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EuGH 27.04.2017 - C-535/15
EuGH 27.04.2017 - C-535/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) - 27. April 2017 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe — Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) — Allgemeine Registrierungspflicht und Informationsanforderungen — Nicht registrierte chemische Stoffe — Ausfuhr nicht registrierter chemischer Stoffe aus dem Gebiet der Europäischen Union“
Leitsatz
In der Rechtssache C-535/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 2015, in dem Verfahren
Freie und Hansestadt Hamburg
gegen
Jost Pinckernelle,
Beteiligter:
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch Rechtsanwalt M. Vogelsang,
von Herrn Pinckernelle, vertreten durch Rechtsanwältin A. Anisic,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Möller und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,
der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Maxian Rusche und D. Kukovec als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Dezember 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1, und Berichtigungen ABl. 2007, L 136, S. 3, ABl. 2008, L 141, S. 22 und ABl. 2009, L 36, S. 84, im Folgenden: REACH-Verordnung).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg (Deutschland, im Folgenden: Stadt Hamburg) und Herrn Jost Pinckernelle über die Ausfuhr chemischer Substanzen aus dem Unionsgebiet, die ohne eine Registrierung u. a. nach Art. 5 der REACH-Verordnung eingeführt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 1 bis 3 und 7 der REACH-Verordnung heißt es:
Diese Verordnung sollte ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherstellen sowie den freien Verkehr von Stoffen als solchen, in Gemischen oder in Erzeugnissen gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation verbessern. …
Der gemeinschaftliche Binnenmarkt für Stoffe kann nur dann wirksam funktionieren, wenn die Anforderungen an Stoffe in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht wesentlich voneinander abweichen.
Bei der Angleichung der Rechtsvorschriften für Stoffe sollte ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden. Die Rechtsvorschriften sollten ohne Diskriminierung danach angewandt werden, ob Stoffe innergemeinschaftlich oder im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft international gehandelt werden.
…
Damit die Einheit des Binnenmarkts erhalten bleibt und ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit, insbesondere die Gesundheit der Arbeitnehmer, und für die Umwelt sichergestellt ist, muss dafür Sorge getragen werden, dass die Herstellung von Stoffen in der Gemeinschaft dem Gemeinschaftsrecht genügt, auch wenn diese Stoffe ausgeführt werden.“
Art. 1 („Ziel und Geltungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Zweck dieser Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern.“
Art. 2 („Anwendung“) der Verordnung sieht in Abs. 7 Buchst. c Ziff. i vor:
In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der REACH-Verordnung heißt es:
„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:
…
Hersteller: natürliche oder juristische Person mit Sitz in der Gemeinschaft, die in der Gemeinschaft einen Stoff herstellt;
Einfuhr: physisches Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft;
Importeur: natürliche oder juristische Person mit Sitz in der Gemeinschaft, die für die Einfuhr verantwortlich ist;
Inverkehrbringen: entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe an Dritte oder Bereitstellung für Dritte. Die Einfuhr gilt als Inverkehrbringen;
…
Angemeldeter Stoff: Stoff, der gemäß der Richtlinie 67/548/EWG [des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. 1967, L 196, S. 1)] angemeldet wurde und in Verkehr gebracht werden durfte“.
Art. 5 („Ohne Daten kein Markt“) der Verordnung lautet:
„Vorbehaltlich der Artikel 6, 7, 21 und 23 dürfen Stoffe als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen nur dann in der Gemeinschaft hergestellt oder in Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den einschlägigen Bestimmungen dieses Titels, soweit vorgeschrieben, registriert wurden.“
Art. 6 („Allgemeine Registrierungspflicht für Stoffe als solche oder in Gemischen“) der REACH-Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Soweit in dieser Verordnung nicht anderweitig bestimmt, reicht ein Hersteller oder Importeur, der einen Stoff als solchen oder in einem oder mehreren Gemisch(en) in einer Menge von mindestens 1 Tonne pro Jahr herstellt oder einführt, bei der [Europäischen Chemikalienagentur (im Folgenden: Agentur)] ein Registrierungsdossier ein.“
Art. 7 („Registrierung und Anmeldung von Stoffen in Erzeugnissen“) der REACH-Verordnung sieht in Abs. 1 vor:
„Der Produzent oder Importeur von Erzeugnissen reicht für die in diesen Erzeugnissen enthaltenen Stoffe bei der Agentur ein Registrierungsdossier ein, wenn die beiden folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
Der Stoff ist in diesen Erzeugnissen in einer Menge von insgesamt mehr als 1 Tonne pro Jahr und pro Produzent oder Importeur enthalten;
der Stoff soll unter normalen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen freigesetzt werden.
