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BFH 08.04.2010 - VII B 150/09
BFH 08.04.2010 - VII B 150/09 - Ausfuhrerstattung: Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Nichtberücksichtigung vorgelegter Aufzeichnungen über Fehlmengen
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 76 Abs 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 3. April 2009, Az: 4 K 31/05, Urteil
Leitsatz
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NV: Hält das FG hinsichtlich streitiger Einfuhrmengen Aufzeichnungen einer Kontroll- und Überwachungsgesellschaft über bei der Ankunft der Erzeugnisse festgestellte Fehlmengen für als Beweismittel nicht verwertbar, weil eine privatschriftliche Bescheinigung nicht an die Stelle eines möglichen Zeugenbeweises gesetzt werden dürfe, so muss sich ihm die Vernehmung des Ausstellers dieser Bescheinigung als Zeuge aufdrängen und es hat, sollten Name und ladungsfähige Anschrift nicht bekannt sein, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, den Aussteller der Bescheinigung als Zeugen zu benennen .
Tatbestand
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I. Im Zeitraum März bis Mai 1995 wurde mit mehreren Ausfuhranmeldungen gefrorenes Rindfleisch unter Inanspruchnahme differenzierter Ausfuhrerstattung zur Ausfuhr nach Turkmenistan angemeldet, das von Mukran/Rügen aus in Kühlmaschinenzügen per Fähre nach Litauen und von dort per Bahn transportiert wurde. Der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), der der Erstattungsanspruch abgetreten war, wurde die Ausfuhrerstattung zunächst im Wege der Vorfinanzierung gezahlt. Nach Vorlage der von der als Kontroll- und Überwachungsgesellschaft (KÜG) beauftragten GCI Hamburg ausgestellten Entladebescheinigungen wurden die Sicherheiten freigegeben.
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Späteren Ermittlungen des Zollfahndungsamts (ZFA) zufolge waren bei der Ankunft im Bestimmungsland Fehlmengen festgestellt worden, die in den KÜG-Entladebescheinigungen unberücksichtigt geblieben waren. Bei der Entladekontrolle im Kühlhaus des Empfängers im Bestimmungsland seien von der turkmenischen Handelskammer und vom dortigen Veterinärdienst Fehlmengen protokolliert worden. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) forderte daraufhin die auf den der Klägerin prozentual zuzurechnenden Anteil der Fehlmengen entfallende Erstattung zurück.
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Der Einspruch der Klägerin war überwiegend erfolgreich. Auch die hinsichtlich des verbliebenen Rückforderungsbetrags erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Rückforderungsbescheid auf und urteilte, das HZA habe den ihm obliegenden Beweis, dass die Erstattung zu Unrecht gezahlt worden sei, nicht erbracht. Es sei nicht auszuschließen, dass die Fehlmengen erst nach der Zollabfertigung verursacht worden seien.(…)
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- Aus den von der GCI Hamburg ausgestellten Primärnachweisen ergebe sich zwar, dass zwischen der Ankunft der Waren und dem Datum des Zolldokuments ein Zeitraum von bis zu ca. zwei Wochen gelegen habe, so dass die Fehlmengen möglicherweise vor dem jeweiligen Datum des Zolldokuments entstanden seien; sicher sei dies jedoch nicht.
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- Das HZA könne sich nicht auf die in der mündlichen Verhandlung ergänzend angeführten Beweismittel, die Berichte der GCI East Europe vom 17. Juli und vom 7. August 1995, stützen, da es sich hierbei um privatschriftliche Bescheinigungen, also um Beteiligtenvortrag, handele. Das HZA habe nicht dargetan, dass eine Vernehmung des Berichtsverfassers als Zeuge unmöglich sei.
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten, einer Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht sowie einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachten Verfahrensmängel der Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) sowie des Anspruchs des HZA auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegen vor und das Urteil des FG beruht auch auf diesen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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1. Das HZA hat --wie bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG-- mit seiner Beschwerdebegründung anhand des Beispiels des Kühlmaschinenzugs 15 unter Hinweis auf die entsprechenden in den Beweismittelordnern vorhandenen Unterlagen schlüssig dargelegt,
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- dass GCI East Europe bereits unter dem 17. Juli 1995 vermerkt hat, dass dieser Kühlmaschinenzug am 10. Juli 1995 in Turkmenistan angekommen und entladen worden war, wobei eine Warenmenge von 188.647,9 kg (= 8.772 Kartons) festgestellt wurde,
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- dass diese (fast identische) Menge auch in dem Inspektionsergebnis von GCI East Europe vom 7. August 1995 erscheint,
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- dass nach diesem Dokument die Zollabfertigung erst am 25. Juli 1995 stattfand,
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- dass das turkmenische Zolldokument demgegenüber eine Warenmenge von 195.046,5 kg (= 9.053 Kartons) aufweist und
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- dass diese Einfuhrmenge schließlich von GCI Hamburg für den Kühlmaschinenzug 15 mit verschiedenen Primärnachweisen bestätigt wurde.
