Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 19.01.2017 - C-282/15
EuGH 19.01.2017 - C-282/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 19. Januar 2017 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Freier Warenverkehr — Art. 34 bis 36 AEUV — Rein innerstaatlicher Sachverhalt — Lebensmittelsicherheit — Verordnung (EG) Nr. 178/2002 — Art. 6 — Grundsatz der Risikoanalyse — Art. 7 — Vorsorgeprinzip — Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 — Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die die Herstellung und das Inverkehrbringen aminosäurehaltiger Nahrungsergänzungsmittel verbieten — Situation, in der die Erteilung einer befristeten Ausnahmegenehmigung von diesem Verbot in das Ermessen der nationalen Behörde gestellt ist“
Leitsatz
In der Rechtssache C-282/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Braunschweig (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2015, in dem Verfahren
Queisser Pharma GmbH & Co. KG
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter E. Juhász und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Queisser Pharma GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Meisterernst,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Juli 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1), der Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln (ABl. 2006, L 404, S. 26) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 108/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 (ABl. 2008, L 39, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1925/2006) sowie der Art. 34 bis 36 AEUV.
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Queisser Pharma GmbH & Co. KG (im Folgenden: Queisser Pharma) und der Bundesrepublik Deutschland wegen eines Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot der Herstellung und des Vertriebs eines die Aminosäure L-Histidin enthaltenden Nahrungsergänzungsmittels.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 178/2002
Art. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 definiert deren Ziel und Anwendungsbereich wie folgt:
„(1) Diese Verordnung schafft die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen und die Verbraucherinteressen bei Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung der Vielfalt des Nahrungsmittelangebots, einschließlich traditioneller Erzeugnisse, wobei ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet wird. In ihr werden einheitliche Grundsätze und Zuständigkeiten, die Voraussetzungen für die Schaffung eines tragfähigen wissenschaftlichen Fundaments und effiziente organisatorische Strukturen und Verfahren zur Untermauerung der Entscheidungsfindung in Fragen der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit festgelegt.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 werden in dieser Verordnung die allgemeinen Grundsätze für Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene festgelegt.
…“
Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
‚Risikobewertung‘ einen wissenschaftlich untermauerten Vorgang mit den vier Stufen Gefahrenidentifizierung, Gefahrenbeschreibung, Expositionsabschätzung und Risikobeschreibung;
…“
Kapitel II („Allgemeines Lebensmittelrecht“) der Verordnung umfasst deren Art. 4 bis 21. Art. 4 („Anwendungsbereich“) bestimmt in seinen Abs. 2 und 3:
„(2) Die in den Artikeln 5 bis 10 festgelegten allgemeinen Grundsätze bilden einen horizontalen Gesamtrahmen, der einzuhalten ist, wenn Maßnahmen getroffen werden.
(3) Die bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundsätze und Verfahren werden so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 2007[,] so angepasst, dass sie mit den Artikeln 5 bis 10 in Einklang stehen.“
Art. 6 („Risikoanalyse“) der Verordnung Nr. 178/2002 sieht vor:
„(1) Um das allgemeine Ziel eines hohen Maßes an Schutz für Leben und Gesundheit der Menschen zu erreichen, stützt sich das Lebensmittelrecht auf Risikoanalysen, außer wenn dies nach den Umständen oder der Art der Maßnahme unangebracht wäre.
(2) Die Risikobewertung beruht auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen.
(3) Beim Risikomanagement ist den Ergebnissen der Risikobewertung, insbesondere den Gutachten der Behörde gemäß Artikel 22, anderen angesichts des betreffenden Sachverhalts berücksichtigenswerten Faktoren sowie – falls die in Artikel 7 Absatz 1 dargelegten Umstände vorliegen – dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen, um die allgemeinen Ziele des Lebensmittelrechts gemäß Artikel 5 zu erreichen.“
Art. 7 („Vorsorgeprinzip“) der Verordnung lautet:
„(1) In bestimmten Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, können vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen.
(2) Maßnahmen, die nach Absatz 1 getroffen werden, müssen verhältnismäßig sein und dürfen den Handel nicht stärker beeinträchtigen, als dies zur Erreichung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit und anderer angesichts des betreffenden Sachverhalts für berücksichtigenswert gehaltener Faktoren notwendig ist. Diese Maßnahmen müssen innerhalb einer angemessenen Frist überprüft werden, die von der Art des festgestellten Risikos für Leben oder Gesundheit und der Art der wissenschaftlichen Informationen abhängig ist, die zur Klärung der wissenschaftlichen Unsicherheit und für eine umfassendere Risikobewertung notwendig sind.“
Art. 14 („Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit“) der Verordnung Nr. 178/2002 bestimmt:
„(1) Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.
