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BSG 24.09.2020 - B 9 V 3/18 R
BSG 24.09.2020 - B 9 V 3/18 R - Soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - Kind mit Fetalem Alkoholsyndrom - erheblicher Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft - Schädigung des ungeborenen Kindes - tätlicher Angriff - Beibringung von Gift - Rechtsfeindlichkeit - Strafrechtsakzessorietät - Verwirklichung einer vorsätzlichen Straftat - versuchter Schwangerschaftsabbruch - konkreter Vorsatz - Analogie - Regelungsplan des Gesetzgebers - Verfassungsrecht - Schutz des werdenden Lebens
Normen
§ 1 Abs 1 S 1 OEG, § 1 Abs 2 Nr 1 OEG, § 218 Abs 1 S 1 StGB, § 218 Abs 4 S 1 StGB, § 218 Abs 4 S 2 StGB, § 22 StGB, § 15 StGB, § 14 Abs 1 Nr 5 SGB 14, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 3 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Magdeburg, 10. Juli 2015, Az: S 14 VE 18/11, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 30. August 2017, Az: L 7 VE 10/15, Urteil
Leitsatz
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Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft stellt nur dann einen tätlichen Angriff auf ihr ungeborenes Kind dar, wenn sie damit einen Schwangerschaftsabbruch versucht.
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 30. August 2017 wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und um die Anerkennung von Schädigungsfolgen.
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Die Klägerin wurde am 2.9.2005 als Kind einer alkoholkranken Mutter geboren. Der Beklagte erkannte ihr wegen einer globalen Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie ab dem 7.10.2008 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zu.
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Den 2009 gestellten Antrag der Klägerin, ihr wegen der Schädigung durch den Alkoholkonsum ihrer leiblichen Mutter in der Schwangerschaft Beschädigtenversorgung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab. Es liege kein vorsätzlicher tätlicher Angriff iS des OEG vor (Bescheid vom 30.4.2009). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.6.2011).
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Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.7.2015 abgewiesen. Das OEG diene nur der Entschädigung von Körperschäden nach Gewaltkriminalität; es fehlt an einer Straftat. Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 30.8.2017 zurückgewiesen. Ihre leibliche Mutter habe auf die Klägerin durch vorgeburtlich fortgesetzte Schädigungshandlungen - den wiederholten und erheblichen Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft - eingewirkt und diese mit bedingtem Vorsatz geschädigt. Darin liege jedoch kein rechtswidriger Angriff. Die Schädigung des ungeborenen Kindes durch Alkoholmissbrauch erfülle keine Normen des Strafgesetzbuchs (StGB). Anhaltspunkte für einen strafbaren versuchten Schwangerschaftsabbruch seien nicht ersichtlich. Ebenso wenig könne die Klägerin sich auf eine dem tätlichen Angriff gleichgestellte Giftbeibringung oder eine erweiterte bzw analoge Anwendung der Regelung über den tätlichen Angriff berufen.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG. Die Leibesfrucht (nasciturus) sei vom Schutzbereich des OEG umfasst. Es liege auch ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vor. Im Verhalten der Mutter sei ein versuchter Schwangerschaftsabbruch iS des § 218 Abs 4 Satz 1 StGB zu sehen. Zudem weise das OEG eine planwidrige Regelungslücke auf, die mittels Analogie zu schließen sei. In verfassungskonformer Auslegung des OEG müsse die gesamte Rechtsordnung einschließlich des zivilen Deliktsrechts betrachtet werden; sie schütze das ungeborene Kind insbesondere auch gegenüber der Mutter.
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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 30. August 2017 und des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Juli 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin eine globale Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie als Schädigungsfolge anzuerkennen sowie eine Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einem Grad der Schädigung von mindestens 50 zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es an einem tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG und an einer gleichgestellten Giftbeibringung iS des § 1 Abs 2 Nr 1 OEG fehlt.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.6.2011 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente nach den Vorschriften des OEG iVm dem BVG und auf Anerkennung einer näher bezeichneten Schädigungsfolge (globale Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie) abgelehnt hat. Diese Ansprüche macht die Klägerin in statthafter Weise mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage geltend (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4, § 56 SGG; vgl zur kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage: Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 12 mwN; vgl zur kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: Senatsurteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN).
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A. Die Revision der Klägerin ist zulässig.
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Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 Abs 1 und 2 SGG).
