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BSG 30.10.2019 - B 14 AS 258/18 B
BSG 30.10.2019 - B 14 AS 258/18 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidung des LSG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Ermessensentscheidung - Ermessensfehler - Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung - Einverständnis der Beteiligten - Wirksamkeit der Einverständniserklärung - wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage - absoluter Revisionsgrund
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Duisburg, 22. Januar 2018, Az: S 41 AS 1963/16, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 13. September 2018, Az: L 12 AS 278/18, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. September 2018 - L 12 AS 278/18 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Streitgegenstand ist ein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt, der für den Zeitraum 10.2.2016 bis 9.8.2016 galt (Bescheid vom 10.2.2016; Widerspruchsbescheid vom 13.4.2016).
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Auf Anfrage des SG hat der Kläger am 25.6.2016 erklärt, mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein. Mit gerichtlichem Hinweisschreiben vom 6.9.2017 hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Klage nach Ablauf des Geltungszeitraums des Verwaltungsakts unzulässig geworden sei. Das SG hat ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage als unzulässig abgewiesen; ein erneutes Einverständnis hierzu hat es nicht eingeholt (Urteil vom 22.1.2018). Die Berufung des Klägers hat das LSG mit Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG zurückgewiesen (Beschluss vom 13.9.2018). Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
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II. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 13.9.2018 ist zulässig, denn er hat mit ihr eine Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG und damit zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Beschwerde ist insoweit auch begründet.
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Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid ist. Die Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann vom Revisionsgericht nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden (stRspr; vgl nur BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 153 RdNr 16 mwN).
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Eine solche Fehleinschätzung liegt hier vor. Sie setzt voraus, dass die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände nicht zu rechtfertigen ist (zuletzt BSG vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B - RdNr 10 mit Nachweis älterer Rechtsprechung). Dies ist ua dann der Fall, wenn (bereits) das SG unter Berufung auf § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte, obwohl dies nicht zulässig war (ausführlich BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 188/10 B - RdNr 5). Der Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens wirkt in der Entscheidung des LSG fort, wenn dieses ebenfalls ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entscheidet.
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Die Entscheidung des SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erfolgte vorliegend verfahrensfehlerhaft, weil es an einem wirksamen Einverständnis fehlte. Mit Ablauf des Geltungszeitraums des streitgegenständlichen Verwaltungsakts hatte sich die Sachlage entscheidungserheblich geändert. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass die - vorliegend noch im Geltungszeitraum des Verwaltungsakts abgegebene - Einverständniserklärung bei wesentlicher Änderung der Sach- oder Rechtslage ihre Wirksamkeit verliert, weil sie unter dem Vorbehalt der im Wesentlichen unveränderten Prozesslage steht (vgl nur BSG vom 6.10.1999 - B 1 KR 17/99 R - SozR 3-1500 § 124 Nr 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 124 RdNr 3 f mwN).
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Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger vom SG auf die veränderte Sachlage hingewiesen worden war und nicht von sich aus erklärt hatte, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr einverstanden zu sein, sondern stattdessen eine vermeintliche Überlänge des Verfahrens gerügt hat. Da das ursprünglich erteilte Einverständnis nach dem oben genannten Maßstab unwirksam geworden war, musste es erneut "klar, eindeutig und vorbehaltlos" (BSG vom 3.6.2009 - B 5 R 306/07 B - RdNr 10 mwN) erklärt werden, um gleichwohl eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG zu ermöglichen. Dies war nicht erfolgt.
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Wegen des vorliegenden Verfahrensmangels war das LSG bei seinem Beschluss nicht vorschriftsmäßig besetzt. Die Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG wegen der fehlerhaften Ermessensbetätigung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 155/16 B und B 14 AS 156/16 B - jeweils RdNr 4 mit Nachweisen älterer Rechtsprechung). Dieser die angefochtene Entscheidung des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).
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Die zuletzt mit Schreiben des Klägers vom 4.8.2019 persönlich erfolgten Ausführungen können schon wegen des nach § 73 Abs 4 SGG geltenden Vertretungszwangs nicht berücksichtigt werden.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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