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EuGH 12.09.2013 - C-526/11
EuGH 12.09.2013 - C-526/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 12. September 2013 ( *1) - „Öffentliche Aufträge — Richtlinie 2004/18/EG — Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c — Begriff, Einrichtung des öffentlichen Rechts’ — Voraussetzung betreffend die Finanzierung der Tätigkeit, die Aufsicht über die Leitung oder die Aufsicht über die Tätigkeit durch den Staat, durch Gebietskörperschaften oder durch andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts — Ärztekammer — Gesetzlich vorgesehene Finanzierung durch Beiträge der Kammerangehörigen — Festlegung der Beitragshöhe durch die Kammerversammlung — Autonomie der Kammer bei der Festlegung von Umfang und Art der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben“
Leitsatz
In der Rechtssache C-526/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2011, in dem Verfahren
IVD GmbH & Co. KG
gegen
Ärztekammer Westfalen-Lippe,
Beteiligte:
WWF Druck + Medien GmbH,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der IVD GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt J. Eggers,
der Ärztekammer Westfalen-Lippe, vertreten durch Rechtsanwälte S. Gesterkamp und T. Schneider-Lasogga,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und T. Müller als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, A. Tokár und C. Zadra als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2013
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IVD GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVD) und der Ärztekammer Westfalen-Lippe (im Folgenden: Ärztekammer) über deren Entscheidung, einen Auftrag nach einem Ausschreibungsverfahren an ein anderes Unternehmen zu vergeben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/18 sieht vor:
„Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ gilt jede Einrichtung, die
zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,
Rechtspersönlichkeit besitzt und
überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.
Die nicht erschöpfenden Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang III enthalten. …“
Hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland sind in diesem Anhang unter den bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften die berufsständischen Vereinigungen und insbesondere die Ärztekammern aufgeführt (Teil III, 1.1, zweiter Gedankenstrich).
Deutsches Recht
Nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: HeilBerG NRW) hat die Ärztekammer u. a. die Aufgabe,
den öffentlichen Gesundheitsdienst und öffentlichen Veterinärdienst bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere in allen die Heilberufe und die Heilkunde betreffenden Fragen Vorschläge zu unterbreiten,
auf Verlangen der Aufsichtsbehörden Stellungnahmen abzugeben sowie auf Verlangen der zuständigen Behörden Fachgutachten zu erstatten und Sachverständige zu benennen,
einen ärztlichen und zahnärztlichen Notfalldienst in den sprechstundenfreien Zeiten sicherzustellen und bekannt zu machen sowie eine Notfalldienstordnung zu erlassen,
die berufliche Fortbildung der Kammerangehörigen zu fördern und zu betreiben, um dazu beizutragen, dass die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kammerangehörigen für das gesamte Berufsleben dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Praxis entsprechen, die Weiterbildung nach Maßgabe dieses Gesetzes zu regeln sowie fachliche Qualifikationen zu bescheinigen; …
die Qualitätssicherung im Gesundheits- und im Veterinärwesen zu fördern und zu betreiben – insbesondere Zertifizierungen vorzunehmen – und mit den Beteiligten abzustimmen …“
Aus der Vorlageentscheidung und den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ergibt sich, dass dieses Gesetz Folgendes vorsieht:
Die Ärztekammer ist u. a. damit betraut, für die Erhaltung eines hoch stehenden Berufsstandes zu sorgen, die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen, für ein gedeihliches Verhältnis der Kammerangehörigen untereinander zu sorgen, Fürsorgeeinrichtungen für die Kammerangehörigen und ihre Familienmitglieder zu schaffen und die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit und berufsbezogene Themen zu informieren (§ 6 Abs. 1 Nrn. 6 bis 8, 10 und 12).
Alle Ärzte, die im Land Nordrhein-Westfalen ihren Beruf ausüben oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, gehören dieser Kammer an (§ 2).
Grundsätzlich sind alle Kammerangehörigen zur Kammerversammlung wahlberechtigt (§ 12 Abs. 1).
