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EuGH 01.06.2017 - C-571/15
EuGH 01.06.2017 - C-571/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 1. Juni 2017 ( 1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerrecht — Mehrwertsteuer — Externes Versandverfahren — Beförderung von Waren über einen Freihafen in einem Mitgliedstaat — Regelung dieses Mitgliedstaats, nach der die Freihäfen nicht zum nationalen Steuergebiet gehören — Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung — Entstehung der Zollschuld und Mehrwertsteueranspruch“
Leitsatz
In der Rechtssache C-571/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hessischen Finanzgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2015, in dem Verfahren
Wallenborn Transports SA
gegen
Hauptzollamt Gießen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Wallenborn Transports SA, vertreten durch Rechtsanwalt B. Klüver,
der griechischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros, M. Wasmeier und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Dezember 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2007/75/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 346, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie von Art. 203 Abs. 1 und Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den die Wallenborn Transports SA (im Folgenden: Wallenborn) gegen das Hauptzollamt Gießen (Deutschland) führt. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Tatsache, dass Wallenborn dazu verpflichtet wurde, infolge der Entstehung einer Zollschuld die Mehrwertsteuer zu entrichten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
In Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
die Einfuhr von Gegenständen.“
Art. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der zu ihrem Titel II („Räumlicher Anwendungsbereich“) gehört, bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
(1) ‚Gemeinschaft‘ und ‚Gebiet der Gemeinschaft‘ das Gebiet aller Mitgliedstaaten im Sinne der Nummer 2;
(2) ‚Mitgliedstaat‘ und ‚Gebiet eines Mitgliedstaats‘ das Gebiet jedes Mitgliedstaats der Gemeinschaft, auf den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gemäß dessen Artikel 299 Anwendung findet, mit Ausnahme der in Artikel 6 dieser Richtlinie genannten Gebiete;
(3) ‚Drittgebiete‘ die in Artikel 6 genannten Gebiete;
(4) ‚Drittland‘ jeder Staat oder jedes Gebiet, auf den/das der Vertrag keine Anwendung findet.“
Art. 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt nicht für folgende Gebiete, die Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind:
Berg Athos;
Kanarische Inseln;
französische überseeische Departements;
Åland-Inseln;
Kanalinseln.
(2) Diese Richtlinie gilt nicht für folgende Gebiete, die nicht Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind:
Insel Helgoland;
Gebiet von Büsingen;
Ceuta;
Melilla;
Livigno;
Campione d’Italia;
der zum italienischen Gebiet gehörende Teil des Luganer Sees.“
Art. 30 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Als ‚Einfuhr eines Gegenstands‘ gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft.
Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gilt als Einfuhr eines Gegenstands auch die Verbringung eines im freien Verkehr befindlichen Gegenstands mit Herkunft aus einem Drittgebiet, das Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft ist, in die Gemeinschaft.“
Art. 60 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.“
Art. 61 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Abweichend von Artikel 60 erfolgt bei einem Gegenstand, der sich nicht im freien Verkehr befindet und der vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne des Artikels 156, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren unterliegt, die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.
Unterliegt ein Gegenstand, der sich im freien Verkehr befindet, vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 276 und 277, erfolgt die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.“
Art. 70 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt.“
Art. 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.
(2) In den Fällen, in denen die eingeführten Gegenstände keiner der Abgaben im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 2 unterliegen, wenden die Mitgliedstaaten in Bezug auf Steuertatbestand und Steueranspruch die für Zölle geltenden Vorschriften an.“
Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können folgende Umsätze von der Steuer befreien:
die Lieferungen von Gegenständen, die zollamtlich erfasst und gegebenenfalls in einem Übergangslager vorübergehend verwahrt bleiben sollen;
die Lieferungen von Gegenständen, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen;
die Lieferungen von Gegenständen, die einer Zolllagerregelung oder einer Regelung für den aktiven Veredelungsverkehr unterliegen sollen;
die Lieferungen von Gegenständen, die in die Hoheitsgewässer verbracht werden sollen, um im Rahmen des Baus, der Reparatur, der Wartung, des Umbaus oder der Ausrüstung von Bohrinseln oder Förderplattformen in diese eingebaut oder für die Verbindung dieser Bohrinseln oder Förderplattformen mit dem Festland verwendet zu werden;
die Lieferungen von Gegenständen, die in die Hoheitsgewässer verbracht werden sollen, um zur Versorgung von Bohrinseln oder Förderplattformen verwendet zu werden.
