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BSG 17.03.2016 - B 11 AL 6/16 B
BSG 17.03.2016 - B 11 AL 6/16 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zurückverweisung - Verfahrensmangel - Grundlagen des Urteils - Verletzung rechtlichen Gehörs - Hinweispflicht - Zweifel an der Urheberschaft der Rechtsmittelschrift - Einlegung der Berufung durch Computerfax mit eingescannter Unterschrift
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 128 Abs 2 SGG, § 151 Abs 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Cottbus, 6. Februar 2013, Az: S 19 AL 91/12, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 10. November 2015, Az: L 29 AL 68/13, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. November 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. In der Sache stritten die Beteiligten über das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe in der Zeit vom 28.4.2011 bis 20.7.2011; zuletzt ist die Zulässigkeit der Einlegung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Cottbus streitig gewesen.
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Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG als unzulässig verworfen (Beschluss vom 10.11.2015). Die durch Computerfax mit eingescannter Unterschrift eingelegte Berufung entspreche nicht dem Schriftformerfordernis des § 151 Abs 1 SGG. Diese Form solle gewährleisten, dass dem Schriftstück hinreichend zuverlässig entnommen werden könne, wer dessen Urheber sei, und dass das Dokument dem Gericht mit Wissen und Wollen des Urhebers zugeleitet worden sei. Hieran fehle es, weil eine zweifelsfreie Zuordnung des Dokuments wegen einer Vielzahl der vom Bevollmächtigten verwendeten Unterschriften nicht möglich sei. Auch sei zweifelhaft, ob der Bevollmächtigte die Absendung des Computerfaxes selbst veranlasst habe.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne. Zu Unrecht habe das LSG die mit Computerfax und eingescannter Unterschrift eingelegte Berufung als unwirksam angesehen. In Wirklichkeit seien Zweifel an der Echtheit der Unterschrift nicht gegeben. Die Ausführung zur Arbeitsbelastung des Bevollmächtigten und die Behauptung, dieser verwende vier "erheblich divergierende" Unterschriften, werde bestritten. Das LSG habe insoweit auf die seine Zweifel begründenden Umstände nicht hingewiesen, er habe sich dazu nicht äußern können. Ein weiterer Verfahrensfehler liege darin, dass das LSG dem Antrag vom 30.10.2015 auf Verlegung des Termins am 10.11.2015 nicht nachgekommen sei, obwohl der Bevollmächtigte arbeitsunfähig und sein "avisierter" Vertreter durch einen anderen Termin verhindert gewesen sei.
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II. Die Beschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, denn sie bezeichnet substantiiert die Tatsachen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36), aus denen sich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 128 Abs 2 SGG) ergeben kann.
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Die Beschwerde ist begründet, denn die gerügte Verletzung des § 128 Abs 2 SGG liegt vor. Das LSG hat sein Urteil auf Tatsachen und Ergebnisse gestützt, zu denen sich der Kläger nicht äußern konnte. Das Urteil kann auf diesem Mangel auch beruhen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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Die elektronische Übertragung einer Textdatei per Computerfax mit eingescannter Unterschrift ist grundsätzlich ein zulässiger Weg, die Berufung "schriftlich" iS des § 151 Abs 1 SGG einzulegen. Die Erfüllung des Formerfordernisses mittels eingescannter Unterschrift stellt dabei eine Ausnahme von dem im Übrigen weiterhin bestehenden Erfordernis dar, dass ein bestimmender Schriftsatz eigenhändig unterschrieben sein muss (dazu BVerfG Beschluss vom 18.4.2007 - 1 BvR 110/07 - NJW 2007, 3117; GmSOGB vom 5.4.2000, GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 164 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 151 RdNr 4, 5). Solche Formerfordernisse dienen der Rechtssicherheit und stellen eine verfassungsrechtlich zulässige Anforderung rechtsstaatlicher Verfahrensordnungen dar (BVerfG Beschluss vom 4.7.2002 - 2 BvR 2168/00 - NJW 2002, 3534). Deshalb wird im Falle der Einlegung einer Berufung durch Computerfax mit eingescannter Unterschrift (ergänzend) auch verlangt, dass sich aus dem Schriftstück selbst oder seinen Begleitumständen keine Zweifel an der Urheberschaft des Unterzeichners oder seinem Willen ergeben dürfen, das Schriftstück in den Verkehr zu bringen (stRspr; GmSOGB vom 5.4.2000, GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 162; BFH vom 22.6.2010 - VIII R 38/08 - BFHE 230, 115; BVerfG Beschluss vom 4.7.2002 - 2 BvR 2168/00 - NJW 2002, 3534, juris RdNr 23).