(2) Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie
gesundheitsschädlich sind,
für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.
…
(7) Lebensmittel, die spezifischen Bestimmungen der Gemeinschaft zur Lebensmittelsicherheit entsprechen, gelten hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher.
…
(9) Fehlen spezifische Bestimmungen der Gemeinschaft, so gelten Lebensmittel als sicher, wenn sie mit den entsprechenden Bestimmungen des nationalen Lebensmittelrechts des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie vermarktet werden, in Einklang stehen, sofern diese Bestimmungen unbeschadet des [AEU-]Vertrags, insbesondere der Artikel [34] und [36], erlassen und angewandt werden.“
Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 betrifft Sofortmaßnahmen in Bezug auf Lebensmittel und Futtermittel mit Ursprung in der Gemeinschaft oder auf aus Drittländern eingeführte Lebensmittel und Futtermittel. Art. 55 dieser Verordnung bezieht sich auf den allgemeinen Plan für das Krisenmanagement.
Verordnung Nr. 1925/2006
Die Erwägungsgründe 1 und 2 der Verordnung Nr. 1925/2006 lauten:
Es gibt eine breite Palette von Nährstoffen und anderen Zutaten, die Lebensmitteln bei der Herstellung zugesetzt werden können, unter anderem Vitamine, Mineralstoffe einschließlich Spurenelementen, Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren, Ballaststoffe, verschiedene Pflanzen und Kräuterextrakte. Ihr Zusatz zu Lebensmitteln ist in den Mitgliedstaaten durch unterschiedliche nationale Vorschriften geregelt, die den freien Verkehr dieser Erzeugnisse behindern, ungleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und somit direkte Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes haben. Daher ist es notwendig, Gemeinschaftsvorschriften zur Harmonisierung der nationalen Bestimmungen über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln zu erlassen.
Mit dieser Verordnung soll der Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen zu Lebensmitteln sowie die Verwendung bestimmter anderer Stoffe oder Zutaten geregelt werden, die andere Stoffe als Vitamine oder Mineralstoffe enthalten und Lebensmitteln zugesetzt werden oder bei der Herstellung von Lebensmitteln unter Bedingungen verwendet werden, die zur Aufnahme von Mengen führen, welche weit über den unter normalen Bedingungen bei einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung vernünftigerweise anzunehmenden Mengen liegen und/oder die sonst ein potenzielles Risiko für die Verbraucher bergen. Bestehen keine spezifischen Gemeinschaftsvorschriften über ein Verbot oder eine Beschränkung der Verwendung von unter diese Verordnung oder andere spezifische Gemeinschaftsvorschriften fallenden Stoffen oder Zutaten, die andere Stoffe als Vitamine oder Mineralstoffe enthalten, so können unbeschadet der Bestimmungen des Vertrags einschlägige einzelstaatliche Vorschriften angewendet werden.“
Art. 2 („Definitionen“) dieser Verordnung bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
‚anderer Stoff‘ einen anderen Stoff als ein Vitamin oder einen Mineralstoff, der eine ernährungsbezogene oder eine physiologische Wirkung hat.“
Art. 8 („Stoffe, deren Verwendung Beschränkungen unterliegt, die verboten sind oder die von der Gemeinschaft geprüft werden“) der Verordnung Nr. 1925/2006 sieht vor:
„(1) Das in dem vorliegenden Artikel vorgesehene Verfahren findet Anwendung, wenn ein anderer Stoff als Vitamine oder Mineralstoffe oder eine Zutat, die einen anderen Stoff als Vitamine oder Mineralstoffe enthält, Lebensmitteln zugesetzt oder bei der Herstellung von Lebensmitteln unter Bedingungen verwendet wird, die zu einer Aufnahme von Mengen dieses Stoffes führen würden, welche weit über den unter normalen Bedingungen bei einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung vernünftigerweise anzunehmenden Mengen liegen, und/oder die ein potenzielles Risiko für die Verbraucher bergen würden.
(2) Die Kommission kann aus eigener Initiative oder anhand der von den Mitgliedstaaten übermittelten Angaben, nachdem die Behörde jeweils eine Bewertung der vorliegenden Informationen vorgenommen hat, nach dem in Artikel 14 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle die Aufnahme des Stoffs oder der Zutat in Anhang III beschließen; dies bewirkt eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung. Im Einzelnen verfährt sie wie folgt:
Stellt sich heraus, dass eine derartige Verwendung gesundheitsschädlich ist, so wird der Stoff und/oder die Zutat, die diesen enthält,
in Anhang III Teil A aufgenommen, und der Zusatz dieses Stoffs und/oder dieser Zutat zu Lebensmitteln oder deren Verwendung bei der Herstellung von Lebensmitteln verboten, oder
in Anhang III Teil B aufgenommen, und der Zusatz dieses Stoffs und/oder dieser Zutat zu Lebensmitteln oder deren Verwendung bei der Herstellung von Lebensmitteln nur unter den dort genannten Bedingungen erlaubt.
