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EuGH 25.02.2016 - C-299/14
EuGH 25.02.2016 - C-299/14 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 25. Februar 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Freizügigkeit — Unionsbürgerschaft — Gleichbehandlung — Richtlinie 2004/38/EG — Art. 24 Abs. 2 — Sozialhilfe — Verordnung (EG) Nr. 883/2004 — Art. 4 und 70 — Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen — Ausschluss von Angehörigen eines Mitgliedstaats während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat“
Leitsatz
In der Rechtssache C-299/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Mai 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2014, in dem Verfahren
Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen
gegen
Jovanna García-Nieto,
Joel Peña Cuevas,
Jovanlis Peña García,
Joel Luis Peña Cruz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Frau García-Nieto, Herrn Peña Cuevas, Jovanlis Peña García und Joel Luis Peña Cruz, vertreten durch Rechtsanwalt M. Schmitz,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme als Bevollmächtigten,
der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt als Bevollmächtigten im Beistand von B. Kennelly, Barrister,
der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin, M. Kellerbauer und C. Tufvesson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juni 2015
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 AEUV und 45 Abs. 2 AEUV, der Art. 4 und 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 der Kommission vom 9. Dezember 2010 (ABl. L 338, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) sowie von Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35).
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen (im Folgenden: Jobcenter) einerseits und Herrn Peña Cuevas und Frau García-Nieto sowie ihrer gemeinsamen Tochter, Jovanlis Peña García, und dem Sohn von Herrn Peña Cuevas, Joel Luis Peña Cruz (im Folgenden zusammen: Familie Peña-García), andererseits wegen der Weigerung des Jobcenters, Leistungen der Grundsicherung nach den deutschen Rechtsvorschriften zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens, das von den Mitgliedern des Europarats am 11. Dezember 1953 in Paris unterzeichnet wurde und in Deutschland seit 1956 gilt (im Folgenden: Fürsorgeabkommen), stellt ein Gleichbehandlungsgebot mit folgendem Wortlaut auf:
„Jeder der Vertragschließenden verpflichtet sich, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge … zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.“
Nach Art. 16 Buchst. b des Fürsorgeabkommens hat „[j]eder Vertragschließende … dem Generalsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen.“ Der von der deutschen Regierung am 19. Dezember 2011 gemäß dieser Vorschrift erklärte Vorbehalt hat folgenden Wortlaut:
„Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – [im Folgenden: SGB II] in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden.“
Dieser Vorbehalt wurde den übrigen vertragschließenden Parteien des Fürsorgeabkommens gemäß dessen Art. 16 Buchst. c zur Kenntnis gebracht.
Unionsrecht
Verordnung Nr. 883/2004
Art. 4 („Gleichbehandlung“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:
„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“
Art. 70 („Allgemeine Vorschrift“) der Verordnung Nr. 883/2004 steht in Kapitel 9 („Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“) des Titels III dieser Verordnung. Er sieht vor:
„(1) Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.
(2) Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck ‚besondere beitragsunabhängige Geldleistungen‘ die Leistungen:
die dazu bestimmt sind:
einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,
oder
allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,
und
deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten,
und
die in Anhang X aufgeführt sind.
(3) Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen.
(4) Die in Absatz 2 genannten Leistungen werden ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts und zu seinen Lasten gewährt.“
In Anhang X („Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“) der Verordnung Nr. 883/2004 sind für die Bundesrepublik Deutschland folgende Leistungen aufgeführt:
„…
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Absatz 1 [SGB II]) erfüllt sind“.
Richtlinie 2004/38
Die Erwägungsgründe 10, 16 und 21 der Richtlinie 2004/38 lauten:
Allerdings sollten Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. …
…
Solange die Aufenthaltsberechtigten die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, sollte keine Ausweisung erfolgen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sollte daher nicht automatisch zu einer Ausweisung führen. Der Aufnahmemitgliedstaat sollte prüfen, ob es sich bei dem betreffenden Fall um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und den gewährten Sozialhilfebetrag berücksichtigen, um zu beurteilen, ob der Leistungsempfänger die Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen hat, und in diesem Fall seine Ausweisung zu veranlassen. In keinem Fall sollte eine Ausweisungsmaßnahme gegen Arbeitnehmer, Selbstständige oder Arbeitssuchende in dem vom Gerichtshof definierten Sinne erlassen werden, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit.
