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BFH 18.06.2024 - VIII R 16/21
BFH 18.06.2024 - VIII R 16/21 - Statthaftigkeit eines Rechtsbehelfs nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung
Normen
§ 65 FGO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 1 FGO, § 122 Abs 2 AO, § 124 Abs 1 AO, § 128 AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 362 Abs 1 AO, § 367 Abs 2 AO, § 21 GKG, § 47 Abs 2 FGO, Art 19 Abs 4 GG
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 3. Mai 2021, Az: 9 K 168/20, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Veranlasst das Finanzgericht (FG) die Beteiligten, ein an das Finanzamt (FA) gerichtetes Schreiben des Steuerpflichtigen als beim FA angebrachte Klage anzusehen und entscheidet es darüber in der Sache, hebt der Bundesfinanzhof im Revisionsverfahren das angefochtene Urteil zur Klarstellung auf, wenn das Schreiben nicht als Klage verstanden werden kann.
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2. NV: Lässt das FA den Steuerpflichtigen im Unklaren über die Rechtsform, in der es handeln will, ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung jeder Rechtsbehelf statthaft, der gegen eine der möglichen Entscheidungsformen zulässig wäre. Das Prüfungsprogramm des Rechtsbehelfs, für den sich der Steuerpflichtige entscheidet, darf in einem solchen Fall nicht hinter dem des anderen --ebenfalls statthaften, aber vom Steuerpflichtigen nicht eingelegten-- Rechtsbehelfs zurückbleiben.
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3. NV: Entscheidet das FG zu Unrecht über eine vermeintliche Klage, werden die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht erhoben.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 03.05.2021 - 9 K 168/20 aufgehoben.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
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Gerichtskosten werden im gesamten gerichtlichen Verfahren nicht erhoben.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 (Streitjahr) rechtzeitig vor Bekanntgabe der verbösernden Einspruchsentscheidung zurückgenommen hat.
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Der Kläger wird für das Streitjahr einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus der Vermietung einer Eigentumswohnung. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger unter anderem Reisekosten als Werbungskosten sowie einen Verlust aus der Vermietung der Eigentumswohnung geltend.
- 3
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Im Einkommensteuerbescheid vom 07.11.2014 erkannte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) den geltend gemachten Verlust aus Vermietung und Verpachtung mangels nachgewiesener Einkünfteerzielungsabsicht nicht an. Zudem forderte das FA den Kläger auf, die einbehaltenen Steuerabzugsbeträge zu seinen erklärten Kapitalerträgen durch die Vorlage der erforderlichen Steuerbescheinigungen nachzuweisen und eine Bescheinigung seines Arbeitgebers darüber vorzulegen, dass keine steuerfreien Reisekostenerstattungen erfolgt seien. Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid am 25.11.2014 Einspruch ein. Nach weiteren Sachverhaltsermittlungen wies das FA den Kläger mit Schreiben vom 11.03.2019 auf eine beabsichtigte Verböserung sowie die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme hin.
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Die Einspruchsentscheidung mit Datum vom 17.10.2019, durch die die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr von 54.275 € auf 58.903 € erhöht wurde, versandte das FA mit einfachem Brief an die Prozessbevollmächtigte des Klägers. Dort ging die Einspruchsentscheidung am 22.10.2019 ein. Ebenfalls am 22.10.2019 um 18:57 Uhr ging beim FA per Telefax die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärte Rücknahme des Einspruchs vom 25.11.2014 ein.
- 5
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Mit Schreiben vom 23.10.2019 teilte das FA dem Kläger mit, es sei bereits durch Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 entschieden worden. Die Einspruchsrücknahme sei damit gegenstandslos. Der Kläger erwiderte, die Einspruchsentscheidung sei erst mit Ablauf des 22.10.2019 bekannt gegeben worden.