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B. Die Revision der Klägerin ist aber unbegründet. Das LSG hat auf der Grundlage seiner den Senat nach § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen; es fehlt an einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG als Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Beschädigtenrente und die Anerkennung von Schädigungsfolgen.
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Rechtsgrundlage der geltend gemachten Ansprüche ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (idF des Gesetzes vom 11.5.1976, BGBl I 1181) und § 1 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 2 Nr 1 OEG (idF des Gesetzes vom 11.5.1976 aaO) iVm den Vorschriften des BVG (dazu unter 1). Die Klägerin ist von dem persönlichen Anwendungsbereich der Vorschriften erfasst, obwohl sie bereits im Mutterleib vor der Geburt geschädigt wurde (dazu unter 2). Die Anspruchsvoraussetzungen des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sind indes nicht vollständig erfüllt, weil es dafür an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung fehlt (dazu unter 3). Das gilt auch für die Variante der Beibringung von Gift iS von § 1 Abs 2 Nr 1 OEG (dazu unter 4). Der Ausschluss der Klägerin von der Versorgung nach dem OEG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter 5).
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1. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der Tatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG besteht somit aus den Merkmalen vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff (schädigender Vorgang), Schädigung und Schädigungsfolgen, die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind (vgl zuletzt Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 25 ff mwN). Nach § 1 Abs 2 OEG steht dabei einem tätlichen Angriff iS des Abs 1 insbesondere die vorsätzliche Beibringung von Gift (Nr 1) gleich; dadurch wird der eng gehaltene Kreis entschädigungsberechtigter Opfer erweitert (Senatsurteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72 f = juris RdNr 17).
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2. Der persönliche Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist eröffnet. Zwar setzt der Wortlaut des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ("Wer ... infolge eines ... Angriffs gegen seine oder eine andere Person") voraus, dass der Geschädigte im Zeitpunkt des Angriffs bereits gelebt hat (vgl § 1 BGB). Die Schädigung der Leibesfrucht vor der Geburt lässt sich nicht mehr unter den Wortlaut dieser Norm fassen (so bereits Senatsurteil vom 16.4.2002 - B 9 VG 1/01 R - BSGE 89, 199, 202 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 = juris RdNr 21). Wie der Senat jedoch bereits entschieden hat, weist das Gesetz an dieser Stelle eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Rechtsfortbildung durch die analoge Anwendung des § 1 OEG zu schließen ist (vgl Senatsurteil vom 16.4.2002 - B 9 VG 1/01 R - BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 f = juris RdNr 21 ff; vgl für § 1 BVG: BSG Urteil vom 24.10.1962 - 10 RV 583/59 - BSGE 18, 55, 60 = SozR Nr 64 zu § 1 BVG S Ca 37 = juris RdNr 20 ff). Gesundheitsstörungen, die auf eine Schädigung vor der Geburt zurückzuführen sind, können danach vom Anwendungsbereich des § 1 OEG erfasst werden (ebenso Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 6. Aufl 2015, § 1 RdNr 4; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 1 OEG RdNr 14 f mwN).
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Der Senat sieht keine Veranlassung, diesen Rechtsstandpunkt aufzugeben. Zwar hält die Rechtsprechung der Sozialgerichte teilweise entgegen, die bisher vom BSG hierzu entschiedenen Fälle könnten nicht auf den Alkoholkonsum der werdenden Mutter übertragen werden, weil dort die schädigenden Handlungen gegen eine Person, nämlich die spätere Mutter oder die Schwangere, gerichtet gewesen seien (so LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 26.11.2017 - L 10 VE 40/14 - juris RdNr 25 ff und Urteil vom 14.12.2017 - L 10 VE 45/15 - juris RdNr 33) oder weil von einer biologischen Einheit von der Schwangeren und dem nasciturus auszugehen sei (so SG Regensburg vom 5.4.2013 - S 13 VG 2/09). Das OEG soll indes Opfer von Gewalttaten entschädigen, die der Staat nicht verhindern konnte. Dieser Schutzzweck schließt Personen ein, die zum Zeitpunkt der Gewalttat noch nicht geboren sind, aber nach ihrer Geburt unter den gesundheitlichen Folgen der Gewalttat zu leiden haben (Senatsurteil vom 16.4.2002 - B 9 VG 1/01 R - BSGE 89, 199, 203 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 96 = juris RdNr 23). Beim nasciturus handelt es sich um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben; ihm stehen eigene Rechte zu, auch gegenüber seiner Mutter (vgl BVerfG Urteil vom 28.5.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 - juris RdNr 158, 161).