Bei Einreichung des Registrierungsdossiers ist die Gebühr nach Titel IX zu entrichten.“
Art. 21 („Herstellung und Einfuhr von Stoffen“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Unbeschadet des Artikels 27 Absatz 8 darf ein Registrant mit der Herstellung oder Einfuhr eines Stoffes oder der Produktion oder Einfuhr eines Erzeugnisses beginnen oder fortfahren, sofern die Agentur innerhalb von drei Wochen nach dem Antragsdatum keine gegenteilige Mitteilung nach Artikel 20 Absatz 2 macht.
Bei Registrierungen von Phase-in-Stoffen darf dieser Registrant unbeschadet des Artikels 27 Absatz 8 mit der Herstellung oder Einfuhr eines Stoffes oder der Produktion oder Einfuhr eines Erzeugnisses fortfahren, sofern die Agentur innerhalb von drei Wochen nach dem Antragsdatum keine gegenteilige Mitteilung nach Artikel 20 Absatz 2 macht oder, bei Einreichung innerhalb der Zweimonatsfrist vor Ablauf der maßgeblichen Frist des Artikels 23, sofern die Agentur innerhalb von drei Monaten nach dieser Frist keine gegenteilige Mitteilung nach Artikel 20 Absatz 2 macht.
Bei der Vervollständigung eines Registrierungsdossiers nach Artikel 22 darf ein Registrant unbeschadet des Artikels 27 Absatz 8 mit der Herstellung oder Einfuhr des Stoffes bzw. mit der Produktion oder Einfuhr des Erzeugnisses fortfahren, sofern die Agentur innerhalb von drei Wochen nach dem Aktualisierungsdatum keine gegenteilige Mitteilung nach Artikel 20 Absatz 2 macht.“
In Art. 23 („Besondere Bestimmungen für Phase-in-Stoffe“) heißt es:
„(1) Bis zum 1. Dezember 2010 gelten die Artikel 5 und 6, Artikel 7 Absatz 1 sowie die Artikel 17, 18 und 21 nicht für folgende Stoffe:
Phase-in-Stoffe, die … als krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend … eingestuft sind und mindestens einmal nach dem 1. Juni 2007 in einer Menge von 1 Tonne oder mehr pro Jahr und pro Hersteller oder Importeur in der Gemeinschaft hergestellt oder dorthin eingeführt werden;
Phase-in-Stoffe, die [als] ‚sehr giftig für Wasserorganismen‘, ‚kann in Gewässern langfristig schädliche Wirkungen haben‘ … eingestuft sind und mindestens einmal nach dem 1. Juni 2007 in einer Menge von 100 Tonnen oder mehr pro Jahr und pro Hersteller oder Importeur in der Gemeinschaft hergestellt oder dorthin eingeführt werden;
Phase-in-Stoffe, die mindestens einmal nach dem 1. Juni 2007 in einer Menge von 1000 Tonnen oder mehr pro Jahr und pro Hersteller oder Importeur in der Gemeinschaft hergestellt oder dorthin eingeführt werden.
(2) Bis zum 1. Juni 2013 gelten die Artikel 5 und 6, Artikel 7 Absatz 1 sowie die Artikel 17, 18 und 21 nicht für Phase-in-Stoffe, die mindestens einmal nach dem 1. Juni 2007 in einer Menge von 100 Tonnen oder mehr pro Jahr und pro Hersteller oder Importeur in der Gemeinschaft hergestellt oder dorthin eingeführt werden.
(3) Bis zum 1. Juni 2018 …
(4) Unbeschadet der Absätze 1 bis 3 kann ein Registrierungsdossier zu jedem Zeitpunkt vor dem maßgeblichen Fristende eingereicht werden.
