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BSG 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B
BSG 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Versäumung des Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist - keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fehlende Reaktion des Gerichts auf eingereichten Antrag - Nachfrageobliegenheit des Prozessbevollmächtigten - Büroversehen - Verschulden - Unkenntnis der Fachkraft über bestehende Weisung
Normen
§ 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 2 S 1 SGG, § 67 Abs 2 S 2 SGG, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 160a Abs 2 S 2 SGG, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Potsdam, 28. Oktober 2016, Az: S 13 VE 42/15, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 13. Februar 2020, Az: L 13 VG 70/16, Urteil
Tenor
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Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 2020 wird abgelehnt.
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Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 13.2.2020, zugestellt am 20.4.2020, mit einem am 15.5.2020 beim BSG eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde ist mit Schriftsatz vom 20.7.2020 begründet worden. Mit Beschluss vom 28.7.2020 hat der erkennende Senat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil sie nicht bis zum Ablauf der am 22.6.2020 endenden Frist begründet und ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist nicht gestellt worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Begründungsfrist seien weder vorgebracht noch ersichtlich.
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Nach Erhalt dieser Entscheidung am 14.8.2020 hat der Prozessbevollmächtigte mit einem am 28.8.2020 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag unter Bezugnahme auf die vorliegende Begründung beantragt, "dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 67 SGG zu gewähren" und "die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu verlängern", weil er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein in seinem Büro rechtzeitig vorbereiteter Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei während seines Urlaubs von der dafür zuständigen und zuverlässigen Fachkraft nicht fristgerecht weitergeleitet worden.
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II. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde ist abzulehnen.
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Der Kläger hat die Frist zu Begründung der Beschwerde nicht schuldlos versäumt. Die Nichteinhaltung der zweimonatigen Frist zur Begründung der Beschwerde beruht auf einem Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten. Dieser hat es nach seinem Vorbringen und den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen versäumt, die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht zu begründen.
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Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl BSG Beschluss vom 15.11.2018 - B 10 EG 16/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.6.2018 - B 1 KR 59/17 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 15, RdNr 7, jeweils mwN). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl BSG, aaO, mwN). In diesem Sinne ist das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BSG, aaO, mwN). An diesen Darlegungen fehlt es.
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Zwar kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist noch gestellt werden, wenn über den Rechtsbehelf selbst - wie vorliegend - bereits entschieden wurde (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2000 - B 2 U 83/00 B - juris RdNr 3; BVerwG Beschluss vom 3.1.1961 - III ER 414.60 - BVerwGE 11, 322; OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.1.2012 - 1 L 6/12 - juris RdNr 2; OVG Münster Beschluss vom 24.3.2006 - 13 E 240/06 - NVwZ-RR 2006, 852; offengelassen von BFH Beschluss vom 17.4.1985 - I B 19/85 - juris RdNr 8; vgl auch BGH Beschluss vom 7.10.1981 - IVb ZB 825/81 - juris RdNr 5). Allerdings kann vorliegend eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gewährt werden, weil der Kläger keine Tatsachen vorgetragen oder glaubhaft gemacht hat, aus denen sich ergibt, dass er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten.
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Die Versäumung der Begründungsfrist kann nicht damit entschuldigt werden, die Verlängerung der Begründungsfrist sei ohne Verschulden zu spät beantragt worden. Bei der in § 160a Abs 2 Satz 2 SGG enthaltenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor deren Ablauf handelt es sich nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist (vgl zur entsprechenden Vorschrift in § 116 Abs 3 Satz 4 FGO: BFH Beschluss vom 13.5.2011 - VIII B 120/10 - juris RdNr 3 mwN). Wenn ein Kläger wegen eines unvermeidlichen Büroversehens in der Sphäre seines Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für seine Beschwerde rechtzeitig an das BSG zu übermitteln, entschuldigt dies nicht deren Versäumung, sondern nur die - insoweit unerhebliche - rechtzeitige Stellung des Verlängerungsantrags (vgl BFH Beschluss vom 9.8.2011 - VIII B 48/11 - juris RdNr 3 mwN). Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 2 SGG soll demgegenüber gerade verhindern, dass ein Wiedereinsetzungsantrag insoweit erforderlich werden könnte (vgl BSG Beschluss vom 5.8.2002 - B 11 AL 137/02 B - juris RdNr 4 mwN).