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3. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche jedoch nicht auf § 1 Abs 1 Satz 1 OEG stützen. Zwar handelt es sich bei dem Alkoholmissbrauch ihrer leiblichen Mutter um die für einen tätlichen Angriff erforderliche, unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung (dazu unter a) im Sinne dieser Vorschrift. Die dafür zusätzlich erforderliche feindselige Willensrichtung des Angriffs liegt indes nur dann vor, wenn der Alkoholkonsum der Schwangeren die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet, weil er auf einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft nach § 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB gerichtet ist (dazu unter b). Dafür fehlt nach den Feststellungen des LSG der erforderliche Tötungsvorsatz der Mutter (dazu unter c).
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a) Der Senat hat für den Begriff "tätlicher Angriff" in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auf eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung abgestellt (Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23; Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 19; Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 35). Die Verletzungshandlung im OEG ist dabei eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt, obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.8.1974 eines Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, BT-Drucks 7/2506, S 10; Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23; Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 19 mwN). Maßgeblich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, den allgemeinen Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinne durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG einzuengen und deshalb für einen solchen Angriff eine Kraftentfaltung gegen eine Person vorauszusetzen (Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23; abweichend zum ärztlichen Eingriff: Senatsurteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 39 ff; für den gewaltlosen sexuellen Missbrauch von Kindern: Senatsurteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 = juris RdNr 10).
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Im Unterschied zu dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG daher in der Regel durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich auf einen anderen ein. Dies setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; das OEG soll auch widerstandsunfähige Opfer von Straftaten schützen (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 37). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel sind, desto geringere Anforderungen sind in objektiver Hinsicht an einen tätlichen Angriff zu stellen. Je geringer sich andererseits die physische Einwirkung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, ob durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 39; vgl Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 23 ff).
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Wie das LSG zutreffend angenommen hat, genügt danach der Alkoholkonsum der leiblichen Mutter in der Schwangerschaft als eine ausreichende Kraftentfaltung im genannten Sinne unmittelbar gegen das ungeborene Kind (vgl ähnlich Senatsurteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7 = juris RdNr 13 zur Beibringung von lebensgefährlichen Krankheitserregern). Dies gilt umso mehr, als die Klägerin sich im Mutterleib gegen den Alkoholmissbrauch ihrer Mutter nicht zur Wehr setzen konnte. Alkoholkonsum einer Schwangeren führt dem ungeborenen Kind Substanzen zu, die es, wie der Fall der Klägerin zeigt, schwer schädigen können (vgl Seitz/Lieber/Simanowski, Handbuch Alkohol, Alkoholismus, alkoholbedingte Organschäden, 2. Aufl 2000, 538, 543 ff; vgl S3-Leitlinie - Diagnose der Fetalen Alkoholspektrumstörungen FASD, S 8, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/022-025l_S3_Fetale_Alkoholspektrum-stoerung_Diagnostik_FASD_2016-06.pdf).
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b) Die für einen tätlichen Angriff feindselige Willensrichtung auf das ungeborene Kind liegt bei dem Alkoholkonsum einer Schwangeren indes nur dann vor, wenn dieser die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet, wenn der Alkoholkonsum also zugleich auf einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft iS des § 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB gerichtet ist (dazu unter aa). Das folgt aus Gesetzesgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck des OEG (dazu unter bb). Ein Verhalten, das nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen kann, genügt nicht (dazu unter cc).
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aa) Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG setzt nach ständiger Rechtsprechung - über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus - eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Für diese ist nicht die innere Einstellung des Täters maßgebend, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns, die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird (vgl zuletzt nur Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23). Dieses Tatbestandsmerkmal schließt Handlungen vom Kreis entschädigungspflichtiger Ursachen aus, die zwar gesellschaftlich missbilligtes Verhalten darstellen, die aber die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten (Senatsurteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72, 73 = juris RdNr 15, 19; Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 62 mwN). Der Täter muss demnach gegenüber dem Opfer nicht feindselig eingestellt sein; es genügt, wenn sein Verhalten auf Rechtsbruch gerichtet ist und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen lässt (vgl Senatsurteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - juris RdNr 10). Maßgeblich ist die objektive Sicht eines vernünftigen Dritten (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32, 38). Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit zeigt sich durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R, aaO, RdNr 52 mwN). Ohne das so verstandene Merkmal der Rechtsfeindlichkeit würden im Opferentschädigungsrecht Billigkeitserwägungen drohen und die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze ihre klaren Konturen verlieren (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R, aaO, RdNr 64).