…
Allerdings sollte es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben, zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Unterhaltsbeihilfen für die Zwecke des Studiums, einschließlich einer Berufsausbildung, gewährt.“
Art. 6 („Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.
(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“
Art. 7 („Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen …
…“
Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) der Richtlinie 2004/38 lautet:
„(1) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach Artikel 6 zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.
(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.
In bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und 13 erfüllen, können die Mitgliedstaaten prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt.
(3) Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn
die Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder
die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“
Art. 24 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2004/38 sieht vor:
„(1) Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.
(2) Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“
Deutsches Recht
Sozialgesetzbuch
§ 19a Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch sieht folgende zwei Hauptarten von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor:
„Nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende können in Anspruch genommen werden
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit,
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.“
§ 1 („Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) SGB II bestimmt in seinen Abs. 1 und 3:
„(1) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.
…
(3) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst Leistungen
zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und
zur Sicherung des Lebensunterhalts.“
§ 7 („Leistungsberechtigte“) SGB II sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
erwerbsfähig sind,
hilfebedürftig sind und
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des [Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, im Folgenden: FreizügG/EU] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.“
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.“
Gemäß § 7 Abs. 2 und 3 SGB II haben nicht erwerbsfähige Minderjährige, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer „Bedarfsgemeinschaft“ leben, einen abgeleiteten Anspruch auf die Leistungen nach dem SGB II.
§ 8 („Erwerbsfähigkeit“) Abs. 1 SGB II lautet:
„Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.“
§ 9 Abs. 1 SGB II bestimmt:
„Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.“
§ 20 SGB II enthält ergänzende Bestimmungen über den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. § 21 SGB II regelt die Mehrbedarfe und § 22 SGB II die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Die §§ 28 bis 30 SGB II schließlich regeln die Leistungen für Bildung und Teilhabe.
In § 1 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (im Folgenden: SGB XII) heißt es:
„Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. …“
§ 21 SGB XII bestimmt:
„Personen, die nach dem [SGB II] als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt …“
FreizügG/EU
Der Anwendungsbereich des FreizügG/EU in seiner zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung war in dessen § 1 geregelt:
„Dieses Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen.“
§ 2 FreizügG/EU sah hinsichtlich des Rechts auf Einreise und Aufenthalt Folgendes vor:
„(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
(2) Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:
Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,
…
nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4,
Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4,
…
(3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei
vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.
…“
§ 3 („Familienangehörige“) FreizügG/EU bestimmte:
„Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger gilt dies nach Maßgabe des § 4.
(2) Familienangehörige sind
der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten, die noch nicht 21 Jahre alt sind,
die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten, denen diese Personen oder ihre Ehegatten Unterhalt gewähren.
…“
§ 5 FreizügG/EU („Aufenthaltskarten, Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht“) sah vor:
„(1) Freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wird von Amts wegen unverzüglich eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt.
…
(3) Die zuständige Ausländerbehörde kann verlangen, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 drei Monate nach der Einreise glaubhaft gemacht werden. Für die Glaubhaftmachung erforderliche Angaben und Nachweise können von der zuständigen Meldebehörde bei der meldebehördlichen Anmeldung entgegengenommen werden. Diese leitet die Angaben und Nachweise an die zuständige Ausländerbehörde weiter. …
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Sämtliche Mitglieder der Familie Peña-García sind spanische Staatsangehörige. Frau García-Nieto und Herr Peña Cuevas lebten seit mehreren Jahren in Spanien als Paar, ohne eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet zu haben, in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer gemeinsamen Tochter, Jovanlis Peña García, und dem noch minderjährigen Sohn von Herrn Peña Cuevas, Joel Luis Peña Cruz, zusammen.
Im April 2012 reiste Frau García-Nieto zusammen mit ihrer Tochter, Jovanlis Peña García, nach Deutschland ein und meldete sich am 1. Juni 2012 Arbeit suchend. Ab dem 12. Juni 2012 übte sie den Beruf einer Küchenhilfe aus; aufgrund dieser Tätigkeit unterlag sie ab dem 1. Juli 2012 der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung und erhielt eine monatliche Nettovergütung von 600 Euro.
Am 23. Juni 2012 zogen Herr Peña Cuevas und sein Sohn Frau García-Nieto und Jovanlis nach. Bis zum 1. November 2012 wohnte die Familie Peña-García bei der Mutter von Frau García-Nieto und bestritt ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen von Frau García-Nieto. Außerdem bezogen Herr Peña Cuevas und Frau García-Nieto seit Juli 2012 Kindergeld für ihre Kinder Jovanlis und Joel Luis, die seit dem 22. August 2012 die Schule besuchen.
