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EuGH 17.11.2016 - C-216/15
EuGH 17.11.2016 - C-216/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 17. November 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 2008/104/EG — Leiharbeit — Anwendungsbereich — Begriff ‚Arbeitnehmer‘ — Begriff ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ — Pflegepersonal ohne Arbeitsvertrag, das von einem Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, einer Gesundheitspflegeeinrichtung überlassen wird“
Leitsatz
In der Rechtssache C-216/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2015, in dem Verfahren
Betriebsrat der Ruhrlandklinik gGmbH
gegen
Ruhrlandklinik gGmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet und F. Biltgen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
des Betriebsrats der Ruhrlandklinik gGmbH, vertreten durch Rechtsanwalt G. Herget,
der Ruhrlandklinik gGmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte C.-M. Althaus und S. Schröder,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek, G. Braun und E. Schmidt als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Juli 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Betriebsrat der Ruhrlandklinik gGmbH (im Folgenden: Betriebsrat) und der Ruhrlandklinik gGmbH wegen der Überlassung von Frau K., Mitglied der DRK-Schwesternschaft Essen e. V. (im Folgenden: Schwesternschaft), an die Ruhrlandklinik.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Die Erwägungsgründe 10 und 12 der Richtlinie 2008/104 lauten:
In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen.
…
Die vorliegende Richtlinie legt einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen.“
Art. 1 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.
(2) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.“
Art. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“
In Art. 3 der Richtlinie heißt es:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
‚Arbeitnehmer‘ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist;
…
‚Leiharbeitnehmer‘ einen Arbeitnehmer, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten;
…
(2) Diese Richtlinie lässt das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsentgelt‘, ‚Arbeitsvertrag‘, ‚Beschäftigungsverhältnis‘ oder ‚Arbeitnehmer‘ unberührt.
…“
Art. 5 („Grundsatz der Gleichbehandlung“) Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 lautet:
„Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.“
Deutsches Recht
§ 99 des zuletzt durch Gesetz vom 20. April 2013 (BGBl. 2013 I S. 868) geänderten Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) lautet in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung:
„(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, … zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. …“
(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn
die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, … verstoßen würde,
…“
§ 1 Abs. 1 des zuletzt durch Gesetz vom 28. April 2011 (BGBl. 2011 I S. 642) geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) lautet in der ab dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung:
„Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend. …“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Die Ruhrlandklinik betreibt in Essen (Deutschland) eine stationäre Klinik. Im Jahr 2010 schloss sie mit der Schwesternschaft einen Gestellungsvertrag, nach dem es die Schwesternschaft gegen ein Gestellungsentgelt, das die Personalkosten und eine dreiprozentige Verwaltungskostenpauschale umfasst, übernimmt, Angehörige der pflegenden Berufe bei dieser Klinik einzusetzen. Dieses Pflegepersonal besteht aus Vereinsmitgliedern der Schwesternschaft, die berechtigt sind, einen Beruf in der Kranken- und Gesundheitspflege auszuüben.
Die Schwesternschaft ist als eingetragener Verein, der keine eigenwirtschaftlichen Zwecke verfolgt, Mitglied im Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz e. V. Ihre Mitglieder üben ihre Berufstätigkeit hauptberuflich aus, entweder bei der Schwesternschaft oder im Rahmen von Gestellungsverträgen in Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege. In letzterem Fall unterliegen sie den fachlichen und organisatorischen Weisungen der betreffenden Einrichtung.
Nach ihrer Mitgliederordnung zahlt die Schwesternschaft an ihre Mitglieder eine monatliche Vergütung, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und erstattet u. a. Reise- und Umzugskosten. Daneben erhalten die Mitglieder entsprechend den für diesen Tätigkeitsbereich geltenden Vorschriften eine Anwartschaft auf ein zusätzliches Ruhegeld sowie Anspruch auf Erholungsurlaub. Die Mitglieder erhalten zudem eine Fortzahlung der Vergütung bei einer durch Krankheit oder Unfall verursachten Arbeitsunfähigkeit.
Das Rechtsverhältnis zwischen der Schwesternschaft und ihren Mitgliedern ist jedoch nicht arbeitsvertraglich geregelt. Rechtsgrundlage für die von den Mitgliedern geschuldeten Dienste ist daher ihr Vereinsbeitritt zur Schwesternschaft und die damit verbundene Pflicht, den Vereinsbeitrag in der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen.