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Die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde ist schließlich dessen unbeschadet nicht wegen eines Büroversehens entschuldbar. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers davon ausgegangen sein sollte, dass sein Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist abgesandt worden ist, so hätte er zumindest bei Gericht nachfragen müssen, ob mit einer Verlängerungsbewilligung zu rechnen sei (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2005 - B 7a AL 234/05 B - juris RdNr 3 mwN). Der Prozessbevollmächtigte hätte angesichts des Umstandes, dass seitens des BSG trotz des nach seinen Angaben bereits mit Schriftsatz vom 10.6.2020 gestellten Verlängerungsantrags keinerlei Reaktion (Verlängerungsbewilligung durch die Vorsitzende, Rückfrage, Auflage oÄ) erfolgt war, unter entsprechender Unterrichtung seiner Vertretung bei urlaubsbedingter Abwesenheit (vgl Beschluss vom 22.10.2018 - B 5 RE 6/18 B - juris RdNr 11 mwN) unbedingt rechtzeitig vor Ablauf der zu verlängernden Begründungsfrist, also vor dem 22.6.2020 (s Senatsbeschluss in dieser Sache vom 28.7.2020) bei der Geschäftsstelle nachfragen müssen, welche Hinderungsgründe der begehrten Entscheidung entgegenstünden und ob überhaupt mit einer Verlängerungsbewilligung zu rechnen sei.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist zwar darauf hin, dass die Arbeitsanweisungen in seiner Kanzlei für die dortigen Fachkräfte im Fall einer Fristverlängerung Sicherungsmaßnahmen vorsehen, die die Einholung einer Einzelanweisung bei fehlender Fristverlängerung am Tag des Fristablaufs vorsehen. Dies sei jedoch unterblieben, weil im Fristenkalender "Fristverlängerung beantragt" vermerkt worden und die betreffende Fachkraft sich sicher gewesen sei, den Fristverlängerungsantrag gefaxt zu haben. Dass sie aufgrund der nicht gestrichenen Frist nochmals hätte Rücksprache mit dem urlaubsvertretenden Rechtsanwalt hätte nehmen müssen, sei ihr nicht bewusst gewesen. Diesem sei seitens der Fachkraft hinsichtlich der Frist mitgeteilt worden, "dass die Fristverlängerung entsprechend des Vermerks im Fristenkalender am 11.06.2020 versandt wurde und erledigt sei". Dieses Vorbringen belegt jedoch kein entschuldbares Büroversehen, sondern spricht für eine Unkenntnis der Fachkraft über den Arbeitsablauf im Falle einer Fristverlängerung, die auch nach der Arbeitsanweisung nicht durch eine bloße Antragstellung erledigt wird. Dass dies der Bürofachkraft nicht bewusst war, stellt ein Organisationsverschulden wegen fehlerhafter Unterweisung bzw Kontrolle dar. Dieses Verschulden muss sich der Kläger als Verschulden seines Bevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser war verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist nicht notwendig wird (vgl BSG Beschluss vom 21.12.1981 - 5a RKn 8/81 - SozR 1500 § 67 Nr 16 S 39 f mwN).
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Tatsächlich ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 20.7.2020 nach Ablauf der Begründungsfrist ohne eine entsprechende Nachfrage zur Verlängerungsbewilligung oder Eingang eines Fristverlängerungsantrags abgegeben worden. Bei Beachtung dieser jeder gewissenhaften prozessführenden Person einsichtigen Vorsichtsmaßnahmen wäre es aller Voraussicht nach nicht zu der Fristversäumung gekommen (vgl insoweit auch BSG Beschluss vom 29.3.2000 - B 2 U 83/00 B - juris RdNr 4).
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Einer nachträglichen Entscheidung der Vorsitzenden über den Antrag auf Verlängerung bedarf es daher nicht (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2005 - B 7a AL 234/05 B - juris RdNr 3).
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Es bleibt damit beim Beschluss des Senats vom 28.7.2020.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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