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BFH 13.05.2015 - VII R 38/14
BFH 13.05.2015 - VII R 38/14 - Tilgungsvermutung bei Unkenntnis des Finanzamts über Scheidung
Normen
§ 36 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 218 Abs 2 AO, EStG VZ 2008
Vorinstanz
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 8. Juli 2014, Az: 5 K 93/11, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Rechtsprechung zur Tilgungsvermutung bei Zahlung eines Ehegatten auf die Gesamtschuld der Ehepartner (Urteil vom 22. März 2011 VII R 42/10, BStBl. II 2011, 607, BFHE 233, 10) gilt auch dann, wenn die Ehe zum Zeitpunkt der Zahlung nicht mehr bestand, dies für das Finanzamt aber nicht erkennbar war.
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 8. Juli 2014 5 K 93/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Ehe des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wurde am 30. Januar 2008 geschieden. Mit noch an die Eheleute adressierten Bescheiden vom 9. Juli 2008 bzw. 19. September 2008 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) für das III. und IV. Quartal 2008 Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von jeweils 5.165 € fest, die der Kläger im Jahr 2008 von seinem Geschäfts- und Privatkonto zahlte. Erst mit der vom Kläger am 21. Mai 2010 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 erfuhr das FA von der Scheidung. Daraufhin erteilte es dem Kläger eine neue Steuernummer und erließ den an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 14. September 2010 (Einzelveranlagung). Das FA rechnete die vom Kläger für den Veranlagungszeitraum 2008 insgesamt geleisteten Vorauszahlungen nur zur Hälfte auf die hierin festgesetzten Steuern an (6.222 € Einkommensteuer sowie 290,86 € Solidaritätszuschlag). Der Einspruch des Klägers gegen die Anrechnungsverfügung blieb ohne Erfolg.
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Im Klageverfahren verpflichtete sich das FA, die Anrechnungsverfügung vom 14. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. April 2011 dahin zu ändern, dass 6.869 € Einkommensteuervorauszahlungen angerechnet werden. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Mit der Änderung reagierte das FA auf das Senatsurteil vom 22. März 2011 VII R 42/10 (BFHE 233, 10, BStBl II 2011, 607). Da die gegenüber der geschiedenen Ehefrau festzusetzende Einkommensteuer 0 € betrage, seien die geleisteten Vorauszahlungen bis zum vollständigen Ausgleich der gegenüber dem Kläger festgesetzten Steuerbeträge anzurechnen. Nur der verbleibende Restbetrag sei nach Köpfen auf den Kläger und seine geschiedene Ehefrau aufzuteilen.
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Soweit der Kläger die Anrechnung weiterer Vorauszahlungen begehrte, wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet ab. Zwar habe die Ehe zum Zeitpunkt der Zahlungen nicht mehr bestanden. Für die Tilgungsbestimmung sei aber auf den zum Zeitpunkt der Zahlungen erkennbaren Willen des Zahlenden abzustellen. Da das FA zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von der Scheidung gehabt habe, sei es zutreffend davon ausgegangen, dass die Vorauszahlungen unter Berücksichtigung der zwischen Eheleuten bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur für Rechnung des Klägers, sondern auch für Rechnung seiner Ehefrau geleistet worden seien. Dass die Vorauszahlungsbescheide materiell-rechtlich nicht mehr an die Eheleute hätten ergehen dürfen, sei aufgrund ihrer Bestandskraft unerheblich. Die Gründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 2014 veröffentlicht.
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Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, die auf allgemeinen Erfahrungssätzen beruhende Vermutung, der auf eine gemeinsame Steuerschuld zahlende Ehegatte wolle auch die Steuerschuld des anderen Ehegatten begleichen, setze eine bestehende und intakte Ehe voraus. Dies ergebe sich sowohl aus dem Senatsurteil vom 25. Juli 1989 VII R 118/87 (BFHE 157, 326, BStBl II 1990, 41) und dem Senatsurteil in BFHE 233, 10, BStBl II 2011, 607 als auch aus dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22. April 2009 2 K 567/07 (EFG 2009, 1895). Auf die Kenntnis des Finanzamts komme es dagegen nur dann an, wenn eine von den allgemeinen Erfahrungssätzen abweichende Tilgungsbestimmung geltend gemacht werde. Für solch eine abweichende Tilgungsbestimmung gebe es im Streitfall aber keine Anhaltspunkte.
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Darüber hinaus seien er (der Kläger) und seine geschiedene Ehefrau keine Gesamtschuldner. Eine Gesamtschuld entstehe erst mit der Wahl der Zusammenveranlagung. Jedenfalls sei eine Gesamtschuld aufgrund des Vorauszahlungsbescheids nur auflösend bedingt bzw. vorläufig, zumal der Vorauszahlungsbescheid durch Erlass des Steuerbescheids seine Wirkung verliere. Mangels Beschwer habe auch kein Anlass bestanden, den Vorauszahlungsbescheid anzufechten. Denn die Vorauszahlungen hätten nur auf seinen Einkünften beruht. Im Übrigen habe er (der Kläger) das Finanzamt weder bewusst täuschen noch ungerechtfertigte Steuervorteile erzielen wollen.
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Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Anrechnungsverfügung im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 14. September 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. April 2011 und der geänderten Anrechnungsverfügung vom 31. Juli 2014 dahin zu ändern, dass sämtliche von ihm geleisteten Vorauszahlungen angerechnet werden (12.444 € Einkommensteuer und 581,72 € Solidaritätszuschlag).
