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BSG 11.02.2020 - B 10 ÜG 16/19 B
BSG 11.02.2020 - B 10 ÜG 16/19 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - Wiedergutmachung auf andere Weise - keine Geldentschädigung bei völlig aussichtsloser Ausgangsklage - Feststellung der Überlänge - tatsachengerichtliche Würdigung der Einzelfallumstände - keine Divergenzfähigkeit von Entscheidungen des BGH oder BFH - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG, § 242 BGB
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 13. August 2019, Az: L 13/15 SF 26/18 EK AL, Gerichtsbescheid
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Gerichtsbescheid des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3900 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine Entschädigung iHv 3900 Euro für die unangemessene Dauer seiner Klage gegen die negative Kostenentscheidung eines Widerspruchsverfahrens vor dem SG Aurich (Az S 21 AL 31/14). Diesen Anspruch hat das LSG als Entschädigungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 13.8.2019 verneint und für das Klageverfahren festgestellt, dass die Dauer des vor dem SG geführten Verfahrens unangemessen gewesen sei. Liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, sei der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auch bei einer substanzlosen Klage verletzt. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers von Anfang an unbegründet gewesen sei, könne dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt werde. Die genaue Festlegung der Verzögerungsmonate sei entbehrlich. Angesichts der von Beginn an feststehenden Aussichtslosigkeit der Klage seien mit der Verzögerung keine sonstigen Nachteile verbunden gewesen. Der Kläger sei durch den angefochtenen Abhilfebescheid nicht beschwert gewesen. Wenn er gleichwohl Widerspruch eingelegt habe, so könne dies nur seinem Gebühreninteresse geschuldet gewesen sein. Dementsprechend habe der Kläger im Klageverfahren S 21 AL 31/14 auch nur noch seinen Kostenerstattungsanspruch weiterverfolgt, welcher indes für jeden Rechtskundigen erkennbar offensichtlich nicht bestanden habe. Substanzlose Klagen wie die hier in Rede stehende, welche unter Ausnutzung der Gerichtskostenfreiheit sozialgerichtlicher Verfahren erhoben würden, trügen maßgeblich zur Überlastung der SG bei und führten dazu, dass anderen Rechtsuchenden der ihnen zukommende Rechtsschutz oftmals nur mit erheblicher Verzögerung gewährt werden könne. Es sei vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt, die Erhebung derartiger Klagen, die zu Recht nicht vorrangig bearbeitet würden, mit der Zuerkennung von Entschädigungsansprüchen für eine überlange Verfahrensdauer zu honorieren. Da im Ausgangsverfahren lediglich eine Forderung in Höhe von 380,80 Euro im Streit gestanden habe, sei auch die berufliche Existenz des Klägers nicht von dem Ausgang des Verfahrens abhängig gewesen.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der er rügt, das LSG sei von der Rechtsprechung des BSG und weiterer LSG abgewichen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründungen vom 7.9.2019 und 15.9.2019 genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes der Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die BSG-Entscheidung, von der die angefochtene Entscheidung des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss also darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Entscheidung der Vorinstanz tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Die Beschwerde muss einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, die angegriffene Entscheidung weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die Entscheidung des LSG auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl Senatsbeschluss vom 18.9.2018 - B 10 ÜG 9/18 B - juris RdNr 11 mwN).
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Diese Begründungserfordernisse hat der Kläger nicht ausreichend berücksichtigt. Er trägt im Wesentlichen vor, der abweisende Gerichtsbescheid des LSG beruhe auf der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei, obwohl das notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehle. Insoweit weiche das LSG von der Entscheidung des BSG vom 12.2.2015 (B 10 ÜG 8/14 B) ab. Folgend der Rechtsprechung des BSG (Entscheidungen vom 13.11.2012 - B 1 KR 66/12 B -, vom 28.5.1957 - 3 RJ 98/54 -, vom 15.11.2012 - B 8 SO 23/11 R - und vom 25.9.2014 - B 8 SO 50/14 B) sowie der Rechtsprechung einiger LSG sei zudem gar kein Rechtsmissbrauch festzustellen. Die Entscheidung des BFH vom 17.4.2013 (X K 3/12) habe hingegen nicht herangezogen werden dürfen, da es sich nicht um eine Entscheidung aus dem Sozialrecht gehandelt habe. Selbst wenn man der Rechtsansicht des BFH folgen sollte, so hätten dem Kläger allenfalls 75 % der Kosten auferlegt werden können.