(5) Dieser Artikel gilt entsprechend für Stoffe, die nach Artikel 7 registriert werden.“
In Art. 28 („Vorregistrierungspflicht für Phase-in-Stoffe“) der REACH-Verordnung heißt es:
„(1) Zur Inanspruchnahme der in Artikel 23 vorgesehenen Übergangsregelungen übermittelt jeder potenzielle Registrant eines Phase-in-Stoffes in Mengen von 1 Tonne oder mehr pro Jahr, einschließlich Zwischenprodukten ohne Einschränkung, der Agentur folgende Informationen:
…
(2) Die Informationen nach Absatz 1 sind vor Ablauf einer Frist, die am 1. Juni 2008 beginnt und am 1. Dezember 2008 endet, zu übermitteln.
(3) Registranten, die die Informationen nach Absatz 1 nicht übermitteln, dürfen Artikel 23 nicht in Anspruch nehmen.
…“
Art. 31 („Anforderungen an Sicherheitsdatenblätter“) der Verordnung bestimmt in Abs. 5:
„Das Sicherheitsdatenblatt wird in einer Amtssprache des Mitgliedstaates/der Mitgliedstaaten vorgelegt, in dem der Stoff oder das Gemisch in Verkehr gebracht wird, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat bestimmt/die betreffenden Mitgliedstaaten bestimmen etwas anderes.“
Art. 112 („Anwendungsbereich“) in Titel XI („Einstufungs- und Kennzeichnungsverzeichnis“) der Verordnung sieht vor:
„Dieser Titel gilt für
…
Stoffe im Anwendungsbereich von Artikel 1 der Richtlinie 67/548/EWG, die die Kriterien für die Einstufung als gefährlich gemäß der genannten Richtlinie erfüllen und die als solche oder in einer Zubereitung in einer Konzentration in Verkehr gebracht werden, die gegebenenfalls über dem in der Richtlinie 1999/45/EG genannten Grenzwert liegt, was zur Einstufung der Zubereitung als gefährlich führt“.
In Art. 126 („Sanktionen bei Verstößen“) der REACH-Verordnung heißt es:
„Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die Bestimmungen dieser Verordnung Vorschriften über Sanktionen fest und treffen alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. …“
Art. 129 („Schutzklausel“) dieser Verordnung sieht in den Abs. 2 und 3 vor:
„(2) Die Kommission trifft innerhalb von 60 Tagen nach Eingang der Informationen des Mitgliedstaates eine Entscheidung gemäß dem in Artikel 133 Absatz 3 genannten Verfahren. Mit dieser Entscheidung wird entweder
die vorläufige Maßnahme für einen in der Entscheidung genannten Zeitraum zugelassen oder
der Mitgliedstaat aufgefordert, die vorläufige Maßnahme zu widerrufen.
(3) Besteht im Fall einer Entscheidung nach Absatz 2 Buchstabe a die vorläufige Maßnahme des Mitgliedstaates in einer Beschränkung des Inverkehrbringens oder der Verwendung eines Stoffes, so leitet der betreffende Mitgliedstaat ein gemeinschaftliches Beschränkungsverfahren ein, indem er der Agentur gemäß Anhang XV innerhalb von drei Monaten nach Erlass der Entscheidung der Kommission ein Dossier vorlegt.“
Anhang XV der REACH-Verordnung legt seinem Wortlaut nach die allgemeinen Grundsätze für die Erstellung von Dossiers mit Vorschlägen und Begründungen zu Beschränkungen für die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung eines Stoffes in der Gemeinschaft fest.
Deutsches Recht
Das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) bestimmt in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3498, 3991) in § 27b („Zuwiderhandlungen gegen die [REACH-]Verordnung …“): „Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer gegen die [REACH-]Verordnung … verstößt“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Herr Pinckernelle handelt mit Chemikalien.
Nach dem 1. Dezember 2008 führte er mindestens 19,4 Tonnen Nikotinsulfat aus China ein, ohne die nach Art. 28 der REACH-Verordnung vorgeschriebene Vorregistrierung vorgenommen zu haben.
