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BFH 09.06.2011 - III R 61/08
BFH 09.06.2011 - III R 61/08 - Kindergeld für ein über 27 (bzw. 25) Jahre altes behindertes Kind - Zurückverweisung an das FG
Normen
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 3 EStG 2005, § 126 Abs 1 S 1 Nr 2 FGO, § 76 Abs 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 14. Januar 2008, Az: 4 K 4381/05 Kg, Urteil
Leitsatz
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Voraussetzung für die Berücksichtigung eines über 27 (bei Behinderungseintritt nach dem 31. Dezember 2006: 25) Jahre alten behinderten Kindes ist nicht, dass neben der Behinderung auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bereits vor Vollendung des 27. (bzw. 25.) Lebensjahres vorgelegen hat.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte im Juli 2005 für ihren im Dezember 1962 geborenen Sohn (M) Kindergeld.
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M ist behindert. Im April 1985 stellte das Versorgungsamt bei M eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 %, im Oktober 1989 einen Grad der Behinderung von 60 % fest; Merkzeichen wurden nicht vergeben. Daneben wurde M im März/Juli 1989 arbeitsamtsärztlich untersucht. Der Gutachter beurteilte M --mit Einschränkungen-- als grundsätzlich arbeitsfähig. Es folgten weitere arbeitsamtsärztliche Untersuchungen des M im April 1992, im Dezember 1995/Februar 1996 und im Januar 2000.
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M absolvierte keine Berufsausbildung, stand jedoch zeitweise in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen. In der Zeit von September 1979 bis November 1982 war er als Hilfsarbeiter beschäftigt, anschließend bis Januar 1983 arbeitsunfähig erkrankt. Im Januar 1983 meldete sich M arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe. In den Monaten August und September 1985 absolvierte M zur Verbesserung seiner Vermittlungsaussichten eine Maßnahme gemäß § 41a des Arbeitsförderungsgesetzes. Danach war er wieder arbeitslos und bezog Arbeitslosenhilfe. In der Zeit von März 1997 bis September 1998 war er als Montierer beschäftigt. Im Juli 1998 wurde M wegen "krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit" gekündigt. Danach bezog M bis Oktober 2002 Arbeitslosenhilfe. In der Zeit von Oktober 2002 bis November 2003 und von Mai bis Juli 2005 arbeitete M in Werkstätten für psychisch Behinderte. Mit Wirkung ab dem 1. März 2003 erhielt M von der LVA eine Erwerbsminderungsrente.
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Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag auf Kindergeld mit Bescheid vom 5. September 2005 ab, weil die Voraussetzungen des Berücksichtigungstatbestandes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) nicht vorliegen würden. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 1638). Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erfordere nicht nur, dass die Behinderung des Kindes, sondern auch dessen behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen habe. Im Streitfall sei zwar die Behinderung des M vor diesem Zeitpunkt eingetreten. Er sei aber nicht vor Vollendung des 27. Lebensjahres behinderungsbedingt unfähig zum Selbstunterhalt gewesen, weil seine Arbeitsfähigkeit nur im Hinblick auf bestimmte Tätigkeiten Einschränkungen unterlegen habe.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Das FG lege diese Vorschrift klar gegen ihren Wortlaut aus. Zudem würde das Gesetzesverständnis des FG falsche Anreize und Missbrauchsgefahren begründen. Man würde diejenigen Eltern honorieren, deren Kinder sich nicht ernsthaft um einen Arbeitsplatz bemühten, und nicht diejenigen, deren Kinder ein finanziell unabhängiges Leben durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu führen versuchten. Unbeachtet bliebe auch der Umstand, dass sich das Krankheitsbild oft erst im Erwachsenenalter voll entwickele. Außerdem führe die Auffassung des FG zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Im Übrigen sei das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juli 2001 VI R 56/98 (BFHE 196, 161, BStBl II 2001, 832), wonach auch die behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein müsse, zu einer älteren Gesetzeslage ergangen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 5. September 2005 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. September 2005 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für M in gesetzlicher Höhe ab Juni 2005 zu gewähren.
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Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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Nach zutreffender Auffassung der Klägerin --so die Familienkasse-- müsse zwar nur die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres des Kindes vorgelegen haben. Das FG habe aber noch nicht geklärt, ob M im Streitzeitraum behinderungsbedingt unfähig zum Selbstunterhalt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.
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Entgegen der Auffassung des FG setzt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht voraus, dass neben der Behinderung auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorliegen muss. Im Übrigen fehlen tatsächliche Feststellungen, um beurteilen zu können, ob M im Streitzeitraum (beginnend ab Juni 2005) wegen der Behinderung außerstande gewesen ist, sich selbst zu unterhalten.