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Mit Schreiben vom 08.11.2019 teilte das FA dem Kläger mit, er habe den Einspruch wirksam zurückgenommen. Im Zeitpunkt der Rücknahme sei die Einspruchsentscheidung noch nicht bekannt gegeben gewesen. An der verbösernden Änderung des Einkommensteuerbescheids werde jedoch festgehalten. Das FA habe den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zum Nachteil des Klägers ändern dürfen. Die steuererhöhend wirkende Tatsache, dass als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers geltend gemachte Reisekosten privat und nicht beruflich veranlasst gewesen seien, hätte zwingend zu der Verpflichtung des FA geführt, die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahrs zu ändern. Ebenso verhalte es sich bezüglich der Höhe der Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen, deren Erhöhung der Kläger zugestimmt habe. Eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 sei daher entbehrlich.
- 7
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Mit Schreiben vom 21.11.2019 nahm der Kläger hierzu wie folgt Stellung:
"Hiermit kommen wir auf Ihr Schreiben vom 08. November 2019 zurück, mit dem Sie die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2019 als entbehrlich erachtet und die Änderungen des Einkommensteuerbescheides 2012 über die Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gerechtfertigt haben. Auch für den Fall des Vorliegens neuer Tatsachen, die nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich zur Änderung des Einkommensteuerbescheides zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berechtigen, ist dies unseres Erachtens im vorliegenden Fall nicht möglich. Eine Korrekturmöglichkeit über die §§ 172 ff. AO besteht nur, solange der Anspruch nicht verjährt ist. Dies liegt in unserem Fall aber vor. Da die Steuererklärung für 2012 am 04.04.2014 abgegeben wurde, beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres 2014 (vgl. §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Ein offener Einspruch hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist dabei gem. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO. Diese Ablaufhemmung entfällt jedoch mit Wegfall des anhängigen Einspruchsverfahrens im Zeitpunkt des wirksamen Zugangs der Einspruchsrücknahme - im vorliegenden Fall demnach am 22.10.2019 um 18:57 Uhr. Da die Festsetzungsverjährung ohne Ablaufhemmung bereits mit Ablauf des Jahres 2018 eingetreten wäre, besteht die Möglichkeit der Korrektur über § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO danach nach Rücknahme des Einspruchs nicht mehr (vgl. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Ihr Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2019, in dem eine Korrektur über § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zudem nicht angesprochen wird, ist nach unserem Erachten nichtig. Wir legen gegen diesen daher hilfsweise EINSPRUCH ein und beantragen die Aussetzung der Vollziehung."
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Das FA erfasste das Schreiben des Klägers vom 21.11.2019 als Einspruch gegen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.10.2019, als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) "der Einkommensteuer 2012" und als Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung wegen Einkommensteuer für das Streitjahr vom 17.10.2019.
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Mit Bescheid vom 29.11.2019 lehnte das FA den Antrag auf AdV ab. Es führte nunmehr --in Widerspruch zu seiner Äußerung im Schreiben vom 08.11.2019-- zur Begründung aus, die Einspruchsrücknahme des Klägers vom 22.10.2019 sei verspätet und damit gegenstandslos gewesen. Die Einspruchsentscheidung gelte, da der 20.10.2019 ein Sonntag gewesen sei, gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des 21.10.2019 als bekannt gegeben, weshalb der Einspruch am 22.10.2019 nicht mehr habe zurückgenommen werden können. Der (weitere hilfsweise) Einspruch des Klägers vom 21.11.2019 sei, wenn nicht unzulässig, so zumindest unbegründet, weil nicht zu prüfen sei, ob ein nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.10.2019 aufgrund bereits eingetretener Festsetzungsverjährung noch hätte ergehen dürfen.
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Mit Schreiben vom 04.12.2019 erwiderte der Kläger unter Vorlage einer Kopie der Einspruchsentscheidung einschließlich des Eingangsstempels seiner Prozessbevollmächtigten und einer Kopie von deren Fristenkontrollblatt, dass die Einspruchsentscheidung erst am 22.10.2019 zugegangen sei. Der Kläger wiederholte seine Rechtsauffassung, dass der Änderungsbescheid vom 17.10.2019 nichtig sei und legte erneut hilfsweise Einspruch ein und beantragte die AdV.