Stellt sich heraus, dass eine derartige Verwendung möglicherweise gesundheitsschädlich ist, jedoch weiterhin eine wissenschaftliche Unsicherheit besteht, so wird der Stoff in Anhang III Teil C aufgenommen.
…“
Art. 11 („Einzelstaatliche Vorschriften“) dieser Verordnung bestimmt in seinem Abs. 2:
„Wenn Gemeinschaftsvorschriften fehlen und ein Mitgliedstaat es für erforderlich hält, neue Rechtsvorschriften zum
obligatorischen Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen zu bestimmten Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien oder
Verbot oder der Beschränkung der Verwendung bestimmter anderer Stoffe bei der Herstellung von bestimmten Lebensmitteln
zu erlassen, so unterrichtet er die Kommission nach dem in Artikel 12 festgelegten Verfahren.“
Deutsches Recht
Das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB) (BGB1. I 2005, S. 2618) bezweckt den Schutz der menschlichen Gesundheit im privaten häuslichen Bereich durch Vorbeugung gegen eine oder Abwehr einer Gefahr, die von diesen Erzeugnissen ausgeht oder ausgehen kann. Das vorlegende Gericht nimmt auf die Fassung der Bekanntmachung dieses Gesetzbuchs vom 3. Juni 2013 (BGBl. I 2013, S. 1426), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 5. Dezember 2014 (BGBl. I 2014, S. 1975) geändert worden ist (im Folgenden: LFGB), Bezug.
Gemäß § 1 Abs. 3 LFGB dient dieses Gesetz der Umsetzung und Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union, die Sachbereiche dieses Gesetzes betreffen, wie die Verordnung Nr. 178/2002.
In § 2 LFGB („Begriffsbestimmungen“) heißt es:
„…
(2) Lebensmittel sind Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung … Nr. 178/2002.
(3) Lebensmittelzusatzstoffe sind Lebensmittelzusatzstoffe im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe [(ABl. 2008, L 354, S. 16)], die zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 298/2014 [(ABl. 2014, L 89, S. 36)] geändert worden ist. Den Lebensmittelzusatzstoffen stehen gleich
Stoffe mit oder ohne Nährwert, die üblicherweise weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet werden und die einem Lebensmittel aus anderen als technologischen Gründen beim Herstellen oder Behandeln zugesetzt werden, wodurch sie selbst oder ihre Abbau- oder Reaktionsprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können; ausgenommen sind Stoffe, die natürlicher Herkunft oder den natürlichen chemisch gleich sind und nach allgemeiner Verkehrsauffassung überwiegend wegen ihres Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet werden,
…
Aminosäuren und deren Derivate,
…“
§ 4 LFGB („Vorschriften zum Geltungsbereich“) Abs. 1 sieht vor:
„Die Vorschriften dieses Gesetzes
…
für Lebensmittelzusatzstoffe gelten auch für die ihnen nach § 2 Absatz 3 Satz 2 oder aufgrund des Absatzes 3 Nummer 2 gleichgestellten Stoffe,
…“
§ 5 LFGB („Verbote zum Schutz der Gesundheit“) Abs. 1 bestimmt:
„Es ist verboten, Lebensmittel für andere derart herzustellen oder zu behandeln, dass ihr Verzehr gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung … Nr. 178/2002 ist. Unberührt bleiben
das Verbot des Artikels 14 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung … Nr. 178/2002 über das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher Lebensmittel …
…“
In § 6 LFGB, der Verbote für Lebensmittelzusatzstoffe betrifft, Abs. 1 heißt es:
„Es ist verboten,
bei dem Herstellen oder Behandeln von Lebensmitteln, die dazu bestimmt sind, in den Verkehr gebracht zu werden,
nicht zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe unvermischt oder in Mischungen mit anderen Stoffen zu verwenden,
…
Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, die entgegen dem Verbot der Nummer 1 hergestellt oder behandelt sind oder einer nach § 7 Absatz 1 oder 2 Nummer 1 oder 5 erlassenen Rechtsverordnung nicht entsprechen.
