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BSG 22.03.2012 - B 8 SO 24/10 R
BSG 22.03.2012 - B 8 SO 24/10 R - Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit der Klage - fehlendes Rechtsschutzbedürfnis - Klage auf nachträgliche Genehmigung einer bereits an den Kläger erfolgten Auszahlung trotz vor Auszahlung erfolgter Abtretung des Auszahlungsanspruchs vom Beklagten an den Kläger
Normen
§ 182 Abs 1 BGB, § 184 Abs 1 BGB, § 816 Abs 2 BGB
Vorinstanz
vorgehend SG Karlsruhe, 16. Mai 2008, Az: S 1 SO 3930/07, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 15. April 2009, Az: L 2 SO 2940/08, Beschluss
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. April 2009 unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Mai 2008 - soweit dieses die Beklagte betrifft - aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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Die Klägerin hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
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Im Streit ist (noch) ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung einer an die Klägerin erfolgten Auszahlung eines auf einem Notaranderkonto hinterlegten Betrages in Höhe von 9283,53 Euro.
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Die 1955 geborene Beklagte bezog vom Oktober 1995 bis Dezember 2004 mit einer Unterbrechung im Jahr 1996 für sich und ihre Töchter Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Leistung wurde (nur) als Darlehen erbracht (Vertrag vom Mai 1997; mehrere Bewilligungsbescheide), weil der hälftige Erlös (220 000 DM) aus dem Verkauf eines im gemeinsamen Eigentum der Beklagten und ihres Ehemanns stehenden Hausgrundstücks auf einem treuhänderischen Notaranderkonto hinterlegt worden war. Zur Sicherung der Darlehensforderung trat die Beklagte "den hinterlegten Betrag" in Höhe der geleisteten Sozialhilfeaufwendungen ab. Da im Kaufvertrag über das Hausgrundstück der beurkundende Notar unwiderruflich angewiesen worden war, den hinterlegten Betrag nur nach übereinstimmender Weisung der Eheleute oder aufgrund Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung auszuzahlen, forderte die Klägerin die Beklagte und ihren Ehemann zunächst erfolglos auf, die Zustimmung zur Auszahlung des Betrags gegenüber dem Notar zu erteilen.
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Während des folgenden - auf Erteilung der Zustimmung gerichteten - Klageverfahrens gab der Ehemann der Beklagten dem beurkundenden Notar gegenüber die Erklärung ab, dass dieser den hinterlegten (Rest-)Betrag an die Klägerin auszahlen könne (Schreiben vom 29.8.2007). Der Rechtsstreit gegen den Ehemann der Beklagten wurde deshalb übereinstimmend für erledigt erklärt. Der Notar zahlte im Hinblick auf die vom Ehemann erteilte Zustimmung in der Folgezeit einen hinterlegten Betrag von 9283,53 Euro an die Klägerin aus. Diese führte die Klage nunmehr allein gegen die Beklagte fort, und zwar mit dem Ziel, diese zu verurteilen, die bereits erfolgte Zahlung zu genehmigen.
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Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Beklagte verurteilt, die Auszahlung des hinterlegten Betrages in Höhe von 9283,53 Euro an die Klägerin zu genehmigen (Urteil vom 16.5.2008). Im anschließenden Berufungsverfahren beantragte die Beklagte neben der Klageabweisung, die Klägerin zur Zahlung des an sie ausgezahlten Betrags nebst Zinsen zu verurteilen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten, ohne über diesen Antrag zu entscheiden, zurückgewiesen (Beschluss vom 15.4.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter Bezugnahme auf die Gründe des SG ausgeführt, aus dem öffentlich-rechtlichen Darlehensvertrag iVm der Abtretung ergebe sich der Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrags. Die Auszahlung durch den Notar lasse das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht entfallen; sie habe (nunmehr) einen Anspruch auf nachträgliche Genehmigung, die von der Beklagten ohne Rechtsgrund verweigert werde.
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Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG bzw des § 90 Abs 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), eine Verletzung des § 65 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art 1, 2, 6, 12 und 14 Grundgesetz (GG). Die Erteilung der Genehmigung stelle für sie eine unzumutbare Härte dar, weil sie unterhalb des Existenzminimums lebe. Sie beziehe keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), auf die sie aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht verwiesen werden könne. Ergänzend macht sie ua als Verfahrensmangel geltend, sie habe schon vor dem LSG widerklagend die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 9283,53 Euro nebst Zinsen verlangt; das LSG habe die Widerklage jedoch "unter den Tisch fallen lassen".