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Mit Datum vom 20.02.2020 erließ das FA einen Bescheid über die Ablehnung der Feststellung der Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung wegen Einkommensteuer für das Streitjahr vom 17.10.2019. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31.03.2020 zurück. Hiergegen erhob der Kläger beim Finanzgericht (FG) mit Schriftsatz vom 04.05.2020 Klage, die unter dem Aktenzeichen 9 K 112/20 anhängig war. Mit dieser Klage machte der Kläger geltend, er habe seinen Einspruch am 22.10.2019 um 18:57 Uhr noch rechtzeitig zurückgenommen. Nach wirksamer Einspruchsrücknahme habe der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr auch nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen.
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Der im Verfahren 9 K 112/20 zuständige Berichterstatter wies die dortigen Beteiligten mit Schreiben vom 11.06.2020 darauf hin, dass er das Schreiben des Klägers an das FA vom 21.11.2019 rechtsschutzgewährend als Klage auslege, die auf eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 gerichtet gewesen sei und dem FG hätte übersandt werden müssen. Der Berichterstatter schlug den Beteiligten vor, das Schreiben vom 21.11.2019 übereinstimmend als Klage zu werten und dies klarstellend gegenüber dem FG zu erklären. Daraufhin solle das FA die Einspruchsentscheidung vom 31.03.2020 aufheben. Die streitentscheidenden verfahrensrechtlichen Rechtsfragen sollten dann in einer neuen Klage vom Gericht bearbeitet werden.
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Der Kläger erklärte sich mit dem Vorschlag des Berichterstatters einverstanden. Mit Bescheid vom 06.07.2020 hob das FA die Einspruchsentscheidung vom 31.03.2020 auf. Die Beteiligten erklärten in der Folge das Klageverfahren 9 K 112/20 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt.
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Mit Schriftsatz vom 07.07.2020 übersandte das FA dem FG die "hier am 21.11.2019 eingegangene vermeintliche Klageschrift … wegen Einkommensteuer 2012". Das FA führte weiter aus, bei dem Schreiben des Klägers vom 21.11.2019 handele es sich nicht um eine zulässige Klage. Der Kläger habe vielmehr nur eine verwaltungsinterne Überprüfung der Sach- und Rechtslage beantragt.
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Das FG erfasste das vom FA übersandte Schreiben des Klägers vom 21.11.2019 unter dem Aktenzeichen 9 K 168/20 als Klage wegen Einkommensteuer für das Streitjahr. Im weiteren Verlauf des Verfahrens teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf gerichtliche Nachfrage mit, dass die Erfassung der Post in ihrer Kanzlei täglich erfolge, so dass die Einspruchsentscheidung erst am 22.10.2019 tatsächlich zugegangen sei. Ein darüber hinausgehender Nachweis des Eingangs zu einer konkreten Uhrzeit sei nicht möglich.
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Das FG gab der so verstandenen Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1342 mitgeteilten Gründen statt. Es hob die Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 ersatzlos auf.
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Mit seiner Revision rügt das FA Verfahrensmängel und die Verletzung von Bundesrecht. Es wiederholt seine Auffassung, dass der Schriftsatz des Klägers vom 21.11.2019 nicht als zulässige Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ausgelegt werden könne. Das FG habe über eine nicht erhobene Klage entschieden. Darüber hinaus löse der Zugang der Einspruchsentscheidung am 22.10.2019 deren wirksame Bekanntgabe aus. Selbst wenn aber die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erst mit Ablauf des 22.10.2019 anzunehmen wäre, würde es an einer vorherigen rechtzeitigen Einspruchsrücknahme fehlen. Die Rücknahmeerklärung vom 22.10.2019 sei mit Telefax um 18:57 Uhr außerhalb der üblichen Bürozeiten eingegangen, so dass vom FA die Kenntnisnahme an diesem Tag nicht mehr erwartet werden konnte.
