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BFH 15.07.2010 - VIII B 90/09
BFH 15.07.2010 - VIII B 90/09 - Entscheidung über Protokollberichtigung nur bei Mitwirkung an der protokollierten Verhandlung - Beweisaufnahme im Verfahren der Protokollberichtigung - Genehmigung des Protokolls keine Wirksamkeitsvoraussetzung für Hauptsacheerledigung
Normen
§ 58 FGO, § 94 FGO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO, § 128 FGO, § 160a Abs 1 ZPO, § 160a Abs 3 ZPO, § 163 Abs 2 ZPO, § 164 Abs 3 ZPO, § 165 ZPO, § 162 Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 15. Juli 2010, Az: 10 K 1575/08, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Ein Beschluss über einen Antrag auf Protokollberichtigung ist grundsätzlich nicht beschwerdefähig, ausnahmsweise jedoch, wenn die Entscheidung durch nicht berechtigte Personen getroffen wird, wie im Fall ihrer Nichtmitwirkung an der protokollierten Verhandlung.
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2. NV: Die Versetzung eines Richters an ein anderes Gericht desselben Dienstherrn nimmt ihm grundsätzlich nicht die Entscheidungsbefugnis über die Protokollberichtigung, anders hingegen bei Ausscheiden aus dem Dienst durch Versetzung oder Pensionierung.
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3. NV: Bestreitet ein Beteiligter substantiiert die tatsächliche Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung in der mündlichen Verhandlung, hat eine Klärung durch Beweisaufnahme zu erfolgen.
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4. NV: Die prozessual bedeutsame Geschäftsunfähigkeit eines Klägers kann nicht allein aus dem Umstand der Bestellung eines Betreuers geschlossen werden.
Tatbestand
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I. Im Streit ist, ob das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2008 im zugrundeliegenden Klageverfahren zu berichtigen ist. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bestreitet, prozessbeendigende Erklärungen abgegeben zu haben. Er macht u.a. geltend, dass der angefochtene Beschluss des Finanzgerichts (FG) über die Ablehnung der Protokollberichtigung durch hierzu nicht berechtigte Richter getroffen worden sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung der Regelung in § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 132 Rz 10, m.w.N.; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Juli 1983 VI B 69/82, juris).
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1. Soweit sich das Verfahren 10 K 125/06 auf die Einkommensteuer 1995 und 1996 und die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1992 erstreckte, ist davon auszugehen, dass insoweit ein Rechtsschutzinteresse an einer Protokollberichtigung jedenfalls weggefallen ist, nachdem ausweislich des Sitzungsprotokolls zur mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2008 zum Aktenzeichen 10 K 2875/08 der Beklagte (das Finanzamt) und die dortige Klägerin, die Ehefrau des Klägers, durch ihren Prozessbevollmächtigten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Der Senat legt deshalb die Beschwerde des Klägers in seinem Interesse dahingehend aus, dass sie sich nicht auf Einkommensteuer 1995 und 1996 und die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs erstreckt.
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a) Gegen den Beschluss des FG, mit dem ein Antrag auf Protokollberichtigung abgelehnt wird, ist grundsätzlich kein Rechtsmittel gegeben, soweit es um die Frage der sachlichen Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Protokolls geht. Die Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss ist in solchen Fällen unstatthaft (BFH--Beschlüsse vom 26. September 2005 VIII B 6/04, BFH/NV 2006, 109; vom 25. April 2001 I B 137, 138/00, BFH/NV 2001, 1565, m.w.N.; vom 18. Dezember 2000 IV B 3/00, BFH/NV 2001, 796; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 94 FGO Rz 13, m.w.N.; Zimmermann, ZPO, 8. Aufl., § 164 Rz 3, m.w.N.), weil Gegenstand des Berichtigungsverfahrens eine unvertretbare Verfahrenshandlung des Richters ist, der das Protokoll verantwortet, und somit nicht der Überprüfung durch den BFH als Beschwerdegericht unterliegt (BFH-Beschluss vom 12. Februar 1998 VII B 241/97, BFH/NV 1998, 873, m.w.N.; vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Juli 2004 XII ZB 268/03, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 214, m.w.N.).
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b) Ausnahmsweise ist eine Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO) gegen die Berichtigungsablehnung jedoch u.a. dann statthaft, wenn die Entscheidung über die Protokollberichtigung wie im Streitfall durch eine hierzu nicht berechtigte Person getroffen wird (BFH-Beschlüsse vom 17. März 2008 X B 93/07, BFH/NV 2008, 1181; vom 3. August 2001 IV B 49/01, BFH/NV 2002, 43; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 94 FGO Rz 13; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 94 Rz 21, m.w.N.).
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2. Im Streitfall ist diese Voraussetzung gegeben, weil die Ablehnung der Protokollberichtigung durch einen Beschluss des FG-Senats in der Besetzung mit drei Berufsrichtern erfolgt ist, von denen zwei an der mündlichen Verhandlung nicht beteiligt waren.
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Es ist schon zweifelhaft, ob über den Protokollberichtigungsantrag in Senatsbesetzung oder nur durch den Vorsitzenden Richter --als protokollverantwortliche Richter-- oder ggf. dessen Vertreter (§ 94 FGO i.V.m. § 163 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--, § 164 Abs. 3 Satz 2 ZPO) zu entscheiden ist (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 68. Aufl., § 164 Rz 13; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 164 Rz 10). Hier kann dies dahinstehen, da jedenfalls nicht an der betreffenden mündlichen Verhandlung beteiligte Richter wegen fehlender eigener Kenntnis vom Ablauf der Verhandlung der Natur der Sache nach nicht die Kompetenz haben, über die Richtigkeit des Protokolls zu dieser Verhandlung zu befinden und eine Protokollberichtigung vorzunehmen oder sie abzulehnen.
