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BVerfG 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09
BVerfG 24.10.2011 - 2 BvR 1969/09 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbotes (Art 3 Abs 1 GG) durch Annahme zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit für Abschiebung eines straffälligen türkischen Staatsangehörigen nach § 6 Abs 5 S 3 FreizügG/EU 2004 - zudem Verletzung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters durch nicht tragfähige Handhabung der Vorlagepflicht an den EuGH gem Art 267 Abs 3 AEUV - Frage der Weitergeltung von Art 9 Abs 1 EWGRL 221/64 bei Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ungeklärt und entscheidungserheblich - Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro
Normen
Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 267 Abs 3 AEUV, § 55 Abs 1 AufenthG 2004, § 55 Abs 2 Nr 2 AufenthG 2004, § 55 Abs 3 AufenthG 2004, § 56 Abs 1 AufenthG 2004, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 28 Abs 3 Buchst a EGRL 38/2004, Art 31 Abs 3 EGRL 38/2004, Art 14 EWGAssRBes 1/80, Art 7 S 2 EWGAssRBes 1/80, Art 9 Abs 1 EWGRL 221/64, § 6 Abs 5 S 1 FreizügG/EU 2004, § 6 Abs 5 S 3 FreizügG/EU 2004, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO
Vorinstanz
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 24. Juli 2009, Az: 19 ZB 09.1509, Beschluss
vorgehend VG Ansbach, 9. April 2009, Az: AN 5 K 08.02076, Urteil
Tenor
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Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. April 2009 - AN 5 K 08.02076 - und der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2009 - 19 ZB 09.1509 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in seinem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben. Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
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...
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Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU und die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Prüfung der Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde 1979 in der Türkei geboren und reiste 1983 zusammen mit seiner Mutter in das Bundesgebiet zu seinem hier lebenden Vater ein. 1996 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
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In der Folgezeit ist der Beschwerdeführer mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. So wurde er im Jahre 2001 und 2002 wegen fahrlässiger Körperverletzung und Straßenverkehrsdelikten zu Geldstrafen verurteilt. 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer im Jahre 2007 wegen Diebstahls und einer Vielzahl von Betäubungsmitteldelikten unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Jahre 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er derzeit noch verbüßt.
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2. Die Stadt Nürnberg wies mit Bescheid vom 4. November 2008 den Beschwerdeführer aus und ordnete seine Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer genieße die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) und könne daher nur unter eingeschränkten Voraussetzungen aus Deutschland ausgewiesen werden. Deshalb sei eine Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG zu treffen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen erforderlich. Es lägen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 56 Abs. 1 AufenthG vor. Bei der vorzunehmenden Interessen- und Güterabwägung im Sinne des § 55 Abs. 3 AufenthG seien keine Umstände ersichtlich, die das überragende Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers hätten aufwiegen können. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie), sei auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar, weil er kein Unionsbürger sei.
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3. Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer Klage. Die Ausweisung sei gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a der Unionsbürgerrichtlinie in Verbindung mit § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU unzulässig. Aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU ergebe sich, dass die Ausweisung eines Ausländers, der bereits mehr als zehn Jahre seinen legalen Aufenthalt in Deutschland habe, auch im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren keineswegs stets möglich oder zwingend sei, sondern zusätzlich eine umfassende Einzelfallbetrachtung erfordere, aus der sich die konkrete Gefahr der Begehung weiterer gravierender Straftaten ergeben müsse.
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Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach wies die Klage mit Urteil vom 9. April 2009 ab. Die Ausländerbehörde nehme zu Recht an, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Die im Ermessen stehende Ausweisung des Beschwerdeführers erweise sich auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände als rechtmäßig. Ob auf ihn die Bestimmungen über den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie entsprechend anwendbar seien, könne dahingestellt bleiben, weil es hierauf nicht ankomme. Die bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängigen Vorabentscheidungsverfahren müssten deshalb nicht abgewartet werden. Selbst wenn diese Regelungen auf den Beschwerdeführer anwendbar wären, stünden sie der Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung nicht entgegen. Sie seien mit § 6 Abs. 5 FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt worden. Die dort geregelten Voraussetzungen erfülle der Beschwerdeführer, weil er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei.