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Es folgt der Begründung des FG und weist zusätzlich darauf hin, die fehlerhaften Vorauszahlungsbescheide seien Folge der Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers aus § 90 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Der Kläger habe das FA bewusst über die Änderung der familiären Verhältnisse im Unklaren gelassen, um durch Anwendung der Splitting-Tabelle höhere Vorauszahlungen zu vermeiden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob das Urteil des FG lediglich im Ergebnis richtig ist, weil die Klage gegen die Anrechnungsverfügung aufgrund des Vorrangs des Verfahrens nach § 218 Abs. 2 AO bereits unzulässig war. Denn unter Annahme der Zulässigkeit der Klage entspricht das Urteil Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) derjenige anrechnungsberechtigt, auf dessen Rechnung, nicht aber derjenige, auf dessen Kosten gezahlt worden ist. Es kommt also nicht darauf an, von wem und mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt erkennbar ist, getilgt werden sollte (Senatsurteil vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BFHE 218, 10, BStBl II 2007, 742, m.w.N.).
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Ist bei der Zahlung eines Gesamtschuldners kein abweichender Tilgungswille erkennbar, ist in der Regel anzunehmen, dass der Gesamtschuldner nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des Senats bei der Zahlung eines Ehegatten auf die Gesamtschuld der Ehepartner. Solange die Ehe besteht und die Eheleute nicht dauernd getrennt leben (§ 26 Abs. 1 EStG), ist hier aufgrund der zwischen Ehepartnern bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft im Allgemeinen davon auszugehen, dass derjenige Ehegatte, der auf die gemeinsame Steuerschuld zahlt, mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten begleichen will. Allerdings kommt eine Erstattung von Vorauszahlungen nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG bei fehlender Tilgungsbestimmung im Regelfall nur hinsichtlich desjenigen Betrags in Betracht, um den die Vorauszahlungen die Summe der für beide Ehegatten festgesetzten Einkommensteuer übersteigen. Dies gilt sowohl im Fall der Zusammenveranlagung als auch bei Wahl der getrennten Veranlagung und folgt aus dem Sicherungszweck der Vorauszahlungen (Senatsurteil in BFHE 233, 10, BStBl II 2011, 607).
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2. Von diesen Grundsätzen, an denen der Senat festhält (zur Kritik vgl. z.B. Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl. 2014, § 37 Rz 34), ist auch das FG ausgegangen und zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen weiteren Anspruch auf Anrechnung von Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das Jahr 2008 hat.
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Zwar wurde die Ehe bereits am 30. Januar 2008 und damit vor Leistung der Vorauszahlungen geschieden. Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) gab es hierfür aber aus Sicht des FA zum Zeitpunkt der Zahlungen keine Anhaltspunkte. Vielmehr hatten die Eheleute noch am 1. April 2009 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 abgegeben, ohne auf die familiären Änderungen hinzuweisen. Maßgebend ist aber allein der für das Finanzamt erkennbare Tilgungswille zum Zeitpunkt der Zahlung (Senatsbeschluss vom 4. November 2003 VII B 382/02, BFH/NV 2004, 314; Senatsurteil in BFHE 218, 10, BStBl II 2007, 742). Entgegen der Auffassung des Klägers betrifft dies nicht nur die Frage, ob ein Tilgungswille vorliegt, der von den sich aus den objektiven Umständen ergebenen allgemeinen Erfahrungssätzen abweicht, sondern auch die Frage, ob das FA von den für Eheleute geltenden allgemeinen Erfahrungssätzen ausgehen durfte. Unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 1 AO kann dem Finanzamt nicht zugemutet werden, bei jedem Eingang einer Zahlung die familiären Hintergründe des Steuerpflichtigen nachzuprüfen, um sie zutreffend verbuchen zu können. Der Steuerpflichtige hat es im Fall einer Scheidung bzw. Trennung selbst in der Hand, einen abweichenden Tilgungswillen deutlich zu machen.
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Sofern sich aus dem vom Kläger zitierten Senatsurteil in BFHE 157, 326, BStBl II 1990, 41 etwas anderes ergibt, ist dies durch den Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 314 überholt. Dieser Entscheidung lag ebenfalls ein Sachverhalt zugrunde, bei dem zumindest ein Teil der Vorauszahlungen nach der Trennung geleistet worden war. Dementsprechend kam es auch in den Senatsurteilen in BFHE 218, 10, BStBl II 2007, 742 und in BFHE 233, 10, BStBl II 2011, 607 nicht darauf an, wann genau die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung entfallen waren. Auf die materielle Richtigkeit des Vorauszahlungsbescheids kann es bei Bestandskraft dieses Bescheids ohnehin nicht ankommen.
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Darüber hinaus ist es entgegen der Auffassung des Klägers unschädlich, dass er und seine geschiedene Ehefrau zum Zeitpunkt der Zahlungen nicht mehr die Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG erfüllt haben und sie somit hinsichtlich der festzusetzenden Einkommensteuer keine Gesamtschuldner werden konnten. Denn die Vorauszahlungsschuld i.S. des § 37 EStG ist eine eigenständige Steuerschuld, die von der später festgesetzten Einkommensteuer zu trennen ist. Für die Frage, ob die Eheleute die Vorauszahlungen als Gesamtschuldner i.S. des § 44 AO zu leisten hatten, ist somit allein entscheidend, ob der (bestandskräftige) Vorauszahlungsbescheid --wie im Streitfall-- an beide Ehegatten gerichtet war, da unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit gestellten Anträge voraussichtlich von einer Zusammenveranlagung auszugehen war (§ 37 Abs. 1 Satz 1 EStG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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