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1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Behinderung muss --wie der Wortlaut eindeutig erkennen lässt ("wegen")-- für die fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt ursächlich sein. Mit dem Gesetz zur Familienförderung (FamFördG) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) ist dem § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2000 ein zweiter Halbsatz angefügt worden, in dem als weitere Voraussetzung ausdrücklich verlangt wird, dass die Behinderung des Kindes --wie im Streitfall für M-- vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein muss.
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a) Die Frage, ob nur die Behinderung oder auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen haben muss, wird in Rechtsprechung und Fachschrifttum nicht einheitlich beantwortet.
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aa) Die wohl herrschende Auffassung geht --insbesondere unter Berufung auf den Wortlaut des zweiten Halbsatzes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG-- davon aus, dass allein die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein muss. Diese Ansicht wird von mehreren Finanzgerichten (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 3. April 2002 14 K 46/00, EFG 2002, 1100; Urteil des FG Nürnberg vom 13. Juni 2002 VII 290/2000, EFG 2003, 867, dazu kritisch Kanzler, Finanz-Rundschau 2004, 98; Urteil des Sächsischen FG vom 23. Februar 2006 2 K 2679/04 (Kg)), weiten Teilen des Fachschrifttums (Schmidt/Loschelder, EStG, 30. Aufl., § 32 Rz 47; Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 117; Dürr in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 32 Rz 76; Greite in Korn, § 32 EStG Rz 58; Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 32 Rz C 30; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 EStG Rz 471; Seiler in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 32 Rz 15) und von der Verwaltung (Abschn. 63.3.6.1 Abs. 5 Satz 2 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --DA-FamEStG--, BStBl I 2004, 742, 771; Abschn. 63.3.6.1 Abs. 2 Satz 2 DA-FamEStG, BStBl I 2009, 1030, 1068) vertreten.
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bb) Nach anderer Auffassung muss auch die behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung der maßgeblichen Altersgrenze vorgelegen haben (Urteil des Sächsischen FG vom 26. Juni 2008 5 K 288/08 (Kg), juris, nicht rkr., Az. des BFH: III R 24/09; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 113; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 150).
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cc) Die bisher zur Streitfrage ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung liefert kein eindeutiges Ergebnis. In dem Beschluss des BFH vom 23. September 2003 VIII B 286/02 (nicht veröffentlicht --juris--) wird zwar --allerdings ohne nähere Begründung-- angeführt, der BFH habe in dem Urteil in BFHE 196, 161, BStBl II 2001, 832 zum Ausdruck gebracht, es müsse nicht nur die Behinderung, sondern auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen haben. Das eben genannte Urteil erging aber noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des zweiten Halbsatzes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG und enthält lediglich die ausdrückliche Feststellung, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein muss.
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b) Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Meinung an, wonach nur die Behinderung, nicht auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze vorgelegen haben muss. Maßgeblich für diese Auslegung ist der objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und aus dem Sinnzusammenhang der in Rede stehenden Vorschrift ergibt (zur Auslegung von Steuergesetzen vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1991 VIII R 31/88, BFHE 164, 516, BStBl II 1992, 167).
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aa) Der Wortlaut des angefügten zweiten Halbsatzes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG setzt für die Berücksichtigung des Kindes allein den Eintritt der Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres voraus. Er enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass auch noch andere Voraussetzungen als die eben genannte vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze vorgelegen haben müssen.
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bb) Aber selbst wenn es --wie das FG und einzelne Stimmen im Fachschrifttum (so Helmke in Helmke/Bauer, a.a.O., § 32 Rz 113) meinen-- noch vom möglichen Wortsinn der Regelung umfasst sein könnte, unter einer Behinderung im Sinne des zweiten Halbsatzes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG eine im Sinne seines ersten Halbsatzes zu verstehen, die bereits zum Verlust der Selbstunterhaltungsfähigkeit geführt hat, würden einer derart extensiven Auslegung die Entstehungsgeschichte und der Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 2 EStG entgegenstehen.
