Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 16.01.2014 - C-300/12
EuGH 16.01.2014 - C-300/12 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 16. Januar 2014 ( *1) - „Mehrwertsteuer — Umsätze der Reisebüros — Gewährung von Rabatten an Reisende — Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für die im Rahmen einer Vermittlungstätigkeit erbrachten Dienstleistungen“
Leitsatz
In der Rechtssache C-300/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. April 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2012, in dem Verfahren
Finanzamt Düsseldorf-Mitte
gegen
Ibero Tours GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter) und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Ibero Tours GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt P. Englert und P. Moser, Barrister,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie als Bevollmächtigten im Beistand von R. Hill, Barrister,
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juli 2013
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Düsseldorf-Mitte (im Folgenden: Finanzamt) und der Ibero Tours GmbH (im Folgenden: Ibero Tours) über die Bestimmung der von ihr geschuldeten Mehrwertsteuer für die Steuerjahre 2002 bis 2005.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie heißt es:
„…
(1) Die Besteuerungsgrundlage ist:
bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b, c und d genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen“.
In Art. 11 Teil A Abs. 3 der Sechsten Richtlinie heißt es:
„In die Besteuerungsgrundlage sind nicht einzubeziehen:
die Preisnachlässe durch Skonto für Vorauszahlungen;
die Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird;
…“
Art. 11 Teil C („Verschiedene Bestimmungen“) der Sechsten Richtlinie bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:
„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.“
Art. 26 („Sonderregelung für Reisebüros“) der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c) anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
(2) Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat. Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b) die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugutekommen.
(3) Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt.
(4) Beim Reisebüro ist der Vorsteuerabzug oder die Rückerstattung der Steuern in jedem Mitgliedstaat für die Steuern ausgeschlossen, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Absatz 2 bezeichneten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugutekommen.“
Deutsches Recht
§ 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG) bestimmte in der vom 1. Januar 2002 bis 15. Dezember 2004 geltenden Fassung:
„Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, haben
1. der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag und
2. der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug
entsprechend zu berichtigen; dies gilt in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b sinngemäß. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann unterbleiben, soweit ein dritter Unternehmer den auf die Minderung des Entgelts entfallenden Steuerbetrag an das Finanzamt entrichtet; in diesem Fall ist der dritte Unternehmer Schuldner der Steuer. …“
§ 17 Abs. 1 UStG in der seit 16. Dezember 2004 geltenden Fassung bestimmt:
„Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen. Dies gilt nicht, soweit er durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt wird. Wird in diesen Fällen ein anderer Unternehmer durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt, hat dieser Unternehmer seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Die Sätze 1 bis 4 gelten in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b sinngemäß. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann unterbleiben, soweit ein dritter Unternehmer den auf die Minderung des Entgelts entfallenden Steuerbetrag an das Finanzamt entrichtet; in diesem Fall ist der dritte Unternehmer Schuldner der Steuer. …“
§ 25 Abs. 1 bis 4 UStG in der seit 1. April 1999 geltenden Fassung bestimmt:
„(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugutekommen.
(2) Die sonstige Leistung ist steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. …
(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. …
(4) Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15 unberührt.“
§ 25 Abs. 4 UStG in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung bestimmt:
„Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten sowie die nach § 13b geschuldeten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15 unberührt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erbringt Ibero Tours Dienstleistungen als Vermittler im deutschen Hoheitsgebiet, die in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen. Diese Dienstleistungen sind zum Teil steuerbefreit und zum Teil besteuert.
Im Rahmen ihrer besteuerten Umsätze bietet Ibero Tours als Vermittler Reiseleistungen an, die Reiseveranstalter an Kunden erbringen und die der Sonderregelung gemäß Art. 26 der Sechsten Richtlinie unterliegen. Auch wenn Ibero Tours ein Reisebüro ist, ist diese Sonderregelung auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen nicht anwendbar, da dieses Büro lediglich als Vermittler handelt und nach Art. 26 Abs. 1 Satz 2 der Sechsten Richtlinie die in diesem Artikel vorgesehene Sonderregelung für solche Büros nicht gilt.
Ibero Tours erbringt als Vermittler Dienstleistungen an Reiseveranstalter und erhält von diesen die vereinbarten Provisionen. Sie gewährte den Reisekunden indessen Preisnachlässe, die sie mit einem Teil ihrer Provisionen finanzierte. Nachdem sie zunächst für sämtliche der von ihr bezogenen Provisionen die Mehrwertsteuer entrichtet hatte, beantragte sie beim Finanzamt eine Änderung der Berechnung dieser Steuer für die Steuerjahre 2002 bis 2005 dahin, dass die ihren Kunden gewährten Preisnachlässe von der Besteuerungsgrundlage abgezogen werden.
Das Finanzamt gab diesem Antrag nur insoweit statt, als die von den Reiseveranstaltern erbrachten Dienstleistungen im Rahmen der durch Art. 26 der Sechsten Richtlinie eingeführten Sonderregelung steuerpflichtig waren. Soweit diese Leistungen nach Art. 26 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie steuerfrei waren, lehnte das Finanzamt die von Ibero Tours beantragte Änderung dagegen ab.