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Der Alkoholkonsum einer Mutter während der Schwangerschaft ist daher nur dann als Handlung in feinseliger Willensrichtung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG relevant, wenn er die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet (so im Ergebnis auch: LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 26.11.2017 - L 10 VE 40/14 - juris RdNr 23; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 27.1.2017 - L 13 VG 11/16 - juris RdNr 26, 33 ff; SG Düsseldorf Urteil vom 8.12.2015 - S 1 VG 83/14 - juris RdNr 35 ff; Bienert, NZS 2017, 680; Dau, jurisPR-SozR 21/2015 Anm 5; Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht eV JAmt 2009, 252 f).
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Indes existiert in Deutschland kein allgemeines gesetzliches und erst recht kein strafbewehrtes Alkoholverbot für Schwangere. Vielmehr geht die gesetzliche Grundentscheidung des StGB dahin, dass pränatale Einwirkungen auf die Leibesfrucht, die sich nach der Geburt auswirken, straflos bleiben (Fischer, StGB, 67. Aufl 2020, RdNr 8 Vor §§ 211-217 mwN). Für ungeborenes Leben hat der Gesetzgeber im Strafrecht keinen mit §§ 223 ff StGB vergleichbaren Schutz vor vorsätzlichen oder fahrlässigen Schädigungen der körperlichen Integrität vorgesehen. Die Schutzwirkung der Körperverletzungs- und Tötungsverbote (§§ 211 ff und §§ 223 ff StGB) beginnt erst mit der Geburt des Menschen, während Einwirkungen auf die Leibesfrucht nur über die Bestimmungen des strafbaren Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff StGB) mit Strafe bewährt sind (BGH Beschluss vom 2.11.2007 - 2 StR 336/07 - juris RdNr 13 sowie Laufhütte in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl 2018, § 223 RdNr 18). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in strafrechtlicher Hinsicht aus einem erheblichen und regelmäßigen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft der Mutter eine Garantenstellung erwachsen kann, die sie etwa dazu verpflichten kann eine Geburt nicht ohne ärztlichen Beistand durchzuführen (vgl BGH Urteil vom 12.11.2009 - 4 StR 227/09 - juris RdNr 20). Nur wenn daher die Mutter eines ungeborenen Kindes mit ihrem Alkoholkonsum im Einzelfall ausnahmsweise eine strafbare Vorsatztat begangen hat, besteht die nach dem OEG erforderliche feindselige Willensrichtung. Als eine solche strafbare Vorsatztat kommt im Rahmen der strafrechtlichen Systematik allein ein versuchter Schwangerschaftsabbruch infrage (§ 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB), also eine versuchte, aber erfolglose Einwirkung auf die Leibesfrucht mit dem Ziel, sie im Mutterleib zu töten oder eine lebensunfähige Frühgeburt herbeizuführen (vgl BGH Beschluss vom 2.11.2007 - 2 StR 336/07 - juris RdNr 17; Fischer, StGB 67. Aufl 2020, § 218 RdNr 5).
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Der persönliche Strafausschließungsgrund des § 218 Abs 4 Satz 2 StGB steht dieser Annahme einer feindseligen Willensrichtung durch einen vorsätzlichen versuchten Schwangerschaftsabbruch nicht entgegen. Der versuchte Schwangerschaftsabbruch bleibt in strafrechtlicher Hinsicht Unrecht, obwohl § 218 Abs 4 Satz 2 StGB die Schwangere - im Unterschied zu etwaigen Teilnehmern der Tat - insoweit privilegiert (Laufhütte in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl 2018, § 218 RdNr 50 mwN; vgl auch BVerfG Urteil vom 28.5.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 - juris RdNr 161 ff; BVerfG Urteil vom 25.2.1975 - 1 BvF 1/74 ua - juris RdNr 174 ff). Allgemein braucht der Täter für einen tätlichen Angriff nicht strafrechtlich wegen einer Vorsatztat verurteilt worden zu sein (vgl etwa Senatsurteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 2/06 R - juris RdNr 15; Senatsurteil vom 18.4.2001 - B 9 VG 3/00 R - BSGE 88, 96, 98 = SozR 3-3800 § 2 Nr 10 S 44 f = juris RdNr 14; BT-Drucks 7/2506 S 14).