Der Ärztekammer wird das Recht verliehen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Beiträge von den Kammerangehörigen zu erheben (§ 6 Abs. 4 Satz 1).
Die Höhe dieser Beiträge ist durch eine von der Kammerversammlung zu erlassende Beitragsordnung festzusetzen (§ 23 Abs. 1).
Die Beitragsordnung bedarf der Genehmigung einer Aufsichtsbehörde (§ 23 Abs. 2), wobei diese Genehmigung lediglich eine ausgeglichene Haushaltsführung der Kammer sicherstellen soll.
Die Aufsichtsbehörde übt nachträglich eine allgemeine Aufsicht aus, die sich darauf bezieht, ob die Ärztekammer ihre Aufgaben im Einklang mit dem geltenden Recht erfüllt (§ 28 Abs. 1).
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Die Ärztekammer leitete ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags für den Druck und den Versand ihres Mitteilungsblatts sowie für die Anzeigenakquise und den Abonnementsverkauf ein; eine entsprechende Bekanntmachung wurde am 5. November 2010 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Nachdem zwei weitere Bieter ausgeschlossen worden waren, erfolgte die Auswahl zwischen IVD und der WWF Druck + Medien GmbH, deren Angebot letztlich den Zuschlag erhielt.
IVD beanstandete diese Zuschlagserteilung im Rahmen einer Rüge und anschließend eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer, der im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge für Rechtsstreitigkeiten zuständigen Verwaltungsbehörde; dabei machte IVD geltend, dass der Zuschlagsempfänger einige der von der Ärztekammer verlangten Referenzen nicht beigebracht habe. Die Vergabekammer erklärte ihren Antrag für unbegründet und wies ihn zurück.
Das mit einer sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer befasste Oberlandesgericht Düsseldorf hat beschlossen, von Amts wegen zu prüfen, ob die Ärztekammer als öffentliche Auftraggeberin anzusehen ist, da davon die Zulässigkeit des von IVD gestellten Nachprüfungsantrags abhängt.
Das vorlegende Gericht sieht in den Aufgaben, mit denen die Ärztekammer nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 HeilBerG NRW betraut ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art. Darüber hinaus besitzt die Ärztekammer nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten Rechtspersönlichkeit. Somit wären die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2004/18 erfüllt.
Das vorlegende Gericht wirft jedoch die Frage auf, ob die Befugnis der Ärztekammer, Beiträge von den Kammerangehörigen zu erheben, eine mittelbare staatliche Finanzierung darstellt, die die erste Voraussetzung von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie erfüllt.
Das vorlegende Gericht entnimmt den Urteilen vom 13. Dezember 2007, Bayerischer Rundfunk u. a. (C-337/06, Slg. 2007, I-11173), und vom 11. Juni 2009, Hans & Christophorus Oymanns (C-300/07, Slg. 2009, I-4779), dass eine solche mittelbare staatliche Finanzierung dann gegeben sei, wenn der Staat entweder den Beitrag dem Grunde und der Höhe nach selbst festlege oder ihn durch Bestimmungen mit einer genauen Beschreibung der von der juristischen Person zu erbringenden Leistungen sowie durch Vorschriften über die Bemessung der Beitragshöhe derart maßgeblich beeinflusse, dass die juristische Person bei der Festsetzung des Betrags nur noch einen geringen Spielraum habe.
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die anwendbaren Rechtsvorschriften weder die Höhe der von der Ärztekammer erhobenen Beiträge festlegten noch Umfang und Art der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben dergestalt bestimmten, dass die Kammer die Höhe der Beiträge nur in engem Rahmen festsetzen könne. Vielmehr stehe der Kammer, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben über einen weiten Beurteilungsspielraum verfüge, hinsichtlich der Bestimmung ihres Finanzbedarfs und somit hinsichtlich der Festsetzung der Höhe des Beitrags der Kammerangehörigen ein ähnlicher Spielraum zu. Im Übrigen gebe es zwar ein System, wonach die Gebührenordnung, nach der sich der Betrag richte, der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürfe, doch solle diese Genehmigung lediglich eine ausgeglichene Haushaltsführung der Ärztekammer sicherstellen.