Da Herr Pinckernelle auch keine Registrierung dieser Ware nach Art. 6 der REACH-Verordnung vorgenommen hatte, entschied die Stadt Hamburg, dass er die Ware nur verwenden oder in den Verkehr bringen dürfe, wenn er eine Genehmigung für die beabsichtigte Verwendung erhalten habe.
Der von Herrn Pinckernelle gestellte Antrag auf Genehmigung der Ausfuhr der Ware nach Russland wurde von der Stadt Hamburg abgelehnt, da sich die Ware illegal in Hamburg befinde. Die Stadt Hamburg wies auch den Widerspruch von Herrn Pinckernelle gegen die Ablehnung zurück.
Daraufhin erhob Herr Pinckernelle beim Verwaltungsgericht Hamburg (Deutschland) Klage gegen die Zurückweisung seines Widerspruchs. Die Klage wurde abgewiesen.
Auf die Berufung von Herrn Pinckernelle hob das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (Deutschland) am 25. Februar 2014 das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg auf und verpflichtete die Stadt Hamburg, Herrn Pinckernelle die beantragte Ausfuhr des Nikotinsulfats zu gestatten.
Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht begründete sein Urteil mit der Erwägung, dass die beabsichtigte Ausfuhr eines unter Verstoß gegen Art. 5 der REACH-Verordnung eingeführten Stoffes in der Folge jedenfalls keinen erneuten Verstoß gegen Art. 5 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 12 der Verordnung darstellen könne, wenn der betreffende Stoff – wie hier – dem europäischen Markt wegen eines Verwertungsverbots nicht zur Verfügung stehe.
Gegen dieses Urteil legte die Stadt Hamburg Revision beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) ein. Sie ist der Auffassung, dass Art. 5 der REACH-Verordnung die Ausfuhr von in der Europäischen Union befindlichen Stoffen in Drittländer verbiete, solange und soweit diese Stoffe nicht gemäß dieser Verordnung registriert worden seien.
Unabhängig von diesem Verwaltungsrechtsstreit wurde Herr Pinckernelle in einem Strafverfahren in Deutschland u. a. wegen Einfuhr chemischer Substanzen unter Verstoß gegen Art. 5 der REACH-Verordnung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt und mit einer Geldauflage von 340000 Euro verbunden wurde.
Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der REACH-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Stoffe, die bei ihrer Einfuhr in das Unionsgebiet nicht nach dieser Verordnung registriert wurden, aus diesem Gebiet ausgeführt werden dürfen.
Die Antwort auf diese Frage hängt somit vom Umfang der in dieser Bestimmung vorgesehenen Registrierungspflicht ab.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 17. März 2016, Liffers, C-99/15, EU:C:2016:173, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum Wortlaut von Art. 5 der REACH-Verordnung ist darauf hinzuweisen, dass die Formulierung „in der Gemeinschaft“ in der bulgarischen, der estnischen, der griechischen, der englischen, der französischen, der italienischen, der niederländischen, der polnischen, der portugiesischen und der finnischen Fassung dieser Bestimmung ausdrücklich auf die Herstellung von Stoffen bezogen ist. Dagegen bezieht sich die Formulierung „in der Gemeinschaft“ in der tschechischen, der dänischen, der lettischen, der ungarischen, der rumänischen, der slowakischen, der slowenischen und der schwedischen Fassung von Art. 5 der REACH-Verordnung sowohl auf die Herstellung als auch auf das Inverkehrbringen von Stoffen. Die spanische, die deutsche und die litauische Fassung sind nicht eindeutig.
Folglich ist eine Auslegung von Art. 5 der REACH-Verordnung, nach der sich die Formulierung „in der Gemeinschaft“ sowohl auf die Herstellung als auch auf das Inverkehrbringen von Stoffen bezieht, nach keiner Sprachfassung dieser Bestimmung ausgeschlossen, während eine Auslegung, nach der sich dieser Ausdruck allein auf die Herstellung von Stoffen bezieht, dem Wortlaut der tschechischen, der dänischen, der lettischen, der ungarischen, der rumänischen, der slowakischen, der slowenischen und der schwedischen Fassung der Bestimmung widerspricht.