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bb) Die Gesetzessystematik, die Gesetzgebungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck des OEG sprechen ebenfalls dafür, die Entschädigungsansprüche der durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft geschädigten Kinder auf Fälle des versuchten Schwangerschaftsabbruchs zu begrenzen.
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Das OEG ist systematisch an das Strafrecht angelehnt; zugrunde liegt die Erwägung, dass den Staat eine besondere Verantwortung für Personen trifft, die durch eine Gewalttat oder eine gleichgestellte Tat geschädigt werden. Verfehlt der Staat seine ureigene Schutzaufgabe, die Bürger vor Gewalttätern zu schützen, so trifft ihn eine Verantwortung für die Entschädigung der Opfer (Senatsurteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R - BSGE 120, 89 = SozR 4-3800 § 1 Nr 22, RdNr 15; Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 28). Entschädigt werden sollen aber nicht alle Opfer von Straftaten, sondern nur solche von Gewaltkriminalität, weil diese die öffentliche Ordnung besonders empfindlich stören, sowie gleichgestellte Personengruppen. Der Gesetzgeber wollte das OEG nicht als "allgemeine Volksversicherung" ausgestalten (BT-Drucks 7/2506, S 10), die alle Verletzungsrisiken durch das Handeln Dritter abdeckt (Senatsurteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 71 f, 72 f = juris RdNr 14, 17).
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Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Vernachlässigung der Sorgfaltspflichten, die der Schwangeren gegenüber dem künftigen Kind obliegen, wie etwa Alkoholmissbrauch, schuldhafte Infektionen, Ernährungsfehler und gefährliche Lebensweisen, bewusst nicht mit Strafe bedroht. Einen strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Kindes vor der eigenen Mutter im Schwangerschaftsverlauf, der über die §§ 218 ff StGB hinausgeht, hat er weder für durchführbar noch für rechtspolitisch tragbar gehalten (vgl dazu: BGH Urteil vom 22.4.1983 - 3 StR 25/83 - juris RdNr 8 ff; Laufhütte ua in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl 2018, Vorbemerkung zu § 211 RdNr 8 f). Daher wurde ein Diskussionsentwurf des Bundesministers der Justiz vom 29.4.1986 eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen (abgedruckt in Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl 1991, S 349 ff) nicht aufgegriffen.
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Schäden für das ungeborene Kind durch Alkoholkonsum der Schwangeren soll vielmehr ein präventiver Ansatz aus verbesserter Aufklärung, Beratung und Diagnostik abwenden (Drogen- und Suchtbericht 2019 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung S 66 ff; Antwort der Bundesregierung vom 2.1.2019 auf die Kleine Anfrage zu Fetalen Alkoholspektrumstörungen, BT-Drucks 19/6794, S 2 ff). Insbesondere soll in der Bevölkerung die Botschaft "Kein Alkohol in der Schwangerschaft!" umfassend kommuniziert und zur "sozialen Norm" werden (vgl BT-Drucks 19/6794 S 5), also gerade nicht zu einem strafrechtlich sanktionierten Verbot.
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Dementsprechend sind Kinder mit einem Fetalen Alkoholsyndrom auch nicht als Leistungsberechtigte in das Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch (SGB XIV) aufgenommen worden, obwohl das Gesetz die Ansprüche von (durch erhebliche Vernachlässigung) geschädigten Kindern erweitert hat (§ 14 Abs 1 Nr 5 SGB XIV in der ab 1.1.2024 geltenden Fassung des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019, BGBl I 2652). Dem Gesetzgeber ist die Problematik der Schädigung von Ungeborenen durch Alkohol während der Schwangerschaft bereits seit langem bekannt (Czerner, ZKJ 2010, 220 mwN; BT-Drucks 19/6794, S 2), trotzdem hat er es beim begrenzten Schutz ungeborener Kinder im OEG wie im Strafrecht belassen. Diese Erwägungen schließen gleichzeitig eine planwidrige Lücke im Regelungsplan des Gesetzgebers und damit eine Analogie zu § 1 OEG aus, die einen Anspruch der Klägerin aufgrund ihrer Schädigung durch den Alkoholkonsum der leiblichen Mutter während der Schwangerschaft begründen könnte.