(2) Die in Absatz 1 genannten Orte sind diejenigen, die in den geltenden Zollvorschriften der Gemeinschaft als solche definiert sind.“
Art. 202 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Mehrwertsteuer wird von der Person geschuldet, die veranlasst, dass die Gegenstände nicht mehr einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 157, 158, 160 und 161 unterliegen.“
Zollkodex
In Art. 4 des Zollkodex heißt es:
„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind
…
Gemeinschaftswaren:
Waren, die unter den in Artikel 23 genannten Voraussetzungen vollständig im Zollgebiet der Gemeinschaft gewonnen oder hergestellt worden sind, ohne dass ihnen aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren hinzugefügt wurden. In den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung gelten Waren, die aus in einem Nichterhebungsverfahren befindlichen Waren gewonnen oder hergestellt worden sind, nicht als Gemeinschaftswaren;
aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren, die in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind;
Waren, die im Zollgebiet der Gemeinschaft entweder ausschließlich unter Verwendung von nach dem zweiten Gedankenstrich bezeichneten Waren oder unter Verwendung von nach den ersten beiden Gedankenstrichen bezeichneten Waren gewonnen oder hergestellt worden sind;
Nichtgemeinschaftswaren: andere als die unter Nummer 7 genannten Waren.
Unbeschadet der Artikel 163 und 164 verlieren Gemeinschaftswaren ihren zollrechtlichen Status mit dem tatsächlichen Verbringen aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft;
…
Einfuhrabgaben:
Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren;
bei der Einfuhr erhobene Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder aufgrund der für bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse geltenden Sonderregelungen vorgesehen sind;
…
zollrechtliche Bestimmung einer Ware:
Überführung in ein Zollverfahren;
Verb
…
Zollverfahren:
…
Versandverfahren;
…“
Art. 37 des Zollkodex bestimmt:
„(1) Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Sie können nach dem geltenden Recht Zollkontrollen unterzogen werden.
(2) Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie es für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und, im Fall von Nichtgemeinschaftswaren unbeschadet des Artikels 82 Absatz 1, bis sie ihren zollrechtlichen Status wechseln, in eine Freizone oder ein Freilager verbracht, wiederausgeführt oder nach Artikel 182 vernichtet oder zerstört werden.“
Art. 92 des Zollkodex lautet:
„(1) Das externe Versandverfahren endet und die Verpflichtungen des Inhabers des Verfahrens sind erfüllt, wenn die in dem Verfahren befindlichen Waren und die erforderlichen Dokumente entsprechend den Bestimmungen des betreffenden Verfahrens am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden.
(2) Die Zollbehörden erledigen das externe Versandverfahren, wenn für sie auf der Grundlage eines Vergleichs der der Abgangszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben mit den der Bestimmungszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben ersichtlich ist, dass das Verfahren ordnungsgemäß beendet ist.“
Art. 96 des Zollkodex bestimmt:
„(1) Der Hauptverpflichtete ist der Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens. Er hat
die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen;
die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren einzuhalten.