…“
Gemäß § 7 LFGB ist das Bundesministerium (Deutschland) ermächtigt, durch Rechtsverordnung Ausnahmen von den Verboten des § 6 Abs. 1 LFGB zuzulassen.
§ 54 Abs. 2 und 3 LFGB lautet:
„(2) Allgemeinverfügungen … werden vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit … erlassen, soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen. Sie sind von demjenigen zu beantragen, der als Erster die Erzeugnisse in das Inland zu verbringen beabsichtigt. Bei der Beurteilung der gesundheitlichen Gefahren eines Erzeugnisses sind die Erkenntnisse der internationalen Forschung sowie bei Lebensmitteln die Ernährungsgewohnheiten in der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Allgemeinverfügungen nach Satz 1 wirken zugunsten aller Einführer der betreffenden Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
(3) Dem Antrag sind eine genaue Beschreibung des Erzeugnisses sowie die für die Entscheidung erforderlichen verfügbaren Unterlagen beizufügen. Über den Antrag ist in angemessener Frist zu entscheiden. Sofern innerhalb von 90 Tagen eine endgültige Entscheidung über den Antrag noch nicht möglich ist, ist der Antragsteller über die Gründe zu unterrichten.“
§ 68 LFGB bestimmt:
„(1) Von den Vorschriften dieses Gesetzes … können im Einzelfall auf Antrag Ausnahmen nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 zugelassen werden. …
(2) Ausnahmen dürfen nur zugelassen werden
für das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen bestimmter Lebensmittel …, sofern Ergebnisse zu erwarten sind, die für eine Änderung oder Ergänzung der für Lebensmittel … geltenden Vorschriften von Bedeutung sein können, unter amtlicher Beobachtung oder sofern eine Angleichung der Rechtsvorschriften an Rechtsakte der … Europäischen Union noch nicht erfolgt ist; dabei sollen die schutzwürdigen Interessen des Einzelnen sowie alle Faktoren, die die allgemeine Wettbewerbslage des betreffenden Industriezweiges beeinflussen können, angemessen berücksichtigt werden,
…
in sonstigen Fällen, in denen besondere Umstände, insbesondere der drohende Verderb von Lebensmitteln … dies zur Vermeidung unbilliger Härten geboten erscheinen lassen; …
(3) Ausnahmen dürfen nur zugelassen werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr für die menschliche oder tierische Gesundheit nicht zu erwarten ist; …
(4) Zuständig für die Zulassung von Ausnahmen nach Absatz 2 Nummer 1 und 3 ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit … Die Zulassung kann mit Auflagen versehen werden.
(5) Die Zulassung einer Ausnahme nach Absatz 2 ist auf längstens drei Jahre zu befristen. In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 1 kann sie auf Antrag dreimal … um jeweils längstens drei Jahre verlängert werden, sofern die Voraussetzungen für die Zulassung fortdauern.
(6) Die Zulassung einer Ausnahme kann jederzeit aus wichtigem Grund widerrufen werden. Hierauf ist bei der Zulassung hinzuweisen.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Queisser Pharma ist ein in Deutschland ansässiges Unternehmen. Sie stellt das Nahrungsergänzungsmittel „Doppelherz aktiv + Eisen + Vitamin C + Histidin + Folsäure“ her, gemäß dessen Verzehrempfehlung dem Organismus täglich u. a. 100 mg der Aminosäure L-Histidin und 10 mg Eisen zugeführt werden.
Am 27. März 2006 beantragte Queisser Pharma beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: BVL) eine Ausnahmegenehmigung nach § 68 LFGB, um dieses Erzeugnis als Nahrungsergänzungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland herstellen und dort vertreiben zu dürfen.
Mit Bescheid vom 2. November 2012 lehnte das BVL den Antrag ab. Es begründete dies damit, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 68 LFGB nicht vorlägen. Nach § 68 Abs. 3 LFGB dürfe die Ausnahmegenehmigung nur erteilt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass eine Gefahr für die menschliche oder tierische Gesundheit nicht zu erwarten sei. Nach Auffassung des BVL stellt zwar das in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnis enthaltene L-Histidin keine Gefahr für die Gesundheit dar, doch bestünden Zweifel an der Unbedenklichkeit des Erzeugnisses, weil es dem Organismus täglich 10 mg Eisen zuführe.