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cc) Aus den oben genannten Gründen reicht es für einen Anspruch auf Opferentschädigung schließlich nicht aus, wenn das Handeln eines Täters lediglich einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch begründet oder gegen subjektive Rechte eines Kindes gerichtet ist, ohne die Grenze des strafbaren Unrechts zu überschreiten (aA Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 6. Aufl 2015, § 1 RdNr 27; Heinz, ASR 2017, 134, 140). Denn wie gezeigt erfordert die Anknüpfung des OEG an das Strafrecht, dass das Verhalten des Täters zumindest auf ein kriminelles Unrecht im Sinne des Strafrechts gerichtet ist (Senatsurteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72 = juris RdNr 15).
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c) Die Mutter der Klägerin hat durch ihren Alkoholkonsum keine strafbare Vorsatztat in Form eines versuchten Schwangerschaftsabbruchs iS des § 218 Abs 4, § 22 StGB begangen. Sie hat damit nicht in feindseliger Willensrichtung gehandelt und deshalb keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auf ihre Tochter unternommen. Das ergibt sich aus den Feststellungen des LSG, die den Senat nach § 163 SGG binden.
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Wie das angefochtene Urteil ausführt, hat die Mutter der Klägerin während ihrer Schwangerschaft wiederholt Alkohol in erheblichen Mengen zu sich genommen; die Klägerin hat dadurch erhebliche gesundheitliche Schäden in Gestalt eines Fetalen Alkoholsyndroms mit globaler Entwicklungsverzögerung erlitten. Wie das LSG weiter festgestellt hat, wusste die leibliche Mutter der Klägerin um die schädliche Wirkung des Alkohols für das ungeborene Kind und hat sie in Kauf genommen. Trotzdem ist das LSG zu dem Schluss gekommen, es lägen keine Anhaltspunkte für einen versuchten Schwangerschaftsabbruch iS des § 218 Abs 4, § 22 StGB vor. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
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Die Tathandlung des Schwangerschaftsabbruchs kann darin bestehen, das Ungeborene im Mutterleib zu töten oder eine Frühgeburt im Stadium der Lebensunfähigkeit herbeizuführen (Gropp in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl 2017, § 218 RdNr 14 mwN; s dazu auch oben bb). Für einen versuchten Schwangerschaftsabbruch muss der Täter sich Tatumstände vorstellen, bei deren Verwirklichung der Tatbestand der Abtreibung erfüllt wäre; sein Wille muss auf die Vollendung der Tat gerichtet sein (§ 22 StGB). Eine so weitreichende Vorstellung der leiblichen Mutter der Klägerin hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Das gilt insbesondere für einen zumindest bedingten, auf vollendete Tötung gerichteten Vorsatz.
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Bedingt vorsätzlich handelt ein Täter, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ihn ferner billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH Urteil vom 22.3.2012 - 4 StR 558/11 - juris RdNr 26 mwN; Senatsurteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 291 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 44 f = juris RdNr 15 jeweils mwN). Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ist umso eher zu bejahen, je wahrscheinlicher eine Todesfolge durch eine gefährliche (Gewalt-)Handlung ist; maßgeblich ist vor allem, ob und wie offensichtlich die Lebensgefährlichkeit der Handlung für den Täter ist (Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision, 2011, S 9 mwN). Steht nicht die Gefährlichkeit einer einzelnen Handlung in Rede, sondern ein längerer Prozess, dann erfordert bedingter Vorsatz die geistige Vorwegnahme seines möglichen Endes (vgl BGH Beschluss vom 3.12.1997 - 3 StR 569/97 - juris RdNr 3).
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Was das Willenselement des bedingten Vorsatzes angeht, steht vor dem Tötungsvorsatz eine viel höhere Hemmschwelle als vor dem Gefährdungs- oder Verletzungsvorsatz (Neumann/Saliger in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl 2017, § 212 RdNr 10 mwN zur ständigen Rechtsprechung des BGH; zum Alkoholeinfluss vgl BGH Beschluss vom 25.9.2019 - 4 StR 448/19 - RdNr 5 mwN). Die Tötung des eigenen Kindes zu billigen oder zumindest billigend in Kauf zu nehmen, erfordert naturgemäß sogar die Überschreitung höchster Hemmschwellen (vgl BGH Urteil vom 17.6.2015 - 5 StR 75/15 - juris RdNr 8; BGH Beschluss vom 13.3.2007 - 5 StR 320/06 - juris RdNr 9; Neumann/Saliger aaO).