Angesichts dieser speziellen Gesichtspunkte ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Ärztekammer die vom Gerichtshof in den Urteilen, die in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils erwähnt werden, angeführten Merkmale nicht erfülle, und es wirft die Frage auf, ob diese Merkmale in jedem Fall erforderlich seien, um die Voraussetzung des Vorliegens einer öffentlichen Finanzierung bejahen zu können.
Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Wird eine Einrichtung (hier: Berufskammer) im Sinne von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 „überwiegend vom Staat … finanziert“, bzw. unterliegt sie „hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht“ durch den Staat, wenn
der Einrichtung durch Gesetz die Befugnis zur Beitragserhebung bei ihren Mitgliedern eingeräumt wird, das Gesetz aber weder die Beiträge der Höhe nach noch die mit dem Beitrag zu finanzierenden Leistungen dem Umfang nach festsetzt;
die Gebührenordnung aber der Genehmigung durch den Staat bedarf?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung wie eine berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen erfüllt, wenn sich diese Einrichtung überwiegend durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziert, zu deren Festsetzung und Erhebung sie durch ein Gesetz ermächtigt wird, das nicht den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeiten regelt, die sie im Rahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben, die mit diesen Beiträgen finanziert werden sollen, ausübt, bzw. das Kriterium der Aufsicht öffentlicher Stellen über ihre Leitung, wenn die Entscheidung, mit der sie die Höhe der Beiträge festsetzt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf.
Zunächst ist festzustellen, dass die Ärztekammer, wie das vorlegende Gericht zutreffend ausführt, in Anhang III der Richtlinie 2004/18 genannt ist, der für jeden Mitgliedstaat ein Verzeichnis der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie enthält. Gemäß dem der Bundesrepublik Deutschland gewidmeten Teil III dieses Anhangs gehören nämlich in Kategorie 1.1, die die „bundes-, landes- oder gemeindeunmittelbaren Körperschaften … des öffentlichen Rechts“ betrifft, zu der im zweiten Gedankenstrich aufgeführten Unterkategorie „berufsständische Vereinigungen“ u. a. die Ärztekammern.
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 20 und 21 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, handelt es sich jedoch bei der Aufnahme einer bestimmten Einrichtung in diesen Anhang lediglich um die Durchführung der materiellen Vorschrift in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18, ohne dass sich daraus eine unwiderlegbare Vermutung dafür ergibt, dass die Einrichtung eine „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ im Sinne dieser Bestimmung ist. Daher ist es Sache des Unionsrichters, wenn ihm von einem nationalen Gericht ein dahin gehend begründetes Ersuchen unterbreitet wird, sich der inneren Kohärenz dieser Richtlinie zu vergewissern, indem er prüft, ob die Aufnahme einer Einrichtung in den fraglichen Anhang eine zutreffende Anwendung der genannten materiellen Vorschrift darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Hans & Christophorus Oymanns, Randnrn. 42, 43 und 45).
Um eine „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ im Sinne von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18, die als solche den Vorschriften dieser Richtlinie unterliegt, handelt es sich, wenn drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind: Die Einrichtung wurde zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen (Buchst. a), sie besitzt Rechtspersönlichkeit (Buchst. b), und sie wird überwiegend durch öffentliche Stellen finanziert oder ihre Leitung unterliegt der Aufsicht durch Letztere oder ihr Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan besteht mehrheitlich aus Mitgliedern, die von öffentlichen Stellen ernannt worden sind (Buchst. c).