(2) Unbeschadet der Pflichten des Hauptverpflichteten nach Absatz 1 ist ein Warenführer oder Warenempfänger, der die Waren annimmt und weiß, dass sie dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegen, auch verpflichtet, sie innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen.“
Art. 166 des Zollkodex sieht vor:
„Freizonen und Freilager sind Teile des Zollgebiets der Gemeinschaft oder in diesem Zollgebiet gelegene Räumlichkeiten, die vom übrigen Zollgebiet getrennt sind und in denen
Nichtgemeinschaftswaren für die Erhebung der Einfuhrabgaben und Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen bei der Einfuhr als nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befindlich angesehen werden, sofern sie nicht in den zollrechtlich freien Verkehr oder ein anderes Zollverfahren übergeführt oder unter anderen als den im Zollrecht vorgesehenen Voraussetzungen verwendet oder verbraucht werden;
für bestimmte Gemeinschaftswaren aufgrund des Verbringens in die Freizone oder das Freilager die Maßnahmen anwendbar werden, die grundsätzlich an die Ausfuhr der betreffenden Waren anknüpfen, sofern dies in einer besonderen Gemeinschaftsregelung vorgesehen ist.“
In Art. 167 des Zollkodex heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten können bestimmte Teile des Zollgebiets der Gemeinschaft zu Freizonen erklären oder die Einrichtung von Freilagern bewilligen.
(2) Die Mitgliedstaaten bestimmen die geografische Abgrenzung jeder Freizone. Räumlichkeiten, die als Freilager dienen sollen, müssen von den Mitgliedstaaten zugelassen werden.
(3) Mit Ausnahme der nach Artikel 168a bezeichneten Freizonen sind Freizonen einzuzäunen. Die Ein- und Ausgänge der Freizonen oder Freilager werden von den Mitgliedstaaten festgelegt.
…“
In Art. 170 des Zollkodex heißt es:
„(1) Unbeschadet des Artikels 168 Absatz 4 sind Waren beim Verbringen in eine Freizone oder ein Freilager weder den Zollbehörden zu gestellen noch ist eine Zollanmeldung abzugeben.
(2) Folgende Waren sind den Zollbehörden zu gestellen und unterliegen den für sie geltenden Zollförmlichkeiten, wenn
sie sich in einem Zollverfahren befinden, das durch ihr Verbringen in die Freizone oder das Freilager beendet wird; die Gestellung ist jedoch nicht erforderlich, wenn eine Befreiung von der Gestellungspflicht im Rahmen des betreffenden Zollverfahrens zugelassen worden ist;
…“
Art. 202 Abs. 1 und 2 des Zollkodex lautet:
„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder
wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.
Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.“
Art. 203 des Zollkodex bestimmt:
(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
(3) Zollschuldner sind:
die Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat;
die Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren, obwohl sie wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass sie die Ware der zollamtlichen Überwachung entziehen;
gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben.“
In Art. 204 des Zollkodex heißt es:
„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen
eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, …
…
es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht wirklich erfüllt war.
(3) Zollschuldner ist die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.“
Durchführungsverordnung
Art. 356 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. 1993, L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1192/2008 der Kommission vom 17. November 2008 (ABl. 2008, L 329, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:
„(1) Die Abgangsstelle legt die Frist fest, innerhalb der die Waren der Bestimmungsstelle zu gestellen sind; dabei berücksichtigt sie die vorgesehene Beförderungsstrecke, die einschlägigen Beförderungs- und sonstigen Rechtsvorschriften sowie gegebenenfalls die Angaben des Hauptverpflichteten.