Frau K. ist als Vereinsmitglied der Schwesternschaft eine der Schwestern. Sie sollte ab dem 1. Januar 2012 auf der Grundlage des zwischen der Ruhrlandklinik und der Schwesternschaft geschlossenen Gestellungsvertrags im Pflegedienst der Ruhrlandklinik eingesetzt werden.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2011 verweigerte jedoch der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung, weil der Einsatz von Frau K. nicht vorübergehend sei und damit gegen § 1 Abs. 1 AÜG verstoße, nach dem die nicht vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher verboten sei.
Die Ruhrlandklinik war der Ansicht, dass für die Zustimmungsverweigerung kein Grund bestehe, weil § 1 AÜG im vorliegenden Fall keine Anwendung finde. Sie setzte daher Frau K. vorläufig ein und beantragte die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung zu deren Einstellung. Die Vorinstanzen gaben dem Antrag statt. Hiergegen rief der Betriebsrat im Wege der Rechtsbeschwerde das vorlegende Gericht, das Bundesarbeitsgericht, an.
Nach den Angaben des Bundesarbeitsgerichts gilt das in § 1 Abs. 1 AÜG aufgestellte Verbot der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nur für Arbeitnehmer des Verleihers.
Mitglieder der Schwesternschaft, wie Frau K., seien nach nationalem Recht jedoch keine Arbeitnehmer, weil zwischen ihnen und der Schwesternschaft kein Arbeitsvertrag bestehe, auch wenn sie gegen Entgelt für einen anderen nach dessen Weisungen Arbeitsleistungen erbrächten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei nach deutschem Recht Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sei.
Es frage sich jedoch, ob Frau K., wenngleich ihr nach deutschem Recht nicht die Arbeitnehmereigenschaft zukomme, nicht nach dem Unionsrecht, insbesondere nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104, als Arbeitnehmerin anzusehen sein könnte.
Im Hinblick darauf fragt sich das vorlegende Gericht auch, ob die Überlassung von Frau K. durch die Schwesternschaft an die Ruhrlandklinik eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 darstellt, der den Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit begrenzt.
Das Bundesarbeitsgericht hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 Anwendung auf die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen zur Arbeitsleistung nach dessen fachlicher und organisatorischer Weisung, wenn sich das Vereinsmitglied bei seinem Vereinsbeitritt verpflichtet hat, seine volle Arbeitskraft auch Dritten zur Verfügung zu stellen, wofür es von dem Verein eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und der Verein für die Überlassung den Ersatz der Personalkosten des Vereinsmitglieds sowie eine Verwaltungskostenpauschale erhält?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, obwohl das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.
Nach Art. 1 der Richtlinie 2008/104 setzt deren Anwendung u. a. voraus, dass die betreffende Person „Arbeitnehmer“ im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels ist, und dass das Leiharbeitsunternehmen, das die Person einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung stellt, eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels ausübt.
Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist somit zu bestimmen, ob diese beiden Voraussetzungen unter Umständen wie den in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten erfüllt sind.
Zum Arbeitnehmerbegriff
Bei der Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 2008/104 ist zu beachten, dass dieser Begriff nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie für eine Person steht, „die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist“.
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung fällt unter den Arbeitnehmerbegriff im Sinne dieser Richtlinie also jede Person, die eine Arbeitsleistung erbringt und die in dieser Eigenschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei die rechtliche Einordnung dieses Verhältnisses nach nationalem Recht und seine Ausgestaltung ebenso wie die Art der zwischen beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung insoweit nicht ausschlaggebend sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2010, Danosa, C-232/09, EU:C:2010:674, Rn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sowie aus ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, der den Begriff „Leiharbeitnehmer“ bestimmt, ergibt sich außerdem, dass die Richtlinie nicht nur auf diejenigen Arbeitnehmer Anwendung findet, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern auch auf diejenigen, die mit einem solchen Unternehmen ein „Beschäftigungsverhältnis“ eingegangen sind.
