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BVerfG 14.10.2014 - 2 BvR 2343/14
BVerfG 14.10.2014 - 2 BvR 2343/14 - Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Verstoßes gegen eine Bewährungsauflage (§ 56f Abs 1 S 1 Nr 3 StGB)
Normen
Art 2 Abs 2 GG, Art 104 Abs 1 GG, § 32 BVerfGG, § 56b StGB, § 56c StGB, § 56f Abs 1 S 1 Nr 3 StGB
Vorinstanz
vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 27. August 2014, Az: 1 Qs 343/14, Beschluss
vorgehend AG Cloppenburg, 4. August 2014, Az: 18 BRs 35/14, Beschluss
nachgehend BVerfG, 2. September 2015, Az: 2 BvR 2343/14, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
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Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 13. Mai 2014 - 18 Cs 775 Js 10812/14 (131/14) - wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers in der Hauptsache ausgesetzt.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Verstoßes gegen eine Bewährungsauflage.
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I.
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1. a) Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 13. Mai 2014, rechtskräftig seit dem 21. Mai 2014, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
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Mit Bewährungsbeschluss vom 13. Mai 2014 setzte das Amtsgericht Cloppenburg die Bewährungszeit auf zwei Jahre fest und erteilte dem Beschwerdeführer die Auflage, "unverzüglich nach Rechtskraft des Urteils 50 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung der Gerichtshilfe in Cloppenburg zu leisten".
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b) Mit Schreiben vom 23. Mai 2014 wies das Gericht den Beschwerdeführer auf den Eintritt der Rechtskraft und die nunmehr anstehende Erfüllung der Auflage hin. Die Gerichtshilfe lud den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 6. Juni 2014, vom 18. Juni 2014 und vom 2. Juli 2014 zu Besprechungsterminen. Der Beschwerdeführer blieb (unentschuldigt) den Terminen fern. Auf ein weiteres Erinnerungsschreiben des Gerichts vom 14. Juli 2014 reagierte der Beschwerdeführer ebenso wenig. Zum Anhörungstermin ist er nicht erschienen.
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2. Mit Beschluss vom 4. August 2014 widerrief das Amtsgericht Cloppenburg die Strafaussetzung zur Bewährung. Der Beschwerdeführer habe keine gemeinnützigen Arbeitsleistungen erbracht und auch nicht dargetan, dass es ihm aufgrund seiner persönlichen beziehungsweise wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich gewesen sei, die Auflage zu erfüllen. Auf das Erinnerungsschreiben des Gerichts habe er nicht reagiert. Die Einladungsschreiben der Gerichtshilfe habe er unbeantwortet gelassen. Zum Anhörungstermin sei er nicht erschienen. Er habe somit gegen die erteilte Auflage gröblich und beharrlich verstoßen.
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3. Mit Schriftsatz vom 8. August 2014 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein. Die Widerrufsvoraussetzungen des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB lägen nicht vor. Die Auflage sei dem Beschwerdeführer nicht in zulässiger Weise erteilt worden. Sie werde den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nicht gerecht. Daher sei ein Auflagenverstoß, der zum Widerruf der Bewährung führen könnte, nicht gegeben. In der Auflage müsse die Frist, innerhalb der die Arbeitsleistung zu erbringen sei, die Art und nach Möglichkeit auch der Ort der Arbeitsleistung und die Institution, bei der sie abzuleisten sei, niedergelegt werden. Diese allein dem Gericht zukommende Befugnis zur Ausgestaltung der Arbeitsauflage dürfe nicht an Dritte, auch nicht an die Gerichtshilfe, delegiert werden. Allein die Zeitbestimmung "unverzüglich" lasse nicht erkennen, wann genau die Arbeitsauflage abzuleisten sei. Sei eine Frist nicht angeordnet, gelte als Erfüllungsfrist die Bewährungszeit.
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4. Mit Beschluss vom 27. August 2014 verwarf das Landgericht Oldenburg die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer habe gegen Auflagen gröblich und beharrlich verstoßen, indem er die Arbeitsauflage in keinster Weise erfüllt habe. Ihm sei aufgegeben worden, unverzüglich nach Rechtskraft 50 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung der Gerichtshilfe abzuleisten. Diese Auflage sei hinreichend bestimmt. Zwar sei der Arbeitsbeginn lediglich mit "unverzüglich" festgelegt worden. Hierbei sei jedoch das Schreiben des Gerichts zwei Tage nach Rechtskraft zu berücksichtigen, welches den Beschwerdeführer auf den Beginn der Frist explizit hingewiesen habe. Es seien drei Einladungen der Gerichtshilfe gefolgt. Keinen der Termine habe der Beschwerdeführer eingehalten. Vor dem Hintergrund der absoluten Verweigerung durch den Beschwerdeführer genüge die Arbeitsauflage dem Bestimmtheitsgebot.