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4. Der Beschwerdeführer beantragte die Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und rügte unter anderem die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie in Verbindung mit § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU. Er wies darauf hin, dass nach dem klaren Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU eine Ausweisung auch im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren keineswegs ohne Weiteres stets möglich oder gar zwingend sei. Das Verwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass die angegriffene Ausweisung auch deshalb unheilbar rechtswidrig sei, weil das europarechtlich geforderte Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Er könne sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Bundesverwaltungsgerichts als Berechtigter nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 im Rahmen des Ausweisungsschutzes nach Art. 14 ARB 1/80 auf die verfahrensrechtlichen Gewährleistungen für Unionsbürger berufen. Dass die hierfür maßgebliche Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, einschließlich der dort enthaltenen Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 durch die Unionsbürgerrichtlinie ersetzt worden sei, ändere nichts an dem Umstand, dass es auch weiterhin notwendig sei, die Zweckmäßigkeit der Ausweisung in einem Widerspruchsverfahren zu prüfen. Das ergebe sich aus Art. 31 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie und dem Erwägungsgrund 22 dieser Richtlinie. Unabhängig von der konkreten Auslegung des Art. 31 der Unionsbürgerrichtlinie sei zu berücksichtigen, dass die Vorgaben des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG jedenfalls für türkische Staatsangehörige weiter Geltung beanspruchen dürften. Dieser aus Art. 14 ARB 1/80 resultierende Ausweisungsschutz in verfahrensrechtlicher Hinsicht finde seine rechtliche Grundlage letztlich in dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963, also in einem völkerrechtlichen Vertrag, dessen Inhalt von der Europäischen Union nicht nachträglich einseitig verändert werden könne. Die Kommission der Europäischen Union habe dazu in ihrer Stellungnahme in der vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängigen Rechtssache Polat (C-349/06) vom 15. Dezember 2006 zutreffend klargestellt, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziierungsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne.
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Der Verwaltungsgerichtshof wies den Berufungszulassungsantrag mit Beschluss vom 24. Juli 2009 zurück. Die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts sei nicht ernstlich zweifelhaft. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie einer Ausweisung nicht entgegenstehe. In § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU habe der nationale Gesetzgeber bestimmt, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit stets dann vorlägen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Taten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden sei. Diese Voraussetzungen seien bei dem Beschwerdeführer erfüllt. Die Ausweisung des Beschwerdeführers erweise sich auch nicht wegen des Fehlens des Widerspruchsverfahrens nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG als unheilbar rechtswidrig. Diese Regelung sei mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben worden. Art. 31 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie sehe ein Rechtsbehelfsverfahren bei einer Behörde nur noch in fakultativer Weise ("gegebenenfalls") vor. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Erwägungsgrund Nr. 22 der Unionsbürgerrichtlinie, denn er spreche ausdrücklich davon, dass die Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie "ersetzt" worden sei. Weshalb Assoziationsberechtigten weitergehende Ansprüche eingeräumt sein sollten als Unionsbürgern, lege der Zulassungsantrag nicht nachvollziehbar dar. Die Berufung sei ferner nicht deshalb zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte. Eine solche bestehe auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines fehlenden Widerspruchsverfahrens. Art. 31 Abs. 1 RL 2004/38/EG sehe die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bei einer Behörde nur noch in fakultativer Weise vor. Der vor Inkrafttreten dieser Bestimmung geltenden Rechtslage sei deshalb die Grundlage entzogen. Grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen könnten sich schon deshalb nicht mehr ergeben.
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5. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer unter anderem geltend, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen das Willkürverbot. Die Gerichte hätten § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU objektiv falsch angewendet. Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren sei die Ausweisung nicht stets auszusprechen. Ferner habe das Berufungsgericht sein grundrechtsgleiches Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil es versäumt habe, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die entscheidungserhebliche Frage vorzulegen, ob Ausweisungen assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger auch nach dem Außerkrafttreten der Richtlinie 64/221/EWG von vornherein unheilbar rechtswidrig seien, wenn es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens fehle, in dem auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der Ausweisung ermöglicht werde.
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6. Das Bayerische Staatsministerium des Innern und die Stadt Nürnberg haben von einer Stellungnahme abgesehen.
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II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Dies ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt oder lassen sich ohne Weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung beantworten (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
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Die angegriffenen Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletzt ihn zudem in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
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1. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof verstoßen mit ihren Entscheidungen gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Willkürverbot.