(2) Diese von der Abgangsstelle gesetzte Frist bindet die Zollbehörden der Mitgliedstaaten, deren Gebiet bei einer Beförderung im gemeinschaftlichen Versandverfahren berührt wird, und darf von diesen Behörden nicht geändert werden.“
Teil II Titel V („Sonstige zollrechtliche Bestimmungen“) der Durchführungsverordnung enthält ein Kapitel 1 („Freizonen und Freilager“), zu dem ihr Art. 799 gehört, in dem es heißt:
„Für dieses Kapitel gelten folgende Definitionen:
Kontrolltyp I: die Kontrollen, die sich im Wesentlichen auf eine vorhandene Umzäunung stützen;
…“
Art. 859 der Durchführungsverordnung steht in deren Teil IV („Zollschuld“) Titel II („Entstehen der Zollschuld“). Dieser Artikel lautet:
„Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex als Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern
es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen;
keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;
alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen:
…
im Fall von in ein Versandverfahren überführten Waren, die Nichteinhaltung einer der aus der Inanspruchnahme des Verfahrens erwachsenen Verpflichtungen, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
Die in das Verfahren überführten Waren sind der Bestimmungsstelle tatsächlich unverändert gestellt worden;
…
im Fall einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem Zollverfahren das Verbringen dieser Ware aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft oder in eine Freizone des Kontrolltyps I im Sinne von Artikel 799 oder ein Freilager ohne Erfüllung der vorgeschriebenen Zollförmlichkeiten;
…
Deutsches Recht
Umsatzsteuergesetz
§ 1 des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG) vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005, I, S. 386) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:
„(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
…
die Einfuhr von Gegenständen im Inland … (Einfuhrumsatzsteuer);
…
(2) Inland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme … der Freizonen des Kontrolltyps I nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Zollverwaltungsgesetzes (Freihäfen) … Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das danach nicht Inland ist. …
(3) Folgende Umsätze, die in den Freihäfen … bewirkt werden, sind wie Umsätze im Inland zu behandeln:
die Lieferungen und die innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen, die zum Gebrauch oder Verbrauch in den bezeichneten Gebieten … bestimmt sind …
…
die Lieferungen von Gegenständen, die sich im Zeitpunkt der Lieferung
…
einfuhrumsatzsteuerrechtlich im freien Verkehr befinden;
…“
§ 13 („Entstehung der Steuer“) Abs. 2 UStG bestimmt:
„Für die Einfuhrumsatzsteuer gilt § 21 Abs. 2.“
In § 21 („Besondere Vorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer“) UStG heißt es:
„ …
(2) Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß; …
(2a) Abfertigungsplätze im Ausland, auf denen dazu befugte deutsche Zollbedienstete Amtshandlungen nach Absatz 2 vornehmen, gehören insoweit zum Inland. …“
Zollverwaltungsgesetz
In § 1 („Aufgaben der Zollverwaltung“) Abs. 1 des Zollverwaltungsgesetzes in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung heißt es:
„Der Verkehr mit Waren über die Grenze des Zollgebiets der Europäischen Gemeinschaften (Zollgebiet der Gemeinschaft) sowie über die Grenzen von Freizonen im Sinne des Artikels 167 Abs. 3 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 799 Buchstabe a der … Durchführungsverordnung (Freizonen des Kontrolltyps I) wird im Geltungsbereich dieses Gesetzes zollamtlich überwacht. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Am 11. Juni 2009 wurden Waren, die am Tag davor auf dem Flughafen Frankfurt am Main (Deutschland) in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt und gestellt worden waren, nach kurzer Zeit in vorübergehender Verwahrung zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren angemeldet.
Der Empfänger dieser Waren war ein Unternehmen mit Sitz im Freihafen Hamburg (Deutschland), bei dem es sich zum maßgeblichen Zeitpunkt um eine Freizone des Kontrolltyps I im Sinne von Art. 799 der Durchführungsverordnung handelte und dessen Beschränkungen der zollamtlichen Überwachung unterlagen. Das Versandverfahren war bis zum 17. Juni 2009 zu beenden.
Wallenborn, als Beförderer beauftragt, lieferte die fraglichen Waren mit einem Lkw zum Hamburger Freihafen an, wo sie am 11. Juni 2009 nach Entfernung des Zollverschlusses entladen wurden. Die Waren wurden jedoch der Bestimmungszollstelle nicht gestellt. Sie wurden während ihres Verbleibs in der Freizone weder in den freien Verkehr übergeführt noch verbraucht noch verwendet.
Am 16. Juni 2009 wurden die fraglichen Waren in einen Container geladen und mit dem Schiff nach Finnland transportiert, wo sie in das Zolllagerverfahren übergeführt und von dort später nach Russland weitertransportiert wurden.
Am 2. September 2010 erließ das Hauptzollamt Gießen an den Hauptverpflichteten, der die fraglichen Waren als Versender zum Versandverfahren angemeldet hatte, und an Wallenborn als Warenführer jeweils einen Bescheid, in dem die Höhe der Einfuhrabgaben und der Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt wurde.