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Das FA beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 03.05.2021 - 9 K 168/20 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Der Kläger macht geltend, er habe mit seinem Schreiben vom 21.11.2019 Klage erheben wollen mit dem Ziel, die Einspruchsentscheidung aufheben zu lassen. Das Schreiben des FA vom 17.10.2019 sei kein Änderungsbescheid‚ sondern eine verbösernde Einspruchsentscheidung, die jedoch wegen der Einspruchsrücknahme am 22.10.2019 um 18:57 Uhr nicht wirksam geworden sei. Die, wenn auch irrtumsbedingte, Zustimmung des FA zur Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme habe ihn dazu veranlasst, seinerseits "Einspruch" gegen den vom FA angenommenen Änderungsbescheid einzulegen. Im Übrigen schließe er sich der Auffassung des FG an.
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Am 24.06.2024 hat das FA auf telefonische Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass über den (weiteren) Einspruch des Klägers vom 21.11.2019, der als Einspruch gegen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.10.2019 erfasst worden war, noch nicht entschieden worden sei.
Entscheidungsgründe
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II.
- 22
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur isolierten Aufhebung der Vorentscheidung. Eine Entscheidung in der Sache ist nicht möglich, da keine Klage erhoben worden ist (entsprechend § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der angefochtene Gerichtsbescheid ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das FG das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 21.11.2019 rechtsfehlerhaft als Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA vom 17.10.2019 ausgelegt und sich damit zu Unrecht eine Entscheidungsbefugnis angemaßt hat.
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1. Das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers an das FA vom 21.11.2019 kann entgegen der Auffassung des FG nicht als beim FA angebrachte (§ 47 Abs. 2 FGO) Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 ausgelegt werden.
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a) Das Schreiben vom 21.11.2019 ist nicht als Klage bezeichnet. Aus dem Umstand, dass der Kläger hilfsweise Einspruch eingelegt hat, wird allerdings ein Rechtsschutzbegehren erkennbar. Es ist deshalb durch Auslegung zu klären, ob vom Kläger eine Klageerhebung gewollt war.
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b) Eine Klageerhebung setzt voraus, dass eine Eingabe als Klageschrift anzusehen ist, was dann der Fall ist, wenn von einer Person erkennbar und verbindlich um gerichtlichen Rechtsschutz durch Urteil gegen Handlungen der Finanzbehörde nachgesucht wird (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.05.2014 - III B 82/13, BFH/NV 2014, 1505, Rz 13; Brandis in Tipke/Kruse, § 65 FGO Rz 2). Der Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) verpflichtet das Gericht, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Im Zweifel ist als gewollt anzusehen, was dem Rechtsschutzbegehren des Klägers entspricht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.2015 - 2 BvR 1493/11, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2016, 238). Maßgebend ist nicht nur die Wortwahl des Steuerpflichtigen, sondern der gesamte Inhalt seiner Willenserklärung (z.B. BFH-Urteil vom 18.09.2014 - VI R 80/13, BFHE 247, 111, BStBl II 2015, 115, Rz 19; BFH-Beschluss vom 07.11.2007 - I B 104/07, BFH/NV 2008, 799). Auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände können berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2014 - VI R 80/13, BFHE 247, 111, BStBl II 2015, 115, Rz 19; BFH-Beschluss vom 21.07.2016 - V S 20/16 (PKH), BFH/NV 2016, 1734, Rz 11).
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c) In der Auslegung prozessualer Willenserklärungen, die im erstinstanzlichen Klageverfahren abgegeben worden sind, ist das Revisionsgericht frei; es ist insoweit nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die Auslegung durch die Vorinstanz gebunden (BFH-Urteile vom 09.01.2019 - IV R 27/16, BFHE 263, 438, BStBl II 2020, 11, Rz 19; vom 06.07.1999 - VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306, unter I. [Rz 10]; vom 15.12.1998 - VIII R 74/97, BFHE 187, 404, BStBl II 1999, 300, unter 2.b [Rz 12]; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 48).