Nach erfolglosem Einspruch erhob Ibero Tours Klage, der das Finanzgericht stattgab. Das Finanzamt legte beim Bundesfinanzhof Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts ein.
Das vorlegende Gericht stellt sich zunächst die Frage, ob es möglich ist, die vom Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94, Slg. 1996, I-5339), aufgestellten Grundsätze anzuwenden, wenn ein Vermittler im Rahmen einer Dienstleistung einen Preisnachlass für die von ihm vermittelte Leistung gewährt.
Auch wenn der Neutralitätsgrundsatz im vorliegenden Fall für die Anwendung der in dem Urteil gewählten Lösungen spreche, ergäben sich gleichwohl Zweifel, da der Gerichtshof in dem Urteil von einer „Vertriebskette“ ausgehe, bei der „gleichartige Waren“ mehrfach und unter denselben steuerlichen Bedingungen geliefert würden. Deshalb fragt sich das vorlegende Gericht, ob diese Begriffe im vorliegenden Fall maßgeblich sind, da die Umsätze des Erbringers der vermittelten Leistung und des Vermittlers unterschiedlicher Art seien und jeweils eigenständigen steuerrechtlichen Bedingungen unterlägen.
Falls davon ausgegangen werde, dass die im Rahmen einer Vermittlungstätigkeit erbrachten Dienstleistungen zu einer Vertriebskette gehören könnten, auf die die Grundsätze anwendbar seien, die der Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs entwickelt habe, sei jedoch zweitens noch zu klären, ob dies auch gelte, wenn die vermittelten Leistungen unter Art. 26 der Sechsten Richtlinie fielen. In einem solchen Fall sei nämlich zweifelhaft, ob eine Anwendung der Grundsätze, die der Gerichtshof in dem genannten Urteil aufgestellt habe, zu einer zutreffenden Besteuerung führe.
Weiter sei zu beachten, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Oktober 2002, Kommission/Deutschland (C-427/98, Slg. 2002, I-8315), entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, die sich aus dem Urteil Elida Gibbs ergebenden Grundsätze nicht anzuwenden, wenn die vermittelte Leistung steuerfrei sei. Das vorlegende Gericht geht insoweit davon aus, dass das Urteil Kommission/Deutschland dahin gehend zu verstehen sei, dass die vom Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs aufgestellten Grundsätze dann nicht anzuwenden seien, wenn die letzte Dienstleistung in der Vertriebskette steuerfrei sei. Unterlägen die vermittelten Leistungen der Sonderregelung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie, stelle Abs. 3 dieses Artikels diese Leistungen einer steuerfreien Vermittlungstätigkeit gleich, wenn die Umsätze, für die der Erbringer dieser Leistungen andere Steuerpflichtige in Anspruch nehme, von diesen außerhalb der Europäischen Union erbracht würden. Würden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union erbracht, sei die Dienstleistung nur teilweise steuerfrei.
Folglich erscheine es fraglich, wie das Reisebüro und die für dieses zuständige Finanzbehörde feststellen sollten, inwieweit die vermittelte Reiseleistung steuerfrei sei und daher nicht zur Anwendung der vom Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs aufgestellten Grundsätze berechtige.
Das vorlegende Gericht untersucht drittens die Situation, in der ein Mitgliedstaat Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie in seinem nationalen Recht zutreffend umgesetzt hat, aber gleichwohl die Minderung der Mehrwertsteuer ausschließen möchte, die der Vermittler im Fall der Steuerfreiheit der vermittelten Leistungen schuldet. Es bezweifelt, dass dieser Ausschluss von der zutreffenden Umsetzung dieser Bestimmung gedeckt ist, und stellt sich die Frage, ob es einer nationalen Regelung des betreffenden Mitgliedstaats bedarf, in der diese Minderung ausdrücklich vorgesehen ist. Die Rn. 65 und 66 des Urteils Kommission/Deutschland sprächen für die letztgenannte Einschätzung, da dort von den „Befugnissen“ der Mitgliedstaaten die Rede sei. Dieser Schluss sei jedoch nicht zwingend, wenn es darum gehe, die Folgen zu begrenzen, die sich aus einer Auslegung durch den Gerichtshof ergäben.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kommt es nach den Grundsätzen des Urteils Elida Gibbs des Gerichtshofs auch dann zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlage im Rahmen einer Vertriebskette, wenn ein Vermittler (hier: Reisebüro) dem Empfänger (hier: Reisekunde) des von ihm vermittelten Umsatzes (hier: Leistung des Reiseveranstalters an den Reisekunden) einen Teil des Preises für den vermittelten Umsatz vergütet?
Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Grundsätze des Urteils Elida Gibbs auch dann anzuwenden, wenn nur der vermittelte Umsatz des Reiseveranstalters, nicht aber auch die Vermittlungsleistung des Reisebüros der Sonderregelung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie unterliegt?