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a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 1, 14 52>; 98, 365 385>; stRspr). Der allgemeine Gleichheitssatz wendet sich nicht nur an den Gesetzgeber, sondern bindet auch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Allerdings zieht Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts - im Sinne eines Willkürverbots - nur gewisse äußerste Grenzen (vgl. BVerfGE 42, 64 73>; 62, 189 192>). Nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts stellt daher einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Ein Richterspruch ist nur dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist (stRspr; vgl. BVerfGK 11, 390 396>, m.w.N.).
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b) Nach diesem Maßstab sind die angegriffenen Entscheidungen mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
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aa) Der Verwaltungsgerichtshof und das Verwaltungsgericht unterstellen, dass Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürgerrichtlinie und die entsprechende nationale Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU auf den Beschwerdeführer anwendbar seien, er sich aber nicht darauf berufen könne, weil schon wegen seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten ein zwingender Grund der öffentlichen Sicherheit vorliege. Mit der Frage einer an die Feststellung eines derartigen zwingenden Grundes anschließenden Ermessens- oder Abwägungsentscheidung befassen sie sich nicht, sondern gehen davon aus, dass bereits die verwirkte Freiheitsstrafe zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt. Das Berufungsgericht betont dabei ausdrücklich, der nationale Gesetzgeber habe bestimmt, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit "stets" dann vorlägen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Taten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden sei. Es teilt damit die schon der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Ansicht, die sich ebenfalls in der Feststellung erschöpft, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU erfülle, weil er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei.
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bb) Soweit die Gerichte davon ausgehen, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren gleichsam automatisch zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt, ist dies schon nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU nicht gerechtfertigt. Danach "können" zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nur dann vorliegen, wenn der Betroffene unter anderem wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Eine entsprechende Verurteilung ist danach notwendige Voraussetzung für die Annahme zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit, genügt dafür aber nicht. Allein dieses Normverständnis steht auch in Einklang mit Wortlaut und Systematik des § 6 FreizügG/EU insgesamt, der in den Absätzen 2 und 3 Kriterien formuliert, die bei der Entscheidung über die Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts gemäß Absatz 1 zu berücksichtigen sind. Für die Unionsbürger, die einen zehnjährigen Aufenthalt aufzuweisen haben und deren Ausweisung von verschärften Voraussetzungen abhängt, gilt nichts anderes, wie sich zweifelsfrei aus Absatz 5 Satz 1 ergibt: Danach d a r f der Verlust des Aufenthaltsrechts nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Mithin knüpft das Gesetz an deren Vorliegen nicht ohne Weiteres die Rechtsfolge des Verlusts des Aufenthaltsrechts. Vielmehr normiert § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für den dort genannten Personenkreis zusätzliche Anforderungen, unter denen überhaupt eine Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts in Betracht kommt, ohne hingegen eine Prüfung ihrer Voraussetzungen im Übrigen entbehrlich zu machen.
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Die in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Ansicht widerspricht darüber hinaus der Gesetzesbegründung zu § 6 FreizügG/EU (BTDrucks 16/5065, S. 211, zu Nummer 7, Buchstabe b), in der es heißt:
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"Das Vorliegen der zwingenden Gründe führt nicht automatisch zum Verlust des (Dauer-)Aufenthaltsrechts. Es muss eine Ermessensentscheidung nach Absatz 1 getroffen werden, bei der die Vorgaben der Absätze 2 und 3 zu beachten sind."
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Dieser Äußerung folgend wird auch in der Literatur und der veröffentlichten Rechtsprechung ausnahmslos vertreten, dass der Verlust des Rechts, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union einzureisen und sich dort aufzuhalten, nicht schon dann festgestellt werden kann, wenn der nach §§ 1 und 2 FreizügG/EU Berechtigte einen der in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU geregelten zwingenden Gründe erfüllt. Vielmehr ist die Ausländerbehörde auch bei Vorliegen dieser Gründe angehalten, unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls eine individuelle Entscheidung zu treffen (vgl. VG München, Urteil vom 19. Juni 2008 - M 12 K 08.967 -, juris, Rn. 43; VG Ansbach, Beschluss vom 22. April 2008 - AN 19 K 08.00319 -, juris, Rn. 30; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Bd. 4, § 6 FreizügG/EU, Rn. 63 <Oktober 2007>; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht in der anwaltlichen Praxis, 3. Aufl. 2007, S. 913 f.; Hoppe, in: Hypertextkommentar zum Ausländerrecht, § 6 FreizügG/EU, Ziff. 3.3; Brinkmann, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 1. Aufl. 2010, § 6 FreizügG/EU, Rn. 28; Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 9. Aufl. 2011, § 6 FreizügG/EU, Rn. 57).
