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BFH 21.07.2011 - IV B 99/10
BFH 21.07.2011 - IV B 99/10 - Wirksambleiben einer Ladung nach Widerruf einer Prozessbevollmächtigung - Keine Terminsverlegung wegen kurzfristiger Mandatsniederlegung bei Verschulden des Klägers - Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Terminsverlegung
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 96 Abs 2 FGO, § 155 FGO, § 227 Abs 4 S 1 ZPO, § 91 FGO, § 128 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 8. Juli 2010, Az: 5 K 1037/07, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine zu Recht an den bestellten Prozessbevollmächtigten ergangene Ladung verliert ihre Wirkung nicht dadurch, dass die Bevollmächtigung später erloschen ist. Der Widerruf einer Prozessbevollmächtigung steht der Wirksamkeit einer Ladung nicht entgegen, weil ein nach Absendung der Ladung mitgeteilter Wegfall der Vertretungsbefugnis die Ladung nicht gegenstandslos macht .
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2. NV: Im Falle einer kurzfristigen Mandatsniederlegung vor der mündlichen Verhandlung ist das Gericht dann nicht gehalten, den Termin zu verlegen, wenn den Kläger ein Verschulden an der Niederlegung des Mandats durch den Prozessbevollmächtigten trifft. Hat der Kläger die Prozessvollmacht widerrufen, weil "die Bevollmächtigte schon seit längerem nicht mehr für ihn tätig" sei, so besteht kein Anspruch auf die Verlegung des Termins, weil zum einen aufgrund eines Entschlusses des Klägers, nicht des Prozessbevollmächtigten, kein Vertreter für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins zur Verfügung stand, und zum anderen den Kläger ein Verschulden trifft, weil er trotz seines Wissens um die Anhängigkeit des Rechtsstreits nicht schon früher für die Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten gesorgt hat .
Tatbestand
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I. 1. Der Kläger zu 1. und Beschwerdeführer (Kläger) gründete im Jahre 1992 zusammen mit einem weiteren Gesellschafter (dem Kläger zu 2.) eine GbR. Sie erklärten für die Gesellschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre 1994 und 1995 ergingen zunächst erklärungsgemäß. Infolge der Feststellungen einer Außenprüfung änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) die Feststellungsbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und vertrat u.a. die Auffassung, es seien aus gewerblichem Grundstückshandel Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt worden. Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet ab. An der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nicht teilgenommen.
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Die Ladungsverfügung zum zunächst anberaumten Termin am 17. Juni 2010 datiert vom 25. Mai 2010 und wurde dem Kläger persönlich am 27. Mai 2010 sowie seiner damaligen Prozessbevollmächtigten und Steuerberaterin A am 1. Juni 2010 zugestellt. Nachdem der ebenfalls geladene Zeuge mit Schreiben vom 30. Mai 2010 mitgeteilt hatte, dass er den Termin wegen Urlaubs nicht wahrnehmen könne, legte das FG den Beteiligten mit Schreiben vom 8. Juni 2010 nahe, sich den 8. Juli 2010 für den Fall einer Terminsverlegung freizuhalten. Mit Verfügung vom 11. Juni 2010 wurde der Termin auf den 8. Juli 2010 verlegt. Die Ladung wurde u.a. dem Kläger persönlich und seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt. Die an den Kläger persönlich gerichtete Zustellungsurkunde ging mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt verzogen" ans FG zurück. Als Tag der Zustellung an die Prozessbevollmächtigte ist der 15. Juni 2010 vermerkt.