In allen drei der in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 genannten alternativen Kriterien kommt eine enge Verbindung mit den öffentlichen Stellen zum Ausdruck. Eine solche Verbindung kann es den öffentlichen Stellen nämlich ermöglichen, die Entscheidungen der betreffenden Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen, was die Möglichkeit mit sich bringt, dass andere als wirtschaftliche Überlegungen diese Entscheidungen leiten, und insbesondere die Gefahr, dass einheimische Bieter oder Bewerber bevorzugt werden, wodurch Hemmnisse für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr geschaffen würden, die durch die Anwendung der Vergaberichtlinien gerade verhindert werden sollen (vgl. zu entsprechenden, der Richtlinie 2004/18 vorangegangenen Vorschriften, Urteil vom 1. Februar 2001, Kommission/Frankreich, C-237/99, Slg. 2001, I-939, Randnrn. 39, 41, 42, 44 und 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Licht dieser Ziele ist jedes dieser Kriterien funktionell auszulegen (vgl. zu entsprechenden, der Richtlinie 2004/18 vorangegangenen Vorschriften, Urteile Kommission/Frankreich, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Bayerischer Rundfunk u. a., Randnr. 40), d. h. unabhängig von den formellen Modalitäten seiner Anwendung (vgl. entsprechend Urteil vom 10. November 1998, BFI Holding, C-360/96, Slg. 1998, I-6821, Randnrn. 62 und 63), und muss so verstanden werden, dass es eine enge Verbindung mit öffentlichen Stellen schafft.
Was zunächst das erste in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 genannte Kriterium, die überwiegende Finanzierung durch die öffentlichen Stellen, anbelangt, ist unter dem Begriff der Finanzierung ein Transfer von Finanzmitteln zu verstehen, der ohne spezifische Gegenleistung mit dem Ziel vorgenommen wird, die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung zu unterstützen (vgl. zu entsprechenden, der Richtlinie 2004/18 vorangegangenen Vorschriften, Urteil vom 3. Oktober 2000, University of Cambridge, C-380/98, Slg. 2000, I-8035, Randnr. 21).
Da dieser Begriff funktionell auszulegen ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen auch eine mittelbare Finanzierungsweise einschließt.
Eine solche Finanzierung kann durch eine dem Grundsatz und der Höhe nach gesetzlich vorgesehene und auferlegte Gebühr erfolgen, die keine Gegenleistung für die tatsächliche Inanspruchnahme der von der betreffenden Einrichtung erbrachten Dienstleistungen durch die Gebührenschuldner darstellt und mittels hoheitlicher Befugnisse eingezogen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Bayerischer Rundfunk u. a., Randnrn. 41, 42, 44, 45 und 47 bis 49).
Dass eine Einrichtung die Höhe der Beiträge, aus denen sie sich überwiegend finanziert, formal selbst festlegt, schließt das Vorliegen einer das genannte Kriterium erfüllenden mittelbaren Finanzierung nicht aus. Dies ist der Fall, wenn sich Einrichtungen wie die gesetzlichen Sozialversicherungskassen durch die von ihren Mitgliedern oder für diese entrichteten Beiträge, denen keine spezifische Gegenleistung gegenübersteht, finanzieren, sofern die Mitgliedschaft in einer solchen Kasse und die Zahlung dieser Beiträge gesetzlich vorgeschrieben sind, sofern der Beitragssatz zwar formal von den Kassen selbst festgelegt wird, aber zum einen rechtlich vorgegeben ist, wobei das Gesetz die von den Kassen erbrachten Leistungen und die damit verbundenen Ausgaben festlegt und den Kassen untersagt, ihre Aufgaben mit Gewinnerzielungsabsicht wahrzunehmen, und zum anderen der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedarf, und sofern die Beiträge aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zwangsweise eingezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Hans & Christophorus Oymanns, Randnrn. 53 bis 56).
Es ist jedoch festzustellen, dass die Situation einer Einrichtung wie der Ärztekammer der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation nicht gleichgesetzt werden kann.
