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BFH 18.10.2011 - VII B 24/11
BFH 18.10.2011 - VII B 24/11 - Kein Übergang der Milcherzeuger-Stellung auf den Pächter gepachteter Produktionsmittel bei vertraglich ausgeschlossenem wirtschaftlichem Risiko - Keine grundsätzliche Bedeutung wegen Öffnungsklauseln
Normen
Art 9 Buchst c EWGV 3950/92, Art 5 Buchst c EGV 1788/2003, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 10. Dezember 2010, Az: 4 K 190/09, Urteil
Leitsatz
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NV: Ob die Voraussetzungen einer selbständigen Bewirtschaftung gepachteter Produktionseinheiten vorliegen, ist aufgrund einer Reihe verschiedener Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls zu entscheiden, wobei es neben anderen Merkmalen entscheidend darauf ankommt, ob das wirtschaftliche Risiko der Milcherzeugung vom Pächter getragen wird oder im Wesentlichen beim Verpächter verblieben ist .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Milcherzeuger und hat für die ersten 75 Tage eines jeden Zwölfmonatszeitraums seinen Betrieb einem anderen Landwirt (B) durch vier Verträge (Nutzung von Produktionsanlagen sowie der Milchviehherde, Auftrag betreffend die Komplettversorgung der Herde und Lieferung von Futter) mit dem Ziel überlassen, dass dieser während dieser Zeit die Milcherzeugung übernimmt und an die Molkerei liefert. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt) hat den Übergang der Milcherzeugerstellung auf B nicht anerkannt und die Molkerei angewiesen, wegen Überlieferung der Milchquote des Klägers für die Zwölfmonatszeiträume 2003/2004 und 2004/2005 die Milchabgaben anzumelden.
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Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es urteilte, der Kläger sei auch für die Zeiträume der mit B geschlossenen Verträge als Erzeuger der in seinem Betrieb produzierten Milch anzusehen. Die mit B geschlossenen Verträge seien keine taugliche Grundlage für einen selbständigen Betrieb der Milchwirtschaft durch diesen als Pächter. Das wirtschaftliche Risiko der Milcherzeugung sei aufgrund verschiedener vertraglicher Regelungen im Wesentlichen beim Kläger geblieben. B habe zwar einen Ertrag erwirtschaften können; jedoch seien einerseits seine Gewinnchancen in der Höhe begrenzt gewesen und andererseits das Risiko eines Verlustes weitgehend zu Lasten des Klägers ausgeschlossen worden. Eine bestimmte Milchleistung sei garantiert gewesen. Unterschreitungen hätten zu einem Ersatzanspruch gegenüber dem Kläger geführt; zudem habe B die Möglichkeit der Kündigung bei Minderleistung und auch bei Ausfall von Kühen gehabt. Für die Betreuung der Herde habe der Kläger keinen Anspruch auf eine feste Vergütung, sondern auf eine Entschädigung in Höhe des Bruttoüberschusses abzüglich 3.250 € Gewinnmaximum gehabt. Der B verbleibende Gewinnanteil sei wirtschaftlich als Entgelt für die Zurverfügungstellung seiner Milchquote anzusehen.
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
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1. Die Frage, wer als Milcherzeuger im Sinne der unionsrechtlichen Vorschriften über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor anzusehen ist, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, sondern durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und des beschließenden Senats geklärt. Danach ist Milcherzeuger, wer einen der Milcherzeugung dienenden landwirtschaftlichen Betrieb selbstständig betreibt und die Milch bzw. die Milcherzeugnisse verkauft oder liefert. Ob die Voraussetzungen einer selbstständigen Bewirtschaftung gepachteter Produktionseinheiten vorliegen, ist aufgrund einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls zu entscheiden, wobei die Gegebenheiten zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Insbesondere bei kurzfristigen Pachtverträgen ist es im Rahmen der Gesamtwürdigung hinsichtlich der Milcherzeugerstellung eines Pächters als ein gewichtiges Merkmal anzusehen, dass das wirtschaftliche Risiko der Milcherzeugung nicht mehr oder weniger vollständig bei dem Verpächter verbleibt, sondern vom Pächter getragen wird und die mit dem Verpächter der Produktionsmittel geschlossenen Verträge so gestaltet sind, dass dies auch erkennbar ist (Senatsurteil vom 25. September 2007 VII R 28/06, BFHE 218, 448, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2007, 329). Die Würdigung der im Einzelfall festgestellten tatsächlichen Verhältnisse obliegt dem FG und ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar (Senatsurteil vom 26. Mai 2009 VII R 28/08, BFHE 225, 543; ZfZ 2009, 246, m.w.N.).