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Mit Schreiben vom 13. Juni 2010 teilte B mit, dass die Prozessbevollmächtigte ihr mit Schreiben vom 7. Juni 2010 den Beschluss des FG, mit dem u.a. der Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2010 bestimmt worden sei, zur Kenntnisnahme übersandt habe. Weiter teilte sie mit, dass sich der Kläger zur Zeit nicht im Inland aufhalte und er deshalb den Termin nicht wahrnehmen könne. Zudem sei festzustellen, dass die Prozessvollmacht gegenüber der Prozessbevollmächtigten widerrufen werde, da diese schon seit längerem nicht mehr für den Kläger tätig sei. Eine neue Prozessvollmacht könne erst nach Rücksprache mit dem weiteren Gesellschafter erteilt werden. Aus diesem Grunde solle der Termin am 17. Juni 2010 aufgehoben und ein neuer Termin nicht vor August bzw. September 2010 bestimmt werden. Das Schreiben ging am 13. Juni 2010 beim FG ein. Beigefügt war eine Vollmacht vom April 2009, mit der B bevollmächtigt wurde, den Kläger in allen Belangen mit Ausnahme mündlicher Verhandlungen bei Gericht zu vertreten. Mit Verfügung vom 14. Juni 2010 übersandte das FG dem Kläger persönlich ein Schreiben des Zeugen mit der Bitte um Äußerung hierzu. Das Schreiben konnte nicht zugestellt werden. Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass der Kläger im Inland nicht gemeldet war. Auch der Versuch, ihm die Ladung zum Termin am 8. Juli 2010 über die Anschrift "c/o B" zuzustellen, schlug fehl. Am 21. Juni 2010 ging beim FG ein Schreiben von Steuerberaterin A ein, in dem u.a. ausgeführt war, dass sie den Kläger aufgrund des Widerrufs ihrer Vollmacht gegenüber dem FG nicht mehr vertrete.
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2. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel. Er macht geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er durch das FG weder fristgerecht noch ordnungsgemäß geladen worden sei. Zur Begründung führt er u.a. aus, dass für B keine Prozessvollmacht erteilt worden sei. Die ihr erteilte allgemeine Vollmacht beinhalte ausdrücklich nicht die Vertretung in einer mündlichen Verhandlung. Dass das FG B als Prozessbevollmächtigte angesehen habe, sei aus den Schreiben vom 25. Juni und vom 27. Juli 2010 ersichtlich. Mangels Prozessvollmacht hätten jedoch von B keine Prozesshandlungen gefordert werden können. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ergebe sich auch daraus, dass die Ladung zum Termin am 8. Juli 2010 nicht den Anforderungen des § 91 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprochen habe. Nach dieser Vorschrift müssten zwischen dem Tag der Zustellung der Ladung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung mindestens zwei Wochen liegen. Da das FG dem Kläger die Verlegung des zunächst für den 17. Juni 2010 anberaumten Termins mit Schreiben vom 21. Juni 2010 mitgeteilt habe, sei von einer Bekanntgabe gemäß § 122 Abs. 2 AO am 24. Juni 2010 auszugehen. Damit lägen zwischen dem Tag der Bekanntgabe und dem Termin zur mündlichen Verhandlung lediglich 13 Tage, mithin weniger als die gesetzlich geforderten zwei Wochen. Schließlich sei dem FG auch mitgeteilt worden, dass sich der Kläger im Zeitpunkt der Mitteilung im Ausland aufgehalten habe und zur Zeit kein Prozessbevollmächtigter vorhanden sei. Weil ein neuer Prozessbevollmächtigter erst nach Rücksprache mit dem weiteren Gesellschafter habe bestellt werden können, sei beantragt worden, einen neuen Termin frühestens im August oder September 2010 anzuberaumen. Da dem FG somit bekannt gewesen sei, dass der Kläger im Termin nicht würde anwesend sein können und auch kein neuer Prozessbevollmächtigter bis zum Termin würde bestellt werden können, sei klar gewesen, dass dem Kläger mit einem Termin im Juli 2010 rechtliches Gehör nicht würde gewährt werden können.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Vorentscheidung verletzt nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung von rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).
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a) Das FG hatte den Kläger fristgerecht und auch im Übrigen ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2010 geladen.