Zwar werden die Aufgaben dieser Einrichtung im HeilBerG NRW aufgezählt, doch geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass kennzeichnend für ihre Situation die erhebliche Autonomie ist, die ihr dieses Gesetz bei der Bestimmung des Wesens, des Umfangs und der Durchführungsmodalitäten der von ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgeübten Tätigkeiten, somit bei der Festsetzung des dafür erforderlichen Haushalts und infolgedessen bei der Festlegung der Höhe der Beiträge einräumt, die sie von ihren Mitgliedern erhebt. Dass die Regelung, mit der diese Beiträge festgelegt werden, der Genehmigung einer Aufsichtsbehörde bedarf, ist nicht ausschlaggebend, da diese Behörde lediglich prüft, ob der Haushalt der betreffenden Einrichtung ausgeglichen ist, d. h., ob die Beiträge ihrer Mitglieder und ihre übrigen Ressourcen gewährleisten, dass sie über ausreichende Einnahmen zur Deckung aller Betriebskosten nach den von ihr selbst festgelegten Modalitäten verfügt.
Im Übrigen wird, wie der Generalanwalt in den Nrn. 65 und 66 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, diese Autonomie gegenüber den öffentlichen Stellen im vorliegenden Fall noch dadurch verstärkt, dass die besagte Regelung von einer Versammlung erlassen wird, die aus den Beitragspflichtigen selbst besteht.
Sodann ist zum zweiten in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 genannten Kriterium, der Aufsicht der öffentlichen Stellen über die Leitung, darauf hinzuweisen, dass eine nachträgliche Kontrolle dieses Kriterium grundsätzlich nicht erfüllt, da eine solche Kontrolle es den öffentlichen Stellen nicht erlaubt, die Entscheidungen der betreffenden Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2003, Adolf Truley, C-373/00, Slg. 2003, I-1931, Randnr. 70). Dies ist somit bei einer nachträglichen allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle durch eine Aufsichtsbehörde grundsätzlich der Fall und gilt erst recht, wenn die Behörde in der Form tätig wird, dass sie die Entscheidung dieser Einrichtung über die Festlegung der Höhe der ihre Finanzierung im Wesentlichen sicherstellenden Beiträge genehmigt, und sich dabei auf die Prüfung beschränkt, ob der Haushalt der betreffenden Einrichtung ausgeglichen ist.
Somit verfügt eine Einrichtung wie die Ärztekammer, obgleich gesetzlich geregelt ist, worin ihre Aufgaben bestehen, wie ihre überwiegende Finanzierung zu gestalten ist und dass die Entscheidung, mit der sie die Höhe der von den Kammerangehörigen zu entrichtenden Beiträge festlegt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf, konkret über eine organisatorische und haushaltstechnische Autonomie, aufgrund deren nicht von einer engen Verbindung zwischen ihr und öffentlichen Stellen ausgegangen werden kann. Folglich stellen die Modalitäten der Finanzierung einer solchen Einrichtung keine überwiegende Finanzierung durch die öffentlichen Stellen dar und ermöglichen diesen keine Aufsicht über die Leitung der Einrichtung.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung wie eine berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts weder das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen erfüllt, wenn sich diese Einrichtung überwiegend durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziert, zu deren Festsetzung und Erhebung sie durch ein Gesetz ermächtigt wird, das nicht den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeiten regelt, die sie im Rahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben, die mit diesen Beiträgen finanziert werden sollen, ausübt, noch das Kriterium der Aufsicht öffentlicher Stellen über ihre Leitung allein deshalb erfüllt, weil die Entscheidung, mit der sie die Höhe der Beiträge festsetzt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung wie eine berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts weder das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen erfüllt, wenn sich diese Einrichtung überwiegend durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziert, zu deren Festsetzung und Erhebung sie durch ein Gesetz ermächtigt wird, das nicht den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeiten regelt, die sie im Rahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben, die mit diesen Beiträgen finanziert werden sollen, ausübt, noch das Kriterium der Aufsicht öffentlicher Stellen über ihre Leitung allein deshalb erfüllt, weil die Entscheidung, mit der sie die Höhe der Beiträge festsetzt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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