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BVerfG 22.05.2017 - 2 BvR 1453/16
BVerfG 22.05.2017 - 2 BvR 1453/16 - Nichtannahmebeschluss: Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags darf nicht von einer expliziten Verbescheidung des Verletzten durch die Staatsanwaltschaft abhängig gemacht - gerichtliche Kontrolle auch bei Nichtbescheidung geboten - jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Nichteröffnung eines (erneuten) Klageerzwingungsverfahrens, wenn ein bereits verbeschiedenes Strafverfolgungsverlangen lediglich wiederholt und nicht auf neue Tatsachen gestützt wird
Normen
Art 19 Abs 4 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 171 S 1 StPO, § 172 Abs 2 StPO, § 172 Abs 3 S 1 StPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Köln, 24. Juni 2016, Az: III-1 Ws 24/16 - 20, Beschluss
vorgehend OLG Köln, 13. Mai 2016, Az: III.1 Ws 24/16 - 20, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, die offensichtlich keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>; 108, 129 136>). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie den Anforderungen an die Subsidiarität nicht genügt.
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a) Nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird, und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 68, 384 388 f.>; 77, 381 401>; 81, 97 102>; 107, 395 414>; 112, 50 60>; stRspr).
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b) Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich, dass sie von der Generalstaatsanwaltschaft auf einen bereits erteilten rechtsmittelfähigen Bescheid zum selben Lebenssachverhalt in Bezug auf ihre eigene Strafanzeige vom 20. Mai 2015 verwiesen worden ist. Dem Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Mai 2016 ist zudem zu entnehmen, dass gegen diesen Bescheid ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht gestellt wurde. Nach den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft im Bescheid vom 14. Januar 2016 betrifft die Strafanzeige den identischen Lebenssachverhalt und wurde bereits rechtsmittelfähig abschlägig beschieden. Damit hat die Beschwerdeführerin in einem zum selben Lebenssachverhalt geführten Ermittlungsverfahren die Gelegenheit, die Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden der gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, nicht genutzt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin setzt sich hiermit nicht nachvollziehbar auseinander. Das Beschwerdevorbringen erlaubt auch im Übrigen keine Überprüfung daraufhin, ob die Strafverfolgungsbehörden sich zutreffend auf die Deckungsgleichheit mit dem von der Beschwerdeführerin zuvor angestrengten Strafverfahren gestützt haben. Insbesondere sind weder die Strafanzeige vom 20. Mai 2015 noch die betreffenden Bescheide der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft der Beschwerdeschrift beigefügt oder ihrem Inhalt nach wiedergegeben.
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2. Vor diesem Hintergrund kommt es für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht darauf an, dass der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 13. Mai 2016 verfassungsrechtlichen Zweifeln insoweit unterliegt, als nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts für die Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens eine abschlägige Bescheidung des Strafantrages durch die Staatsanwaltschaft auch für den Fall erforderlich sein soll, dass diese dem verletzten Anzeigeerstatter eine erstmalige Entscheidung über sein Strafverfolgungsverlangen vollständig verweigert.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG überlässt zwar die nähere Ausgestaltung des Rechtswegs den jeweils geltenden Prozessordnungen (vgl. BVerfGE 10, 264 267 f.>; 27, 297 310>; 40, 272 274>). Der Zugang zu Gerichten darf jedoch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies muss der Richter auch bei der Auslegung prozessualer Normen beachten (vgl. BVerfGE 77, 275 284>).
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aa) Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verbietet, ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel durch eine überstrenge Handhabung des Verfahrensrechts ineffektiv zu machen und für den Rechtsmittelführer "leer laufen" zu lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 284>; 96, 27 39>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer der Zweiten Senats vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 1486/04 -, juris; BVerfGK 14, 211 214>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. April 2012 - 2 BvR 211/12 -, juris). Soweit die einschlägigen Verfahrensregeln einen Auslegungsspielraum lassen, darf ein Gericht diesen nicht in einem Sinn ausfüllen, der zu einem Widerspruch mit den Prinzipien des Grundrechts auf einen effektiven Rechtsschutz führen würde (vgl. BVerfGE 88, 118 125>).