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Gemäß § 91 FGO sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen zu laden, sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist. Aufgrund der Ladungsverfügung vom 11. Juni 2010 wurde die Ladung gemäß § 62 Abs. 6 Satz 5 FGO ordnungsgemäß an die ursprünglich bestellte Prozessbevollmächtigte zugestellt. Die Ladung wirkt für und gegen den Kläger unabhängig davon, ob das Schreiben der B vom 13. Juni 2010 als Widerruf der Prozessvollmacht zu verstehen war. Sollte das Schreiben nur als Ankündigung eines Widerrufs zu verstehen sein, hätte die zu Recht an die bestellte Prozessbevollmächtigte ergangene Ladung ihre Wirkung nicht dadurch verloren, dass die Bevollmächtigung später erloschen ist (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. April 2003 X B 20/03, BFH/NV 2003, 1085). Sollte in dem Schreiben hingegen bereits der Widerruf selbst zu sehen sein, wie die Prozessbevollmächtigte angenommen hat, stünde der Widerruf der Wirksamkeit der Ladung gegenüber dem Kläger nicht entgegen, weil ein nach Absendung der Ladung dem Gericht mitgeteilter Wegfall der Vertretungsbefugnis die Ladung nicht gegenstandslos macht (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 12. März 1975 12 RJ 330/74, Neue Juristische Wochenschrift 1975, 1384; anderer Ansicht Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 62 Rz 14). Da die Zustellung an Steuerberaterin A am 15. Juni 2010 erfolgte, war die Frist des § 91 Abs. 1 FGO eingehalten. Infolge dessen kommt es nicht darauf an, ob das FG der Auffassung war, B sei eine Prozessvollmacht erteilt worden. Im Übrigen spricht die Formulierung auf dem Adressfeld der Zustellungsurkunde vom 21. Juni 2010, die als Adressaten der Zustellung den Kläger "c/o B" benennt, dafür, dass B gerade nicht als Bevollmächtigte für die Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung angesehen wurde.
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b) Die Revision war auch nicht deshalb zuzulassen, weil über einen Antrag auf Verlegung des Termins am 8. Juli 2010 nicht entschieden worden ist.
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Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 der Zivilprozessordnung entscheidet der Vorsitzende über einen Antrag auf Aufhebung oder Verlegung eines Termins. Wird ein Terminsverlegungsantrag nicht beschieden, so führt dies im Regelfall nicht zum Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde. Denn Verfügungen des Vorsitzenden, mit denen dieser über einen Antrag auf Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung entscheidet, können nach § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Auch eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht isoliert auf eine bloß formell fehlerhafte Entscheidung des FG über einen Terminsänderungsantrag gestützt werden, weil dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO). Geltend gemacht werden können nur solche Mängel, die als Folge der --ggf. verfahrensfehlerhaften-- Behandlung des Terminsaufhebungsantrags dem angefochtenen Urteil selbst anhaften. Dies kann der Fall sein, wenn einem Beteiligten dadurch die Teilnahme an dem Termin zu Unrecht versagt und damit sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verletzt worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 2010 VIII B 20/10, BFH/NV 2010, 2110).
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Legt man das Schreiben von B dahingehend aus, dass, weil eine Verlegung auf frühestens August 2010 beantragt wurde, auch der Termin am 8. Juli 2010 aufgehoben werden sollte, so hätte das FG hinsichtlich dieses Termins nicht über einen Terminsverlegungsantrag entschieden. Im Streitfall führt dies jedoch nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde, weil Tatsachen, aus denen sich ein Anspruch auf Verlegung des Termins auf August bzw. September 2010 ergibt, nicht dargelegt und glaubhaft gemacht wurden.
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Zwar kann das FG bei kurzfristigen Mandatsniederlegungen durch den Prozessbevollmächtigten vor einer mündlichen Verhandlung gehalten sein, den Termin zu verlegen. Dies kommt jedoch beispielsweise dann nicht in Betracht, wenn den Kläger ein Verschulden an der Mandatsniederlegung trifft (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1085). Im Streitfall hatte nicht die Prozessbevollmächtigte das Mandat niedergelegt, sondern der Kläger die Prozessvollmacht widerrufen, weil "die Bevollmächtigte schon seit längerem nicht mehr für ihn tätig" sei. Dies bedeutet zum einen, dass aufgrund eines Entschlusses des Klägers, nicht der Prozessbevollmächtigten, kein Vertreter für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins zur Verfügung stand. Zum anderen trifft den Kläger deshalb ein Verschulden, weil er, obwohl die Prozessbevollmächtigte nach seinem Vorbringen schon seit längerem nicht mehr für ihn tätig war, trotz seines Wissens um die Anhängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits nicht schon früher für die Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten gesorgt hat. Da unter diesen Umständen kein Anspruch auf Verlegung des Termins bestand, wurde das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Streitfall nicht verletzt.
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