Nach der Zurückweisung ihres Widerspruchs gegen diesen Bescheid erhob Queisser Pharma beim Verwaltungsgericht Braunschweig (Deutschland) Klage auf Feststellung, dass für das Herstellen und den Vertrieb des streitigen Erzeugnisses keine Ausnahmegenehmigung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 LFGB erforderlich sei.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 hob das BVL noch während des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens seinen Bescheid vom 2. November 2012 auf und erteilte Queisser Pharma nach § 68 LFGB eine auf drei Jahre befristete Ausnahmegenehmigung. Das BVL führte insoweit aus, dass entgegen seiner Einschätzung im aufgehobenen Bescheid der Inhaltsstoff Eisen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisses bei der Prüfung der Voraussetzungen nach § 68 LFGB nicht zu berücksichtigen sei. Queisser Pharma hielt jedoch an ihrer beim vorlegenden Gericht anhängigen Klage fest.
Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass die von Queisser Pharma am 22. März 2013 erhobene Klage nach deutschem Verwaltungsprozessrecht gleichwohl zulässig bleibe, weil diese Gesellschaft weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe, keiner solchen Ausnahmegenehmigung zu bedürfen.
Es stützt sich u. a. auf die nationale Rechtsprechung, insbesondere die des Bundesgerichtshofs, und möchte wissen, ob das System der Ausnahmegenehmigungen nach dem LFGB mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Nach dieser Rechtsprechung müssten die nationalen Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit nämlich dem primären Unionsrecht entsprechen, insbesondere den Art. 34 und 36 AEUV, die – wie sich aus dem Hinweis in Art. 14 Abs. 9 der Verordnung Nr. 178/2002 auf diese beiden Artikel ergebe – nicht nur für grenzüberschreitende Sachverhalte gälten. Das vorlegende Gericht hat wegen Nichtbeachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen mit den Art. 34 bis 36 AEUV.
Es möchte weiter wissen, ob eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit der Verordnung Nr. 178/2002 sowie mit der Verordnung Nr. 1925/2006 vereinbar ist. Es hält für möglich, dass mit den Art. 6, 7 und 14 der Verordnung Nr. 178/2002 der Bereich der Lebensmittelsicherheit abschließend geregelt ist, so dass nationale Verbote einzelner Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten nur unter den in diesen Artikeln genannten Voraussetzungen erlassen werden dürfen. Ebenso komme in Betracht, dass das Verfahren nach Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 die Möglichkeit eines Zusatzes von Aminosäuren zu Nahrungsergänzungsmitteln abschließend regele und damit dem Erlass einer abweichenden nationalen Regelung entgegenstehe.
Das vorlegende Gericht möchte daher wissen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung insoweit mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, als zum einen diese Vorschrift die Verwendung von Aminosäuren in Lebensmitteln pauschal verbietet, unabhängig davon, ob der Verdacht einer Gesundheitsgefährdung im Einzelfall hinreichend begründet ist, und als zum anderen die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, Einschränkungen unterliegt.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Braunschweig beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind Art. 34, Art. 35 und Art. 36 AEUV in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung Nr. 178/2002 so auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren (hier: L-Histidin) verbietet, soweit hierfür nicht unter bestimmten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird?
Ergibt sich aus der Systematik von Art. 14, Art. 6, Art. 7, Art. 53 und Art. 55 der Verordnung Nr. 178/2002, dass nationale Verbote einzelner Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten nur unter den dort genannten Voraussetzungen erlassen werden dürfen, und steht dies einer nationalen gesetzlichen Regelung wie unter 1. beschrieben entgegen?
Ist Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 so auszulegen, dass er einer nationalen gesetzlichen Regelung wie unter 1. beschrieben entgegensteht?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 14, 6, 7, 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 sowie die Art. 34 bis 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit nicht hierfür eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, nur befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass einige der in den Vorlagefragen angesprochenen Vorschriften des Unionsrechts im Rahmen des Ausgangsverfahrens keine Anwendung finden.
Zunächst geht aus dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1925/2006 in Verbindung mit deren Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 hervor, dass Aminosäuren, die eine ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung haben und in Lebensmitteln oder bei deren Herstellung verwendet werden, als „andere Stoffe“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.
Wie sich jedoch aus dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1925/2006 ergibt, können unbeschadet der Bestimmungen des Vertrags einschlägige einzelstaatliche Vorschriften angewandt werden, wenn keine spezifischen unionsrechtlichen Vorschriften über ein Verbot oder eine Beschränkung der Verwendung anderer Stoffe oder von Zutaten, die „andere Stoffe“ enthalten, bestehen. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts sind die Aminosäuren nicht Gegenstand eines spezifischen Verbots oder einer spezifischen Beschränkung gemäß Art. 8 dieser Verordnung, der das Verfahren zur Regelung des Verbots „anderer Stoffe“ auf Unionsebene festlegt.
