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BVerfG 11.02.2022 - 2 BvR 723/20
BVerfG 11.02.2022 - 2 BvR 723/20 - Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Subsidiarität bei unterbliebener Gehörsrüge im fachgerichtlichen Verfahren - Möglichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei rein formaler Entscheidung über Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem § 172 Abs 2 S 1 StPO ohne hinreichende Berücksichtigung des Vorbringens zur Verletzteneigenschaft - grundrechtlicher Anspruch auf effektive Strafverfolgung ggf auch bzgl Straftatbeständen zum Schutz der Rechtspflege
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 33a StPO, § 172 Abs 1 S 1 StPO, § 172 Abs 2 S 1 StPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Frankfurt, 4. März 2020, Az: 1 Ws 118/19, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, mit dem sein Antrag auf Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt verworfen worden ist.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.
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Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), weil der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main keine Anhörungsrüge erhoben hat.
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1. Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zulässig. Dabei gehört das Anhörungsrügeverfahren zum Rechtsweg, wenn der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht (vgl. BVerfGE 122, 190 198> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 962/19 -, Rn. 3). Das gilt auch dann, wenn er die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach rügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 -, Rn. 3 ff.). Eine Ausnahme kann dann vorliegen, wenn das Anhörungsrügeverfahren offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Eine solche offensichtliche Aussichtslosigkeit ist vom Beschwerdeführer darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 914/16 -, Rn. 13).
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Wird eine zulässige und nicht offensichtlich aussichtslose Anhörungsrüge nicht erhoben, kann der Beschwerdeführer auch die Verletzung anderer Grundrechte nicht mehr rügen, sofern die Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen (vgl. BVerfGE 134, 106 113 Rn. 22>; s. ferner auch BVerfGK 5, 337 339>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 -, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Dezember 2018 - 2 BvR 1594/17 -, Rn. 18; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2019 - 2 BvR 453/19 -, Rn. 13). Der Beschwerdeführer muss das Anhörungsrügeverfahren auch dazu nutzen, um auf die Beseitigung anderer Grundrechtsverletzungen hinzuwirken.
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2. Nach diesen Anforderungen hätte der Beschwerdeführer eine Anhörungsrüge - hier nach § 33a Satz 1 StPO - gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2020 erheben müssen.
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a) Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (vgl. BVerfGE 1, 418 429>; 84, 188 190>; stRspr), und dass die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden (vgl. BVerfGE 11, 218 220>; 70, 215 218>; 72, 119 121>; 79, 51 61>; 83, 24 35>; 86, 133 145>; 96, 205 216>). Zwar ist ein Gericht nicht verpflichtet, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 86, 133 146>). Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das zuständige Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, solange nicht im Einzelfall aus besonderen Umständen das Gegenteil deutlich wird (vgl. BVerfGE 65, 293 295 f.>; 70, 288 293>; 86, 133 146>).
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b) Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde zwar nicht ausdrücklich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, sondern nur eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG. Er macht jedoch geltend, dass sich das Oberlandesgericht nicht mit den Argumenten seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung auseinandergesetzt habe und dass es seinem Beschluss an einer nachvollziehbaren Begründung fehle. Dies stellt sich der Sache nach als Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG dar, weil es im Kern um den Vorwurf geht, dass sich das Oberlandesgericht mit seinem Klageerzwingungsantrag inhaltlich nicht befasst und sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe. Dies hätte im Rahmen des Verfahrens der Anhörungsrüge geklärt werden können.
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3. Vor diesem Hintergrund kann dahin stehen, dass die äußerst knappe Begründung des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 4. März 2020 eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durchaus naheliegend erscheinen lässt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft ist davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer eine Verletzteneigenschaft im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht zukomme, und hat seinen Antrag daher als Dienstaufsichtsbeschwerde behandelt. Sowohl in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. April 2019 als auch in seinem ergänzenden Schriftsatz vom 7. August 2019 hat sich der Beschwerdeführer damit auseinandergesetzt, ob im vorliegenden Fall eine Rechtsverletzung im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO vorlag. Das Oberlandesgericht ist in seinem Beschluss vom 4. März 2020 darauf nicht eingegangen, sondern hat die Verwerfung des Antrags ausschließlich damit begründet, dass ein Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft, gegen den sich der Beschwerdeführer im Wege des § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO wenden könne, fehle.
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4. Es spricht zudem viel dafür, dass das Oberlandesgericht mit dieser rein formalen Betrachtung Bedeutung und Tragweite des Rechts auf effektive Strafverfolgung und den damit verbundenen Prüfungsumfang (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2020 - 2 BvR 1763/16 -, Rn. 54 f.) verkannt hat. Die Annahme des Beschwerdeführers, er sei Verletzter im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO, erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung der Kammer kann ein grundrechtlich radizierter individueller Anspruch auf effektive Strafverfolgung in Betracht kommen, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben und ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann. Insoweit muss bereits der Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Juni 2014 - 2 BvR 2699/10 -, Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl. 2019, § 172 Rn. 1a). Das gilt auch für Straftatbestände, die die Rechtspflege schützen sollen.
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III.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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