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BFH 29.01.2010 - VII B 192/09
BFH 29.01.2010 - VII B 192/09 - Keine Verrechnung von während des Insolvenzverfahrens erworbenen Ansprüchen auf Lohnsteuererstattung mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden
Normen
§ 35 InsO, § 36 Abs 1 S 1 InsO, § 287 Abs 2 InsO, § 46 Abs 1 AO, § 319 AO, § 850c ZPO, § 850 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 2. Juli 2009, Az: 4 K 2514/06, Urteil
Leitsatz
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NV: Ein Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer ist kein Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 ZPO. Es besteht deshalb kein Pfändungsverbot und Aufrechnungsverbot, selbst wenn das betreffende Arbeitseinkommen unter den Pfändungsgrenzen gelegen haben sollte.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist Treuhänderin über das Vermögen eines Steuerpflichtigen (Schuldner), der gegen den Beklagten und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) während des Verbraucherinsolvenzverfahrens, nämlich für den Veranlagungszeitraum 2004, einen festgestellten Erstattungsanspruch aus Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag hat. Den entsprechenden Betrag hat das FA jedoch mit der Einkommensteuer verrechnet, welche ihr der Schuldner aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nämlich dem Veranlagungszeitraum 1989, schuldig geblieben ist. Es ist der Ansicht, der Erstattungsbetrag stelle insolvenzfreies Vermögen dar, weil es sich um einen pfändungsfreien Teil des Arbeitslohns des Schuldners handele. Das FA hat hierüber den in diesem Verfahren angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 8. März 2006 erlassen.
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Das Finanzgericht (FG) hat den Abrechnungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufgehoben. Es urteilte, die Aufrechnung verstoße gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO), weil der Erstattungsanspruch Masseforderung sei. Zu Unrecht sei das FA der Auffassung, §§ 850 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) würden in diesem Zusammenhang entsprechend gelten, sodass ein nicht pfändbarer Teil des Arbeitslohns nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Einkommensteuererstattungen, die im Zusammenhang mit dem pfändungsfreien Arbeitslohn ständen, das Schicksal des insolvenzfreien Arbeitslohns teilten, also ebenfalls nicht zur Insolvenzmasse rechneten.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des FA, welches geklärt wissen will, ob Steuererstattungsansprüche, die im Zusammenhang mit pfändungsfreiem Arbeitslohn entstehen, insolvenzfreies Vermögen sind.
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Diese Frage habe grundsätzliche Bedeutung. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterlägen, gehörten nicht zur Insolvenzmasse. Die §§ 850 ff. ZPO gölten entsprechend. Der nicht pfändbare Teil des Arbeitslohns gehöre also nicht zur Insolvenzmasse. Das Gleiche müsse für "Erstattungsansprüche aus dem insolvenzfreien Arbeitslohn" gelten. Denn ein solcher Anspruch habe seinen Ursprung in dem Arbeitsverhältnis. Zwar wandele sich die Rechtsnatur des einbehaltenen und an das FA abgeführten Teils des Arbeitslohns, wenn er dem Arbeitnehmer aufgrund seines Lohnsteuererstattungsanspruchs gegen den Staat wieder zufließe; das ändere aber nichts daran, dass die betreffenden Lohnsteuerabzugsbeträge weiterhin zum Arbeitseinkommen im Sinne der Pfändungsvorschriften zählten.
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Handele es sich aber um nicht vom Insolvenzbeschlag erfasstes Vermögen, so greife § 96 InsO nicht ein. Dementsprechend sei die betreffende Steuererklärung vom Schuldner selbst abgegeben worden und der Einkommensteuerbescheid gegen ihn ergangen.
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Die vorgenannte Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, zumal sie sowohl das Thüringer Finanzgericht als auch das Sächsische Finanzgericht anders als das FG im Streitfall beantwortet hätten (Hinweis auf die Revisionsverfahren VII R 35/08 und VII R 25/09).
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Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten und hebt hervor, dass es ständiger Rechtsprechung entspreche, dass Steuererstattungsansprüche von §§ 850 ff. ZPO nicht erfasst würden. Im Übrigen könne es eine Lohnsteuerzahlung "aus pfändungsfreiem Arbeitseinkommen" nicht geben, weil Basis für die Bestimmung der Pfändungsfreigrenzen der Nettolohn sei, nämlich das tatsächlich ausgezahlte und vom Arbeitgeber geschuldete Nettoeinkommen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob ein Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer, wenn er durch eine steuerpflichtige Tätigkeit des Schuldners während des Insolvenzverfahrens begründet worden ist, unter den in der Beschwerdebegründung bezeichneten weiteren Voraussetzungen insolvenzfreies Vermögen darstellt und folglich dem FA ggf. zur Aufrechnung gegen vorinsolvenzliche Steuerschulden des Insolvenzschuldners zur Verfügung steht, weil § 96 Abs. 1 InsO nicht eingreift, ist nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits geklärt ist.