Am 30. Juli 2012 beantragte die Familie Peña-García beim Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (im Folgenden: in Rede stehende Leistungen). Das Jobcenter lehnte jedoch die Bewilligung der in Rede stehenden Leistungen an Herrn Peña Cuevas und seinen Sohn für die Monate August und September 2012 ab; es bewilligte sie allerdings ab Oktober 2012.
Das Jobcenter stützte seine Entscheidung über die Nichtbewilligung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und führte zur Begründung aus, dass sich Herr Peña Cuevas und sein Sohn zum Zeitpunkt des Antrags weniger als drei Monate in Deutschland aufgehalten hätten und Herr Peña Cuevas im Übrigen weder Arbeitnehmer noch Selbständiger gewesen sei. Dem Jobcenter zufolge galt der Leistungsausschluss auch für den Sohn von Herrn Peña Cuevas. Nachdem die deutsche Regierung am 19. Dezember 2011 den Vorbehalt hinsichtlich des Fürsorgeabkommens erklärt habe, sei dieses nämlich nicht mehr anspruchsbegründend.
Der Klage, die die Familie Peña-García gegen die Entscheidung des Jobcenters erhob, wurde vom Sozialgericht Gelsenkirchen stattgegeben, das die Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II aus gesetzessystematischen Gründen für nicht anwendbar hielt. Das Jobcenter legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Berufung ein.
Das vorlegende Gericht äußert Zweifel, ob der vollständige Ausschluss von den in Rede stehenden Leistungen mit dem Unionsrecht, wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vorgesehen, vereinbar sei.
Unter diesen Umständen hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 – mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 – auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 883/2004?
Falls 1) bejaht wird: Sind – gegebenenfalls in welchem Umfang – Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos für die ersten drei Monate des Aufenthalts nicht besteht, wenn Unionsbürger in der Bundesrepublik Deutschland weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind?
Falls 1) verneint wird: Stehen andere primärrechtliche Gleichbehandlungsgebote – insbesondere Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV – einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern eine Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts ausnahmslos verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger zwar weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats aufweisen können?
Mit Entscheidung vom 19. März 2015 hat das vorlegende Gericht allerdings die erste Frage für erledigt erklärt, da eine Frage gleichen Inhalts in der Rechtssache gestellt worden war, in der das Urteil Dano (C-333/13, EU:C:2014:2358) ergangen ist, wo er sie bejaht und insoweit entschieden hat, dass „die Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass ihr Art. 4 für die ‚besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen‘ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 dieser Verordnung gilt“.
Zu den Vorlagefragen
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 24 der Richtlinie 2004/38 und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in einer von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.
Im Urteil Alimanovic (C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 44 bis 46) hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Leistungen wie die in Rede stehenden Leistungen nicht als finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, eingestuft werden können, sondern als „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 anzusehen sind.
Hinsichtlich des Zugangs zu solchen Leistungen kann ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nur verlangen, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 erfüllt (Urteile Dano, C-333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 69, und Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 49).
Ließe man nämlich zu, dass Personen, denen kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38 zusteht, unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Sozialleistungen beanspruchen könnten, liefe dies dem im zehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Ziel zuwider, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern (Urteile Dano, C-333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 74, und Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 50).
Um feststellen zu können, ob Sozialhilfeleistungen wie die in Rede stehenden Leistungen auf der Grundlage der Ausnahmebestimmung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 verweigert werden dürfen, muss daher vorab geprüft werden, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie anwendbar ist, und damit, ob sich der betreffende Unionsbürger rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält (Urteil Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 51).
Wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, kann Herr Peña Cuevas ein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ableiten.
Nach dieser Bestimmung hat ein Unionsbürger nämlich das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht, und nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie besteht dieses Recht für den Unionsbürger und seine Familienangehörigen fort, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen (Urteile Ziolkowski und Szeja, C-424/10 und C-425/10, EU:C:2011:866, Rn. 39, sowie Dano, C-333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 70).
Unbeschadet dessen kann sich der Mitgliedstaat in einem solchen Fall aber auf die Ausnahmebestimmung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, um dem betreffenden Unionsbürger die beantragte Sozialhilfeleistung zu verweigern (Urteil Dano, C-333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 70).
Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift geht nämlich ausdrücklich hervor, dass der Aufnahmemitgliedstaat anderen Personen als Arbeitnehmern, Selbständigen oder Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts jegliche Sozialhilfeleistungen verweigern darf.
Die betreffende Vorschrift steht – wie der Generalanwalt in Rn. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – im Einklang mit dem Ziel der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten, das mit der Richtlinie 2004/38 verfolgt wird, was sich u. a. aus deren zehntem Erwägungsgrund ergibt. Da die Mitgliedstaaten von Unionsbürgern nicht verlangen dürfen, dass diese für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und eine persönliche Absicherung für den Fall der Krankheit verfügen, ist es legitim, dass den betreffenden Mitgliedstaaten nicht auferlegt wird, während dieses Zeitraums die Kosten für sie zu übernehmen.
In diesem Kontext ist außerdem darauf hinzuweisen, dass der Mitgliedstaat zwar die persönlichen Umstände des Betreffenden berücksichtigen muss, wenn er eine Ausweisung veranlassen oder feststellen will, dass diese Person im Rahmen ihres Aufenthalts dem Sozialhilfesystem eine unangemessene Belastung verursacht (Urteil Brey, C-140/12, EU:C:2013:565, Rn. 64, 69 und 78), eine solche individuelle Prüfung aber bei einer Fallgestaltung wie der des Ausgangsverfahrens nicht geboten ist.
Der Gerichtshof hat nämlich im Urteil Alimanovic (C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 60) bereits festgestellt, dass die Richtlinie 2004/38, die ein abgestuftes System für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft schafft, das das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialleistungen sichern soll, selbst verschiedene Faktoren berücksichtigt, die die jeweiligen persönlichen Umstände der eine Sozialleistung beantragenden Person kennzeichnen, insbesondere die Dauer der Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
Wenn daher eine solche Prüfung bei einem Arbeit suchenden Unionsbürger, der nicht mehr den Status eines Erwerbstätigen hat, nicht erforderlich ist, gilt dies erst recht bei Personen, die sich in einer Situation befinden wie Herr Peña Cuevas im Ausgangsverfahren.
Da die Ausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, wonach die Bundesrepublik Deutschland einem Unionsbürger während der ersten drei Monate seines Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet keinen Anspruch auf Sozialhilfe einräumen muss, es den Betroffenen ermöglicht, ihre Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen, ist sie nämlich geeignet, bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Grundsicherung ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit und Transparenz zu gewährleisten, und steht zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. entsprechend Urteil Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 61).
Was zudem die individuelle Prüfung angeht, mit der eine umfassende Beurteilung der Frage vorgenommen werden soll, welche Belastung die Gewährung einer Leistung konkret für das gesamte im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Sozialhilfesystem darstellen würde, ist festzustellen, dass die einem einzigen Antragsteller gewährte Hilfe schwerlich als „unangemessene Inanspruchnahme“ eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 eingestuft werden kann; eine solche Inanspruchnahme kann nämlich den betreffenden Mitgliedstaat nicht infolge eines einzelnen Antrags, sondern nur nach Aufsummierung sämtlicher bei ihm gestellten Einzelanträge belasten (vgl. Urteil Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 62).
Unter diesen Umständen steht Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegen, wenn diese die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich in einer von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 ausschließt.
Das Gleiche gilt hinsichtlich der Auslegung von Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004. Die in Rede stehenden Leistungen, bei denen es sich um „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung handelt, werden nämlich nach Art. 70 Abs. 4 ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gewährt. Daher spricht nichts dagegen, solche Leistungen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die weder Arbeitnehmer oder Selbständige sind noch Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts im Aufnahmestaat zu verweigern (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile Brey, C-140/12, EU:C:2013:965, Rn. 44, und Dano, C-333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 83).
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 24 der Richtlinie 2004/38 und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in einer von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.
Zur dritten Frage
Da die dritte Frage für den Fall gestellt worden ist, dass die erste Frage verneint wird, und der Gerichtshof in den Rechtssachen, die zu den Urteilen Dano (C-333/13, EU:C:2014:2358) und Alimanovic (C-67/14, EU:C:2015:597) geführt haben, eine Frage gleichen Inhalts bejaht hat, braucht die dritte Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG und Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 der Kommission vom 9. Dezember 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in einer von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.
Unterschriften
( *1) Verfahrenssprache: Deutsch.
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