Daraus folgt, dass weder die rechtliche Einordnung des zwischen der betreffenden Person und dem Leiharbeitsunternehmen bestehenden Verhältnisses nach nationalem Recht noch die Art ihrer Rechtsbeziehungen, noch die Ausgestaltung dieses Verhältnisses ausschlaggebend ist für die Bezeichnung dieser Person als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 2008/104. Daher kann, entgegen der von der Ruhrlandklinik in ihren Erklärungen vertretenen Auffassung, insbesondere eine Person wie Frau K. nicht allein deshalb vom Arbeitnehmerbegriff im Sinne dieser Richtlinie und damit von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sein, weil zwischen ihr und dem Leiharbeitsunternehmen kein Arbeitsvertrag besteht und ihr daher nach deutschem Recht nicht die Arbeitnehmereigenschaft zukommt.
Dieses Ergebnis kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Richtlinie 2008/104 nach ihrem Art. 3 Abs. 2 das nationale Recht in Bezug auf die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs unberührt lässt.
Wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besagt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nämlich nur, dass der Unionsgesetzgeber die Befugnis der Mitgliedstaaten bestehen lassen wollte, die unter den Arbeitnehmerbegriff im Sinne ihres nationalen Rechts fallenden und im Rahmen ihrer innerstaatlichen Regelung zu schützenden Personen zu bestimmen, ein Aspekt, dessen Harmonisierung nicht Gegenstand der Richtlinie 2008/104 ist.
Dagegen kann diese Bestimmung nicht so verstanden werden, dass der Unionsgesetzgeber davon abgesehen hätte, die Bedeutung dieses Begriffs im Sinne der Richtlinie 2008/104 und somit deren persönlichen Anwendungsbereich selbst festzulegen. Denn wie sich aus den Rn. 25 und 26 des vorliegenden Urteils ergibt, hat es der Unionsgesetzgeber nicht den Mitgliedstaaten überlassen, diesen Begriff einseitig zu bestimmen, sondern hat dessen Konturen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie selbst umrissen, wie er dies im Übrigen auch bezüglich der Bestimmung des Leiharbeitnehmerbegriffs in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie getan hat.
Somit ist der Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Richtlinie dahin auszulegen, dass er jede Person erfasst, die ein Beschäftigungsverhältnis in dem in Rn. 27 des vorliegenden Urteils genannten Sinne hat und die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringt, geschützt ist.
Diese Auslegung wird durch die Ziele bekräftigt, die mit der Richtlinie 2008/104 verfolgt werden.
Aus den Erwägungsgründen 10 und 12 der Richtlinie 2008/104 ergibt sich nämlich, dass sich in Bezug auf die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern innerhalb der Union große Unterschiede feststellen lassen und die Richtlinie deshalb einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz dieser Arbeitnehmer festlegen und gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen wahren soll. Daher ist es nach Art. 2 dieser Richtlinie deren Ziel, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.
Eine Beschränkung des Arbeitnehmerbegriffs im Sinne der Richtlinie 2008/104 auf Personen, die nach nationalem Recht unter diesen Begriff fallen, insbesondere auf diejenigen Personen, die mit dem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, könnte die Verwirklichung dieser Ziele gefährden und folglich die praktische Wirksamkeit der Richtlinie durch eine übermäßige und ungerechtfertigte Einschränkung ihres Anwendungsbereichs beeinträchtigen.
Eine solche Beschränkung würde es den Mitgliedstaaten oder den Leiharbeitsunternehmen nämlich ermöglichen, nach ihrem Belieben bestimmten Personengruppen den mit der Richtlinie angestrebten Schutz – insbesondere die Geltung des in Art. 5 der Richtlinie enthaltenen Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und den vom entleihenden Unternehmen unmittelbar Beschäftigten – zu verwehren, obwohl sich das zwischen diesen Personen und dem Leiharbeitsunternehmen bestehende Beschäftigungsverhältnis von dem Verhältnis, das zwischen denjenigen Beschäftigten, denen nach nationalem Recht die Arbeitnehmereigenschaft zukommt, und ihrem Arbeitgeber besteht, nicht wesentlich unterscheiden würde.