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bb) Bei der normativen Ausgestaltung durch die Verfahrensordnungen kann der Gesetzgeber auch Regelungen vorsehen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen (wie etwa die Einhaltung bestimmter Fristen, eine ordnungsmäßige Vertretung usw.) aufstellen. Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten (vgl. etwa BVerfGE 10, 264 268>; 40, 272 274 f.>; 78, 88 99>; 88, 118 124>).
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cc) Über die Eröffnung des Rechtswegs hinaus gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 401 f.>; 65, 1 70>; 77, 275 284>; 84, 34 49>; 93, 1 13>; 101, 106 122>; 118, 168 207>). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wirkt daher über das gerichtliche Verfahren hinaus auch in das behördliche Verfahren hinein, wenn eine solche Vorwirkung für die Inanspruchnahme effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. BVerfGE 100, 313 364>; 101, 106 123>; 109, 279 364>; 118, 168 207>; 128, 282 311>). Ein solches vorgelagertes behördliches Verfahren darf daher nicht so betrieben werden, dass gerichtlicher Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert wird (vgl. BVerfGE 22, 49 81 f.>; 61, 82 110>; 69, 1 49>).
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b) Diesen Maßstäben entspräche eine Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens nicht, die dessen Zulässigkeit von einer gerichtlich nicht erzwingbaren spezifischen Sachbehandlung durch die Strafverfolgungsbehörden abhängig machen würde. Hinge die Zulässigkeit der weiteren Stufen des Verfahrens und insbesondere des Antrags auf gerichtliche Entscheidung einerseits davon ab, dass die Staatsanwaltschaft zuvor gegenüber dem Verletzten einen ausdrücklichen ablehnenden Bescheid erlassen hat, und wäre die Weigerung, diesen zu erlassen, andererseits jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogen, hätte die Staatsanwaltschaft es in der Hand, die in § 172 Abs. 2 StPO gesetzlich vorgesehene gerichtliche Überprüfung ihrer Einstellungsentscheidungen dauerhaft zu vereiteln.
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Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Anzeigende ungeachtet eines Unterbleibens der Mitteilung nach § 171 Satz 1 StPO die Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft erheben und im Anschluss gegebenenfalls das Klageerzwingungsverfahren durchführen kann (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 5 AR (VS) 29/13 -, juris, Rn. 2). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die erforderliche Entscheidung über das Strafverfolgungsverlangen auch stillschweigend - durch Einstellung oder Nichtbetreiben eines Ermittlungsverfahrens - ohne förmliche Bescheidung erfolgen kann.
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c) Soweit das Oberlandesgericht die Zulässigkeit des Klageerzwingungsantrages aufgrund des Fehlens einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft verneint und die Möglichkeit einer stillschweigenden Entscheidung durch Ablehnung von Ermittlungen nicht einmal erwogen, die gerichtliche Kontrolle der Nichtbescheidung vielmehr prinzipiell abgelehnt hat, genügt dies den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht.
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3. Demgegenüber begegnet es allerdings grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn ein wiederholendes und nicht auf neue Tatsachen gestütztes Strafverfolgungsverlangen eines bereits beschiedenen Verletzten nur mit dem Verweis auf die bereits erfolgte Bescheidung beantwortet und damit lediglich ein erneutes Klageerzwingungsverfahren nicht eröffnet wird. Die verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenkliche Normierung von Fristen als förmliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs wäre ihres Sinns entleert, wenn eine bereits abgelaufene Frist durch einen bloß wiederholenden Antrag ohne Änderung der Sach- und Rechtslage erneut eröffnet werden könnte. Dem steht auch nicht die Erwägung entgegen, dass Art. 19 Abs. 4 GG es grundsätzlich erfordert, dass die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung dem Verletzten bekannt gemacht wird, um ihm ein Vorgehen hiergegen zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2002 - 2 BvR 261/02 -, juris, Rn. 5 - zu Art. 103 Abs. 1 GG), da die vorhergehende Bescheidung diesem Erfordernis gerade entspricht.
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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