Demnach müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 11 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1925/2006 zwar die Kommission nach dem Inkrafttreten der Verordnung über die einschlägigen nationalen Regelungen unterrichten, dürfen aber grundsätzlich u. a. die beim Inkrafttreten der Verordnung bereits geltenden nationalen Vorschriften über das Verbot der Verwendung von Aminosäuren in Nahrungsergänzungsmitteln weiterhin anwenden. Folglich ist die Verordnung Nr. 1925/2006 im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar, schließt jedoch eine Anwendung anderer spezifischer Vorschriften, die der Unionsgesetzgeber in Bezug auf diese „anderen Stoffe“ erlassen hat, oder von Vertragsbestimmungen nicht aus.
Sodann geht in Bezug auf die Art. 34 bis 36 AUEV aus der Vorlageentscheidung hervor, dass kein Element dieser Rechtssache über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinausweist.
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 98 bis 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können die Art. 34 bis 36 AEUV im Ausgangsverfahren keine Anwendung finden, weil zum einen keines seiner Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. November 1995, Esso Española, C-134/94, EU:C:1995:414, Rn. 13, und vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47) und zum anderen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des LFGB eine Benachteiligung von Ausfuhren gegenüber dem Binnenhandel dieses Mitgliedstaats weder bezwecken noch bewirken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter, C-205/07, EU:C:2008:730, Rn. 40).
Das vorlegende Gericht ist jedoch der Auffassung, die Art. 34 bis 36 AEUV könnten trotz der Feststellung, dass dieser Rechtssache jeglicher grenzüberschreitende Bezug fehle, Anwendung finden, weil nach Art. 14 Abs. 9 der Verordnung Nr. 178/2002, wenn spezifische Bestimmungen des Unionsrechts fehlten, Lebensmittel als sicher gälten, wenn sie mit den entsprechenden Bestimmungen des nationalen Lebensmittelrechts des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie vermarktet würden, in Einklang stünden, sofern diese Bestimmungen unbeschadet des AEU-Vertrags, insbesondere seiner Art. 34 und 36, erlassen und angewandt würden.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass – wie auch die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt – durch eine ausdrückliche Verweisung auf die Art. 34 bis 36 AEUV, wie sie in Art. 14 Abs. 9 der Verordnung Nr. 178/2006 enthalten ist, der Anwendungsbereich der Art. 34 bis 36 AEUV nicht auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens ausgedehnt werden kann, der keine sonstigen Anhaltspunkte enthält, die darauf schließen ließen, dass die genannten Artikel Anwendung finden könnten.
Schließlich kann anhand der dem Gerichtshof vorgelegten Akten festgestellt werden, dass Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 betreffend Situationen, in denen Sofortmaßnahmen zu ergreifen sind, und Art. 55 dieser Verordnung betreffend Situationen des Krisenmanagements im Rahmen der vorliegenden Rechtssache keine Anwendung finden.
Folglich sind Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006, die Art. 34 bis 36 AEUV sowie die Art. 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht anzuwenden und stehen einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen.
In Bezug auf die Art. 6, 7 und 14 der Verordnung Nr. 178/2002 ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung Lebensmittel, die nicht sicher – d. h. gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet – sind, nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Folglich muss das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneter Lebensmittel verboten werden.
Insoweit geht aus Art. 14 Abs. 7 und 9 der Verordnung Nr. 178/2002 hervor, dass Lebensmittel – in Ermangelung spezifischer Bestimmungen der Union zur Lebensmittelsicherheit – als sicher gelten, wenn sie mit den entsprechenden Bestimmungen des nationalen Lebensmittelrechts des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie vermarktet werden, in Einklang stehen. In einer solchen Situation darf der Mitgliedstaat nach dieser Bestimmung also Regelungen zur Lebensmittelsicherheit erlassen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es – mangels Harmonisierung und soweit beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung noch Unsicherheiten bestehen – Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1983, Sandoz, 174/82, EU:C:1983:213, Rn. 16, vom 23. September 2003, Kommission/Dänemark, C-192/01, EU:C:2003:492, Rn. 42, und vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 85).
Die Vereinbarkeit einer die Lebensmittelsicherheit betreffenden nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit dem System der Verordnung Nr. 178/2002 hängt jedoch davon ab, ob die allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts eingehalten werden, u. a. der Grundsatz der Risikoanalyse des Art. 6 der Verordnung und das Vorsorgeprinzip ihres Art. 7.
Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 legt die Verordnung Nr. 178/2002 die allgemeinen Grundsätze fest, die für Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf Unionsebene und auf einzelstaatlicher Ebene gelten.