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Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof haben damit die Norm des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU in krasser Weise missdeutet. Da sie zudem nicht auf den entsprechenden Vortrag des Beschwerdeführers eingegangen sind, der sich ausführlich mit dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU und den darauf folgenden Rechtsfolgen befasst hat, liegt nach alledem der Schluss nahe, dass die gerichtlichen Entscheidungen auf sachfremden Erwägungen und nicht nur auf einer lediglich unrichtigen Anwendung der besagten Vorschrift beruhen.
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cc) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der willkürlichen Auslegung des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Gerichte zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wären, wenn sie die gerichtliche Kontrolle, wie geboten, auf die Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls erstreckt hätten. Zwar hat das Verwaltungsgericht bei der Überprüfung der von der Ausländerbehörde nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG getroffenen Ermessensentscheidung ausgeführt, das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers rechtfertige die Annahme, dass er auch in Zukunft schwerwiegende Straftaten begehen werde, die ein Grundinteresse der Gesellschaft beeinträchtigten, und dieser Erwägung eine Betrachtung der für und gegen die Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers sprechenden Interessen folgen lassen. In seinen Erwägungen zu Art. 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU wird jedoch nicht ansatzweise deutlich, dass diese Abwägung auch vor dem Hintergrund der Privilegierung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU dazu berechtigt, dem Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet abzusprechen.
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2. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil das Gericht die Notwendigkeit einer Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (nunmehr: Gerichtshof der Europäischen Union; im Folgenden: Gerichtshof) missachtet hat.
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a) Der Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 366 f.>). Diesem gesetzlichen Richter kann ein Beteiligter dadurch entzogen werden, dass das mit der Sache befasste Gericht der Pflicht zur Vorlage gemäß Art. 234 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 267 Abs. 3 AEUV) nicht nachkommt (vgl. BVerfGE 82, 159 195>).
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aa) Die Möglichkeit, dass eine Vorlageverpflichtung besteht, wirkt sich auch auf die Entscheidung über die Zulassung von Rechtsmitteln aus. Die Vorlagepflicht kann hier nur bei dem Gericht eintreten, das letztinstanzlich über die Zulassung des Rechtsmittels entscheidet. Für die Zwecke des Zulassungsverfahrens ist dieses Gericht letztinstanzliches Gericht im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EG (Art. 267 Abs. 3 AEUV); dass sich nach erfolgter Rechtsmittelzulassung - insbesondere nach Zulassung der Berufung - eine weitere Instanz anschließen kann, ändert daran nichts (BVerfGK 14, 148 151 f.>). Wird das Rechtsmittel nicht zugelassen, so ist diese Entscheidung an den verfassungsrechtlichen Maßstäben für die Handhabung der Vorlageverpflichtung letztinstanzlicher Gerichte zu messen (vgl. BVerfGE 82, 159 196>; BVerfGK 14, 148 152>). Das gilt auch für die Ablehnung der Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (vgl. BVerfGK 14, 148 152>). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn die aufgeworfene Frage die Auslegung von Gemeinschafts-(Unions-)recht betrifft und sich für das letztinstanzliche Gericht deswegen voraussichtlich die Notwendigkeit ergeben würde, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einzuholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 1996 - BVerwG 3 NB 2.94 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 111).
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bb) Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung des Art. 234 Abs. 3 EG (Art. 267 Abs. 3 AEUV), wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschafts-(unions-)rechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt oder es für den Fall, dass eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen des Gemeinschafts-(Unions-)rechts noch nicht vorliegt oder eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage noch nicht erschöpfend beantwortet oder eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint, seinen Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (vgl. BVerfGE 82, 159 194 ff.>; 126, 286 315 ff.>; BVerfGK 8, 401 404 f.>; 14, 148 152 f.>).