Zur Zahlung wurde aber lediglich die Klägerin des Ausgangsverfahrens aufgefordert, da der Hauptverpflichtete die ordnungsgemäße Übergabe der fraglichen Waren und des Versandscheins nachgewiesen habe, während Wallenborn es versäumt habe, das Versandverfahren ordnungsgemäß zu beenden. Der Warenempfänger gab an, er sei davon ausgegangen, dass die fraglichen Waren zollamtlich abgefertigt gewesen seien und dass ihm das Versandbegleitdokument bei der Anlieferung der Waren nicht mit übergeben worden sei.
In der Begründung ihrer Klage vor dem vorlegenden Gericht räumt Wallenborn ein, dass eine Zollschuld entstanden sei, als der die fraglichen Waren transportierende Lkw entladen und der Zollverschluss entfernt wurde. Jedoch habe der Hamburger Freihafen als Freizone nicht zum Inland im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gehört. Daraus folge, dass der Tatbestand, der die Zollschuld im Sinne von Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex habe entstehen lassen, außerhalb des deutschen Steuergebiets verwirklicht worden sei, so dass kein steuerbarer Umsatz vorliege.
Obwohl es sich bei Zöllen und der Einfuhrumsatzsteuer um unterschiedliche Abgabenarten handele, könnten die Zoll- und die Einfuhrumsatzsteuerschuld nicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstehen. Auch könne die Einfuhrumsatzsteuer nicht aufgrund eines anderen Tatbestands entstehen als die Zollschuld.
Das Hauptzollamt Gießen bringt seinerseits vor, dass gleichzeitig mit der Zollschuld auch der Einfuhrumsatzsteueranspruch gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entstanden sei – unabhängig davon, dass dieser Zollschuldentstehungstatbestand auf dem Gelände des Hamburger Freihafens verwirklicht worden sei. Dass die fraglichen Waren nach Finnland befördert und wiederausgeführt worden seien, sei außerdem unerheblich.
Angesichts dessen, dass sich im Ausgangsrechtsstreit Fragen der Auslegung des Unionsrechts stellen, hat das Hessische Finanzgericht (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist die mehrwertsteuerrechtliche Vorschrift eines Mitgliedstaats, wonach Freizonen des Kontrolltyps I (Freihäfen) nicht zum Inland gehören, eine sonstige Regelung im Sinne des Art. 156, wie sie in Art. 61 Unterabs. 1 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannt ist?
Falls diese Frage bejaht wird:
Treten Steuertatbestand und Steueranspruch für Gegenstände, die Zöllen unterliegen, gemäß Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch dann zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für die Zölle entstehen, wenn Tatbestand und Anspruch für die Zölle inmitten einer Freizone des Kontrolltyps I entstehen und das Mehrwertsteuerrecht des Mitgliedstaats, zu dessen Staatsgebiet die Freizone gehört, bestimmt, dass Freizonen des Kontrolltyps I (Freihäfen) nicht zum Inland gehören?
Falls die zweite Frage verneint wird:
Treten Steuertatbestand und Steueranspruch für eine im externen Versandverfahren ohne Beendigung dieses Verfahrens in eine Freizone des Kontrolltyps I beförderte Ware, die in der Freizone der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, so dass für sie eine Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entsteht, zum gleichen Zeitpunkt nach einem anderen Entstehungstatbestand, nämlich gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex, ein, weil es vor der Handlung, durch die die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde, unterlassen worden ist, die Ware bei einer der für die Freizone zuständigen, im Inland gelegenen Zollstellen zu gestellen und das Versandverfahren dort zu beenden?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass Waren innerhalb einer Freizone einer „Regelung im Sinne [von] Artikel 156 … [dieser Richtlinie]“ unterfallen, wenn nach einer Rechtsvorschrift des betreffenden Mitgliedstaats die Freizonen für die Zwecke der Erhebung der Mehrwertsteuer nicht zum Inland gehören.