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Einen solchen weitreichenden bedingten Tötungsvorsatz ihrer Mutter gegen die Klägerin hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Wie das angefochtene Urteil ausführt, wusste ihre Mutter nur, dass ihr Alkoholkonsum "nicht gut für die Gesundheit" des ungeborenen Kindes war und dieses "schädigen" würde (Wissenselement). Das Berufungsgericht hat somit einen bedingten Verletzungsvorsatz bejaht, den wesentlich weiterreichenden, zumindest bedingten Vorsatz, durch den Konsum von Alkohol ihre ungeborene Tochter zu töten, aber verneint. Zwar hat die Mutter der Klägerin bei ihrer Vernehmung vor dem SG ihrem Alkoholkonsum die Schuld am plötzlichen Kindstod eines im Jahr 2000 geborenen und im Jahr 2002 gestorbenen älteren Bruders der Klägerin gegeben. Der Vater der Klägerin hat dem SG von der Frühgeburt einer weiteren Tochter berichtet, die nach zwei Tagen verstorben sei. Daraus brauchte das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung aber nicht zwingend zu schließen, dass die Mutter nunmehr über die Schädigung hinaus den Tod der ungeborenen Klägerin infolge ihres Alkoholkonsums als möglich und nicht ganz fernliegend angesehen hätte.
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Noch weniger hat das Berufungsgericht irgendwelche Indizien dafür festgestellt, dass die Mutter der Klägerin über deren Schädigung hinaus ihren Tod im Rechtssinne gebilligt und dafür die entgegenstehende höchste natürliche Hemmschwelle von Eltern bei der Tötung ihres Kindes überwunden hätte (Wollenselement). Vielmehr hat nach seinen Feststellungen umgekehrt der Tod des älteren Bruders der Klägerin, also die Trauer um ein verlorenes Kind, gerade zum Alkoholkonsum ihrer Mutter beigetragen.
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Seine knappen, im Ergebnis aber noch ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, mit denen das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, binden den Senat nach § 163 SGG. Denn die Klägerin hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben; insbesondere hat sie keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 103 Satz 1 SGG gerügt (vgl Senatsurteil vom 12.9.2019 - B 9 V 2/18 R - BSGE 129, 87 = SozR 4-7190 § 4 Nr 1 = juris RdNr 31 mwN). Sie hält dem LSG lediglich entgegen, der fortgesetzte und "wohl noch" steuerbare Alkoholmissbrauch der Mutter der Klägerin stelle angesichts der Schädigung älterer Geschwister durch Alkohol durchaus einen Versuch des Schwangerschaftsabbruchs dar, weil diese um die schädlichen Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs gewusst habe. Die allgemeine Kenntnis von einer möglichen schädigenden Wirkung von Alkohol unterscheidet sich aber maßgeblich von der konkreten Vorstellung, das Ungeborene durch Alkoholkonsum zu töten. Was das Wissenselement des Vorsatzes angeht, versucht die Prozessbevollmächtigte der Klägerin letztlich nur, ihre eigene Interpretation des Sachverhalts an die Stelle der Feststellungen des LSG zu setzen. Mit der Verneinung des Wollenselements des Vorsatzes durch das LSG setzt sie sich überhaupt nicht auseinander. Damit kann sie die Bindungskraft der Feststellungen und die Beweiswürdigung des LSG nicht erschüttern.
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4. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche schließlich auch nicht auf § 1 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 2 Nr 1 OEG stützen, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 OEG nicht erfüllt sind. Das Merkmal der Beibringung von Gift ist § 224 Abs 1 Nr 1 StGB (bzw § 229 Abs 1 StGB aF) nachgebildet; es erfasst aufgrund der Gesetzessystematik und des Gesetzeszwecks nur strafrechtlich relevante Handlungen. Denn die Vorschrift will "Straftaten" mit einem tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG gleichstellen, die zur Tötung oder Verletzung eines Menschen führen können und nach allgemeiner Auffassung als Gewalttaten angesehen werden, weil die möglichen schweren Tatfolgen die Vergiftung so stark in die Nähe der Gewaltkriminalität rücken, dass die Einbeziehung in die Entschädigungsregelung geboten erscheint (BT-Drucks 7/2506, S 14). Wie das LSG indes zutreffend angenommen hat, ist das Verhalten der leiblichen Mutter der Klägerin nicht als strafbares Unrecht anzusehen; weshalb es die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 1 OEG ebenfalls nicht erfüllt.
