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BSG 02.07.2019 - B 2 U 156/18 B
BSG 02.07.2019 - B 2 U 156/18 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör - Einverständniserklärung gem § 124 Abs 2 SGG - Wirksamkeitsverlust bei wesentlicher Änderung der Prozesslage)
Normen
§ 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 2 SGG, § 160a Abs 5 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 MRK
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 16. September 2014, Az: S 68 U 537/12, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 14. Juni 2018, Az: L 3 U 172/14, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2018 aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt höhere Verletztenrente.
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Die Klägerin bezog aufgrund eines als Arbeitsunfall anerkannten Unfalles vom 24.7.1986 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 vH. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer höheren Verletztenrente ab, weil keine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten sei (Bescheid vom 14.6.2011 und Widerspruchsbescheid vom 2.8.2012). Auf die Klage hat das SG unter Änderung der Bescheide der Beklagten festgestellt, dass die Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes eine weitere Unfallfolge sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und insbesondere das Vorliegen eines höheren Grades der MdE abgelehnt (Gerichtsbescheid vom 16.9.2014).
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Die Klägerin hat mit ihrer Berufung neben der Verschlimmerung der anerkannten Unfallfolgen auch die Anerkennung einer Plantarfasziitis und einer Metatarsalgie im linken Fuß als weitere Unfallfolgen sowie eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 40 vH begehrt. Das LSG hat ein Sachverständigengutachten eines Orthopäden eingeholt. Nachdem der Senat des LSG den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6.10.2015 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hatte, hat der Berichterstatter ergänzende Stellungnahmen des Sachverständigen und auf Antrag der Klägerin ein weiteres Sachverständigengutachten eines Orthopäden mit dessen ergänzender Stellungnahme eingeholt. Die damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben es abgelehnt, zu einer mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 31.5.2018 in Berlin zu kommen, weil dieser Tag am Sitz ihrer Kanzlei in Nordrhein-Westfalen gesetzlicher Feiertag sei. Sie und die Beklagte haben daraufhin jeweils mit Schreiben vom 18.5.2018 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Nach dieser Einverständniserklärung hat der Berichterstatter am 23.5.2018 von der Beklagten weitere medizinische Unterlagen, ua die Nachschauberichte vom 14.9.2017 und 15.3.2018 sowie Berichte der Schuhsprechstunde der Unfallbehandlungsstelle B. gGmbH vom 4.10.2017 und 1.12.2017, eingeholt. Sodann hat er ein umfangreiches Schreiben vom 24.5.2018 an die Beteiligten gerichtet. Hierin hat er auf "verfahrensrechtliche Bedenken" und "Bedenken" in "der Sache selbst" hingewiesen. Weiterhin hat er den Beteiligten ua mitgeteilt, dass "eine alsbaldige instanzbeendende Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern … im schriftlichen Verfahren angestrebt" werde, "nachdem die Beteiligten nunmehr beiderseits auf eine mündliche Verhandlung verzichtet" hätten, und dass hierfür "seitens des Senats nunmehr der 14. Juni 2018 vorgemerkt worden" sei. Es werde kurzfristig um Stellungnahme gebeten, ob die Klägerin auch die gerichtliche Feststellung einer Plantarfasziitis und einer Metatarsalgie des linken Fußes begehre. Ferner erhalte die Klägerin Gelegenheit, ggf weitere die genannten Diagnosen und einen Unfallzusammenhang stützenden Unterlagen vorzulegen. Daraufhin haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, die genannten Gesundheitsstörungen würden als Unfallfolgen geltend gemacht und sie hätten die Klägerin gebeten, weitere Unterlagen bis zum 14.6.2018 vorzulegen. Die Klägerin hat am 13.6.2018 persönlich in der Geschäftsstelle des LSG angerufen und hat telefonisch beantragt, die Frist für die Einreichung weiterer Unterlagen zu verlängern. Der Berichterstatter hat daraufhin am selben Tag einen Beschluss gefasst, mit dem er den Antrag ablehnte. Es handele sich um einen formlosen Fristverlängerungsantrag. Aus der vagen Begründung ließen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass mit der Ablehnung der Fristverlängerung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs eintrete. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin selbst haben mit am 14.6.2018 eingegangenem Fax vom 14.6.2018 nochmals um Fristverlängerung gebeten. Die Klägerin persönlich hat mit ebenfalls am 14.6.2018 eingegangenem Fax ärztliche Unterlagen eingereicht. Mit Urteil vom 14.6.2018 ohne mündliche Verhandlung hat der Berichterstatter als Vorsitzender mit zwei ehrenamtlichen Richtern die Berufung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, die Beteiligten hätten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Mit der Entscheidung im vorliegenden Berufungsverfahren habe auch aufgrund des Fristverlängerungsantrags der Klägerin nicht weiter zugewartet werden müssen, nachdem der Berichterstatter dieses mit Beschluss vom 13.6.2018 abgelehnt habe.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil des LSG rügt die Klägerin als Verfahrensmangel die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde ist zulässig. Insbesondere genügt die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen kann.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. Das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das LSG am 14.6.2018 nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen und damit das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat.
