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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BSG 19.09.2024 - B 9 SB 10/24 B
BSG 19.09.2024 - B 9 SB 10/24 B
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. August 2023 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren Grads der Behinderung und von Merkzeichen.
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Das SG hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 29.4.2022). Diese Entscheidung ist dem Kläger im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten bekanntgegeben worden. Dabei hat der Zusteller das Datum der Zustellung nicht auf dem Briefumschlag vermerkt. Der Kläger hat diesen nach eigenen Angaben am 13.5.2022 seinem Briefkasten entnommen und mit einem Datumsstempel dieses Tages versehen. Am 13.6.2022 hat der Kläger per Telefax Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Das LSG hat das Rechtsmittel nach Anhörung des Klägers als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist von einem Monat nicht gewahrt worden sei; der Gerichtsbescheid sei dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde bereits am 4.5.2022 wirksam zugestellt worden (Beschluss vom 1.8.2023).
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensmangel, die Entscheidung des LSG über die Zulässigkeit der Berufung sei unzutreffend. Statt einer Prozessentscheidung habe im Berufungsverfahren ein Sachurteil ergehen müssen. Der Gerichtsbescheid des SG sei ihm nicht wirksam zugestellt worden, denn es fehle an dem erforderlichen Vermerk des Zustelldatums auf dem Briefumschlag. Dieser Mangel sei erst durch die tatsächliche Kenntnisnahme des Gerichtsbescheids am 13.5.2022 geheilt worden. Ausgehend von diesem Datum habe er die Berufungsfrist gewahrt.
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II. Die zulässige Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Der Entscheidung liegt ein formgerecht gerügter (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) zugrunde. Das LSG hätte die Berufung nicht als unzulässig ansehen dürfen, sondern hätte in der Sache entscheiden müssen. Darin liegt ein Verfahrensmangel, denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.12.2023 - B 4 AS 72/23 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - juris RdNr 5).
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Gemäß § 151 Abs 1 SGG beginnt die Berufungsfrist mit der "Zustellung des Urteils"; dasselbe gilt für den hier gegebenen Fall einer erstinstanzlichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Zustellung erfolgt nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 63 Abs 2 Satz 1 SGG). Danach kommt eine Ersatzzustellung in der Wohnung der Person, der zugestellt werden soll, in Betracht, wenn sie dort nicht angetroffen wird. In diesem Fall kann das Schriftstück gemäß § 178 Abs 1 Nr 1 ZPO in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner zugestellt werden. Ist auch dies nicht möglich, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO). Eine solche Ersatzzustellung hat zur Folge, dass das Schriftstück mit der Einlegung als zugestellt gilt (§ 180 Satz 2 ZPO). Daher schreibt § 180 Satz 3 ZPO vor, dass der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung vermerkt. Daran fehlt es hier.
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Zwar wird im Schrifttum teilweise vertreten, ein solcher Zustellungsmangel sei unbeachtlich, weil der Vermerk des Zustellers lediglich Beweiszwecken diene (so etwa Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 63 RdNr 52, Stand 21.12.2023). Der Senat schließt sich jedoch der Ansicht des BFH (Beschluss vom 15.5.2020 - IX B 119/19 - juris RdNr 3; Urteil vom 21.9.2011 - I R 50/10 - BFHE 235, 255 - juris RdNr 10) und des BGH (Versäumnisurteil vom 15.3.2023 - VIII ZR 99/22 - juris RdNr 18 ff; Beschluss vom 29.7.2022 - AnwZ <Brfg> 28/20 - juris RdNr 15 ff) an, wonach der Datumsvermerk des Zustellers zwingende Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung nach § 180 ZPO ist. Dafür spricht vor allem die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsadressaten. Sinn und Zweck des in § 180 Satz 3 ZPO vorgeschriebenen Vermerks ist es, den Empfänger auch im Fall einer Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten in die Lage zu versetzen, Kenntnis vom Zustelldatum zu erlangen, um - ebenso wie im Regelfall der persönlichen Übergabe - selbst in der Lage zu sein, den Lauf eventueller Rechtsmittelfristen zu bestimmen und seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darauf einzurichten.
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Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es gemäß § 189 ZPO erst in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Dass der Gerichtsbescheid dem Kläger vor dem 13.5.2022 zugegangen ist, ist nicht nachweisbar, sodass sein Telefax vom 13.6.2022 die Berufungsfrist gewahrt hat. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Berufung des Klägers aus anderen Gründen unzulässig sein könnte, bestehen nicht.
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Die Entscheidung des LSG kann auch auf dem vorliegenden Verfahrensfehler beruhen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Sachentscheidung zu einem anderen Ergebnis führt.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, weil das LSG bislang - von seiner Rechtsansicht ausgehend konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen zu den bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen getroffen hat.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Kaltenstein
Röhl
B. Schmidt
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