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Mit der seitens der Beschwerde formulierten Frage, ob zwischen Verpächter und Pächter vereinbarte vertragliche Öffnungs- und Anpassungsklauseln, die eine Vertragsanpassung möglich machen, wenn bestimmte Erwartungen der Parteien nicht eingetreten sind, die nach dem Wortlaut des Vertrags im Übrigen eindeutig verteilte Milcherzeugereigenschaft umkehren können, wird keine neue, bisher nicht entschiedene Rechtsfrage bezeichnet. Vielmehr lässt sich diese Frage anhand vorgenannter Senatsrechtsprechung eindeutig beantworten - und bejahen.
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Entscheidend ist nicht, ob die zwischen Verpächter und Pächter geschlossenen Verträge den Pächter als Milcherzeuger bezeichnen, sondern ob sie zum (jedenfalls überwiegenden) Übergang des Unternehmerrisikos und der Dispositionsbefugnis über die Produktionsmittel auf den Pächter führen. Gibt es vertragliche Vereinbarungen, denen zufolge das Unternehmerrisiko im Wesentlichen beim Verpächter verbleibt, wie es nach Ansicht des FG im Streitfall in Anbetracht verschiedener Vertragsklauseln der Fall war, kann der Pächter nicht als Milcherzeuger angesehen werden, unabhängig davon, ob man --wie es die Beschwerde tut-- diese Vertragsklauseln als Öffnungs- und Anpassungsklauseln bezeichnet.
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Indem die Beschwerde einzelne Vereinbarungen der zwischen dem Kläger und B geschlossenen Verträge beschreibt und insoweit jeweils ihre Ansicht vertritt und begründet, es handele sich um übliche Vertragsklauseln, mit denen das unternehmerische Risiko nicht einseitig auf den Verpächter verlagert worden sei, würdigt sie diese Vereinbarungen anders, als es das FG getan hat, legt jedoch keinen Grund für die Zulassung der Revision dar.
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2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht schlüssig dargelegt.
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a) Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe die Aussage des als Zeugen vernommenen B falsch gedeutet, indem es ihr entnommen habe, B habe als Pächter in jedem der beiden streitigen Milchwirtschaftsjahre … € Gewinn erwirtschaftet, bezeichnet sie keinen Verfahrensfehler, weil die Beweiswürdigung und die aus erhobenen Beweisen vom FG gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen zur materiellen Rechtsanwendung gehören. Im Übrigen ist das Vorbringen der Beschwerde unzutreffend, weil das FG --wie sich aus seinen Ausführungen ergibt-- nach der Aussage des B von einem Gewinn von insgesamt … € für die beiden streitigen Zwölfmonatszeiträume ausgegangen ist.
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b) Zur schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels eines vom FG übergangenen Beweisantrags gehört nach ständiger Rechtsprechung (u.a.) auch der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und BFH-Beschluss vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter --ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust, so z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, zur Folge (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). An entsprechenden Darlegungen der Beschwerde fehlt es im Streitfall; auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG ergibt sich kein Hinweis, dass der Kläger Beweisanträge gestellt oder das Übergehen zuvor schriftsätzlich gestellter Beweisanträge gerügt hat. Vielmehr hat der Klägervertreter nach Vernehmung des B als Zeugen und der Erörterung der Sach- und Rechtslage rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt. Auf die Rüge ist damit wirksam verzichtet worden, so dass die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben kann.
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