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BFH 05.01.2012 - III B 59/10
BFH 05.01.2012 - III B 59/10 - Änderung der Kindergeldfestsetzung wegen des BVerfG-Urteils zur sog. Pendlerpauschale
Normen
§ 70 Abs 2 EStG 2002, § 70 Abs 3 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002, § 165 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, Art 3 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 23. März 2010, Az: 2 K 886/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Rechtsprechungsänderungen hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge - hier durch den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 122, 210 zu Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - erlauben keine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG. Diese Vorschrift ermöglicht im Übrigen nur die Korrektur von Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres als Prognoseentscheidung ergangen sind .
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2. NV: Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG sind nicht auf Bescheide anzuwenden, mit denen eine Kindergeldfestsetzung - wie im Streitfall - aufgehoben wurde .
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3. NV: Ein Kindergeld-Aufhebungsbescheid kann nicht geändert werden, wenn die Familienkasse zu Unrecht - etwa unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG - keinen Vorläufigkeitsvermerk angebracht hatte (hier: im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung des BVerfG zur sog. Pendlerpauschale) .
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4. NV: Gerichtsentscheidungen wirken nur dann i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zurück, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändern. Verändern sie dagegen nicht den Sachverhalt, sondern - wie hier der BVerfG-Beschluss zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - lediglich dessen rechtliche Beurteilung, so kommt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht .
Tatbestand
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I. Mit Bescheid vom 17. Juni 2008 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn S der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für das Jahr 2007 auf, weil dessen Einkünfte den Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung --EStG--) überschritten, und forderte das gezahlte Kindergeld zurück.
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Im Dezember 2008 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für das Jahr 2007 und begründete dies damit, dass die Einkünfte unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 (BVerfGE 122, 210) wegen der als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie Wohnung und Berufsschule den Grenzbetrag unterschritten. Dies lehnte die Familienkasse mit Hinweis auf die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Bescheid vom 17. Juni 2008 sei bestandskräftig geworden und könne nicht nach § 70 Abs. 2 bis 4 EStG oder §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) geändert werden. Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides werde durch das die Pendlerpauschale betreffende Urteil des BVerfG nicht berührt. Es handele sich bei diesem Urteil weder um eine neue Tatsache i.S. des § 173 AO noch um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG gälten nicht für Bescheide, mit denen eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben werde. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG scheide aus, weil der Aufhebungsbescheid nicht auf einer Prognose beruhe, sondern die Festsetzung von Kindergeld für ein abgelaufenes Jahr versage. Der von der Klägerin gerügte Berechnungsfehler bleibe ohne Folgen; § 130 AO sei auf Steuerbescheide nicht anzuwenden.
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Zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Halbsatz FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit ihre Darlegung überhaupt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, nicht vor.
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1. Die Auffassung der Klägerin, das FG habe die Änderung des Aufhebungsbescheides vom 17. Juni 2008 nach § 70 Abs. 4 EStG zu Unrecht abgelehnt, trifft nicht zu. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass § 70 Abs. 4 EStG nur die Korrektur von Kindergeldfestsetzungen ermöglicht, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres als Prognoseentscheidung ergangen sind (Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 100/07, BFH/NV 2010, 1260; Felix in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 70 Rz 5). Zudem ermöglichen Rechtsprechungsänderungen hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge ohnehin keine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG (Senatsurteile vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, und in BFH/NV 2010, 1260).
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2. Durch die Rechtsprechung des BFH ist ebenfalls geklärt, dass die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG nicht auf Bescheide anzuwenden sind, mit denen eine Kindergeldfestsetzung --wie im Streitfall-- aufgehoben wird (BFH-Urteile vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910, unter 6.a; vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714). Eine Neufestsetzung nach § 70 Abs. 3 EStG kann zudem --worauf das FG zutreffend hingewiesen hat-- nur für die Zukunft erfolgen, nicht aber für ein im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufenes Kalenderjahr.
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3. Die Revision ist auch nicht zuzulassen, weil die Familienkasse den Aufhebungsbescheid nicht im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung des BVerfG zur sog. Pendlerpauschale mit einem Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) versehen hatte. Durch die Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass der Aufhebungsbescheid auch dann nicht geändert werden könnte, wenn die Familienkasse einen solchen Vermerk zu Unrecht --etwa unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes-- nicht angebracht haben sollte (Senatsurteil vom 26. November 2009 III R 102/07, BFH/NV 2010, 856).
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4. Durch die Rechtsprechung des BFH ist weiter geklärt, dass eine Gerichtsentscheidung nur dann ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert. Verändert sie dagegen nicht den Sachverhalt, sondern lediglich dessen rechtliche Beurteilung, so kommt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht. Das Urteil des BVerfG in BVerfGE 122, 210 führte im Streitfall lediglich zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des unverändert gebliebenen Sachverhalts der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl. Senatsurteil in BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714).
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5. Mit dem Hinweis auf Berechnungsfehler des bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheides wird kein Revisionszulassungsgrund dargelegt. Der Bescheid enthält im Übrigen keinen Berechnungsfehler, sondern unterstellt --mangels zu dieser Zeit gegenteiligen Vortrags der Klägerin-- Werbungskosten des Sohnes in Höhe des Arbeitnehmer-Pauschbetrages.
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6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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