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EuGH 21.06.2012 - C-5/11
EuGH 21.06.2012 - C-5/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 21. Juni 2012 ( *1) - „Freier Warenverkehr — Gewerbliches und kommerzielles Eigentum — Verkauf von Vervielfältigungsstücken von Werken in einem Mitgliedstaat, in dem das Urheberrecht an diesen Werken nicht geschützt ist — Beförderung dieser Waren in einen anderen Mitgliedstaat, in dem die Verletzung dieses Urheberrechts strafrechtlich sanktioniert ist — Strafverfahren gegen den Spediteur wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten eines urheberrechtlich geschützten Werks“
Leitsatz
In der Rechtssache C-5/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2011, in dem Strafverfahren gegen
Titus Alexander Jochen Donner
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Donner, vertreten durch die Rechtsanwälte E. Kempf, H.-C. Salger und S. Dittl,
des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, vertreten durch R. Griesbaum als Bevollmächtigten im Beistand von Oberstaatsanwalt K. Lohse,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda, G. Wilms und N. Obrovsky als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2012
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 34 AEUV und 36 AEUV.
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens vor den deutschen Gerichten gegen Herrn Donner, der wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Der am 20. Dezember 1996 in Genf angenommene Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) (im Folgenden: WCT) wurde mit dem Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.
Art. 6 („Verbreitungsrecht“) WCT bestimmt:
„(1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
(2) Dieser Vertrag berührt nicht die Freiheit der Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich das Recht nach Absatz 1 nach dem ersten mit Erlaubnis des Urhebers erfolgten Verkauf des Originals oder eines Vervielfältigungsstücks oder der ersten sonstigen Eigentumsübertragung erschöpft.“
Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10) dient nach ihrem 15. Erwägungsgrund u. a. dazu, einigen Verpflichtungen aus dem WCT nachzukommen.
Art. 4 („Verbreitungsrecht“) der Richtlinie 2001/29 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.
(2) Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.“
Deutsches Recht
Mit dem Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965 (Urheberrechtsgesetz, BGBl. I S. 1273) in geänderter Fassung (im Folgenden: UrhG) wurde die Richtlinie 2001/29 in deutsches Recht umgesetzt.
In § 17 Abs. 1 und 2 UrhG („Verbreitungsrecht“) heißt es:
„(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.
(2) Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.“
Nach § 106 UrhG wird die Verbreitung geschützter Werke ohne Einwilligung des Berechtigten mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wird ein Verstoß gegen § 106 UrhG gewerbsmäßig begangen, so ist nach § 108a UrhG die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
§ 27 („Beihilfe“) des Strafgesetzbuchs bestimmt, dass als Gehilfe bestraft wird, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Herr Donner, ein deutscher Staatsangehöriger, war im entscheidungserheblichen Zeitraum Geschäftsführer der In.Sp.Em. Srl (im Folgenden: Inspem), einer Spedition mit Sitz in Bologna (Italien), und betrieb seine Geschäfte im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
Inspem besorgte den Transport von Waren, die von der Dimensione Direct Sales Srl (im Folgenden: Dimensione), einem ebenfalls in Bologna ansässigen Unternehmen, das seinen Sitz in der Nähe des Sitzes von Inspem hatte, verkauft wurden. Dimensione bot durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internetseite Nachbildungen von Einrichtungsgegenständen im „Bauhaus“-Stil in Deutschland ansässigen Kunden zum Kauf an, ohne über Lizenzen für den Vertrieb in Deutschland zu verfügen. Dabei handelte es sich u. a. um Nachbildungen von:
Stühlen der „Aluminium-Group“, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber: Firma Vitra Collections AG,
der „Wagenfeldleuchte“, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber: Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG,
Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber: Firma Cassina SpA,
dem Beistelltisch „Adjustable Table“ und der Leuchte „Tubelight“, entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber: Firma Classicon GmbH,
Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber: Firma Thonet GmbH.
Nach den Feststellungen des Landgerichts München II sind diese Gegenstände in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt. In Italien bestand für sie jedoch im entscheidungserheblichen Zeitraum, d. h. vom 1. Januar 2005 bis 15. Januar 2008, kein bzw. kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. So waren die von Eileen Gray entworfenen Einrichtungsgegenstände in Italien in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 25. April 2007 nicht urheberrechtlich geschützt, da in diesem Zeitraum in Italien eine verkürzte Schutzfrist galt, die erst zum 26. April 2007 verlängert wurde. Die übrigen Einrichtungsgegenstände waren im fraglichen Zeitraum in Italien urheberrechtlich geschützt, der Schutz war jedoch nach der praktizierten italienischen Rechtsprechung nicht durchsetzbar, jedenfalls nicht gegenüber den Produzenten, die bereits vor dem 19. April 2001 die Gestaltungen vervielfältigt, zum Verkauf angeboten und/oder vermarktet hatten.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, von Dimensione verkauften Einrichtungsgegenstände wurden in ihrer Verpackung, auf der die Daten des Käufers vermerkt waren, im Auslieferungslager von Dimensione in Sterzing (Italien) gelagert. Wollten in Deutschland ansässige Kunden die von ihnen bestellten Waren weder selbst abholen noch zu diesem Zweck ein Transportunternehmen benennen, empfahl Dimensione entsprechend ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Beauftragung von Inspem. Im Ausgangsrechtsstreit beauftragten die betreffenden Kunden Inspem mit dem Transport der gekauften Einrichtungsgegenstände. Die Fahrer von Inspem holten diese Gegenstände gegen Zahlung des Kaufpreises an Dimensione im Auslieferungslager in Sterzing ab. Bei Ablieferung an die Kunden in Deutschland zog Inspem von diesen den Kaufpreis für die gelieferte Ware und die Frachtkosten ein. Nahmen die Kunden die Ware nicht an oder bezahlten sie diese nicht, sandte Inspem die Ware an Dimensione zurück, die ihr den Kaufpreis und die Frachtkosten erstattete.