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Mit diesem Vorbringen hat der Kläger nicht in ausreichendem Maße aus dem angefochtenen Gerichtsbescheid des LSG einen abstrakten Rechtssatz herausgearbeitet, mit dem sich das LSG in Gegensatz zur Rechtsprechung des BSG gesetzt hätte. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es dabei nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zunächst unerheblich, ob sich das LSG mit seiner Rechtsprechung in Widerspruch zu anderen LSG gesetzt hat. Im Übrigen hat sich das Entschädigungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BSG bezogen und lediglich festgestellt, dass angesichts der von Beginn an feststehenden Aussichtslosigkeit der Klage im Ausgangsverfahren mit deren Überlänge keine sonstigen Nachteile verbunden gewesen seien, ein Feststellungsanspruch hinsichtlich der unangemessenen Verfahrensdauer mithin ausreichend sei. Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander und ebenso wenig damit, warum die zitierte Entscheidung des BFH nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG stehen sollte.
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Selbst wenn das LSG darüber hinaus einen höchstrichterlichen Rechtssatz in der Rechtsprechung des BSG unter Hinweis auf Rechtsprechung des BGH oder des BFH - deren Entscheidungen nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht divergenzfähig sind - missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte, so kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufstellen wollen. Die Bezeichnung einer Abweichung setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG in der angefochtenen Entscheidung in Frage stellt und demgegenüber einen eigenen Rechtssatz hat aufstellen wollen. Dies ist nicht der Fall, wenn es die Rechtsprechung des BSG in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 7.6.2019 - B 10 EG 17/18 B - juris RdNr 6 mwN). Soweit der Kläger geltend macht, das LSG sei zu Unrecht von einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis und einem Rechtsmissbrauch seinerseits ausgegangen und habe sich in Widerspruch zur dahingehenden Rechtsprechung des BSG gesetzt, fehlt es gleichfalls an einem abweichenden Rechtssatz durch das LSG. Dieses hat nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung lediglich im Rahmen seiner tatrichterlichen Prüfung festgestellt, ob nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalles für den Kläger eine Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung der Überlänge des Verfahrens ausreichend ist. Die von dem Kläger behauptete Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung des LSG aufgrund einer (vermeintlichen) Nichtbeachtung von Rechtsprechung des BSG unter fehlerhafter Anwendung dortiger Maßstäbe sowie ggf eine fehlerhafte Rechtsanwendung des SG als Ausgangsgericht reicht nicht für eine Zulassung der Revision wegen Divergenz aus (vgl Senatsbeschluss vom 18.9.2018 - B 10 ÜG 9/18 B - juris RdNr 12 mwN). Dies gilt auch für die pauschale Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 4.2.2019 (B 10 ÜG 10/18 B - juris) betreffend einen sich selbst vertretenden Rechtsanwalt. Auch insoweit hat die Beschwerde aus dem angefochtenen Gerichtsbescheid des LSG keinen abstrakten Rechtssatz herausgearbeitet, mit dem sich dieses in Gegensatz zur Rechtsprechung des BSG gesetzt hätte (s hierzu zB Senatsbeschluss vom 7.10.2016 - B 10 ÜG 16/16 B - RdNr 5 ff).
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2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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4. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1, Abs 3 GKG, weil der Kläger in der genannten Höhe durch das LSG-Urteil beschwert ist.
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