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Hessische Finanzgericht der Auffassung zu sein scheint, dass die Bejahung dieser Frage davon abhänge, dass diese nationale Bestimmung als Einführung einer Steuerbefreiung im Sinne von Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden könne. Jedoch stelle eine Bestimmung, nach der die Freizonen im Hinblick auf die Mehrwertsteuer nicht zum Inland gehörten, keine Befreiung im eigentlichen Sinne dar.
Allerdings verweisen – und in diesem Sinne hat sich auch der Generalanwalt in den Rn. 50 und 51 seiner Schlussanträge geäußert –, auch wenn Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, bestimmte Arten von Umsätzen von der Steuer zu befreien, die dort aufgeführt sind und zu denen gemäß Buchst. b die Lieferungen von Gegenständen gehören, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen, Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie nicht auf die Anwendungsvoraussetzungen ihres Art. 156, sondern nur auf die dort genannten sonstigen Regelungen und Zollverfahren.
Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt nämlich, dass dann, wenn Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Union einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne von Art. 156 der Richtlinie unterliegen, Mehrwertsteuertatbestand und -anspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem diese Gegenstände diesen Verfahren oder diesen sonstigen Regelungen nicht mehr unterliegen. In diesem Fall erfolgt nach Art. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie die Einfuhr der fraglichen Waren in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet diese Gegenstände nicht mehr diesen Verfahren oder sonstigen Regelungen unterliegen.
Somit ist die Bezugnahme in Art. 61 Unterabs. 1 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie auf „[ein] Verfahren oder [eine sonstige] Regelung im Sinne“ des Art. 156 der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie u. a. Freizonen umfasst.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass nach diesen Bestimmungen in einer Freihandelszone gelagerte Gegenstände für die Zwecke der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht als eingeführt anzusehen sind. In diesem Sinne entsprechen Freizonen, auf die in einer nationalen Bestimmung Bezug genommen wird, nach der für die Zwecke der Erhebung der Mehrwertsteuer Freizonen nicht zum Inland gehören, den Freizonen gemäß Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie.
Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die Bezugnahme auf „[ein] Verfahren oder [eine sonstige] Regelung im Sinne“ des Art. 156 dieser Richtlinie Freizonen umfasst.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 71 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei der Entziehung eines Gegenstands aus der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone Einfuhrmehrwertsteuertatbestand und -anspruch eintreten.
Gemäß Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten u. a. der Mehrwertsteuertatbestand und -anspruch dann, wenn Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Union dem externen Versandverfahren oder einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne von Art. 156 der Richtlinie unterliegen, zu dem Zeitpunkt ein, zu dem diese Gegenstände diesen Verfahren oder sonstigen Regelungen nicht mehr unterliegen.
Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft den Sonderfall eingeführter Gegenstände, die Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung unterliegen, bei denen Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben eintreten.
Im Ausgangsverfahren steht fest, dass aufgrund der Entziehung der fraglichen Gegenstände aus der zollamtlichen Überwachung, einer Folge der unzulässigen Entfernung der Zollverschlüsse, eine Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entstanden ist (vgl. hierzu Urteil vom 15. Mai 2014, X, C-480/12, EU:C:2014:329, Rn. 34).
Diese Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung führte auch zur Beendigung des externen Versandverfahrens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2002, Liberexim, C-371/99, EU:C:2002:433, Rn. 53).
Da diese Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone stattfand, unterfielen die im Ausgangsverfahren fraglichen Gegenstände allerdings weiterhin einer der Regelungen nach Art. 156 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie, so dass die Voraussetzungen für die Entstehung einer Mehrwertsteuerschuld gemäß Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie von vornherein nicht erfüllt waren.
Wie aus Rn. 45 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht die Lagerung der Gegenstände innerhalb einer Freizone zum Zeitpunkt ihrer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung auch der Anwendung von Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie entgegen, da es an einem Ort der Einfuhr fehlt.
In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen kann, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten (Urteil vom 2. Juni 2016, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig, C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405, Rn. 65).