Nach Auffassung des Landgerichts München II hat sich Herr Donner dadurch gemäß den §§ 106 und 108a UrhG und § 27 StGB der Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke strafbar gemacht.
Dimensione habe Vervielfältigungsstücke der in Deutschland geschützten Werke verbreitet. Für eine Verbreitung im Sinne von § 106 UrhG seien die Übertragung des Eigentums an dem Kaufgegenstand und der Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Im Ausgangsverfahren sei die Übertragung des Eigentums vom Verkäufer auf den Käufer in Italien nach italienischem Recht durch Einigung und Individualisierung des Kaufgegenstands am Lager in Sterzing erfolgt. Der Wechsel der Verfügungsgewalt sei jedoch erst mit Übergabe an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung in Deutschland mit Hilfe von Herrn Donner herbeigeführt worden. Daher sei es unerheblich, inwieweit die Einrichtungsgegenstände in Italien urheberrechtlichen Schutz genössen. Das Landgericht München II hat klargestellt, dass die Beschränkung des freien Warenverkehrs, die sich aus den nationalen Regelungen über das Urheberrecht ergebe, zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.
Herr Donner wendete sich gegen seine Verurteilung mit der Revision zum Bundesgerichtshof. Er macht erstens geltend, dass eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 und infolgedessen im Sinne von § 17 UrhG die Übertragung des Eigentums an der Ware voraussetze und dass diese im Ausgangsverfahren in Italien erfolgt sei. Ein Wechsel des Gewahrsams an der Ware, d. h. ein Wechsel der Verfügungsgewalt über diese, sei hierfür nicht erforderlich. Zweitens verstoße eine auf einer anderslautenden Auslegung basierende Bestrafung gegen die durch Art. 34 AEUV garantierte Warenverkehrsfreiheit, weil dies zu einer nicht gerechtfertigten, künstlichen Abschottung der Märkte führe. Drittens schließlich sei jedenfalls mit Übergabe der genannten Ware in Italien an den Spediteur, der die Ware im Auftrag bestimmter Kunden annehme, ein Gewahrsamswechsel erfolgt und habe auch unter diesem Gesichtspunkt das relevante Geschehen in Italien stattgefunden.
Der Bundesgerichtshof schließt sich der Auslegung des Landgerichts München II an, wonach eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ durch Verkauf im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 voraussetze, dass dem Dritten nicht nur das Eigentum übertragen worden sei, sondern er auch die tatsächliche Verfügungsgewalt über das urheberrechtlich geschützte Werkstück besitze. Das Werkstück müsse, damit es als an die Öffentlichkeit verbreitet angesehen werden könne, aus der internen Betriebssphäre des Herstellers der Öffentlichkeit oder dem freien Handelsverkehr zugeführt werden. Solange ein solches Werkstück bei dem Unternehmen, das es hergestellt habe, oder innerhalb desselben Konzerns verbleibe, könne es nicht als an die Öffentlichkeit gelangt angesehen werden, da ein geschäftlicher Verkehr mit echten Außenbeziehungen in diesem Fall nicht vorliege. Diese Analyse des Landgerichts München II entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29.
Jedoch könnten nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Art. 34 AEUV und 36 AEUV der Bestätigung der Verurteilung von Herrn Donner entgegenstehen, sollte die Anwendung nationaler Strafvorschriften unter den Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens als eine ungerechtfertigte Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit anzusehen sein.
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ
dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,
der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
Zur Vorlagefrage
Wie das vorlegende Gericht ausdrücklich anerkennt, ist Voraussetzung für die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafvorschriften, dass eine im Inland erfolgte „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ durch Verkauf im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorliegt. In der Sitzung haben sich die Beteiligten auf eine vom Gerichtshof an sie gerichtete Frage hin ausführlich zur Auslegung dieses Begriffs geäußert.
Folglich ist die Frage des vorlegenden Gerichts dahin aufzufassen, dass es zum einen wissen möchte, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine im Inland erfolgte „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorliegt, und zum anderen, ob die Art. 34 AEUV und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.
Zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29
Da die Richtlinie 2001/29 dazu dient, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union u. a. nach dem WCT obliegen, und da nach ständiger Rechtsprechung Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen sind, insbesondere wenn mit ihnen ein von der Union geschlossener völkerrechtlicher Vertrag durchgeführt werden soll, ist der Begriff „Verbreitung“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 WCT auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2008, Peek & Cloppenburg, C-456/06, Slg. 2008, I-2731, Randnrn. 29 bis 32).
Die Wendung „Verbreitung an die Öffentlichkeit durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 muss daher, wie der Generalanwalt in den Nrn. 44 bis 46 und 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, als gleichbedeutend mit der Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ in Art. 6 Abs. 1 WCT verstanden werden.
Wie der Generalanwalt zudem in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, muss der Inhalt des Begriffs „Verbreitung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 außerdem eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen kann, das auf die Geschäfte anwendbar ist, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolgt.
Die Verbreitung an die Öffentlichkeit zeichnet sich durch eine Reihe von Handlungen aus, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichen. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf können Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 führen, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. In diesem Zusammenhang kann ein solches Geschäft in mehreren Mitgliedstaaten das ausschließliche Recht beeinträchtigen, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form zu erlauben oder zu verbieten.
Ein Händler ist daher für jede von ihm selbst oder für seine Rechnung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führt, in dem die in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt sind. Ihm kann ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte.
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht durch den betreffenden Händler selbst oder für seine Rechnung erfolgte, haben somit die nationalen Gerichte in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob Indizien vorliegen, die den Schluss zulassen, dass dieser Händler tatsächlich Mitglieder der Öffentlichkeit ansprechen wollte, die in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem eine Handlung vorgenommen wurde, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 geführt hat, und dass ihm das Verhalten des fraglichen Dritten nicht unbekannt sein konnte.
Unter den Umständen des Ausgangsverfahrens können Gesichtspunkte wie das Bestehen einer Internetseite in deutscher Sprache, der Inhalt und die Verteilungswege des Werbematerials von Dimensione und deren Zusammenarbeit mit Inspem als Unternehmen, das Lieferungen nach Deutschland durchführt, konkrete Indizien für eine derartige gezielte Tätigkeit darstellen.
Daher ist auf den ersten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungsstücke von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornimmt.
Zur Auslegung der Art. 34 AEUV und 36 AEUV
Wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, stellt das nach nationalem Recht vorgesehene und durch nationale Strafvorschriften sanktionierte Verbot unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, die grundsätzlich gegen Art. 34 AEUV verstößt.
Eine derartige Beschränkung kann jedoch nach Art. 36 AEUV zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein.
Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, wenn ein durch ein Urheberrecht geschütztes Werk vom Inhaber dieses Rechts oder mit dessen Einverständnis in Verkehr gebracht wird, der Rechtsinhaber dadurch daran gehindert ist, dem freien Verkehr dieses Werks in der Union zu widersprechen. Anderes gilt jedoch, wenn das Inverkehrbringen nicht auf der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers beruht, sondern auf dem Auslaufen seines Rechts in einem bestimmten Mitgliedstaat. Soweit in diesem Fall die Verschiedenheit der nationalen Rechtsvorschriften über die Schutzfrist zu Beschränkungen des Handels innerhalb der Union führen kann, sind diese Beschränkungen nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt, wenn sie auf dem Unterschied zwischen den Regelungen beruhen und dieser untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft ist (vgl. Urteil vom 24. Januar 1989, EMI Electrola, 341/87, Slg. 1989, 79, Randnr. 12).
Diese Erwägungen gelten erst recht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, da die Verschiedenheit, die zu Beschränkungen des freien Warenverkehrs führt, nicht auf Unterschieden zwischen den Rechtsvorschriften beruht, die in den einzelnen betroffenen Mitgliedstaaten in Kraft sind, sondern darauf, dass diese Rechtsvorschriften in einem dieser Mitgliedstaaten in der Praxis nicht durchsetzbar sind. Die Beschränkung, die einen Händler, der in einem Mitgliedstaat ansässig ist, aufgrund eines strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots trifft, das in einem anderen Mitgliedstaat besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf, dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urherberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind.
Im Übrigen kann, wie der Generalanwalt in den Nrn. 67 bis 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass der Schutz des Verbreitungsrechts unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zu einer unverhältnismäßigen oder künstlichen Abschottung der Märkte führt, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwiderläuft (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juni 1971, Deutsche Grammophon Gesellschaft, 78/70, Slg. 1971, 487, Randnr. 12, vom 20. Januar 1981, Musik-Vertrieb membran und K-tel International, 55/80 und 57/80, Slg. 1981, 147, Randnr. 14, sowie EMI Electrola, Randnr. 8).
Die Anwendung von Bestimmungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden kann nämlich als erforderlich angesehen werden, um den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts zu schützen, das u. a. ein ausschließliches Verwertungsrecht gewährt. Die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist daher unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens – in dem sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen – gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck.
Daher ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 34 AEUV und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungsstücke von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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