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BVerfG 04.06.2020 - 1 BvR 2846/16
BVerfG 04.06.2020 - 1 BvR 2846/16 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose, da nicht hinreichend substantiierte Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzes in einer krankenversicherungsrechtlichen Sache
Normen
Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 11 SGB 5, § 12 SGB 5, § 39 Abs 1 S 2 SGB 5, § 73 Abs 4 S 1 SGB 5
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 10. November 2016, Az: L 6 KR 64/16 B ER, Beschluss
vorgehend SG Neubrandenburg, 6. Juli 2016, Az: S 17 KR 146/16 ER, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die vorläufige Verpflichtung der beklagten gesetzlichen Krankenversicherung der Beschwerdeführerin zur Bewilligung einer stationären Krankenbehandlung in einem auf umweltmedizinische Erkrankungen spezialisierten Krankenhaus im fachgerichtlichen Eilverfahren.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, denn sie ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten auf.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist hingegen nicht bereits aus anderen Gründen unzulässig, insbesondere nicht wegen der verspäteten Vorlage von Unterlagen oder des Grundsatzes der Subsidiarität.
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a) Die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für den der Beschwerdeführerin am 17. November 2016 zugestellten Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10. November 2016 - L 6 KR 64/16 B ER - endete am Montag, den 19. Dezember 2016 um 24 Uhr, da für die Fristberechnung des § 93 BVerfGG die §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) herangezogen werden (vgl. BVerfGE 102, 254 295>) und nach § 193 BGB an die Stelle des Fristendes am Samstag, den 17. Dezember 2016 der nächste Werktag tritt. Der Zugang der ersten beiden Teile der in drei Teilen gefaxten Verfassungsbeschwerde erfolgte am Montag, den 19. Dezember 2016 kurz vor 24 Uhr fristgerecht, da diese beiden Teile bis 24 Uhr vollständig empfangen wurden und auf dem internen Speicher der Faxanlage des Bundesverfassungsgerichts eingegangen waren. Auf den Zeitpunkt des Ausdrucks ist nicht abzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. August 1996 - 1 BvR 121/95 -, juris, Rn. 8; BGHZ 167, 214 219 f., Rn. 19 f.>). Der Empfang und die Speicherung des dritten Teils der Verfassungsbeschwerde war zwar erst am Dienstag, den 20. Dezember 2016 um 0.04 Uhr abgeschlossen und somit nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht fristgerecht erfolgt. Dieser Teil umfasste indes lediglich beigefügte Anlagen, wie den angefochtenen Beschluss des Landessozialgerichts und ihren Vortrag im dortigen Beschwerdeverfahren, welche die Beschwerdeführerin in wesentlichen Teilen in ihrem Schriftsatz zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde, der dem Bundesverfassungsgericht im ersten Teil per Telefax übermittelt worden war, mitgeteilt hat. Sie ist dadurch ihrer Pflicht zur Darlegung des die Rechtsverletzung enthaltenden Vorgangs nachgekommen (vgl. BVerfGE 93, 266 288>; 129, 269 278>), wodurch eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist.
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b) Die Verfassungsbeschwerde genügt dem Grundsatz der Subsidiarität. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz durch die im fachgerichtlichen Eilverfahren vorgenommene Folgenabwägung anstelle einer Sachaufklärung und die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Alternative 2 GG durch die anhaltenden gesundheitlichen Einschränkungen, die mangels Gewährung stationärer Krankenhausbehandlung fortbestünden. Da derartige Grundrechtsverletzungen durch die Hauptsache nicht mehr ausgeräumt werden könnten, weil die behaupteten Verfassungsverstöße aus dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren resultieren (vgl. BVerfGE 104, 65 71>), muss die Beschwerdeführerin zur Wahrung des Subsidiaritätserfordernisses nicht zunächst das Hauptsacheverfahren abschließen.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist hingegen unzulässig, weil die Beschwerdeführerin die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht ausreichend begründet hat. Sie zeigt nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert und schlüssig in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben die Möglichkeit einer Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten auf (vgl. BVerfGE 130, 1 21>; 140, 229 232 Rn. 9>).
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter Gesundheitsleistungen (vgl. BVerfGE 115, 25 44>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. März 1997 - 1 BvR 1071/95 -, juris, Rn. 8). Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist zwar eine objektivrechtliche Pflicht des Staates abzuleiten, sich schützend und fördernd vor die dortigen Rechtsgüter zu stellen (vgl. BVerfGE 46, 160 164>; 90, 145 195>), bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht steht dem Gesetzgeber jedoch ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 77, 170 214>). Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist aufgrund dieses Gestaltungsspielraums darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutze von Leben und körperlicher Unversehrtheit trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind (BVerfGE 77, 170 215>). Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die gesetzliche Krankenversicherung den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt (BVerfGE 115, 25 45>).