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d) Nach diesen Maßstäben kann das Schreiben vom 21.11.2019 nicht --auch nicht rechtsschutzgewährend-- als Klage ausgelegt werden. Mit dem Schreiben vom 21.11.2019 hat der Kläger ausdrücklich, wenn auch hilfsweise, Einspruch gegen die geänderte Steuerfestsetzung vom 17.10.2019 eingelegt, über den noch nicht entschieden worden ist. Dieser Einspruch ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung statthaft. Er wahrt das Rechtsschutzinteresse des Klägers.
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aa) Das Schreiben vom 21.11.2019 war nicht an das FG, sondern an das FA gerichtet. Der Begriff "Klage" wird an keiner Stelle verwandt. Auch eine Weiterleitung des Schreibens an das FG wird nicht angesprochen. An den Formulierungen des Schreibens vom 21.11.2019 muss sich der sachkundig vertretene Kläger grundsätzlich festhalten lassen. Zwar hat der BFH in der Vergangenheit auch Eingaben, die bei einer Finanzbehörde eingereicht wurden, ohne die Bezeichnung "Klage" zu verwenden, in Einzelfällen als wirksame Klageerhebung angesehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29.10.1998 - XI R 25/98, BFH/NV 1999, 633, unter II.1. [Rz 17]; vom 08.11.1996 - VI R 37/94, BFH/NV 1997, 363, Rz 12). In den genannten Verfahren waren die Kläger aber anders als im vorliegenden Fall jeweils nicht sachkundig vertreten.
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bb) Der Kläger hat sich auch im Nachgang zu seinem Schreiben vom 21.11.2019 zu keiner Zeit nach einer Weiterleitung seines Schreibens an das FG erkundigt. Auch nachdem das FA seine Rechtsauffassung im weiteren Verlauf nochmals geändert hatte und wiederum von der Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme ausging, hat der Kläger nicht auf einer Weiterleitung seines Schreibens vom 21.11.2019 an das FG zwecks gerichtlicher Klärung bestanden.
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cc) Aus dem Schreiben vom 21.11.2019 wird auch nicht auf andere Weise deutlich, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers auf eine gerichtliche Überprüfung der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 gerichtet war.
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Angesichts des Umstands, dass das FA dem Kläger in seinem Schreiben vom 08.11.2019 mitgeteilt hatte, es sehe die Einspruchsrücknahme als wirksam an, bestand aus der Sicht des Klägers am 21.11.2019 auch keine Veranlassung mehr, die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme gerichtlich klären zu lassen. Vielmehr hatte sich das FA zu diesem Zeitpunkt auf den Standpunkt gestellt, dass die Einspruchsentscheidung trotz wirksamer Rücknahmeerklärung nicht aufgehoben werden müsse, da die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr vorgelegen hätten. Gegen diese Ansicht des FA wollte sich der Kläger wenden. In der Formulierung, dass der Änderungsbescheid vom 17.10.2019 nichtig sei und hilfsweise Einspruch gegen diesen eingelegt und AdV beantragt werde, kommt unter den gegebenen Umständen hinreichend eindeutig zum Ausdruck, dass der Kläger eine verwaltungsinterne Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vom 17.10.2019 begehrte.
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dd) Das so verstandene Interesse des Klägers ist dadurch gewahrt, dass das FA das Schreiben des Klägers vom 21.11.2019 sowohl als Einspruch gegen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.10.2019 als auch als Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung wegen Einkommensteuer für das Streitjahr vom 17.10.2019 erfasst hat. Dagegen hat sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt gewandt. Er hat vielmehr im Gegenteil sowohl das Einspruchsverfahren als auch das Verfahren hinsichtlich der Nichtigkeitsfeststellung jeweils durch weitere Schriftsätze sowie durch Einspruchseinlegung gegen den Bescheid über die Ablehnung der Nichtigkeitsfeststellung und spätere Klageerhebung (Verfahren 9 K 112/20) vorangetrieben. Der spätere Argumentationswandel des Klägers ist ersichtlich erst durch das Berichterstatterschreiben vom 11.06.2020 im Verfahren 9 K 112/20 veranlasst worden und lässt keinen Rückschluss auf den wahren Willen des Klägers bei Abgabe der Erklärung am 21.11.2019 zu.