Außerdem bestimmt Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002, dass die in den Artikeln 5 bis 10 festgelegten allgemeinen Grundsätze einen horizontalen Gesamtrahmen bilden, der einzuhalten ist, wenn Maßnahmen getroffen werden. Gemäß Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung werden die bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundsätze und Verfahren so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 2007, so angepasst, dass sie mit den Artikeln 5 bis 10 in Einklang stehen.
Folglich müssen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften des nationalen Lebensmittelrechts, wonach – soweit nicht im Voraus eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird – das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verboten ist, mit dem allgemeinen Rahmen dieser Bestimmungen der Verordnung Nr. 178/2002 in Einklang stehen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 das allgemeine Ziel eines hohen Maßes an Gesundheitsschutz verfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 103).
Insoweit geht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 178/2002 hervor, dass die Risikobewertung, auf die sich das Lebensmittelrecht stützen muss, auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen ist.
Art. 3 Abs. 11 dieser Verordnung definiert die Risikobewertung als einen wissenschaftlich untermauerten Vorgang mit den vier Stufen Gefahrenidentifizierung, Gefahrenbeschreibung, Expositionsabschätzung und Risikobeschreibung.
Aus dem das Vorsorgeprinzip betreffenden Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 geht hervor, dass in bestimmten Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Union gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden können, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen.
Wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können vorläufige Risikomanagementmaßnahmen nach Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 erst ergriffen werden, wenn die Auswertung der verfügbaren Informationen im Sinne des Art. 6 dieser Verordnung erfolgt ist und zu der Feststellung geführt hat, dass hinsichtlich möglicher gesundheitsschädlicher Auswirkungen eines Lebensmittels oder eines in einem Lebensmittel enthaltenen Stoffes wissenschaftlich Unsicherheit besteht.
Insoweit erfordert eine korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips erstens die Bestimmung der möglicherweise negativen Auswirkungen der betreffenden Stoffe oder Lebensmittel auf die Gesundheit und zweitens eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2003, Monsanto Agricoltura Italia u. a., C-236/01, EU:C:2003:431, Rn. 113, sowie vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 92).
Wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit der Bevölkerung jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt daher das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, sofern sie objektiv und nicht diskriminierend sind (Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Demzufolge ist ein Mitgliedstaat nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 grundsätzlich berechtigt, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen, nach der, sofern keine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, die Verwendung von Aminosäuren in Lebensmitteln generell verboten ist, wenn diese Regelung, bei der es sich im Kern um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt, insbesondere auf den Grundsatz der Risikoanalyse des Art. 6 der Verordnung und auf das Vorsorgeprinzip ihres Art. 7, wie sie in den Rn. 51 bis 57 des vorliegenden Urteils erläutert werden, gestützt ist.
Ferner müssen gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 nach dessen Abs. 1 getroffene Maßnahmen verhältnismäßig sein und dürfen den Handel nicht stärker beeinträchtigen, als dies zur Erreichung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit und anderer angesichts des betreffenden Sachverhalts für berücksichtigenswert gehaltener Faktoren notwendig ist. Zudem müssen diese Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist überprüft werden, die von der Art des festgestellten Risikos für Leben oder Gesundheit und der Art der wissenschaftlichen Informationen abhängig ist, die zur Klärung der wissenschaftlichen Unsicherheit und für eine umfassendere Risikobewertung notwendig sind.
Eine solche Unsicherheit, die vom Begriff der Vorsorge nicht zu trennen ist, wirkt sich auf den Umfang des Ermessens des Mitgliedstaats und damit auch auf die Art und Weise der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Unter solchen Umständen ist einem Mitgliedstaat zuzugestehen, dass er nach dem Vorsorgeprinzip Schutzmaßnahmen trifft, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargetan sind. Allerdings darf die Risikobewertung nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt werden (Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall übermittelt das vorlegende Gericht keine hinreichenden Informationen, anhand deren festgestellt werden könnte, ob das aminosäurehaltige Lebensmittel betreffende Verbot des LFGB auf die sich aus den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 ergebenden allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts gestützt wurde. Jedoch führt die deutsche Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen aus, dass mit den nationalen Rechtsvorschriften für Aminosäuren in § 6 Abs. 1 LFGB in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 LFGB der vom Zusatz von Aminosäuren zu Lebensmitteln ausgehenden Gesundheitsgefahr effektiv begegnet werden solle. Die Anreicherung von Lebensmitteln mit Aminosäuren berge gesundheitliche Risiken, doch die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnislage sei unvollständig und erlaube bislang noch keine abschließende Bewertung dieser Risiken.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Vereinbarkeit der im LFGB getroffenen Regelung mit der Verordnung Nr. 178/2002 vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. Im Rahmen dieser Prüfung muss das vorlegende Gericht sich erstens davon überzeugen, dass die Bewertung der mit der Verwendung von Aminosäuren in Nahrungsergänzungsmitteln verbundenen Risiken so durchgeführt wurde, dass sie die in den Rn. 53 und 56 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt und nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt ist.
