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BVerfG 23.08.2017 - 1 BvR 1783/17
BVerfG 23.08.2017 - 1 BvR 1783/17 - Ablehnung des Erlasses einer eA, gerichtet auf Aufhebung einer in einem äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergangenen einstweiligen Verfügung: mangelnde Rechtswegerschöpfung hinsichtlich der Rüge einer Verletzung von Art 103 Abs 1 GG - unzureichende Darlegung eines schweren Nachteils iSd § 32 Abs 1 BVerfGG hinsichtlich der Rüge einer Verletzung von Verfahrensrechten
Normen
Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 937 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend LG Köln, 10. Juli 2017, Az: 28 O 200/17, Beschluss
nachgehend BVerfG, 30. September 2018, Az: 1 BvR 1783/17, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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1. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) betreibt eine Onlineplattform als Nachrichtenportal, auf dem die Artikel der im Rahmen langfristiger Rechercheprojekte für sie arbeitenden Journalisten veröffentlicht werden. Sie begehrt die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung in einem äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfahren. Der angegriffene landgerichtliche Beschluss untersagt ihr die Veröffentlichung und Verbreitung umfangreicher Passagen eines Artikels, in dem Auszüge aus dem Protokoll der Aufsichtsratssitzung einer ehemaligen Aktiengesellschaft (der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens) aus dem Jahr 2009 wiedergegeben und kommentiert werden. Eine Abmahnung der Beschwerdeführerin durch die Antragstellerin war vor Erlass der einstweiligen Verfügung nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin hat gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt und Vollstreckungsschutz beantragt.
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Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hat anwaltlich versichert, es sei gängige, jahrelang geübte Praxis der für Pressesachen zuständigen Zivilkammer des Landgerichts K…, über einstweilige Verfügungen ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. An die Glaubhaftmachung der besonderen Dringlichkeit im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO würden lediglich geringe Anforderungen gestellt. Von Bedeutung sei allein, dass der Verfügungsantrag innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme des Verstoßes gestellt werde. Des Weiteren sei es üblich, derartige Verfügungen - wie vorliegend - ohne vorherige Abmahnung zu erlassen. Die Berichterstattung der Beschwerdeführerin sei häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.
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Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung habe das Landgericht nicht nur gegen § 937 Abs. 2 ZPO verstoßen, sondern gleichzeitig ihren Anspruch auf rechtliches Gehör irreversibel verletzt. Das Gericht habe weder den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung begründet noch habe es von der Antragstellerin verlangt, die besondere Dringlichkeit glaubhaft zu machen. Für eine Eilbedürftigkeit sei nichts ersichtlich. Schon wegen der unterbliebenen Abmahnung hätte das Landgericht ihr zumindest Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geben müssen. Das Landgericht habe mit dieser Vorgehensweise der Beschwerdeführerin jegliche Verteidigungsmöglichkeit versagt und sie gegenüber ihrem Gegner wesentlich benachteiligt.
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Zur Begründung der Eilbedürftigkeit ihres Antrags trägt die Beschwerdeführerin vor, es sei nicht hinnehmbar, dass die Gerichte bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht weiterhin in der geschilderten Weise gegen fundamentale Verfassungsgrundsätze verstießen. Zudem habe die konkrete Gefahr einer Wiederholung dieses Vorgehens des Landgerichts für die Beschwerdeführerin erhebliche tatsächliche Folgen. Werde ihr wiederholt unberechtigt die Veröffentlichung von Artikeln auf ihrer Internetplattform untersagt, könne sie ihrer Arbeit und ihrem Auftrag zur unabhängigen Information der Bürger nicht mehr nachkommen. Schließlich erlitte die Allgemeinheit einen irreparablen Schaden, da sie während dieser Zeit nicht über einen Teil deutscher Wirtschaftsgeschichte informiert werde.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
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a) Soweit die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG stützt, ist die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig und damit auch der beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit gegenstandslos.
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Die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs lässt sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung, die auf den Widerspruch der Beschwerdeführerin gemäß § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO zwingend zu erfolgen hat, heilen. Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit betraut zunächst die Fachgerichte mit der Korrektur bereits verwirklichter Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfGE 96, 27 40>; 104, 220 232 f.>). Im Besonderen - so auch hier - gilt das für die grundsätzlich mögliche Heilung von Gehörsverstößen durch nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 5, 9 10>; 58, 208 222>; 62, 392 397>; 107, 395 410 ff.>; stRspr). Insoweit ist die Beschwerdeführerin nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von vornherein auf den Rechtsweg zu verweisen (vgl. dazu in einem vergleichbaren Fall: BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, juris, Rn. 7).
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b) Soweit die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Verletzung von Verfahrensrechten, namentlich der prozessualen Waffengleichheit und des Rechts auf ein faires Verfahren stützt, ist zwar die Verfassungsbeschwerde unter Zugrundelegung des Vortrags der Beschwerdeführerin weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet und ein Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht eröffnet (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, juris, Rn. 10 f.). Der Antrag ist jedoch mangels substantiierter Darlegung eines schweren Nachteils im Sinne des § 32 BVerfGG unzulässig.
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Zu den Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gehört die substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Oktober 2006 - 1 BvQ 30/06 -, juris; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. November 2006 - 1 BvQ 33/06 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. November 2015 - 2 BvQ 43/15 -, juris). Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei gelten, selbst wenn eine Verfassungsbeschwerde in der Sache Aussicht auf Erfolg hat, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der insoweit grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung strenge Maßstäbe (vgl. BVerfGE 71, 158 161>; 88, 185 186>; 91, 252 257 f.>; 111, 147 152 f.>; stRspr).
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Die Beschwerdeführerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihr für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht. Zum einen kann auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung die gerügten Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen, da die Verfahrensfehler lediglich festgestellt, nicht aber beseitigt werden könnten. Die Feststellung würde zudem nur für das vorliegende Verfahren und zumindest nicht ohne weiteres auch für etwaige andere Verfahren der Beschwerdeführerin gelten. Zum anderen ist nicht ersichtlich, warum die Allgemeinheit einen "irreparablen Schaden" erlitte, wenn sie den streitgegenständlichen Artikel über Ereignisse aus dem Jahr 2009 erst nach Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens lesen könnte. Insofern ist auch der Vortrag zum drohenden schweren Nachteil wegen der gerügten Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit, der ohnehin gegebenenfalls vorrangig im Widerspruchsverfahren vor den Fachgerichten zu heilen ist, nicht hinreichend substantiiert.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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