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ee) Das Schreiben vom 21.11.2019 muss auch nicht rechtsschutzgewährend als Klage ausgelegt werden. Wird das Schreiben als Einspruch gegen einen Änderungsbescheid vom 17.10.2019 gewertet, ist das Rechtsschutzinteresse des Klägers gewahrt. Der Einspruch ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung statthaft (unter II.1.d ee aaa). Aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung ergibt sich für den Streitfall darüber hinaus, dass unter anderem die Rechtzeitigkeit der Einspruchsrücknahme im Einspruchsverfahren noch einmal überprüft werden muss (unter II.1.d ee bbb). Über den Einspruch des Klägers vom 21.11.2019 hat das FA bislang noch nicht entschieden.
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aaa) Der Einspruch vom 21.11.2019 ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung statthaft.
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Lässt das FA den Steuerpflichtigen im Unklaren über die Rechtsform, in der es handeln will, kann der Steuerpflichtige nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung jeden Rechtsbehelf einlegen, der gegen eine der möglichen Entscheidungsformen zulässig wäre (vgl. zum Meistbegünstigungsgrundsatz im finanzgerichtlichen Verfahren BFH-Beschluss vom 13.02.2008 - VIII B 215/07, BFH/NV 2008, 815, unter II.1.a [Rz 10]). Diese Voraussetzungen liegen vor.
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Das FA hat unter dem 17.10.2019 zunächst eine Einspruchsentscheidung erlassen und später in seinem Schreiben vom 08.11.2019 die Auffassung vertreten, der Einspruch sei noch vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung wirksam zurückgenommen worden. Die Entscheidung vom 17.10.2019 werde deshalb als Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt. Eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung sei entbehrlich.
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Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen des FA war aus der Sicht des Klägers als Empfänger nicht mehr klar, ob das FA eine Einspruchsentscheidung oder einen Änderungsbescheid erlassen hatte. Der Kläger konnte deshalb auch nicht rechtssicher beurteilen, ob er gegen die Entscheidung vom 17.10.2019 Klage erheben oder Einspruch einlegen musste. Die vom FA verursachte Unsicherheit geht zu dessen Lasten, mit der Folge, dass der Kläger als Empfänger gegen die Entscheidung jeden denkbaren statthaften Rechtsbehelf einlegen, also entweder Klage erheben oder Einspruch einlegen konnte. Der vom Kläger erhobene Einspruch ist deshalb insbesondere auch dann statthaft, wenn sich im Verfahren herausstellen sollte, dass die Entscheidung vom 17.10.2019 eine Einspruchsentscheidung und kein Änderungsbescheid war.
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bbb) Im Rahmen des offenen Einspruchsverfahrens ist auch die Frage, ob der Kläger den Einspruch rechtzeitig zurückgenommen hat, vollumfänglich noch einmal zu prüfen. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung darf das Prüfungsprogramm des Einspruchsverfahrens unter den gegebenen Umständen nicht hinter dem einer --ebenfalls statthaften, aber vom Kläger nicht erhobenen-- Anfechtungsklage zurückbleiben, die auf die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichtet wäre.
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2. Die Sache ist spruchreif. Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht, weil sich das FG zu Unrecht eine Sachentscheidungsbefugnis angemaßt hat. Mangels Klageerhebung durfte das FG im Streitfall keine Entscheidung treffen. Die Vorentscheidung ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Klarstellung ersatzlos aufzuheben.
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3. Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass aufgrund des Einspruchs des Klägers vom 21.11.2019 im noch offenen Einspruchsverfahren folgende Punkte (erneut) zu prüfen sind:
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a) Das FA wird zunächst nochmals die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme vom 22.10.2019 zu prüfen haben.