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Die Beschwerdeführerin hat sich nicht mit dem extremen Ausnahmecharakter eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf eine bestimmte Krankenbehandlung befasst (vgl. BVerfGE 115, 25 45>), den das Bundesverfassungs- gericht selbst bei wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden vergleichbaren Erkrankungen abgelehnt hat (vgl. BVerfGE 140, 229 236 Rn. 18>). Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die stationäre Krankenhausbehandlung nachrangig zu allen anderen Behandlungsformen, insbesondere ambulanter Krankenbehandlung, vorzusehen (§ 73 Abs. 4 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dies ist Ausfluss des Wirtschaftlichkeitsgebots, das innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers liegt (vgl. BVerfGE 115, 25 46>). Die Beschwerdeführerin hat zudem nicht aufgezeigt, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für ihre Erkrankung gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.
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b) Auch eine mögliche Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt.
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Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 79, 69 74>; 93, 1 13 f.>; 126, 1 27>). Hierbei ist anerkannt, dass Entscheidungen im fachgerichtlichen Eilverfahren sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden können (vgl. BVerfGE 126, 1 28>; BVerfGK 5, 237 242>; 20, 196 197>). Die Folgenabwägung steht unter der Bedingung, dass eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist (BVerfGK 5, 237 242>). Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit ist hierfür der klassische Fall (BVerfGK 20, 196 197>).
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aa) Die Beschwerdeführerin hat nicht aufgezeigt, dass das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern oder das Sozialgericht Neubrandenburg gegen diese Vorgaben für das fachgerichtliche Eilverfahren verstoßen haben. Beide Gerichte sind zu der Auffassung gekommen, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen sei, haben eine Folgenabwägung vorgenommen und die Umstände des Einzelfalls in ihre Abwägung eingestellt.
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Das Landessozialgericht hat die Notwendigkeit einer eigenen Sachverhaltsaufklärung unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen körperlichen Beeinträchtigungen und prozessualen Konstellation vertretbar verneint. Das Landessozialgericht hat hierzu maßgeblich auf den bereits durch das Sozialgericht im Hauptsacheverfahren ergangenen Beweisbeschluss zur Erstellung eines schriftlichen Gutachtens abgestellt. Weder ein weiterer Beweisbeschluss durch das Landessozialgericht mit der Bestellung des gleichen Gutachters noch die Bestellung eines neuen Gutachtens hätte das Verfahren beschleunigt. Aufgrund der zeitintensiven Sachverhaltsaufklärung sind das Sozialgericht und das Landessozialgericht vertretbar davon ausgegangen, dass eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der Verfahrensdauer des Hauptsacheverfahrens von über drei Jahren keine Verpflichtung zur vorläufigen Gewährung der Krankenhausbehandlung oder eine Unzumutbarkeit des weiteren Abwartens auf die Entscheidung in der Hauptsache.
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Die Beschwerdeführerin hat nicht aufgezeigt, dass die Gerichte ihre grundrechtlichen Belange in die Folgenabwägung nicht ausreichend eingestellt hätten. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht lediglich auf die nachhaltige chronische Erschöpfung abgestellt, sondern diese ausdrücklich benannt, da sie im Beschwerdeverfahren erstmalig mitgeteilt worden ist und hat darüber hinaus - verfassungsrechtlich unbedenklich - auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Neubrandenburg verwiesen und sich diese zu eigen gemacht. Beide Gerichte sind unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einschränkungen im Alltag vertretbar zu der Auffassung gelangt, dass kein Anspruch auf einstweilige Bewilligung der stationären Behandlung vorliegt. Hierbei haben die Gerichte die Schutzpflicht, die aus dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit abgeleitet wird (vgl. BVerfGE 46, 160 164>; 56, 54 73>; 90, 145 195>), nicht verkannt, sondern darauf abgestellt, dass sich die Gesundheitssituation der Beschwerdeführerin durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht verschlechtere und keine notfallähnliche Akuterkrankung vorliege, die eine unmittelbare Behandlung notwendig mache. Dieser Auffassung tritt die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegen. Sie verkennt, dass ihr nicht die gesamte Krankenbehandlung vorläufig versagt worden ist, sondern lediglich die stationäre Behandlung in einem auf Umweltmedizin spezialisierten Krankenhaus. Die Beschwerdeführerin hat weder dargelegt, welche Behandlungen ausschließlich stationär erfolgen können, noch weshalb zumindest die sie belastenden Symptome, wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, nicht ambulant behandelt werden können. Die Angabe ihres Internisten, dass ambulante Maßnahmen in der näheren Umgebung nicht erhältlich seien, reicht für eine diesbezügliche Substantiierung nicht aus, zumal das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse Bayern, auf das sich die Krankenkasse der Beschwerdeführerin stützt, nicht vollständig vorgelegt worden ist.
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bb) Es kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vorliegt, weil die Fachgerichte eine Auslegung des Begehrens der Beschwerdeführerin auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen etwaigen Bescheid vom 6. April 2016, der eine mögliche vorherige Leistungsbewilligung widerruft, nicht erörtert hätten, obwohl sie Art. 19 Abs. 4 GG dazu verpflichtet, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des Rechtsschutzsuchenden bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 1493/11 -, Rn. 34). Die Beschwerdeführerin hat eine diesbezügliche Grundrechtsverletzung jedenfalls nicht dargelegt.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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