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 67 bis 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist insoweit grundsätzlich anzunehmen, dass Einfuhrabgaben unterliegende Gegenstände, die der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone entzogen werden und sich nicht mehr in dieser Zone befinden, in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt worden sind.
Stellt sich allerdings unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, die in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils dargestellt worden sind, heraus, dass die fraglichen Gegenstände nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt wurden – dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts –, fällt keine Einfuhrmehrwertsteuer an.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 71 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass bei der Entziehung einer Ware aus der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone weder Einfuhrmehrwertsteuertatbestand noch -anspruch eintreten, wenn die Ware nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt wurde, was festzustellen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass dann, wenn eine Zollschuld gemäß Art. 203 des Zollkodex entsteht und es aufgrund der im Ausgangsverfahren gegebenen Umstände ausgeschlossen ist, dass sie zum Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld führt, eine Anwendung von Art. 204 des Zollkodex zu dem Zweck in Betracht kommt, den Eintritt des Steuertatbestands dieser Steuer zu rechtfertigen.
Hierzu ist zunächst in Übereinstimmung mit dem Generalanwalt in Nr. 74 seiner Schlussanträge darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht von der Annahme auszugehen scheint, dass es unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren gegebenen möglich sei, die Art. 203 und 204 des Zollkodex nebeneinander anzuwenden.
Es scheint nämlich der Ansicht zu sein, dass dann, wenn die Entziehung der Ware aus der zollamtlichen Überwachung nicht zur Entstehung einer Mehrwertsteuerschuld führt, noch zu bestimmen sei, ob die Erhebung dieser Steuer auf die Entstehung einer Zollschuld gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex gestützt werden kann.
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 204 des Zollkodex, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, nur in den Fällen Anwendung findet, die nicht unter Art. 203 des Zollkodex fallen. Um entscheiden zu können, welcher dieser beiden Artikel die Grundlage für die Entstehung einer Einfuhrzollschuld ist, ist daher in erster Linie zu prüfen, ob die betreffenden Handlungen eine Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex darstellen. Nur wenn dies zu verneinen ist, kann eine Anwendung von Art. 204 des Zollkodex in Betracht kommen (Urteil vom 12. Februar 2004, Hamann International, C-337/01, EU:C:2004:90, Rn. 29 und 30).
Wird eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen, kommt daher für die Zwecke von Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Anwendung von Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex, um zu bestimmen, ob die Erhebung der Mehrwertsteuer auf die Entstehung einer Zollschuld nach dieser letztgenannten Bestimmung gestützt werden kann, nicht in Betracht.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass dann, wenn eine Zollschuld gemäß Art. 203 des Zollkodex entsteht und es aufgrund der im Ausgangsverfahren gegebenen Umstände ausgeschlossen ist, dass sie zum Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld führt, eine Anwendung von Art. 204 des Zollkodex allein zu dem Zweck, den Eintritt des Steuertatbestands dieser Steuer zu rechtfertigen, nicht in Betracht kommt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2007/75/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Bezugnahme auf „[ein] Verfahren oder [eine sonstige] Regelung im Sinne“ des Art. 156 Freizonen umfasst.
Art. 71 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass bei der Entziehung einer Ware aus der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone weder Einfuhrmehrwertsteuertatbestand noch -anspruch eintreten, wenn die Ware nicht in den Wirtschaftskreislauf der Europäischen Union überführt wurde, was festzustellen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn eine Zollschuld gemäß Art. 203 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung entsteht und es aufgrund der im Ausgangsverfahren gegebenen Umstände ausgeschlossen ist, dass sie zum Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld führt, eine Anwendung von Art. 204 des Zollkodex allein zu dem Zweck, den Eintritt des Steuertatbestands dieser Steuer zu rechtfertigen, nicht in Betracht kommt.
Da Cruz Vilaça
Berger
Borg Barthet
Levits
Biltgen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Juni 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Fünften Kammer
J. L. da Cruz Vilaça
( 1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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