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Die Beklagte beantragt nach Abtrennung der Widerklage und deren Verweisung an das Landgericht Karlsruhe (noch),
den Beschluss des LSG unter Abänderung des Urteils des SG - soweit dieses die Beklagte betrifft - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zu Unrecht haben das SG und das LSG die Beklagte verurteilt, die an die Klägerin erfolgte Auszahlung zu genehmigen. Die Klage auf Erteilung der Genehmigung zur Auszahlung des hinterlegten Betrags in Höhe von 9283,53 Euro an die Klägerin war mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig. Während der Beschluss des LSG deshalb aufzuheben war, war das Urteil des SG nur abzuändern, weil dessen Kostenentscheidung trotz Erledigung des Rechtsstreits hinsichtlich des Ehemannes auch eine Entscheidung über die Kosten des gegen den Ehemann geführten Rechtsstreits enthält; insoweit ist das Urteil des SG rechtskräftig geworden. Ob das SG über diese Kosten nach Beendigung des Verfahrens in der Hauptsache durch Urteil entscheiden durfte, bedarf keiner Entscheidung.
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Für die Klage auf Genehmigung der vom Notar vorgenommenen Auszahlung fehlt entgegen der Auffassung der Vorinstanzen das Rechtsschutzbedürfnis, also ein berechtigtes Interesse der Klägerin, mittels eines gerichtlichen Verfahrens Rechtsschutz zu erlangen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage. Es muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung bestehen (BSGE 3, 142, 153; BSG SozR 2200 § 352 Nr 2 S 7) und ist auch vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 20); dadurch sollen zweckwidrige Prozesse verhindert und eine unnötige Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte vermieden werden. Es fehlt ua deshalb am Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Klage selbst im Falle ihres Erfolgs für den Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (BVerwGE 121, 1, 3; BSGE 82, 176, 177 und 182 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 24 S 94 und 100; BSG SozR 1500 § 53 Nr 2 S 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 16a), also wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers verbessern würde.
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Dies ist hier der Fall, weil die Klägerin mit der Auszahlung des hinterlegten Betrages das erlangt hat, was die geforderte Zustimmung ermöglichen sollte, und deshalb der ursprünglich verlangten Zustimmung nicht (mehr) bedarf. Die Genehmigung ist andererseits kein (Rechts-)Grund, den ausgezahlten Betrag behalten zu dürfen. Dies hängt vielmehr allein von der Wirksamkeit der Abtretungserklärung ab. Die Genehmigung der Auszahlung (an den angeblich Nichtberechtigten) bringt keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile, wie bereits § 816 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zeigt, bei dessen Anwendung im Übrigen eine erforderliche Genehmigung der in einer Zahlung an einen Nichtberechtigten liegenden Verfügung regelmäßig in der Klageerhebung gesehen wird (vgl nur BGH, Beschluss vom 15.1.2009 - IX ZR 237/07 -, MDR 2009, 653 mwN).
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Ohnedies hatte die Klägerin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zustimmung (§ 182 BGB) oder spätere Genehmigung (§ 184 BGB) der Auszahlung. Eine solche Zustimmung hatte sie nämlich bereits in der Abtretungserklärung erteilt (vgl dazu § 182 Abs 1 BGB). Danach hat die Beklagte den Notar "beauftragt", nach entsprechender Forderungsaufstellung durch die Klägerin den "entstandenen Sozialhilfeaufwand zuzüglich Zinsen aus dem hinterlegten Betrag zu erstatten". Einer darüber hinausgehenden Weisung oder Zustimmung zur Zahlung des hinterlegten Betrags bedurfte es nicht. Zwar ist die Feststellung, welche (Willens-)Erklärung ein Beteiligter abgegeben hat und was er entsprechend dem inneren Willen gemeint hat, grundsätzlich dem Tatsachengericht vorbehalten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 3a mwN); dies gilt aber nicht, soweit es sich um die vollständige Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände und die Beachtung der gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) handelt, weil es insoweit nicht um die Beantwortung von Tatfragen, sondern um die Beantwortung von Rechtsfragen geht (Leitherer, aaO, RdNr 3b). Das LSG hat die Abtretungserklärung nicht selbst ausgelegt, sondern - wie das SG - trotz Bezugnahme auf diese Erklärung ihren Inhalt nicht verwertet und zu Unrecht behauptet, das im Kaufvertrag vereinbarte Weisungsrecht sei nicht von der Abtretung erfasst. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Senat schon allein deshalb hieran nicht gebunden wäre. Jedenfalls darf er für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klage Tatsachen selbst ermitteln und bewerten (vgl nur Leitherer, aaO, § 163 RdNr 5b mwN). Abgesehen davon wäre ohnedies zweifelhaft, ob es neben der Forderungsabtretung überhaupt einer ausdrücklichen Zustimmung zur Auszahlung bedurfte und, wenn diese Frage bejaht würde, ob das Zustimmungsrecht dann nicht mit der Abtretung gemäß § 401 Abs 1 BGB übergegangen wäre.
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Da die Beklagte im (verbliebenen) Revisionsverfahren in vollem Umfang obsiegt, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die von ihr neben der Nichtentscheidung über die Widerklage behaupteten Verfahrensfehler vorliegen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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