Rn. 50 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eine Doppelbesteuerung dieser Gewinne vermieden werden soll.
Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass sich Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation befinden, die der von Dividenden beziehenden Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind; jedoch hat er ebenfalls festgestellt, dass, wenn ein Mitgliedstaat seine Besteuerungsbefugnis nicht nur in Bezug auf die Einkünfte der gebietsansässigen, sondern auch der gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, ausübt, die Situation der gebietsfremden Anteilseigner sich derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner annähert (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In den Ausgangsverfahren befinden sich die gebietsfremden Muttergesellschaften, da sich die Bundesrepublik Deutschland dafür entschieden hat, ihre Besteuerungsbefugnis in Bezug auf die von der gebietsansässigen Tochtergesellschaft an die gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne auszuüben, hinsichtlich dieser Gewinnausschüttungen in einer Situation, die mit der einer gebietsansässigen Muttergesellschaft vergleichbar ist.
Hinsichtlich der Rechtfertigung und der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die Beschränkung sowohl durch das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung als auch durch das Ziel der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt sei.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung und das Ziel der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten miteinander verknüpft sind und dass sie als zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine Beschränkung der im Vertrag verbürgten Verkehrsfreiheiten rechtfertigen können (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allerdings ist festzustellen, dass das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unabhängig davon, ob es nach Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie oder als Rechtfertigung einer Beschränkung des Primärrechts geltend gemacht wird, dieselbe Tragweite hat (Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C-6/16, EU:C:2017:641, Rn. 64). Infolgedessen gelten die Erwägungen in den Rn. 60 bis 74 des vorliegenden Urteils auch in Bezug auf diese Verkehrsfreiheit.
Ferner ist zur ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten darauf hinzuweisen, dass in der Mutter-Tochter-Richtlinie die Frage dieser Aufteilung dahin geregelt ist, dass den Mitgliedstaaten untersagt wird, auf von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne eine Quellensteuer zu erheben.
Das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung und das Ziel der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten können daher im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen.
Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie und Art. 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuervorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle nicht zustände, wenn sie die Gewinnausschüttungen einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezögen, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, sobald eine der in dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung und Art. 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuervorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle nicht zustände, wenn sie die Gewinnausschüttungen einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezögen, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, sobald eine der in dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist.
Fernlund
Bonichot
Regan
Verkündet in Luxemburg in öffentlicher Sitzung am 20. Dezember 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Sechsten Kammer
C. G. Fernlund
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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