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Diesen Unterlagen ist zum einen zu entnehmen, dass GCI Hamburg mit den erteilten Primärnachweisen nicht die von GCI East Europe beim Entladen festgestellten und GCI Hamburg per Telefax übermittelten Warenmengen, sondern die sich aus dem turkmenischen Zolldokument ergebenden Warenmengen bestätigt hat, zum anderen, dass die bei der Ankunft von GCI East Europe ermittelten --gegenüber den Angaben im Zolldokument geringeren-- Warenmengen bereits vor dem Tag der Zollabfertigung festgestellt wurden.
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In Anbetracht dieser Dokumente lässt sich die vom FG vertretene Ansicht, es sei nicht auszuschließen, dass festgestellte Fehlmengen erst nach der Zollabfertigung verursacht worden seien (die im Übrigen die Aufhebung des Rückforderungsbescheids nur auf der Grundlage der vom FG vertretenen Rechtsauffassung rechtfertigt, dass das HZA insoweit die Feststellungslast trage), nur mit der vom FG vertretenen Auffassung aufrechterhalten, die Aufzeichnungen der GCI East Europe könnten nicht als Beweismittel verwendet werden.
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Zwar hat das FG unter Berufung auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats zu Recht ausgeführt, dass die Vorlage einer privatschriftlichen Bekundung über eine beweiserhebliche Tatsache jedenfalls dann keinen zulässigen Urkunds- oder gar Zeugenbeweis darstellt, wenn sie an die Stelle einer ohne weiteres möglichen Vernehmung des Ausstellers der betreffenden Urkunde als Zeuge gesetzt wird (Senatsurteil vom 17. Mai 2005 VII R 76/04, BFHE 210, 70), wobei allerdings zum einen in jenem Fall des vorgenannten Senatsurteils hinzukam, dass erhebliche Vorbehalte hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der schriftlichen Erklärung bestanden, und zum anderen für den Streitfall zu vermerken ist, dass das FG offenbar keine Bedenken hatte, schriftliche Bekundungen über angebliche Aussagen von GCI-Mitarbeitern zur Stützung seiner Zweifel hinsichtlich des Zeitpunkts der Fehlmengenentstehung zu verwerten.
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Jedenfalls ist aber --ausgehend von der vom FG vertretenen Ansicht, die vom HZA in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und erläuterten Unterlagen seien (auch im Original) keine verwertbaren Beweismittel-- sein weiteres Vorgehen als verfahrensfehlerhaft zu werten. Unter diesen Umständen hätte sich nämlich dem FG im Sinne der Rechtsprechung zu der dem FG gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht die Vernehmung der Aussteller der betreffenden GCI-Protokolle als Zeugen aufdrängen müssen (vgl. Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz 20) und es hätte deshalb --sollte die Identität der Aussteller und ihre ladungsfähige Anschrift unbekannt gewesen sein-- das HZA auf seine Auffassung zur Verwertbarkeit der GCI-Protokolle hinweisen (§ 76 Abs. 2 FGO) und ihm Gelegenheit geben müssen, die Zeugen zu benennen. Indem es diese Gelegenheit nicht einräumte und erst in seinem Urteil zu erkennen gab, dass es hinsichtlich der vom HZA behaupteten Fehlmengen die angegebenen schriftlichen Unterlagen für nicht ausreichend, sondern eine Zeugenvernehmung als Beweis für erforderlich hielt, hat das FG den Anspruch des HZA auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. August 1997 III R 10/96, BFH/NV 1998, 198).
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Das FG-Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensmangel, da es nicht auszuschließen ist, dass sich durch die Vernehmung der entsprechenden GCI East Europe-Mitarbeiter als Zeugen die vermerkten Warenmengen am Ankunftstag als zutreffend bestätigt hätten, was --wie ausgeführt-- weitere Zweifel, ob Fehlmengen evtl. erst nach der Zollabfertigung verursacht worden sind, ausgeschlossen hätte.
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2. a) Der seitens des HZA behauptete Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten lässt sich allerdings nicht feststellen. Ob --wie das HZA im Gegensatz zum FG meint-- aus der Gestaltung des Vertrags mit der Fa. S zu schließen ist, dass im Fall erteilter Gutschriften wegen Fehlmengen diese auch tatsächlich vorlagen, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung, die insoweit unterschiedlich ausfallen mag.
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b) Dass das FG trotz des in den Primärnachweisen jeweils vermerkten erst nach dem Ankunftsdatum liegenden Datums des Zolldokuments gemeint hat, die Fehlmengen hätten auch erst nach der Zollabfertigung verursacht worden sein können, mag darauf beruhen, dass das FG --wie bereits ausgeführt-- das Vorhandensein von Fehlmengen bereits am Ankunfts- und Entladetag als durch die Unterlagen nicht erwiesen angesehen hat. Ob die für diesen Tag von GCI East Europe protokollierten Warenmengen zutreffen oder nicht, wird daher im zweiten Rechtsgang zu klären sein. Sollten sie sich bestätigen, dürfte sich in Anbetracht der in den Primärnachweisen angegebenen Daten der Zollabfertigung die Ansicht des FG über möglicherweise erst nach der Zollabfertigung verursachte Fehlmengen allerdings nicht halten lassen.
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