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BVerfG 19.09.2017 - 1 BvR 1719/17
BVerfG 19.09.2017 - 1 BvR 1719/17 - Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität einer mittelbar gegen § 1a Abs 4 S 2 AsylbLG gerichteten Verfassungsbeschwerde - Erschöpfung des fachgerichtlichen Hauptsacherechtswegs geboten und zumutbar - schuldlose Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG bei fehlerhafter fachgerichtlicher Rechtsbehelfsbelehrung
Normen
§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 1a Abs 4 S 2 AsylbLG
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 23. Juni 2017, Az: L 23 AY 10/17 B ER, Beschluss
vorgehend SG Cottbus, 26. April 2017, Az: S 21 AY 4/17 ER, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Die Verfassungsbeschwerde wird, ohne dass über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden zu werden braucht, nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.
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1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht eine Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht entgegen. Der Beschwerdeführer hat diese zwar nach Fristablauf eingelegt. Doch geschah dies im vorliegenden Fall unverschuldet. Der Beschwerdeführer wurde durch die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung des Sozialgerichts in die Irre geleitet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2013 - 1 BvR 639/12 -, www.bverfg.de, Rn. 12) und darin durch den Beschluss des Landessozialgerichts vom 23. Mai 2017, mit dem ihm für das unstatthafte Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, bestärkt. Insoweit war hier nicht offensichtlich, dass eine andere Frist galt, die so versäumt werden würde. Vielmehr beruht die Fristversäumung hier maßgeblich auf dem fehlerhaften Hinweis des zuständigen Fachgerichts.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wahrt jedoch hier nicht den Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 107, 395 414>).
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a) Nach dem Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 107, 395 414>) müssen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Werden mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt, die sich auf die Hauptsache beziehen, bietet das Verfahren der Hauptsache regelmäßig die Chance, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz kommen daher als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur in Betracht, soweit sie eine selbständige verfassungsrechtliche Beschwer enthalten, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache deckt (vgl. BVerfGE 77, 381 400 f.>; 79, 275 278 f.>; 104, 65 70 f.>; stRspr). Der Beschwerdeführer macht hier jedoch keine Rechtsverletzung geltend, die gerade das Eilverfahren betrifft.
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b) Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist hier nicht ausnahmsweise unzumutbar.
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aa) Das könnte der Fall sein, wenn das Hauptsacheverfahren vor dem Hintergrund entgegenstehender Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 79, 275 279>; 104, 65 71>; dazu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2016 - 1 BvR 2322/14 -, www.bverfg.de, Rn. 12). Zu der hier mittelbar aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG liegt bislang jedoch weder Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, noch lässt sich veröffentlichte Rechtsprechung der Landessozialgerichte finden. Die bislang veröffentlichte (Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 2. Dezember 2016 - S 5 AY 13/16 ER -, juris) oder im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bekannt gewordene Rechtsprechung (Sozialgericht Stade, Beschluss vom 10. Mai 2017 - S 19 AY 19/17 ER - sowie der angegriffene Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 26. April 2017) betrifft sämtlich Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Dabei hat sich etwa das Sozialgericht Stade nicht abschließend geäußert, sondern es - anders als das Sozialgericht Cottbus im vorliegend angegriffenen Beschluss - als "hinreichend wahrscheinlich" angesehen, dass "die Rechtsfolge des neuen § 1a Abs. 4 AsylbLG verfassungswidrig" sei (Sozialgericht Stade, Beschluss vom 10. Mai 2017 - S 19 AY 19/17 ER -). Damit kann die Durchführung des Hauptsacheverfahrens hier nicht von vornherein als aussichtslos angesehen werden. Das gilt auch angesichts der Tatsache, dass die Fachgerichte der gerügten Grundrechtsverletzung nicht selbst abhelfen könnten, sondern zur Beseitigung des geltend gemachten Verfassungsverstoßes nur durch eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG beitragen könnten, denn die vorrangige Befassung der Fachgerichte behält auch dann ihren Sinn (vgl. nur BVerfGE 58, 81 104 f.>; 72, 39 43 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. August 2013 - 2 BvR 1601/13 -, juris, Rn. 3; stRspr).
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bb) Das Abwarten der Hauptsache ist auch nicht unzumutbar, weil die Beurteilung der aufgeworfenen Frage von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Aufklärung abhinge und die Voraussetzungen gegeben wären, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2013 - 1 BvR 2062/13 -, www.bverfg.de, Rn. 7 ff.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2016 - 1 BvR 2322/14 -, www.bverfg.de, Rn. 12 m.w.N.).
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(1) Hier ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer bei Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne von § 90 Abs. 2 BVerfGG drohte. Zwar ist eine schnelle Entscheidung zur Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums regelmäßig notwendig. Doch genügt allein der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen sind, nicht, um generell einen unabwendbaren Nachteil im verfassungsprozessrechtlichen Sinn annehmen zu können. Ein solcher ist nur gegeben, wenn durch eine spätere Entscheidung nicht mehr korrigierbare, irreparable Schäden drohen. Dazu ist hier nichts vorgetragen und aus den vorgelegten Unterlagen auch nichts zu erkennen.
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(2) Im Übrigen sind die einfachrechtlichen Fragen und die tatsächlichen Auswirkungen der gesetzlichen Regelung noch nicht ausreichend fachgerichtlich vorgeklärt. Nur eine solche fachgerichtliche Klärung verhindert, dass das Bundesverfassungsgericht genötigt wäre, auf ungesicherter Grundlage weitreichende Entscheidungen zu treffen (vgl. BVerfGE 86, 15 26 f.>). Auch wenn sozialrechtliche Grundleistungen betroffen sind, ist es grundsätzlich unabdingbar, dass die fachnahen Sozialgerichte zunächst die relevanten tatsächlichen und rechtlichen Fragen beantworten und die anwendbaren Regelungen verfassungsrechtlich überprüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Februar 2005 - 1 BvR 199/05 -, www.bverfg.de, Rn. 10). Dies ist bislang durch die nur vereinzelt und in einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit der Frage einer etwaigen Verfassungswidrigkeit von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG befasste Rechtsprechung nicht erfolgt. So fehlt es an einer Klärung, wie die Berechnung des notwendigen Bedarfs nach § 3 AsylbLG erfolgt und welcher Anteil auf die in § 1a Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 AsylbLG genannten noch zu deckenden Bedarfe entfällt. Näherer Betrachtung bedarf zudem etwa das Zusammenspiel mit der durch die Verweisung auf Absatz 2 auch in Bezug genommenen Regelung des § 1a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG, wonach im Einzelfall auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden können.
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II.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO BVerfG).
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Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin ist nach der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 114 ZPO (BVerfGE 1, 109 112>) abzulehnen, da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
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Von einer Begründung im Übrigen wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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