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Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Eine Einverständniserklärung, deren Vorliegen das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung von Amts wegen zu prüfen hat, verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich geändert hat (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B - UV-Recht Aktuell 2016, 269, und vom 11.4.2013 - B 2 U 359/12 B - UV-Recht Aktuell 2013, 683 mwN). Das war hier im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 14.6.2018 der Fall.
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Das jeweils mit Schreiben vom 18.5.2018 erklärte Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG am 14.6.2018 seine Wirksamkeit verloren, weil sich die Prozesssituation geändert hatte. Die bisherige Tatsachengrundlage hatte sich nach dem Eingang der Erklärungen der Beteiligten vom 18.5.2018 verändert, weil der Berichterstatter von der Beklagten weitere ärztliche Unterlagen beigezogen hat. Eine veränderte Prozesssituation lag aber insbesondere deshalb vor, weil der Berichterstatter am 24.5.2018 ein umfangreiches Schreiben zum Sach- und Streitstand an die Beteiligten übersandt und die Bevollmächtigten der Klägerin aufgefordert hatte, zum Streitgegenstand Stellung zu nehmen und ggf weitere Unterlagen einzureichen. Mit dieser Verfahrensweise hat das Gericht aus der Sicht eines objektiven Prozessbeobachters deutlich gemacht, dass es den Rechtsstreit gerade noch nicht für entscheidungsreif hält, sondern weitere Sachverhaltsaufklärung und prozessuale Erklärungen erforderlich sind. Die Klägerin persönlich und auch ihre Prozessbevollmächtigten haben auf dieses gerichtliche Hinweisschreiben deutlich gemacht, dass sie weitere Unterlagen beibringen möchten und um Fristverlängerung gebeten. Das LSG hat insofern verkannt, dass aufgrund der von ihm selbst geschaffenen neuen Sach- und Prozesslage die erteilten Einverständnisse mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr wirksam waren und ggf neu einzuholen gewesen wären. Das nicht mehr bestehende Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung konnte auch nicht durch den Beschluss vom 13.6.2018 wiederhergestellt werden, mit dem der Berichterstatter lediglich eine Fristverlängerung abgelehnt hatte, ohne die Problematik zu erkennen, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG ein wirksames Einverständnis der Beteiligten voraussetzt.
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Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG. Gerade die in Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B - UV-Recht Aktuell 2016, 269, vom 11.4.2013 - B 2 U 359/12 B - UV-Recht Aktuell 2013, 683, und vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 10).
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Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass es im Falle der Durchführung der gebotenen mündlichen Verhandlung zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn sie sich ergänzend in der mündlichen Verhandlung zu den rechtlichen und tatsächlichen Aspekten des Rechtsstreits hätte äußern und - wie von dem Berichterstatter angeregt - weitere ärztlichen Unterlagen hätte vorlegen können.
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Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat hat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und das Urteil des LSG wegen des festgestellten Verfahrensfehlers durch Beschluss aufgehoben sowie die Sache an das LSG zur Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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