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II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer in der Hauptsache die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG. Die Auflage genüge nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Daher könne gegen die Auflage auch nicht verstoßen werden, womit auch der auf den (angeblichen) Auflagenverstoß gestützte Bewährungswiderruf nicht hätte erfolgen dürfen.
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2. Im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt der Beschwerdeführer zudem, die weitere Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Cloppenburg vom 13. Mai 2014 - 18 Cs 775 Js 10812/14 (131/14) - bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
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III.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnunghaben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 103, 41 42>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnungerlassen würde, ihr der Erfolginder Hauptsache aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 99, 57 66>; stRspr).
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2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nicht ausgeschlossen.
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aa) Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährleistende Funktion zu (vgl. BVerfGE 117, 71 111> m.w.N.). Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2011 - 2 BvR 1165/11 -, juris, Rn. 18).
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bb) Dass die angegriffenen Beschlüsse diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung tragen, ist nicht offensichtlich. Vielmehr erscheint naheliegend, dass es der Arbeitsauflage an der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit fehlt.
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(1) Der Beschluss ordnet lediglich eine Ableistung von 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit "unverzüglich nach Rechtskraft" an. Ob damit der Zeitraum, innerhalb dessen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, hinreichend bestimmt ist, erscheint fraglich, da es jedenfalls an einer ausdrücklichen Festlegung des Fristendes fehlt. Selbst wenn davon ausgegangen werden könnte, dass in Fällen des Fehlens einer ausdrücklichen Fristbestimmung die Dauer der Bewährungszeit als Erfüllungsfrist gilt, waren zum Zeitpunkt des Bewährungswiderrufs durch das Amtsgericht weniger als drei Monate der zweijährigen Bewährungszeit vergangen, so dass für den Beschwerdeführer der Bewährungswiderruf bereits zu diesem Zeitpunkt nicht ohne Weiteres vorhersehbar war.
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(2) Hinzu kommt, dass das Amtsgericht die konkrete Bestimmung der Arbeitsleistung und der Institution, bei der diese abzuleisten ist, an die Gerichtshilfe delegiert hat. Ob dies den Anforderungen an die Bestimmtheit von Auflagen genügt, erscheint angesichts der jüngeren oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. November 2010 - 2 Ws 704/10 -, juris, Rn. 5; OLG Dresden, Beschluss vom 29. April 2008 - 2 Ss 40/08, 2 Ws 81/08 -, juris, Rn. 5; OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. Januar 2006 - Ws 1/06 -, juris, Rn. 5; KG, Beschluss vom 13. April 2005 - 1 AR 319/05, 5 Ws 157/05 -, juris, Rn. 6; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Januar 2004 - 3 Ss 512/03, 3 Ws 373/03 -, juris, Rn. 30 f.; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Juli 1996 - 3 Ws 552/96 -, juris) zweifelhaft.
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Handelt es sich jedoch um eine nicht hinreichend bestimmte Bewährungsauflage, ist diese unwirksam. Verstöße gegen sie können nicht zu einem Bewährungswiderruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB führen. Ein dennoch erfolgender Bewährungswiderruf würde den Verurteilten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzen.
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b) Die somit nach § 32 BVerfGG gebotene Abwägung fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.
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aa) Unterbliebe die einstweilige Anordnung, erweist sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, kann in der Zwischenzeit die Freiheitsstrafe aus dem amtsgerichtlichen Urteil vollstreckt werden. Damit wäre ein erheblicher, nicht wiedergutzumachender Eingriff in das Recht auf die Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 180>), das unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht hat (vgl. BVerfGE 65, 317 322>), verbunden.
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bb) Erginge die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall kann zwar die oben genannte Freiheitsstrafe vorübergehend nicht vollstreckt werden. Ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit ist in diesem Fall jedoch nicht zu besorgen, da dem öffentlichen Interesse an der Vollstreckung der Freiheitsstrafe auch nach einer Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde - wenn auch zeitlich verzögert - noch Rechnung getragen werden kann.
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