Was den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 5 der REACH-Verordnung einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Nr. 12 der REACH-Verordnung das „Inverkehrbringen“ als entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe an Dritte oder Bereitstellung für Dritte definiert und bestimmt, dass die Einfuhr als Inverkehrbringen gilt. Diese Bestimmung sieht hingegen nicht vor, dass die Ausfuhr einer Ware als Inverkehrbringen gilt.
Da Art. 3 Nr. 12 der REACH-Verordnung den Begriff des „Inverkehrbringens“ für die Zwecke dieser Verordnung definiert, ist er im Rahmen der Verordnung einheitlich zu verstehen.
Insoweit ist auf Art. 3 Nr. 21 der REACH-Verordnung zu verweisen, wonach ein „angemeldeter Stoff“ ein Stoff ist, der gemäß der Richtlinie 67/548 angemeldet wurde und in Verkehr gebracht werden durfte. Diese Richtlinie sieht in Art. 1 Abs. 1 und 3 zum einen vor, dass ihr Ziel die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe ist, die in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht werden, und zum anderen, dass sie nicht für gefährliche Stoffe gilt, wenn diese nach dritten Ländern ausgeführt werden. Daraus folgt, dass das Inverkehrbringen, auf das sich Art. 3 Nr. 21 der REACH-Verordnung bezieht, lediglich den Binnenmarkt betrifft und Ausfuhren nach außerhalb ausschließt.
Nach Art. 31 Abs. 5 der REACH-Verordnung wird „[d]as Sicherheitsdatenblatt … in einer Amtssprache des Mitgliedstaates/der Mitgliedstaaten vorgelegt, in dem der Stoff oder das Gemisch in Verkehr gebracht wird, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat bestimmt/die betreffenden Mitgliedstaaten bestimmen etwas anderes“. Somit setzt diese Bestimmung das Inverkehrbringen ebenfalls allein mit dem Binnenmarkt in Beziehung.
Gleiches gilt für Art. 112 Buchst. b der REACH-Verordnung, wonach Titel XI dieser Verordnung unter bestimmten Voraussetzungen für „Stoffe im Anwendungsbereich von Artikel 1 der Richtlinie 67/548/EWG“ gilt, d. h. gefährliche Stoffe, „die in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht werden“, und nicht Stoffe, die „nach dritten Ländern ausgeführt werden“.
Nach Art. 129 Abs. 3 der REACH-Verordnung leitet der Mitgliedstaat – wenn im Fall einer Entscheidung der Kommission, vorläufige Maßnahmen für einen bestimmten Zeitraum zuzulassen, die vorläufige Maßnahme des Mitgliedstaats in einer Beschränkung des Inverkehrbringens oder der Verwendung eines Stoffes besteht – ein gemeinschaftliches Beschränkungsverfahren ein, indem er der Agentur gemäß Anhang XV innerhalb von drei Monaten nach Erlass der Entscheidung der Kommission ein Dossier vorlegt. Anhang XV legt die allgemeinen Grundsätze für die Erstellung von Dossiers mit Vorschlägen und Begründungen u. a. für Beschränkungen für die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung eines Stoffes in der Gemeinschaft fest. Das in Art. 129 Abs. 3 der REACH-Verordnung genannte „Inverkehrbringen“ bezieht sich somit nur auf den Binnenmarkt und erfasst keine Ausfuhren in Drittländer.
Zum letzten Punkt ist hervorzuheben, dass Stoffe, die das Gebiet der Gemeinschaft verlassen, nach der REACH-Verordnung nicht als „in den Verkehr gebracht“, sondern als „ausgeführt“ angesehen werden. So bestimmt Art. 2 Abs. 7 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung: „Ausgenommen von den Titeln II, V und VI sind … nach Titel II registrierte Stoffe als solche oder in Gemischen, die von einem Akteur der Lieferkette aus der Gemeinschaft ausgeführt und von demselben oder einem anderen Akteur derselben Lieferkette wieder in die Gemeinschaft eingeführt wurden, wenn dieser nachweist, dass der wieder eingeführte Stoff mit dem ausgeführten Stoff identisch ist“.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Ausfuhr eines Stoffes in ein Drittland nicht als „Inverkehrbringen“ dieses Stoffes im Sinne von Art. 3 Nr. 12 und Art. 5 der REACH-Verordnung eingestuft werden kann.