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Von diesen Maßstäben ausgehend trifft die Rüge des Klägers, es entspräche der langjährigen Entwicklung der Rechtsprechung, "… die Übermittlung bestimmender Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift … zuzulassen", in der Allgemeinheit nicht zu. Auch die Schlussfolgerung, eine Verpflichtung zur Wahrung der Schriftform bestehe nicht, lässt sich mit diesen Vorgaben nicht vereinbaren.
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Vorliegend hat das LSG aber den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Um das rechtliche Gehör zu wahren, darf das Gericht seine Entscheidung nicht auf Tatsachen oder Beweisergebnisse stützen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; dazu auch BVerfGE 86, 133, 144 f; BSG Beschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B). Bei den Umständen, die die Zweifel des LSG an der Urheberschaft des Bevollmächtigten oder seinem Willen, die Berufungsschrift in Verkehr zu bringen, begründen können, handelt es sich um (prozessuale) Tatsachen. Ob sie vorliegen, ist ggf im Wege des Freibeweises zu klären (BGH vom 24.7.2001 - VIII ZR 58/01 - juris RdNr 7). Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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Zwar hatte das LSG den Kläger auf einen möglichen Formmangel der Berufungsschrift hingewiesen. Hierauf hat der Bevollmächtigte reagiert und mitgeteilt, die Einlegung der Berufung per Computerfax mit eingescannter Unterschrift sei nach der Rechtsprechung zulässig. Das LSG hat darauf nicht mehr reagiert und hatte den Kläger auch nicht zuvor schon auf die Tatsachen hingewiesen, auf die es seine "Zweifel" stützte. Das LSG hat angenommen, der Bevollmächtigte des Klägers sei zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung möglicherweise ortsabwesend gewesen, er verwende mehrere voneinander abweichende Unterschriften, der Schriftsatz sei möglicherweise durch seine Mitarbeiter und ohne sein Zutun versandt worden.
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Der Hinweis des LSG auf seine "Zweifel" an Urheberschaft oder Verbreitungswillen und die diese Zweifel begründenden Tatsachen ist auch nicht entbehrlich gewesen. Der Kläger musste als gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem Hinweis des LSG auf mangelnde Schriftform nicht damit rechnen, das LSG könne die fehlende Einhaltung der Schriftform mit Zweifeln an Urheberschaft oder Verbreitungswillen des Bevollmächtigten begründen. Da die Einlegung eines Rechtsmittels per Computerfax mit eingescannter Unterschrift wahrt, und soweit sich "keine Zweifel" an der Urheberschaft des Unterzeichners oder seinem Willen ergeben, muss das LSG - wenn es sich auf diese Rückausnahme stützt - einen Hinweis geben, damit der Kläger ggf sich zu diesen Tatsachen äußern kann. Das LSG hat den Kläger nicht nur nicht auf die Umstände hingewiesen, die die Zweifel an Urheberschaft oder Verbreitungswillen des Bevollmächtigten begründeten, es hat auch auf die Quellen seiner Erkenntnisse nicht hingewiesen und diese nicht in den Rechtsstreit eingeführt. Eine Verletzung des § 128 Abs 2 SGG liegt damit vor.
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Das Urteil des LSG kann auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger sich bei Wahrung des rechtlichen Gehörs geäußert und die Zweifel des LSG - ggf nach Ermittlungen - ausgeräumt hätte. Soweit der Kläger weitere Verfahrensmängel rügt, kann der Senat deren Vorliegen dahinstehen lassen.
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Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wird.
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Das LSG wird in der abschließenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entschieden haben.
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