Falls auch die zweite Frage zu bejahen ist: Ist ein Mitgliedstaat, der Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie zutreffend umgesetzt hat, im Fall der Steuerfreiheit der vermittelten Leistung nur dann berechtigt, eine Minderung der Besteuerungsgrundlage zu versagen, wenn er in Ausübung der in dieser Bestimmung enthaltenen Ermächtigung zusätzliche Bedingungen zur Versagung der Minderung geschaffen hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer aufgestellt hat, anwendbar sind, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird.
Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen die Besteuerungsgrundlage alles ist, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.
Durch Art. 26 der Sechsten Richtlinie sollen zwar die praktischen Schwierigkeiten vermieden werden, die sich daraus ergeben, dass die Tätigkeiten der Reisebüros und der Reiseveranstalter sich aus mehreren Leistungen zusammensetzen und an mehreren Orten stattfinden. Für die Verwirklichung dieses Zieles ist es jedoch keineswegs erforderlich, von der allgemeinen Regelung in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie abzuweichen, die für die Zwecke der Bestimmung der Besteuerungsgrundlage auf die Wendung „Gegenleistung …, die der … Dienstleistende … vom … Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll“ abstellt (vgl. Urteil vom 19. Juni 2003, First Choice Holidays, C-149/01, Slg. 2003, I-6289, Rn. 26).
Im Ausgangsverfahren ist zum einen die Gegenleistung, die der Reiseveranstalter für seine Leistungen erhält, der Gesamtpreis der Reise ohne Abzüge. Dies wird durch den Umstand, dass Ibero Tours dem Reiseveranstalter nur einen verminderten Betrag zahlt, der aus dem Reisepreis abzüglich der ihr zustehenden Provision besteht, nicht in Frage gestellt, da diese Minderung nur das Ergebnis der Verrechnung der aufgrund der jeweiligen Ansprüche geschuldeten Beträge ist.
Zum anderen wirkt sich die Tatsache, dass Ibero Tours den Nachlass mit einem Teil ihrer Provision oder mit anderen Mitteln finanziert, weder auf den Preis der vom Reiseveranstalter erbrachten Dienstleistungen noch auf den Preis der von Ibero Tours im Rahmen ihrer Vermittlungstätigkeit an diesen Veranstalter erbrachten Dienstleistungen aus, da Ibero Tours keinen Nachlass für die im Rahmen ihrer Vermittlungstätigkeit an den Reiseveranstalter erbrachten Dienstleistungen gewährt und das Vorliegen oder die Höhe des Nachlasses, den Ibero Tours den Endverbrauchern gewährt, den Reiseveranstalter nicht betrifft.
Die Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs entwickelt hat, lassen in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage unberührt.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in dem Urteil entschieden hat, dass, wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden ist, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bildet und ihm durch Preisnachlassgutscheine, die von den Einzelhändlern eingelöst und diesen vom Hersteller erstattet werden, einen Preisnachlass gewährt, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer um diesen Nachlass vermindert werden muss (Urteil Elida Gibbs, Rn. 31, 34 und 35). In der dem Urteil Elida Gibbs zugrunde liegenden Rechtssache wurde nämlich die Gegenleistung, die der Steuerpflichtige erhalten hatte, der das erste Glied einer Kette von Umsätzen war, in der Tat um den Nachlass vermindert, die dieser Steuerpflichtige dem Endverbraucher unmittelbar gewährt hatte.
Im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist der Reiseveranstalter jedoch nicht das erste Glied einer Kette von Umsätzen, da er seine Dienstleistungen unmittelbar an den Endverbraucher erbringt und Ibero Tours nur als Vermittler dieses einzigen Umsatzes tätig wird. Dagegen erbringt Ibero Tours eine Dienstleistung, nämlich die Vermittlung, die von der vom Reiseveranstalter erbrachten Dienstleistung völlig getrennt ist.
Im Übrigen gewährt in der vorliegenden Rechtssache der Reiseveranstalter keinen Nachlass, da Ibero Tours in jedem Fall verpflichtet ist, ihm unabhängig von einem etwaigen Rabatt, den sie dem Reisenden gewährt, den vereinbarten Preis zu zahlen.
Daher wirkt sich die Finanzierung eines Teils des Reisepreises, die von einem Reisebüro in der Situation von Ibero Tours vorgenommen wird und in einem Nachlass des Reisepreises gegenüber dem Endverbraucher der Reise zum Ausdruck kommt, weder auf die Gegenleistung, die der Reiseveranstalter für den Verkauf der Reise erhält, noch auf die Gegenleistung, die Ibero Tours für ihre Vermittlung erhält, aus. Folglich führt gemäß Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ein solcher Preisnachlass weder bei dem vermittelten Umsatz noch bei der vom Reisebüro erbrachten Dienstleistung zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlage.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass die Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer aufgestellt hat, nicht anzuwenden sind, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Da die erste Frage zu verneinen ist, brauchen die zweite und die dritte Frage nicht beantwortet zu werden
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass die Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C-317/94), zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer aufgestellt hat, nicht anzuwenden sind, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service