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BFH 09.06.2010 - X B 41/10
BFH 09.06.2010 - X B 41/10 - (Zur Frage der Änderbarkeit eines Steuerbescheids wegen Verstoßes gegen die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV - Voraussetzungen für Steuererstattung)
Normen
Art 267 AEUV, § 37 Abs 2 AO, § 172 AO, § 227 AO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 812 BGB
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 20. Januar 2010, Az: 1 K 1285/08, Urteil
Leitsatz
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NV: Ein gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßender Steuerbescheid kann nicht allein wegen der Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV durch ein letztinstanzliches Gericht geändert werden, wenn keine Änderungsvorschrift nach der Abgabenordnung greift und zudem bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Gründe
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Die Beschwerde ist bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit zumindest unbegründet. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), auf den die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ihre Beschwerde stützen wollen, ist nicht gegeben. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Beschluss vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
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a) Die Kläger sind der Ansicht, die Rechtssache habe im Hinblick auf die Frage grundsätzliche Bedeutung, ob in Fällen, in denen ein letztinstanzliches Gericht bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die Vorlagepflicht nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (früher Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EG-Vertrag--) --AEUV-- verletze und darauf der bestandskräftige und gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Steuerbescheid beruhe, die Finanzbehörde aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs --jetzt Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)-- vom 13. Januar 2004 C-453/00, "Kühne & Heitz NV" (Slg. 2004, I-837) befugt sei, den Steuerbescheid auch dann zu überprüfen und abzuändern, wenn diese Befugnis allein bei Anwendung des nationalen deutschen Steuerrechts (§§ 172 ff. der Abgabenordnung --AO--) nicht bestehe und auch bereits Festsetzungsverjährung nach §§ 169 ff. AO eingetreten sei. Dieser Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist eindeutig so zu entscheiden, wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) und das FG es getan haben. Der Vortrag der Kläger ist nicht geeignet, hieran Zweifel zu erwecken.
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Nach Art. 10 Satz 1 EG-Vertrag treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich u.a. aus dem EG-Vertrag ergeben. In der Entscheidung "Kühne & Heitz NV" hat der EuGH daraus die Verpflichtung der Mitgliedstaaten abgeleitet, unter bestimmten Voraussetzungen einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zu überprüfen und ggf. zurückzunehmen oder zu ändern, wenn er gegen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts verstößt. Zu diesen Voraussetzungen zählt nicht nur, dass der Verwaltungsakt in Folge einer Entscheidung eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist, sondern u.a. auch, dass die Behörde nach nationalem Recht zur Rücknahme des Verwaltungsakts befugt ist (so auch EuGH-Urteil vom 19. September 2006 C-392/04 und C-422/04, "i-21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG", Slg. 2006, I-8559, Leitsatz 2). Es kann dahinstehen, ob erstere Voraussetzung auch hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1994 bis 1997 vorliegt, die Steuerbescheide also in Folge einer letztinstanzlichen Entscheidung eines nationalen Gerichts bestandskräftig geworden sind, obwohl die von den Klägern eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 11. März 2002 XI B 125/00 (BFH/NV 2002, 1037) als unzulässig verworfen worden ist. Jedenfalls lässt das deutsche Verfahrensrecht im Streitfall eine Änderung der in Rede stehenden Steuerbescheide aus verschiedenen Gründen nicht zu. Zum einen ist hinsichtlich aller Veranlagungszeiträume Festsetzungsverjährung eingetreten (vgl. hierzu auch Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 172 Rz 4); zum anderen greift im Streitfall keine der Änderungsvorschriften der AO. Insbesondere liegen --entgegen dem Vorbringen der Kläger im Klageverfahren-- die Voraussetzungen von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht vor. Nach dieser Vorschrift wäre die von den Klägern begehrte Änderung der Steuerfestsetzungen zu ihren Gunsten nur vor Ablauf der Einspruchsfrist zulässig gewesen. Da die Regelungen über die Korrektur von Steuerbescheiden abschließend sind (vgl. hierzu den Einleitungssatz von § 172 Abs. 1 AO; von Wedelstädt in Beermann/ Gosch, AO, vor §§ 172 bis 177 Rz 21), ist es dem FA, das nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an Recht und Gesetz gebunden ist, verwehrt, die Einkommensteuerfestsetzungen 1992 und 1994 bis 1997 zugunsten der Kläger zu ändern.
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b) Auch die weitere Frage der Kläger, ob in Fällen, in denen ein letztinstanzliches Gericht bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV verletze und darauf der bestandskräftige und gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Steuerbescheid beruhe, die Finanzbehörde verpflichtet sei zu prüfen, ob die dem Gemeinschaftsrecht widersprechende Steuerfestsetzung im Billigkeitsverfahren nach § 227 AO zu erlassen sei, wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Der Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 227 AO ist Gegenstand eines besonderen Verfahrens. Er könnte nicht in dem von dem Kläger angestrebten Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzungen 1992 und 1994 bis 1997 getroffen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1997 X R 149/94, BFHE 184, 412, BStBl II 1998, 247, unter II.6. der Gründe).
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c) Schließlich ist die weitere Rechtsfrage der Kläger, ob in Fällen, in denen ein letztinstanzliches Gericht bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV verletze und darauf der bestandskräftige und gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Steuerbescheid beruhe, die Finanzbehörde verpflichtet sei, die Steuerschuld, die bei richtiger Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht geschuldet wäre, unter Aufrechterhaltung des Steuerbescheids zu erstatten, nicht klärungsbedürftig.
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Steuern können nur dann erstattet werden, wenn die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO erfüllt sind. Daran fehlt es, da die Kläger die Einkommensteuer 1992 und 1994 bis 1997 nicht ohne rechtlichen Grund, sondern auf der Grundlage der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gezahlt haben. Ein Anspruch aus § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuchs scheidet aus, weil Erstattungsansprüche in Abgabenangelegenheiten durch die besonderen Vorschriften des öffentlichen Rechts abschließend geregelt sind (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43). Im Übrigen wären auch bei Anwendbarkeit dieser Bestimmung die Steuern nicht ohne rechtlichen Grund, sondern vielmehr auf der Grundlage der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gezahlt worden.
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2. Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ein Spezialtatbestand der Grundsatzrevision ist (vgl. BFH-Beschluss vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518), kommt diese aus den unter 1. dargelegten Gründen nicht in Betracht.
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3. Soweit die Kläger eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) begehren, haben sie nicht --wie erforderlich-- die behauptete Abweichung durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und einer --mit Aktenzeichen und Fundstelle zutreffend bezeichneten-- Divergenzentscheidung andererseits deutlich gemacht.
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