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Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren auch das Vermögen, das der Schuldner während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht gepfändet werden können, gehören allerdings gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Ansprüche auf Erstattung von Einkommensteuer sind jedoch gemäß § 46 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) grundsätzlich pfändbar. Steuererstattungsansprüche, für die nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden ist, werden daher allgemein als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (vgl. statt aller Bundesgerichtshof --BGH--, Beschluss vom 12. Januar 2006 IX ZB 239/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2006, 1127, m.N.). Die Richtigkeit dieses Ausgangspunktes ist zweifelsfrei.
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Dass ein Einkommensteuererstattungsanspruch gleichwohl nicht zur Insolvenzmasse gehören könnte, ließe sich --von hier offensichtlich nicht zu berücksichtigenden Fällen der Freigabe eines solchen Anspruchs durch den Insolvenzverwalter abgesehen-- allenfalls daraus herleiten, dass es sich um pfändungsfreies Vermögen handelt, welches nach § 36 InsO nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt, also nicht zur Insolvenzmasse gehört. Pfändungsfreiheit könnte sich dabei freilich allenfalls aus § 850 ZPO ergeben, also daraus, dass ein solcher Einkommensteuererstattungsanspruch, wenn er auf überzahlter Lohnsteuer beruht, als Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen wäre.
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Indes hat der BGH bereits mehrfach entschieden, der Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer habe zwar seinen materiellen Ursprung insofern in dem Arbeitsverhältnis, als zum Arbeitslohn auch die Lohnsteuer gehöre, die der Arbeitgeber gemäß § 38 des Einkommensteuergesetzes einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen habe. Die Rechtsnatur des als Lohnsteuer einbehaltenen Teils der Bezüge wandele sich jedoch, wenn diese in Gestalt eines Lohnsteuererstattungsanspruchs in Erscheinung träten. Im Fall einer Rückerstattung werde aus dem Steueranspruch des Fiskus der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO). Der an den Steuerpflichtigen zu erstattende Betrag erlange, so hat der BGH ausgeführt, auch wenn er wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum entfallende Einkommen erhöhe, nicht wieder den Charakter eines Einkommens, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder Dienstleistung zusteht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04, NJW 2005, 2988; siehe auch die Entscheidung des beschließenden Senats vom 9. Januar 2007 VII B 45/06, BFH/NV 2007, 855).
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Diese zu § 287 Abs. 2 InsO ergangene Rechtsprechung schließt es aus, Lohnsteuererstattungsansprüche ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen Charakters als "Arbeitseinkommen" i.S. des § 850 ZPO anzusehen.
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Im Übrigen stünde sich das FA nicht besser und hätte ebenfalls keine Möglichkeit zur privilegierten Realisierung seiner Steuerforderung anhand des Neuerwerbs des Schuldners, wenn der strittige Teil des Lohns des Insolvenzschuldners von vornherein nicht von dem Arbeitgeber vom Lohn einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden wäre und es folglich gar nicht erst zu einem Erstattungsverfahren gekommen wäre; denn dann wäre der betreffende Betrag nach den Berechnungen der Einspruchsentscheidung des FA unpfändbares Arbeitseinkommen und damit dem Zugriff des FA ebenfalls entzogen.
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Der beschließende Senat hat nach alledem keinen Anlass, mit dem Ziel einer Abweichung von der Rechtsprechung des BGH den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Im Übrigen hat auch der beschließende Senat --wie die Beschwerde selbst vorträgt-- in der Entscheidung vom 26. September 1995 VII B 117/95 (BFH/NV 1996, 281) entschieden und diese Ansicht in dem Beschluss vom 27. Oktober 1998 VII B 101/98 (BFH/NV 1999, 738) bekräftigt, dass der Erstattungsanspruch eines Arbeitnehmers wegen überzahlter Einkommensteuer (Lohnsteuer) nicht als Teil des Arbeitseinkommens zu werten sei mit der Folge, dass er nicht unter die Pfändungsschutzbestimmungen des § 319 AO i.V.m. §§ 850 ff. ZPO fällt und kein Pfändungs- und Aufrechnungsverbot nach § 850c ZPO, § 226 AO i.V.m. § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuchs besteht, auch wenn das Arbeitseinkommen unter den Pfändungsgrenzen gelegen haben sollte. Dass diese Entscheidungen für eine rechtsgrundsätzliche Klärung ungeeignet wären --wie das FA offenbar meint--, insbesondere weil sie im Beschwerdeverfahren wegen Prozesskostenhilfe ergangen sind, vermag der Senat nicht anzuerkennen.
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Neue Gesichtspunkte, die eine Änderung oder zumindest erneute Überprüfung dieser Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren erfordern könnten, sind vom FA nicht benannt worden. Mit dem Hinweis auf zwei (angeblich abweichende) Entscheidungen von Instanzgerichten kann dies nicht dargelegt werden, ganz abgesehen davon, dass die in diesem Zusammenhang vom FA benannten Urteile u.a. deshalb nicht einschlägig sind, weil sie nicht Lohnsteuererstattungs-, sondern Vorsteuererstattungsansprüche betreffen.
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