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3. a) Ohne Bindungswirkung weist der Senat für das weitere Verfahren darauf hin, dass die Versetzung des Richters H. an ein Gericht desselben Dienstherrn seine Befugnis zur Protokollberichtigung nach herrschender Meinung nicht berührt, während eine Entscheidungsbefugnis des an der betreffenden mündlichen Verhandlung mitwirkenden damaligen Vorsitzenden Richters Dr. G. wegen dessen Ausscheidens aus dem Dienst des Landes Baden-Württemberg nach Auffassung des Senats ebenso ausgeschlossen ist wie --vertretungsweise-- die des mittlerweile pensionierten Richters A.
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b) Hilft der entscheidungsbefugte Richter der Beschwerde gegen die Ablehnung der Berichtigung nicht ab, weil nach seiner Erinnerung die mündliche Verhandlung zutreffend protokolliert wurde, hat wegen des Streits über die Abgabe prozessbeendender Erklärungen vor der Entscheidung in der Hauptsache eine Klärung durch Beweisaufnahme zu erfolgen (vgl. BGH-Beschlüsse vom 3. März 2004 VIII ZB 121/03, BGH-Report 2004, 979; vom 18. Januar 1984 IVb ZB 53/83, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1984, 655; Bayrischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Oktober 2009 3 B 08.698, juris). Dabei ist der Gegenbeweis gegen die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde möglich, sofern die Behauptungen des Klägers Protokollaufzeichnungen betreffen, die nicht unter § 165 ZPO fallen sollten (so etwa Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 162 Rz 8, zum Verlesen und Genehmigen von Prozesserklärungen), im Übrigen durch Nachweis der Fälschung (§ 165 Satz 2 ZPO). Eine fehlerhafte Protokollierung ist hier in noch hinreichender Weise durch die --der Obliegenheit zu substantiiertem Vortrag genügende-- Darlegung des Klägers indiziert (vgl. dazu BGH-Beschluss in BGH-Report 2004, 979), dass nach dem Protokoll prozessbeendigende Erklärungen "vorgelesen" und genehmigt worden sind, es aber anscheinend gar keine verlesungsfähigen vorläufigen Aufzeichnungen (§ 160a Abs. 1 ZPO) in Schriftform gab (vgl. das dem Prozessvertreter bekannte, gegenüber der Ehefrau des Klägers ergangene Urteil des FG vom 15. Dezember 2008 10 K 2875/08, dort S. 18 unter 6 e)). Dass möglicherweise nur ein grundsätzlich unbeachtlicher Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht des § 160a Abs. 3 ZPO zugrunde lag (vgl. BGH-Urteile vom 16. Oktober 1984 VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782; vom 23. Oktober 1998 LwZR 3/98, NJW 1999, 794), ist nach Aktenlage nicht ersichtlich.
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Entgegen der Auffassung des FG im angefochtenen Ablehnungsbeschluss sieht der Senat im Beweisantrag des Klägers keinen unzulässigen Ausforschungsantrag, weil trotz der Formulierung ("ob") die zum Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen klar sind, auch wenn der Tatsachenvortrag innere Widersprüche aufweist (z.B. hinsichtlich des Vortrags, der Kläger und seine Ehefrau seien bei Abgabe der --dem Grunde nach bestrittenen-- Erklärungen vom FG beeinflusst worden).
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In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Wirksamkeit von Prozesserklärungen grundsätzlich nicht von einer ausdrücklichen Genehmigung abhängig ist und die Abgabe der Erklärungen auch ungeachtet von Fehlern des Protokolls feststehen (BFH-Beschluss vom 5. September 2008 IV B 144/07, juris) oder bewiesen werden kann (vgl. hierzu eingehend BGH-Beschluss in MDR 1984, 655). Dass die herrschende Auffassung im Zivil- und Sozialprozessrecht hiervon eine Ausnahme macht bei Prozessvergleichen und --nur-- insoweit in der Einhaltung des § 162 Abs. 1 ZPO eine Wirksamkeitsvoraussetzung sieht (BGH-Beschluss in MDR 1984, 655, m.w.N.), ist nach Auffassung des Senats nicht maßgeblich für die Hauptsachenerledigung im Steuerprozess, der im Unterschied zum Vergleich kein materiell-rechtliches beidseitiges Rechtsgeschäft zugrunde liegt.
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c) Weiterhin ist der Senat der Auffassung, dass die Durchführung einer Beweisaufnahme über die Richtigkeit des Protokolls nicht im Verfahren wegen Protokollberichtigung erfolgen müsste und sollte, zumal insoweit die Auffassung vertreten wird, dass das Berichtigungsverfahren einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 21. August 2007 I B 78/07, juris) oder schon wegen des Zeitablaufs seit der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung im Berichtigungsverfahren verfahrensfehlerhaft sein könnte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1181). Danach bietet sich eine Beweisaufnahme im fortgeführten Klageverfahren, über das der FG-Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung zu befinden hat, an. Sollte sich dort eine entscheidungserhebliche Fälschung des Protokolls herausstellen, wäre dies im Rahmen einer etwa noch erforderlichen streitigen Entscheidung auch ohne vorausgegangene Protokollberichtigung zu beachten.
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d) Sollte es im weiteren Verfahren darauf ankommen, ob der Kläger bei Abgabe prozessualer Erklärungen geschäftsunfähig war, weist der Senat darauf hin, dass die Geschäftsunfähigkeit nicht allein aus der Bestellung eines Betreuers geschlossen werden kann (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 79 AO Rz 21; Gräber/von Groll, a.a.O., § 58 Rz 2).
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