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BVerfG 20.12.2022 - 1 BvR 1654/22
BVerfG 20.12.2022 - 1 BvR 1654/22 - Verwerfung eines Widerspruchs gegen eine einstweilige Anordnung (§ 32 Abs 3 BVerfGG) ohne mündliche Verhandlung aufgrund fehlender Widerspruchsberechtigung
Normen
§ 32 Abs 3 BVerfGG, § 93d Abs 1 S 2 BVerfGG, § 94 Abs 5 BVerfGG
Vorinstanz
vorgehend OLG Oldenburg, 8. August 2022, Az: 11 UF 8/22, Beschluss
vorgehend OLG Oldenburg, 5. Juli 2022, Az: 11 UF 8/22, Beschluss
vorgehend BVerfG, 7. September 2022, Az: 1 BvR 1654/22, Beschluss
Tenor
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Der Widerspruch wird verworfen.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die gerichtliche Bestellung des den Widerspruch führenden Jugendamts zum Amtsvormund für zwei in der Ukraine geborene Kinder aufgrund fehlender rechtlicher Anerkennung der Beschwerdeführenden als deren Eltern und die darauffolgende zeitweilige Inobhutnahme der beiden betroffenen Kinder seitens des Jugendamtes. Die Bestellung des Jugendamts zum Vormund war durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 5. Juli 2022 erfolgt. Eine dagegen gerichtete Anhörungsrüge der Beschwerdeführenden wies das Oberlandesgericht am 8. August 2022 zurück. Mit Beschluss vom 7. September 2022 hat die Kammer die Wirksamkeit der beiden genannten Beschlüsse des Oberlandesgerichts vorläufig ausgesetzt. Hiergegen hat das Jugendamt Widerspruch eingelegt.
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II.
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Der Widerspruch gegen die von der Kammer erlassene einstweilige Anordnung vom 7. September 2022 ist zu verwerfen, weil er unzulässig ist.
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1. Dies kann auf der Grundlage von § 93d Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 3 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung durch die Kammer erfolgen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 32 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG) einen zulässigen Widerspruch voraus (vgl. BVerfGE 99, 49 50>; stRspr). Fehlt dem Widerspruchsführer die Berechtigung dazu, ist auch die Kammer befugt, den Widerspruch zu verwerfen (vgl. BVerfGE 99, 49 50 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Oktober 2021 - 1 BvR 1759/21 -, Rn. 6 m.w.N.). Die Zuständigkeit des Senats, in solchen Konstellationen entscheiden zu können, bleibt davon unberührt (vgl. BVerfGE 139, 378 380 Rn. 5>).
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2. Die Voraussetzungen für eine Verwerfung durch die Kammer liegen vor. Der Widerspruch ist unzulässig, weil dem Widerspruchsführer die Widerspruchsberechtigung fehlt.
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Widerspruchsberechtigt ist lediglich, wer am verfassungsgerichtlichen Verfahren beteiligt ist. Der Begünstigte des einer Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ausgangsverfahrens, wie hier das Jugendamt, ist zwar äußerungsberechtigt (§ 94 Abs. 3 BVerfGG). Ihm fehlt aber als einem nicht am verfassungsgerichtlichen Verfahren Beteiligten die Befugnis zum Widerspruch (vgl. BVerfGE 89, 119 120>; 99, 49 50>; stRspr). Eine Beteiligtenstellung können im Verfassungsbeschwerdeverfahren außer den Beschwerdeführenden selbst, die allerdings nach § 32 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG nicht widerspruchsberechtigt sind, lediglich die in § 94 Abs. 1, 2 und 4 BVerfGG genannten Verfassungsorgane erlangen, § 94 Abs. 5 BVerfGG (vgl. BVerfGE 99, 49 50>; 139, 378 380 Rn. 6> m.w.N.).
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III.
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Die Begründung des Widerspruchs gibt keinen Anlass, die einstweilige Anordnung von Amts wegen abzuändern oder vorläufig außer Vollzug zu setzen.
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1. Auf den Vortrag des Widerspruchsführers und die von ihm vorgelegten Unterlagen stützt das Oberlandesgericht die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen nicht.
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2. Im Übrigen ist das Vorbringen auch inhaltlich nicht geeignet, die Folgenabwägung der Kammer in ihrem Beschluss vom 7. September 2022 in Frage zu stellen.
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a) Die vorgebrachte Kooperations- und Kommunikationsverweigerung der Beschwerdeführerin zu 1) gegenüber dem Jugendamt und dem Allgemeinen Sozialen Dienst ändert nichts an einer möglichen erheblichen Kindeswohlbeeinträchtigung der knapp zweijährigen und damit höchst bindungssensitiven Kinder bei Trennung von ihrer Hauptbezugsperson, der Beschwerdeführerin zu 1), und bei Herauslösen aus ihrem gewohnten Alltagsumfeld durch die hohe Wahrscheinlichkeit von langfristigen psychischen und emotionalen Schäden. Dies zu berücksichtigen und mit einer vom Jugendamt angenommenen Kindeswohlgefährdung im Haushalt der Beschwerdeführerin zu 1) unter Einbeziehung möglicher milderer Mittel abzuwägen, ist Aufgabe der Fachgerichte. Erst im Anschluss kann das Bundesverfassungsgericht die entsprechende Begründung der fachgerichtlichen Entscheidungen auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe hin überprüfen.
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Jedenfalls zum Sorgerecht für die Kinder ist das fachgerichtliche Verfahren noch nicht zum Abschluss gekommen. Im zugrundeliegenden Ausgangsverfahren ist wegen der vorläufigen Aussetzung der Wirksamkeit der genannten Beschlüsse des Oberlandesgerichts durch die einstweilige Anordnung der Kammer vom 7. September 2022 aufgrund der derzeit nicht abgeänderten oder aufgehobenen Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengerichts - (…) vom 29. November 2021 im Verfahren 5 F 265/21 bislang von einem gemeinsamen Sorgerecht der Beschwerdeführenden für die betroffenen Kinder auszugehen. Da die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 5. Juli 2022 über die fachrechtliche Beschwerde des hier den Widerspruch führenden Jugendamts vorläufig ausgesetzt ist, steht eine Entscheidung darüber im Ausgangsverfahren derzeit aus. Die von der Kammer erlassene einstweilige Anordnung schließt eine Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts auch während des noch andauernden Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde jedenfalls aus verfassungsprozessualen Gründen nicht aus. Eine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Einzelfall angenommene Bindungswirkung (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) einstweiliger Anordnungen wird grundsätzlich nur dann in Betracht kommen können, wenn das Bundesverfassungsgericht bereits im Rahmen von Entscheidungen im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Ausführungen zur Auslegung und Anwendung von Verfassungsrechtsnormen gemacht hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2006 - 1 BvQ 4/06 -, Rn. 30). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 7. September 2022 lediglich die Möglichkeit einer eigenständigen Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführenden aus Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts über deren fachrechtliche Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) angenommen.
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b) Die durch das genannte Familiengericht in dem einstweiligen Anordnungsverfahren 5 F 226/22 EAHK erlassene Anordnung des Verbleibs der Kinder im Haushalt der Beschwerdeführerin zu 1) durch Beschluss vom 31. August 2022 ist nicht Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Ungeachtet dessen stützten die dortigen Feststellungen und die darauf basierenden fachrechtlichen Wertungen eher die von der Kammer getroffene Folgenabwägung.
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