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Im zuletzt genannten Fall liegt eine unvertretbare Überschreitung des fachgerichtlichen Beurteilungsrahmens insbesondere vor, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschafts-(Unions-) rechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind. Das Vorliegen einer eindeutig vorzugswürdigen Gegenauffassung ist hierbei aber nur ein, wenn auch gewichtiger, Anhalt für eine Verletzung des Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch unterlassene Vorlage an den Gerichtshof. Entscheidend ist, ob die Zuständigkeitsnormen durch die Fachgerichte unhaltbar gehandhabt worden sind. Fehlt es bereits an einer tragfähigen Würdigung der mit den mit der Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschafts-(Unions-)rechts verbundenen und dem Gericht unterbreiteten Aspekte, führt dies daher ebenfalls zur Feststellung eines Verfassungsverstoßes (BVerfGK 14, 148 153, 156>).
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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Verwaltungsgerichtshof die Vorlageverpflichtung in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt. Der Beschwerdeführer hatte ihm eine gemeinschaftsrechtliche Frage unterbreitet, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ungeklärt ist und die der Verwaltungsgerichtshof als entscheidungserheblich behandelt hat. Die Erwägungen, mit denen er die Klärungsbedürftigkeit und damit das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verneint hat, überschreiten den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen.
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aa) Der Beschwerdeführer hat dem Verwaltungsgerichtshof die gemeinschaftsrechtliche Frage unterbreitet, ob sich ein türkischer Staatsangehöriger, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 innehat und dessen Ausweisung nach Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie ausgesprochen worden ist, weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 der nach Art. 38 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie aufgehobenen Richtlinie 64/221/EWG berufen kann.
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Um den Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu begründen, hat der Beschwerdeführer gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof zwar lediglich die Frage als klärungsbedürftig bezeichnet, ob Ausweisungen assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger auch nach dem Außerkrafttreten der Richtlinie 64/221/EWG von vornherein unheilbar rechtswidrig seien, wenn es an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens fehle, in dem auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der Ausweisung ermöglicht werde. Dazu ist von ihm dargelegt worden, dass sich die Notwendigkeit, ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen, entweder aus Art. 31 der Unionsbürgerrichtlinie ergebe, sofern diese Richtlinie auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sei, oder anderenfalls aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, der für diese Personengruppe ungeachtet seiner Aufhebung weiter Geltung beanspruchen dürfe.
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Beide Begründungsansätze des Beschwerdeführers mussten den Verwaltungsgerichtshof indes auf die hier maßgebliche gemeinschaftsrechtliche Fragestellung führen. Für die zweite These des Beschwerdeführers, die eine Weitergeltung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige befürwortet, ergibt sich dies ohne Weiteres. Im Hinblick auf die erste Annahme des Beschwerdeführers, nach der sich die Notwendigkeit eines behördlichen Rechtsbehelfsverfahrens bereits aus Art. 31 der Unionsbürgerrichtlinie ergebe, ist zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Anwendbarkeit dieser Richtlinienbestimmung auf den Beschwerdeführer zwar unterstellt, eine danach bestehende Verpflichtung zur Durchführung eines behördlichen Rechtsbehelfsverfahrens aber verneint hat. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung musste sich dem Berufungsgericht die hier maßgebliche gemeinschaftsrechtliche Frage dann aber ebenfalls stellen, weil der Beschwerdeführer - wenn auch, um seine Auffassung zu stützen, die Richtlinie 64/221/EWG gelte für ihn weiter - darauf hingewiesen hat, dass die sich aus dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 und den darauf gestützten Rechtsakten ergebende und sich am Schutzniveau der Richtlinie 64/221/EWG orientierende Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger nicht durch interne Akte der Europäischen Union verändert werden könne.
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bb) Die Frage nach der Weitergeltung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger war (und ist) ungeklärt.
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Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen ist. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf Fälle, in denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zum 30. April 2006, dem Zeitpunkt der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG (Art. 38 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie), durchgeführt worden sind (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03 - Dörr/Ünal -, Slg. 2005, S. I-4759).