Zweitens ist das Ermessen der Mitgliedstaaten betreffend den Umfang, in dem sie den Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten wollen, von besonderer Bedeutung, wenn nachgewiesen wird, dass beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung Unsicherheiten hinsichtlich der gesundheitsschädlichen Wirkung bestimmter Stoffe bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2010, Solgar Vitamin’s France u. a., C-446/08, EU:C:2010:233, Rn. 35 und 36). Folglich stellt, wie der Generalanwalt in Nr. 96 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Tatsache, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die nationale Behörde über ein weites Ermessen verfügen kann, an sich im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 178/2002 kein Problem dar.
Drittens betrifft die Regelung des LFGB, wie aus § 6 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 und § 4 Abs. 1 Nr. 2 LFGB hervorgeht, unterschiedslos alle Aminosäuren und deren Derivate, ohne nach etwaigen Stoffgruppen oder -arten zu unterscheiden. Auch wenn eine solche allgemeine Verbotsregelung nicht allein aus diesem Grund mit der Verordnung Nr. 178/2002 unvereinbar ist, so muss aus der von den zuständigen nationalen Behörden nach Art. 6 dieser Verordnung durchzuführenden Risikoanalyse doch klar hervorgehen, für welche den betreffenden Stoffen gemeinsamen Merkmale oder Eigenschaften eine tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen werden kann.
Im vorliegenden Fall scheinen – in Anbetracht der von der deutschen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen gemachten Angaben und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden notwendigen Prüfung – die Risikoanalyse und die Anwendung des sich daraus ergebenden Vorsorgeprinzips nur bestimmte Aminosäuren zu betreffen. Dies wäre zur Rechtfertigung eines unterschiedslos für alle Aminosäuren geltenden Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, wie es das LFGB vorsieht, unzureichend.
Im Hinblick auf diese Prüfung ist darauf hinzuweisen, dass gemäß der in Rn. 56 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung die praktischen Schwierigkeiten, eine umfassende Bewertung der von aminosäurehaltigen Lebensmitteln ausgehenden Gesundheitsgefahr vorzunehmen, es nicht zu rechtfertigen vermögen, dass vor dem Erlass eines systematischen und nicht zielgerichteten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine solche umfassende Bewertung nicht vorgenommen wurde (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich, C-333/08, EU:C:2010:44, Rn. 103).
Viertens ist nach § 68 Abs. 5 LFGB die Zulassung einer Ausnahme vom Verbot des § 6 LFGB auf längstens drei Jahre zu befristen; sie kann nur dreimal um jeweils längstens drei Jahre verlängert werden. Hierzu ist festzustellen, dass § 68 Abs. 5 LFGB, indem er für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen diese zeitlichen Beschränkungen selbst dann vorsieht, wenn die Unbedenklichkeit eines Stoffes nachgewiesen wird, eine Maßnahme darstellt, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem LFGB verfolgten Zweck steht, den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen.
Nach alledem sind die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, sofern nicht hierfür eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende Ausnahmegenehmigung erteilt wird, entgegenstehen, wenn diese Rechtsvorschrift auf eine Risikoanalyse gestützt ist, die nur bestimmte Aminosäuren betrifft, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. In jedem Fall sind diese beiden Artikel dahin auszulegen, dass sie einer solchen nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, wenn diese vorsieht, dass die Ausnahmen von dem Verbot nach dieser Vorschrift selbst dann nur befristet zugelassen werden können, wenn die Unbedenklichkeit eines Stoffes nachgewiesen ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, sofern nicht hierfür eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende Ausnahmegenehmigung erteilt wird, entgegenstehen, wenn diese Rechtsvorschrift auf eine Risikoanalyse gestützt ist, die nur bestimmte Aminosäuren betrifft, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. In jedem Fall sind diese beiden Artikel dahin auszulegen, dass sie einer solchen nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, wenn diese vorsieht, dass die Ausnahmen von dem Verbot nach dieser Vorschrift selbst dann nur befristet zugelassen werden können, wenn die Unbedenklichkeit eines Stoffes nachgewiesen ist.
von Danwitz
Juhász
Vajda
Jürimäe
Lycourgos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Januar 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Vierten Kammer
T. von Danwitz
( *1)* Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service