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BFH 01.03.2013 - V B 112/11
BFH 01.03.2013 - V B 112/11 - Erlass von Nachzahlungszinsen
Normen
§ 233a AO, § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst a UStG 1999, § 74 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, Art 63 EGRL 112/2006, Art 401 EGRL 112/2006, Art 267 Abs 3 AEUV
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 9. November 2011, Az: 12 K 788/11, Urteil
Leitsatz
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NV: Es ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass eine Umsatzsteuernachforderung auch dann der Vollverzinsung nach § 233a AO unterliegt, wenn die Steuererhöhung allein darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich auf die Steuerfreiheit der von ihm erbrachten Leistungen verzichtet hat. Dies widerspricht nicht dem Grundsatz steuerlicher Neutralität.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt den Erlass von Nachzahlungszinsen und Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer für 2002.
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Mit Bescheiden vom 25. Februar 2010 und vom 1. April 2010 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) und Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO in Höhe von insgesamt 3.220.844 € fest. Die zugrunde liegende Umsatzsteuernachforderung beruht auf dem im Jahr 2009 erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung der im Jahr 2002 erfolgten Veräußerung eines bebauten Grundstücks.
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Das FA lehnte den Erlassantrag des Klägers mit Bescheid vom 18. Februar 2011 ab. Die Sprungklage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg.
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Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision und macht geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob die Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf verspätet festgesetzte Umsatzsteuerbeträge bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen mit Sinn und Zweck des § 233a AO vereinbar sei. Zudem erfordere die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zu dieser Frage.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Eine Rechtssache hat nur grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 3. März 2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105, unter II.B.2.a; vom 27. Mai 2009 VI B 162/08, BFH/NV 2009, 1435, unter 1.). Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage ist jedoch bereits durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.
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a) Der Kläger stützt die Beschwerde darauf, dass der BFH zwar bereits entschieden habe, dass die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO im Fall einer nachträglich festgesetzten Umsatzsteuer grundsätzlich rechtmäßig sei (BFH-Urteil vom 28. November 2002 V R 54/00, BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175). Jedoch seien zwischenzeitlich neue rechtliche Gesichtspunkte im Schrifttum vorgebracht worden, die einer neuen Klärung durch den BFH bedürften. So habe sich der BFH noch nicht mit der im Aufsatz von Englisch in Umsatzsteuer-Rund-schau (UR) 2011, 648 dargelegten Bedeutung des mehrwertsteuer-pflichtigen Neutralitätsprinzips für die Verzinsung nach § 233a AO auseinandergesetzt.
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b) Es ist durch die BFH-Rechtsprechung geklärt, dass eine Umsatzsteuernachforderung auch dann der Vollverzinsung nach § 233a AO unterliegt, wenn die Steuererhöhung --wie im Streitfall-- allein darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich auf die Steuerfreiheit der von ihm erbrachten Leistungen verzichtet hat (BFH-Urteil vom 5. Mai 2011 V R 39/10, BFH/NV 2011, 1474). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 233a AO, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich bestanden, ist grundsätzlich unbeachtlich (BFH-Urteile vom 23. Oktober 2003 V R 2/02, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39, und in BFH/NV 2011, 1474). Unerheblich ist deshalb, dass der Kläger dem Leistungsempfänger die Umsatzsteuer erst später aufgrund des Verzichts in Rechnung stellen konnte.
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Hieran ist weiter festzuhalten. Weder aus dem vom Kläger angeführten Aufsatz von Englisch in UR 2011, 648 noch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Entlastung wegen rechtmäßigem Alternativverhalten im Organhaftungsrecht (BGH-Urteile vom 21. Juli 2008 II ZR 39/07, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 1974; vom 11. Dezember 2006 II ZR 166/05, DStR 2007, 310) ergibt sich neuer Klärungsbedarf.
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c) Entgegen der Auffassung von Englisch in UR 2011, 648 folgt aus dem mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsprinzip nicht, dass bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen eine Verzinsung nach § 233a AO ausscheidet. Insbesondere lässt sich dem Neutralitätsprinzip nicht entnehmen, dass ein (potentieller) Liquiditätsvorteil des nachträglich zur Umsatzsteuerpflicht optierenden Unternehmers generell zu verneinen ist.