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aa) Der Einspruch kann bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch zurückgenommen werden (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO). Insofern kommt es darauf an, wann die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden ist. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass das Datum der Aufgabe zur Post feststeht. Das FA wird dies zu ermitteln haben.
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bb) Sollte sich dabei ergeben, dass die Einspruchsentscheidung nach dem Tag ihrer Ausfertigung (17.10.2019) zur Post gegeben worden ist, kommt es darauf an, ob der Zugang am 22.10.2019 innerhalb des Drei-Tage-Zeitraums liegt. Dann konnte der Kläger den Einspruch am 22.10.2019 um 18:57 Uhr noch wirksam zurücknehmen, weil die Bekanntgabe nach der Rechtsprechung des BFH ungeachtet des vorherigen tatsächlichen Zugangs erst mit Ablauf des Drei-Tage-Zeitraums als bewirkt gilt (BFH-Urteile vom 13.12.2000 - X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274 und vom 26.02.2002 - X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409).
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cc) Ist die Einspruchsentscheidung erst nach Ablauf des Drei-Tage-Zeitraums zugegangen, kommt es darauf an, ob die Bekanntgabe bewirkt ist, wenn das bekannt zu gebende Schriftstück tatsächlich zugegangen ist oder ob es auf den Ablauf des Tages ankommt, an dem der Zugang erfolgt ist. Dann müsste gegebenenfalls aufgeklärt werden, um wieviel Uhr die Post am 22.10.2019 ausgeliefert worden ist und ob eine Kenntnisnahme der Prozessbevollmächtigten des Klägers unter normalen Umständen um diese Zeit erwartet werden konnte. Vom Ergebnis dieser Aufklärung hängt es ab, ob der Kläger um 18:57 Uhr den Einspruch noch vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zurückgenommen hat. Ist die Einspruchsentscheidung am 22.10.2019 vor Abgabe der Rücknahmeerklärung um 18:57 Uhr bekannt gegeben worden, wäre die Rücknahmeerklärung --ungeachtet der Frage, ob die Grundsätze des Zugangs (Kenntnisnahmemöglichkeit) auch für das FA gelten-- verspätet.
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dd) Hinsichtlich der Rechtsfrage, ob es bei einer Bekanntgabe außerhalb des Drei-Tage-Zeitraums auf den Zeitpunkt des Zugangs oder den Ablauf des Tages des Zugangs ankommt, neigt der Senat zu der Auffassung, dass es auf den Zeitpunkt des Zugangs ankommt.
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Ist ein Steuerbescheid wirksam bekannt gegeben worden, kommt es für alle Folgefragen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheids an (BFH-Urteil vom 14.11.2012 - II R 14/11, BFH/NV 2013, 693, Rz 21). Aus der Festlegung der Notwendigkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts als Wirksamkeitsvoraussetzung ergibt sich zugleich eine Aussage über den Zeitpunkt, in dem die äußere Wirksamkeit des Verwaltungsakts eintreten soll (Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 124 AO Rz 134). Es bedarf einer besonderen gesetzlichen Anordnung, wenn die Rechtsfolgen der Bekanntgabe nicht unmittelbar, sondern zu einem späteren Zeitpunkt eintreten sollen. An einer solchen fehlt es im Hinblick auf die Anwendung des § 362 Abs. 1 AO. Insbesondere kann § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 BGB, der für den Ablauf einer Frist den Tagesablauf für maßgeblich erklärt, keine Anwendung finden. § 362 Abs. 1 AO regelt keine Frist, sondern bestimmt ein Ereignis --die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung-- nach dessen Eintritt der Einspruch nicht mehr zurückgenommen werden kann. Vereinfachungsgesichtspunkte, wie sie das FG anführt, dürften nicht ausreichen, um die Rechtswirkungen der Bekanntgabe erst mit Ablauf des Tages eintreten zu lassen.