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5. Das Verfassungsrecht gebietet keine weitergehende Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG. Die vom Senat gefundene Auslegung verstößt weder gegen Art 2 Abs 2 Satz 1 GG (dazu unter a) noch gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter b).
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a) Ein Anspruch der Klägerin auf Opferentschädigung lässt sich nicht mit einer grundrechtskonformen Auslegung aufgrund von Art 2 Abs 2 Satz 1 GG begründen. Zwar schützt Art 2 Abs 2 Satz 1 GG auch das werdende Leben im Mutterleib vor der Mutter (BVerfG Urteil vom 28.5.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 - juris RdNr 157 ff; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl 2020, Art 2 RdNr 82 mwN). Jedoch berühren die Regelungen des OEG die körperliche Unversehrtheit der Klägerin nicht. Ein Entschädigungsanspruch nach diesem Gesetz könnte eingetretene Schäden durch einen Angriff iS des § 1 OEG nicht ungeschehen machen. Aus demselben Grund vermag die aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG folgende Pflicht des Staates, das menschliche Leben zu schützen, keinen Anspruch der Klägerin nach dem OEG zu begründen. Das Gesetz ist vielmehr nur darauf ausgerichtet, den Opfern von Gewalttaten einen Ausgleich für Schäden zukommen zu lassen, die bereits eingetreten sind. Ohnehin hat Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten einen weiten Spielraum (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl 2020, Art 2 RdNr 92 mwN). Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber unter Beachtung des Untermaßverbotes seine Pflicht zum Schutz ungeborenen Lebens durch präventive Maßnahmen zu erfüllen versucht; insbesondere ist er nicht verpflichtet, die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutz des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für zweckdienlich und geboten erachtet (vgl BVerfG Urteil vom 25.2.1975 - 1 BvF 1/74 ua - juris RdNr 159, 173). Bedingt durch das Tatbestandsmerkmal der feindseligen Willensrichtung reicht der Schutz des OEG grundsätzlich nicht weiter als derjenige des Strafrechts und unterliegt deshalb im Verhältnis der leiblichen Mutter zu ihrem ungeborenen Kind denselben Beschränkungen (s dazu unter 3. b). Schutzlos gestellt wird die Klägerin dadurch nicht. Wegen ihrer Schädigung ist bei ihr ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden, der Ansprüche und Vergünstigungen in einer Vielzahl von bundes-, landes-, kommunalrechtlichen und anderen Bestimmungen eröffnet (vgl Senatsurteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 8/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 8 RdNr 16 mwN). Zudem hat sie seit 2011 Leistungen der Pflegeversicherung bezogen.
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b) Der Ausschluss der Klägerin vor der Versorgung nach dem OEG verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, der die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz gebietet. Der Gesetzgeber verletzt das Gleichbehandlungsgebot, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (zum OEG: BVerfG Beschluss vom 9.11.2004 - 1 BvR 684/98 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 = juris RdNr 56). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch wenn die Klägerin - etwa im Vergleich zu Kindern, die erst während der Stillphase durch den Alkoholkonsum ihrer Mutter geschädigt werden - ungleich behandelt wird, so ist dies im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers dennoch durch Sachgründe gerechtfertigt, weil die Schädigung der Klägerin nicht ohne Systembruch dem Anwendungsbereich des OEG zugeordnet werden kann. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des OEG im Hinblick auf die Struktur des Opferentschädigungsrechts maßgeblich darauf abstellt, ob die Schädigung eines ungeborenen Kindes durch kriminelles Unrecht erfolgte oder nicht (vgl BVerfG Beschluss vom 20.5.1987 - 1 BvR 762/85 - BVerfGE 75, 348 = SozR 2200 § 555a Nr 3 = juris RdNr 38). Anderenfalls käme es zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Ausweitung des Schutzsystems des OEG auf Handlungen, bei denen es an einem tätlichen Angriff fehlt (Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 32).
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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