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BFH 09.06.2010 - II B 154/09
BFH 09.06.2010 - II B 154/09 - Aussetzung des Klageverfahrens wegen des Verfahrens vor dem BVerfG zum SolZG 2007
Normen
§ 74 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 11. September 2009, Az: 10 K 2709/09, Beschluss
Leitsatz
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NV: Ein Klageverfahren, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer für 2007 streitig ist, ist nach § 74 FGO auszusetzen, bis das BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 3/10 über den Vorlagebeschuss des Niedersächsischen FG vom 25. November 2009 7 K 143/08 entschieden hat.
Gründe
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Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt --FA--) ist begründet. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts (FG) war das Klageverfahren nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Niedersächsischen FG anhängigen Verfahrens 7 K 143/08, in dem ebenfalls --wie im Klageverfahren-- die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2007 streitig ist, auszusetzen. Das beim FG anhängige Klageverfahren ist nur so lange auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Verfahren 2 BvL 3/10 über den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG vom 25. November 2009 7 K 143/08 entschieden hat. Im Hinblick auf dieses beim BVerfG anhängige Verfahren sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens erfüllt.
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1. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.
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Für eine Aussetzung des Verfahrens ist danach erforderlich, dass das andere Verfahren zumindest in bestimmter Weise rechtlich vorgreifend für das anhängige Verfahren ist. Das ist nicht der Fall, wenn in einem finanzgerichtlichen Verfahren nur dieselbe Rechtsfrage streitig ist. Eine mit § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) vergleichbare rechtliche Bindung tritt durch Musterprozesse nicht ein (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Mai 2005 XI B 181/04, BFH/NV 2005, 1607, und vom 21. Dezember 2007 VIII B 39/07, BFH/NV 2008, 940). Die Entscheidung in dem Verfahren vor einem anderen FG bindet nur die dortigen Beteiligten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO).
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Das streitige Klageverfahren war daher nicht im Hinblick auf das beim Niedersächsischen FG anhängige Verfahren 7 K 143/08 auszusetzen, obwohl dieses ebenfalls --wie das streitige Klageverfahren-- die Frage betrifft, ob der festgesetzte Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2007 verfassungsgemäß ist. Eine Aussetzung des Verfahrens ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil nach den Verwaltungsanweisungen in den meisten Bundesländern die Einsprüche insoweit nach § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) ruhen können. Die Voraussetzungen für das Ruhen des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 AO unterscheiden sich grundlegend von denen der Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO bzw. der vergleichbaren Aussetzung des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 1 AO. Die Finanzbehörde kann das Einspruchsverfahren u.a. mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO). Hierfür ist --im Gegensatz zu § 74 FGO-- eine vorgreifliche Entscheidung bzw. Feststellung nicht erforderlich.
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Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben.
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2. Eine Aussetzung des Klageverfahrens ist jedoch im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass nunmehr zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolZG) 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung das Verfahren 2 BvL 3/10 beim BVerfG anhängig ist.
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a) Unerheblich ist insoweit, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens noch nicht vorgelegen haben, als das FG den angefochtenen Beschluss erlassen hat, sondern diese erst danach eingetreten sind. Denn für die Beurteilung der Verfahrensaussetzung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgebend (vgl. BFH-Beschluss vom 27. November 1992 III B 133/91, BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240).
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b) Das Klageverfahren kann nach der Rechtsprechung des BFH auszusetzen sein, wenn vor dem BVerfG ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschlüsse vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797; vom 30. April 1996 III R 211/90, BFH/NV 1997, 23; vom 6. Oktober 2004 II R 10/03, BFH/NV 2005, 238).
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Dem BVerfG liegt unter dem Aktenzeichen 2 BvL 3/10 ein Normenkontrollverfahren vor, dem der Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG vom 25. November 2009 7 K 143/08 zugrunde liegt. In diesem Beschluss hält das vorlegende FG das SolZG 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung für verfassungswidrig, weil sich der Gesetzgeber nicht an die vom Verfassungsgeber gesetzten Regeln der Finanzverfassung gehalten habe. Das Normenkontrollverfahren ist anhängig, sobald der Vorlagebeschluss als der das Verfahren einleitende Antrag i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG dem BVerfG zugeht (vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, Komm., 5. Aufl., § 23 Rz 7). Für die Anhängigkeit eines konkreten Normenkontrollverfahrens ist entgegen der Auffassung des FA nicht erforderlich, dass das Verfahren zur Entscheidung angenommen wird. Nach den §§ 80 ff. BVerfGG ist für den Vorlagebeschluss i.S. des § 13 Nr. 11 BVerfGG i.V.m. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes --anders als bei einer Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 1 BVerfGG-- eine Annahme zur Entscheidung überhaupt nicht vorgesehen. Ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über den im Streitfall festgesetzten Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2007 vor Abschluss des Normenkontrollverfahrens vor dem BVerfG hat das FA nicht dargelegt.
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