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Mit der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs im Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) sollten das sozialrechtliche Kindergeldrecht (Bundeskindergeldgesetz --BKGG--) und das einkommensteuerrechtliche Kinderfreibetrags- (§ 32 EStG) bzw. Kindergeldrecht (§ 62 ff. EStG), insbesondere die in beiden Rechtsbereichen für volljährige Kinder bestehenden Berücksichtigungstatbestände, harmonisiert werden (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 155, 160, 164). Dass der Gesetzgeber dabei --jedenfalls im Anwendungsbereich des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG-- an die frühere Sozialrechtsprechung anknüpfen wollte, kommt insbesondere dadurch deutlich zum Ausdruck, dass er der eben genannten Regelung durch das FamFördG vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) den zweiten Halbsatz angefügt hat. Nach der Gesetzesbegründung sollte hierdurch ausgeschlossen werden, dass z.B. eine 80-jährige Mutter für ihren Sohn, der im Alter von 60 Jahren einen Schlaganfall erleidet und pflegebedürftig wird, Kindergeld erhalten kann; dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum BKGG (BTDrucks 14/1513, S. 14). Dabei war nach der Rechtsprechung des BSG eine lebenslange Berücksichtigung behinderter Kinder nur dann möglich, wenn die vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze eingetretene Behinderung zum Verlust der Selbstunterhaltungsfähigkeit führte (BSG-Urteile vom 14. August 1984 10 RKg 6/83, BSGE 57, 108; vom 23. Juni 1977 8/12 RKg 7/77, BSGE 44, 106). Gleichwohl hat der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Rechtsprechung des BSG formuliert, dass vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze allein die Behinderung eingetreten sein muss. Dies spricht dafür, dass er die Kindergeldgewährung nicht zusätzlich davon abhängig machen wollte, dass bis zu diesem Zeitpunkt auch die behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vorgelegen haben muss. Aber selbst wenn es der subjektive Wille des Gesetzgebers gewesen sein sollte, die Kindergeldberechtigung zusätzlich vom Verlust der Selbstunterhaltungsfähigkeit vor Vollendung des 27. Lebensjahres abhängig zu machen, hätte gerade mit Blick auf seine Kenntnis von vorstehend genannter BSG-Rechtsprechung erwartet werden dürfen, dass dieser Wille einen hinreichend deutlichen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hätte. Hieran fehlt es.
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Dieses Ergebnis wird vom Gesetzeszweck des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG bestätigt. Das Verfassungsrecht gebietet, der durch Unterhaltsleistungen für Kinder geminderten Leistungsfähigkeit der Eltern Rechnung zu tragen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84 u.a., BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653). Deshalb werden Kinder unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG auch nach Volljährigkeit berücksichtigt. Eine verminderte Leistungsfähigkeit der Eltern behinderter Kinder liegt aber auch dann vor, wenn vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze zunächst nur die Behinderung eingetreten ist, danach jedoch wegen dieser Behinderung die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt hinzutritt.
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c) Nach alledem muss vor Vollendung des 27. Lebensjahres lediglich die Behinderung eingetreten sein. Das Vorliegen weiterer Voraussetzungen vor Erreichen dieser Altersgrenze ist nicht erforderlich.
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Es fehlen die erforderlichen Feststellungen, um prüfen zu können, ob M im Streitzeitraum (beginnend ab Juni 2005) wegen seiner bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen Behinderung außerstande gewesen ist, sich selbst zu unterhalten.
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a) Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" ist gegeben, wenn das Kind über keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensunterhalts --bestehend aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf-- ausreicht (vgl. zum Ganzen Senatsurteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057, m.w.N.).
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b) Für den Fall, dass M im Streitzeitraum arbeitslos gewesen sein sollte, wird zur Frage der Ursächlichkeit der Behinderung für die fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt auf die Senatsurteile in BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057 und vom 22. Oktober 2009 III R 50/07 (BFHE 228, 17, BStBl II 2011, 38) hingewiesen.
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Nach diesen Entscheidungen ist eine behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt zum einen dann gegeben, wenn die Behinderung in erheblichem Umfang mitursächlich für die Arbeitslosigkeit ist. Diese Entscheidung hat das FG als Tatsacheninstanz unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles und unter Abwägung der für und gegen eine Mitursächlichkeit sprechenden Indizien zu treffen (vgl. zum Ganzen Senatsurteile in BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057; in BFHE 228, 17, BStBl II 2011, 38). Zum anderen kann eine behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt aber auch bei fehlender Mitursächlichkeit für die Arbeitslosigkeit in Betracht kommen, nämlich dann, wenn die vom behinderten Kind --trotz der Behinderung-- erzielbaren Einkünfte nicht dessen gesamten Lebensbedarf (existenziellen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf) decken könnten. In diesen Fällen liegt die erforderliche Ursächlichkeit z.B. dann vor, wenn das Kind behinderungsbedingt nur eine zur Sicherung seines gesamten Lebensbedarfs nicht ausreichende Teilzeittätigkeit ausüben könnte (vgl. Senatsurteil in BFHE 228, 17, BStBl II 2011, 38).
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c) Der fehlende Nachweis der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt geht im Übrigen nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten.
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3. Die Streitsache wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen. Soweit der Senat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184; vgl. auch Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 73/07, BFH/NV 2010, 1429) an einer entsprechenden Zurückverweisung an das FG gehindert sah, weil das FG --auch bei rechtlich gebundenen Entscheidungen-- von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte nicht aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären dürfe, hält er daran im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des FG (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht mehr fest.
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