Die Ziele der REACH-Verordnung stehen dieser Auslegung der betreffenden Vorschriften nicht entgegen. Die Verordnung stützt sich nämlich ausdrücklich auf Art. 95 EG (jetzt Art. 114 AEUV), dessen Bestimmungen für die Erreichung der in Art. 14 EG (jetzt Art. 26 AEUV) genannten Ziele gelten, die darin bestehen, einen Binnenmarkt, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem u. a. der freie Warenverkehr gewährleistet ist, zu verwirklichen bzw. sein Funktionieren zu gewährleisten.
In diesem Zusammenhang heißt es im ersten Erwägungsgrund der REACH-Verordnung, dass diese insbesondere den freien Warenverkehr gewährleisten soll. Hierzu hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich der freie Warenverkehr auf den Binnenmarkt bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2016, Canadian Oil Company Sweden und Rantén, C-472/14, EU:C:2016:171, Rn. 32). Nach dem zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung kann der Binnenmarkt für Stoffe nur dann wirksam funktionieren, wenn die Anforderungen an Stoffe in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht wesentlich voneinander abweichen. Nach dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung muss, damit die Einheit des Binnenmarkts erhalten bleibt und ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit, insbesondere die Gesundheit der Arbeitnehmer, und für die Umwelt sichergestellt ist, dafür Sorge getragen werden, dass die Herstellung von Stoffen in der Gemeinschaft dem Gemeinschaftsrecht genügt, auch wenn diese Stoffe ausgeführt werden.
Aus all diesen Gesichtspunkten ergibt sich, dass der Markt, auf den sich die REACH-Verordnung bezieht, der Binnenmarkt ist und sich das „Inverkehrbringen“ daher auf den Binnenmarkt bezieht. In der Verordnung findet sich nichts, was dieser Auslegung widerspräche, zumal die Verordnung bei der Frage des Inverkehrbringens von Stoffen außerhalb des Binnenmarkts den Begriff der Ausfuhr verwendet.
Die Stadt Hamburg und die deutsche Regierung haben geltend gemacht, eine Auslegung der Wörter „in Verkehr gebracht werden“ in Art. 5 der REACH-Verordnung dahin, dass sie sich nur auf den Binnenmarkt beziehen und nicht auf die Ausfuhr chemischer Stoffe, die bei ihrer Einfuhr in die Union nicht registriert wurden, in Drittländer, könne die Gefahr schaffen, dass unlautere Importeure vorsätzlich gegen die von der Union auferlegten Registrierungspflichten für chemische Stoffe verstießen, da sie diese einfach ausführen könnten.
Hierzu ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 126 der REACH-Verordnung Vorschriften über Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung festlegen – darunter gegen Art. 5, wonach die Registrierung der Stoffe erforderlich ist, insbesondere, wenn sie eingeführt werden – und alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen treffen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Wie in Rn. 18 des vorliegenden Urteils festgestellt, wird nach der deutschen Regelung mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer gegen die REACH-Verordnung verstößt.
Wie sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte und insbesondere der Vorlageentscheidung ergibt, können die zuständigen Behörden außerdem Vorschriften des nationalen Verwaltungsrechts anwenden, um die Beachtung der u. a. aus Art. 5 der REACH-Verordnung folgenden Pflicht zur Registrierung eines eingeführten Stoffes durchzusetzen, gegebenenfalls auch zwangsweise.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 12 der REACH-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Stoffe, die bei ihrer Einfuhr in das Unionsgebiet nicht nach dieser Verordnung registriert wurden, aus diesem Gebiet ausgeführt werden dürfen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission ist in Verbindung mit Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung dahin auszulegen, dass Stoffe, die bei ihrer Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union nicht nach dieser Verordnung registriert wurden, aus diesem Gebiet ausgeführt werden dürfen.
Bay Larsen
Vilaras
Malenovský
Safjan
Šváby
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. April 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Dritten Kammer
L. Bay Larsen
( *1) Verfahrenssprache: Deutsch.
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