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Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (BVerwGE 124, 217; 129, 162). Die hier maßgebliche Frage hingegen ist bisher von ihm nicht beantwortet worden (ausdrücklich offen gelassen in BVerwG, Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25/08 -, NVwZ 2010, S. 392). Während die Frage in der veröffentlichten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte verneint wird (OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Mai 2006 - 11 LC 324/05 -, InfAuslR 2006, S. 350; OVG Koblenz, Beschluss vom 19. Februar 2009 - 7 B 11328/08 -, AS RP-SL 37, S. 162), findet sich in der Literatur dazu kein einheitliches Meinungsbild (verneinend Armbruster, in: Hypertextkommentar zum Ausländerrecht, Klage gegen eine (isolierte) Ausweisungsverfügung, Ziff. 3.; wohl auch Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Bd. 5, Art. 14 ARB 1/80, Rn. 18, Stand: Mai 2007; Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 2010, Art. 14 ARB 1/80, Rn. 9; bejahend Gutmann, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Bd. 6, Art. 14 ARB 1/80, Rn. 27.6, Stand: August 2008).
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cc) Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage war für die Zulassung der Berufung entscheidungserheblich. Ist die Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG auf den Beschwerdeführer anwendbar, ist die Ausweisung wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig (vgl. BVerwGE 124, 217; 129, 162).
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dd) Die Gründe, aus denen der Verwaltungsgerichtshof die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage verneint hat, sind nicht tragfähig und überschreiten den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen.
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Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, die Richtlinie 64/221/EWG sei mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben und durch die Unionsbürgerrichtlinie ersetzt worden; die Unionsbürgerrichtlinie, deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das Gericht unterstellt, sehe aber ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren nur in fakultativer Weise vor. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung lässt er die Frage unbeantwortet, ob sich ein türkischer Staatsangehöriger, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 innehat und dessen Ausweisung nach Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie ausgesprochen worden ist, weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG berufen kann.
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Diese Erwägung reicht offensichtlich nicht aus, um eine Vorlagepflicht zu verneinen, weil sich das Gericht nicht ansatzweise mit der Argumentation des Beschwerdeführers zur Weitergeltung der Richtlinie 64/221/EWG für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige über den 30. April 2006 hinaus beschäftigt. Eine Auseinandersetzung damit war indes geboten. Der Beschwerdeführer hatte auf die Stellungnahme der Kommission der Europäischen Union zu der vor dem Gerichtshof anhängigen Rechtssache Polat (C-349/06) vom 15. Dezember 2006 verwiesen. Dort wird die Ansicht vertreten, bei der Auslegung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen des Assoziationsabkommens oder darauf gestützter Rechtsakte wie Art. 14 ARB 1/80 sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in etwa dasselbe Schutzniveau verwirklichen wollten, welches in der Richtlinie 64/221/EWG für Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit verwirklicht worden sei. Hieraus folge, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und der aufgrund dessen erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss haben könne. Der Inhalt völkerrechtlicher Normen könne sich nämlich nicht automatisch durch eine spätere Änderung der Rechtslage eines Vertragspartners ändern.
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Diese Erwägungen sind geeignet, der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige könnten ab dem 30. April 2006 nur die Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie maßgeblich sein, die Grundlage zu entziehen. Ist die Richtlinie 64/221/EWG bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige weiter zu beachten, kann es im vorliegenden Zusammenhang auf die Unionsbürgerrichtlinie und die Reichweite ihrer Regelungen nicht mehr ankommen. Da es der Verwaltungsgerichtshof nicht unternommen hat, den im Berufungszulassungsverfahren aufgezeigten Zusammenhängen zwischen den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Assoziationsabkommens, dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 und der Richtlinie 64/221/EWG nachzugehen, erweisen sich seine Erwägungen als nicht hinreichend tragfähig, so dass ein Verfassungsverstoß festzustellen ist.
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c) Ob ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch deshalb vorliegt, weil der Verwaltungsgerichtshof die von dem Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, in welchen Fällen gemäß Art. 31 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie ein behördliches Rechtsbehelfsverfahren zur Überprüfung der Zweckmäßigkeit von Ausweisungen ("gegebenenfalls") vorzusehen ist, nicht dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, kann nach alledem dahinstehen.
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III.
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Mit Rücksicht auf die gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellende Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Erörterung der anderen Grundrechtsrügen entbehrlich.
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Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2009 auf und verweist die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurück.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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