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aa) Dies ergibt sich bereits daraus, dass Zinsen zur Umsatzsteuer keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter i.S. von Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) haben (vgl. zu Art. 33 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG; BFH-Urteil in BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175, m.w.N.). Der in der MwStSystRL verankerte Auslegungsgrundsatz der steuerlichen Neutralität (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 19. Juli 2012 C-44/11, Deutsche Bank AG, UR 2012, 667) findet daher auf diese --nicht in der MwStSystRL geregelten-- steuerlichen Nebenleistungen keine Anwendung (vgl. zum Aspekt der Belastungsneutralität BFH-Urteil in BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175).
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bb) Darüber hinaus führt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht dazu, dass Umsatzsteuer nur erhoben werden darf, wenn diese tatsächlich abgewälzt worden ist. Ebenso wie § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes sieht auch Art. 63 der MwStSystRL die sog. Sollbesteuerung als Regelfall vor. Danach treten Steuertatbestand und Steueranspruch --unabhängig von der Erteilung einer Rechnung und der Entrichtung der Gegenleistung-- zum Zeitpunkt der Leistungserbringung ein. Daraus ergibt sich, dass eine fehlende Abwälzung die Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Umsatzsteuerbescheids typischerweise entstehen, nicht zu beseitigen vermag.
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d) In der Rechtsprechung geklärt ist auch die Frage, ob § 233a AO die Berücksichtigung eines fiktiven Sachverhalts vorsieht (verneinend BFH-Urteil vom 24. Februar 2005 V R 62/03, BFH/NV 2005, 1220, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 627, unter II.2.c). Mit Urteil vom 30. März 2006 V R 60/04 (BFH/NV 2006, 1434) hat der Senat insbesondere entschieden, dass ein Vergleich der Liquidität des Steuerpflichtigen aufgrund seines "vorschriftswidrigen" Verhaltens mit der fiktiven Liquidität, die er besessen hätte, wenn er sich "vorschriftsmäßig" verhalten hätte, nicht erfolgen kann.
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In der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BGH in DStR 2008, 1974 und DStR 2007, 310 vermag der Senat keine neuen Gesichtspunkte zu erkennen, die zu einer geänderten Beurteilung führen könnten. Die --zur zivilrechtlichen Haftung eines Gesellschafter-Geschäftsführers angestellten-- Erwägungen des BGH zur Frage, ob trotz des Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung ein Schadensersatzansprüche begründender unzulässiger Sondervorteil fehlt, sind auf die Verzinsung von Steueransprüchen nach § 233a AO nicht übertragbar.
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2. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO), weil auch dieser Zulassungsgrund eine klärungsbedürftige Rechtsfrage voraussetzt (BFH-Beschlüsse vom 29. September 2011 IV B 56/10, BFH/NV 2012, 266, unter 1.b; vom 24. September 2009 IV B 126/08, BFH/NV 2010, 37, Leitsatz 1).
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3. Die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 74 FGO und die Vorlage der vom Kläger formulierten Vorlagefragen an den EuGH kommen nicht in Betracht.
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a) Eine Vorlage an den EuGH zur Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Frage, "ob die Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf verspätet festgesetzte Umsatzsteuerbeträge gemäß einer nationalen Norm wie § 233a AO bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität vereinbar ist", ist nicht erforderlich. Die Rechtslage ist --entgegen der Auffassung des Klägers-- auch aus unionsrechtlicher Sicht eindeutig.
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b) Der Grundsatz steuerlicher Neutralität steht einer Erhebung steuerlicher Nebenleistungen nicht entgegen (s. II.2.c). In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Zahlung von Zinsen festzulegen (vgl. zu Erstattungszinsen EuGH-Urteil vom 19. Juli 2012 C-591/10, Littlewoods Retail Ltd u.a., BFH/NV 2012, 1563 Rdnr. 27). Die nach der EuGH-Rechtsprechung insoweit maßgeblichen Grundsätze der Effektivität und Neutralität wurden durch § 233a AO nicht verletzt.
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4. Einer weiteren Begründung bedarf es nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.
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