Das vorlegende Gericht gibt an, dass die Schwesternschaft Frau K. der Ruhrlandklinik überlassen möchte, damit sie hauptberuflich und unter Leitung der Ruhrlandklinik Leistungen im Pflegedienst erbringt, wofür sie eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den in der Kranken- und Gesundheitspflege üblichen Kriterien richtet. Im Licht der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Ausführungen scheint sich das zwischen Frau K. und der Schwesternschaft bestehende Verhältnis daher nicht wesentlich von dem Verhältnis zu unterscheiden, das zwischen den Arbeitnehmern eines Leiharbeitsunternehmens und diesem besteht.
Darüber hinaus geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die Mitglieder der Schwesternschaft einschließlich Frau K. über eine Reihe von Rechten verfügen, die mit den Rechten, die Personen zustehen, die nach deutschem Recht als Arbeitnehmer eingestuft werden, teilweise übereinstimmen oder ihnen gleichwertig sind.
So hat das vorlegende Gericht selbst hervorgehoben, dass für die Mitglieder zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen gälten. Zudem unterliegen die Mitglieder, wie die Ruhrlandklinik und die deutsche Regierung auf eine vom Gerichtshof gemäß Art. 61 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung gestellte Frage erläutert haben, genauso dem Sozialgesetzbuch wie die Personen, die nach deutschem Recht als Arbeitnehmer eingestuft werden.
Außerdem sollen den Mitgliedern nach Angaben der Ruhrlandklinik die für Arbeitnehmer geltenden gesetzlichen Bestimmungen über Erholungsurlaub, Krankheitsurlaub, Mutterschutzzeiten und Elternzeit sowie Entgeltfortzahlung bei durch Krankheit oder Unfall verursachter Arbeitsunfähigkeit zugutekommen. Sie genössen auch denselben Schutz wie Arbeitnehmer der Ruhrlandklinik in Bezug auf die Teilnahme an der Willensbildung ihres Unternehmens, erhielten dieselbe Vergütung und unterlägen denselben Arbeitsbedingungen wie diese. Schließlich könnten sie nur aus wichtigem Grund aus der Schwesternschaft ausgeschlossen werden.
In Anbetracht dessen liegt es daher nahe, dass die Mitglieder der Schwesternschaft in Deutschland aufgrund der von ihnen erbrachten Arbeitsleistung geschützt sind, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Nach alledem ist der Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er jede Person erfasst, die eine Arbeitsleistung erbringt, d. h., die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält, und die aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, wobei die rechtliche Einordnung ihres Beschäftigungsverhältnisses nach nationalem Recht, die Art der zwischen den beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung und die Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses unerheblich sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind und ob Frau K. folglich als Arbeitnehmerin im Sinne dieser Richtlinie einzustufen ist.
Zum Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit “
Bezüglich der Auslegung des Begriffs „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, wirtschaftlichen Charakter hat (vgl. u. a. Urteile vom 18. Juni 1998, Kommission/Italien, C-35/96, EU:C:1998:303, Rn. 36, vom 6. September 2011, Scattolon, C-108/10, EU:C:2011:542, Rn. 43, und vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn, C-179/14, EU:C:2016:108, Rn. 149).
Im vorliegenden Fall bietet die Schwesternschaft Dienstleistungen auf dem Markt für die Überlassung von Pflegepersonal bei Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege in Deutschland an, wofür sie ein Gestellungsentgelt erhält, das die Personal- und die Verwaltungskosten umfasst.
Entgegen dem Vorbringen der Ruhrlandklinik ist es nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 und nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. u. a. Urteil vom 3. Dezember 2015, Pfotenhilfe-Ungarn, C-301/14, EU:C:2015:793, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung) insoweit irrelevant, dass die Schwesternschaft keinen Erwerbszweck verfolgt. Dies gilt ebenso für die Rechtsform der als Verein gegründeten Schwesternschaft, weil sie nicht im Voraus über den wirtschaftlichen Charakter entscheidet.
Folglich ist davon auszugehen, dass ein Verein wie die Schwesternschaft, der an Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege gegen ein Gestellungsentgelt, das die Personal- und die Verwaltungskosten umfasst, Pflegepersonal überlässt, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 ausübt.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Dies gilt auch, wenn das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit ist dahin auszulegen, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Dies gilt auch, wenn das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.
Da Cruz Vilaça
Tizzano
Berger
Borg Barthet
Biltgen
Verkündet in Luxemburg in öffentlicher Sitzung am 17. November 2016.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Fünften Kammer
J. L. da Cruz Vilaça
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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