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Ein anderes Ergebnis kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass nach der unter II.3.a bb dargestellten Rechtsprechung des X. Senats des BFH eine Einspruchsrücknahme trotz früheren tatsächlichen Zugangs der Einspruchsentscheidung bis zum Ablauf des dritten Tages nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post möglich ist, da diese Rechtsprechung auf der Fiktionswirkung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO beruht (BFH-Urteile vom 13.12.2000 - X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274 und vom 26.02.2002 - X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409), die bei Zugang außerhalb der Drei-Tages-Frist nicht greift.
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ee) Für den Fall, dass es auf den genauen Zeitpunkt des am 22.10.2019 bewirkten Zugangs der Einspruchsentscheidung bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers ankommen sollte, hat das FA diesen zu ermitteln. Der Kläger ist hierbei zur Mitwirkung verpflichtet. Sollte danach zwar feststehen, dass die Einspruchsentscheidung im Laufe des Tages am 22.10.2019 zugegangen ist, sich aber der genaue Zugangszeitpunkt nicht ermitteln lässt, ginge dies zu Lasten des Klägers. Die Feststellungslast für die rechtzeitige Einspruchsrücknahme trägt der Steuerpflichtige, der sich auf den Zugang der Einspruchsrücknahme vor dem Zugang der Einspruchsentscheidung beruft und auf diesem Wege die Herabsetzung der Steuer auf die Höhe vor der Verböserung begehrt (FG Hamburg, Urteil vom 05.03.2009 - 3 K 176/08, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 1272, Rz 35; Werth in Gosch, AO § 362 Rz 18).
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b) Hat der Kläger den Einspruch rechtzeitig zurückgenommen, ist die danach bekannt gegebene Einspruchsentscheidung nicht wirksam geworden. Sie muss dann zur Klarstellung aufgehoben werden. Es stellt sich aber die Frage, ob das FA die Entscheidung vom 17.10.2019 gemäß § 128 AO wirksam in einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO umdeuten konnte, der ungeachtet der Einspruchsrücknahme ergehen durfte. Diesbezüglich weist der erkennende Senat darauf hin, dass der V. Senat des BFH mit Urteil vom 24.07.2014 - V R 45/13 (BFH/NV 2015, 147) entschieden hat, dass ein Steuerbescheid, der als Teil einer gemäß § 348 Nr. 1 AO nicht einspruchsfähigen Einspruchsentscheidung ergeht, nicht in einen einspruchsfähigen, auf § 174 AO gestützten Änderungsbescheid umgedeutet werden kann.
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Wird die Umdeutung bejaht, ist im Einspruchsverfahren vollumfänglich zu prüfen, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlagen, insbesondere, ob bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Sollte das FA zu dem Schluss kommen, dass eine Umdeutung nicht möglich war, wird es klarstellen müssen, dass die Entscheidung vom 17.10.2019 kein Änderungsbescheid ist. In diesem Fall obsiegt der Kläger mit der Maßgabe, dass es bei dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr verbleibt.
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c) Auch wenn die Rücknahme des Einspruchs verspätet war, mit der Folge, dass die Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 wirksam geworden ist, muss im weiteren noch offenen Einspruchsverfahren --wegen der Statthaftigkeit des Einspruchs-- noch einmal die Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2019 hinsichtlich der geänderten Steuerfestsetzung in vollem Umfang überprüft werden. Dies folgt ebenfalls aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung, da der Kläger auch eine (statthafte) Klage hätte erheben können und weil der von ihm stattdessen gewählte Rechtsbehelf nicht dahinter zurückbleiben darf (vgl. hierzu unter II.1.d ee aaa).
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4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten auf § 135 Abs. 1 FGO. Im Verfahren ist der Kläger nach Aufhebung des stattgebenden FG-Urteils insgesamt unterlegen. Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht auf § 21 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Gerichtskosten nicht erhoben, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn das FG hat zu Unrecht eine Klage angenommen und den unterlegenen Beteiligten in ein Revisionsverfahren gezwungen, indem es zur Sache entschieden hat. Bei von Anfang an richtiger Sachbehandlung wären Gerichtskosten weder beim FG noch beim BFH angefallen, weil eine Klage nicht erhoben worden ist.
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